Olimp 004 S
#1
Als einen ganz besonderen Leckerbissen sind wohl die Tonbandgeräte
sowjetischer Produktion anzusehen. Zwar gebaut wie Panzer genügen
die Geräte annähernd westlichen Standards oder überbieten diese sogar.
Und dennoch wurden die Maschinen m.W. nicht exportiert. Ab den 80er
Jahren begann man sich in der UDSSR vor allem um Nachbauten der A77
und B77 zu kümmern. Mit der Olimp-004 kam dann noch die A700 dazu.
Weitere Sondermodelle und Kleinstserien runden das höchst interessante
Angebot der Russen ab. Die letzte Bandmaschine wurde 1999 (!) produziert.
Auf meine Anfrage bei Revox erhielt ich zur Antwort, dass man über
diese Geräte nichts wisse... Ich glaube, man nennt sowas Raubkopie ;-)

Die russische Olimp sieht von weitem so gar nicht osteuropäisch aus.
Denkt man an die Unitras oder Teslas, kann man kaum glauben, was man
hier sieht. Gut, die einen werden sagen, hier hat wohl ein Japaner was
für die Russen gebastelt oder die Russen produzierten in Lizenz oder
das Teil sieht halt nur von weitem gut aus, alles andere ist Murks. Im
Internet wurde so einige male über die Olimp diskutiert, ein Russe
brachte Revox mit ins Spiel. Nacktaufnahmen von Semihs A700 bestätigten,
dass wir es hier mir einer Kopie der A700 zu tun haben. Ich habe keine
Ahnung, was die Menschen bewogen hat, ein solches Gerät zu bauen:
Revox-Technik der frühen 70er Jahre für eine Maschine im Russland der
90er, sprich: zur Digitalzeit. Diese Maschinen, es hat ja mindestens
diese 004 und die Nachfolgerin, die 005, gegeben, müssen auch in Russland
sehr teuer gewesen sein, gab es tatsächlich einen Markt? Exportiert wurde
die Kiste sicher nicht, denn sie ist kyrillisch beschriftet, eine
westliche Variante solcher Geräte ist mir bislang nicht begegnet.

Das Innenleben des Gerätes hat mich glatt vom Hocker gehauen. Ich habe
schon viele massive Alu-Chassi gesehen, aber was man hier verbaut hat,
ist einzigartig: ein 2 cm Alu-Block, der praktisch den gesamten Innenraum
ausfüllt! Nur wenige Bohrungen, einfach ein dicker Metallblock, wow! Gut,
Philips hat letztlich bewiesen, dass gerade dieser für deutsche Firmen
typische Drang hin zu Solidität (als Alibi für mangelnde Progressivität?)
einfach übertriebener Blödsinn ist: ein halbwegs verwindungssteifes
Kunststoffchasis kommt seiner Aufgabe im Heimanwendungsbereich auch
gut nach, man muss es halt nicht am Polarkreis eingraben oder in den
Tropen einem Bräunungsversuch aussetzen. Aber vielleicht war es den Russen
einfach zu aufwendig, an dem Alu-Block herumzufräsen...

Der Tonmotor ist ausserordentlich laufruhig (quartzsynchronisierter AC-Motor)
und bei den Köpfen handelt es sich um Permalloy, wobei in Vorgängergeräten
auch schon mal Glasferritköpfe aus russischer Produktion verbaut wurden.
Das Gerät ist brutal schwer und hat keinerlei Griffe oder Mulden. Das gesamte
Gehäuse ist aus Metall - vom Feinsten! Die Stromversorgung ist mit 220V/50Hz
unproblematisch und die Anschlüsse sind ausschliesslich als DIN ausgelegt.
Das weitere Design orientiert sich etwas am japanischen Standard. Darum ist
das Gerät auch relativ leicht zu bedienen trotz russischer Beschriftung, eine
Anleitung benötigt man eigentlich nicht.

Aber zurück zur Maschine. Frontplatte und alle Seitenteile sind aus Metall,
wenngleich teilweise sehr dünn. Unter den Frontplatten befinden sich weitere
Platten, etwas luftiger und aus Kunststoff. Eine Platte ist stark gebogen,
sie wird unter Spannung eingebaut. Erst dachte ich, hier hätte jemand mal
geschraubt, aber die Platte ist ab Werk bewusst so gebogen! Sie drückt eine
darunterliegende Platte in ihre Führungen, damit auch alle Tasten Kontakt
bekommen. Obwohl man mit Schrauben nicht sparsam war (übrigens lauter
Schlitz- und Sechskantschrauben) - hier fehlt eine ... Gott sei Dank,
mein Weltbild wankte bereits :-)

Zum Können der Maschine: 1/4-Spur mit 9,5 und 19 cm/s, Real-Time-Counter,
Hinterbandkontrolle, Spulen bis 27 cm, Mischpult mit einem Masterregler.
Kopfhöhreranschluss mit regelbarer Laustärke (interessanterweise nicht in
Würfelformat, sondern Halbkreis-DIN), alle Anschlüsse als DIN-Buchsen ausgelegt,
220 Volt/50 Hz machen das Gerät unproblematisch für den deutschen Betreiber.
Ein bemerkenswertes Feature ist der Memory-Stop. Durchfährt diese Maschine die
Nullposition des Zählwerks, so beginnt der Bremsvorgang, d.h. die Maschine
schiesst immer über das Ziel hinaus. Andere drosseln vorher die Geschwindigkeit
und nähern sich langsam der Nullposition, die Olimp geht einen komplett anderen
Weg: sie rangiert so lange vor und zurück, bis die Nullposition exakt erreicht
ist. Na ja, jeder wird verstehen, dass ich bestimmt eine geschlagene Stunde
lang nur mit dieser Funktion gespielt habe :-) Der Gebrauchstest: die Tasten
sind minderwertig und sollten gegen ordentliche ausgetauscht werden. Fast alle
klemmen oder verriegeln nicht mehr richtig. Die Bedienung ist ansonsten
hervorragend, alles ist an seinem Platz, die VUs sind ausgesprochen interessant,
wenngleich die LEDs grösser hätten ausfallen können. Die Beschriftung im
VU-Block wirkt irgendwie 3-Dimensional gebogen, scheint rauf und runter zu
gehen - beeindruckend. Am Klang ist nichts auszusetzen, die Maschine klingt
annähernd Vor- wie Nachband, vielleicht mit geringen Abstrichen in der
Höhenbrillianz. Die Umspulgeschwindigkeit könnte höher sein, aber von welchem
Gerät wünscht man sich das nicht?!? Die 3-Zacks sind eher nicht so gut,
erinnern auch an Revox. Fazit: Schmucker Panzer, absolut hipp, vollauf
brauchbar und keineswegs Ostblockschrott - das möchte ich hier betonen -,
sehr schwer, LED-Ketten mit bestimmt 100 LEDs pro Reihe als Aussteuerungshilfen
und Real-Time-Counter lassen das Gerät ausgesprochen modern erscheinen, denn
nicht viele Consumer-Maschinen hatten soetwas - da fallen mir die 880 von
Sony, die 909 von Pioneer, die Akai 747 und 77 oder die Tesla 160 ein. Das
Gerät ist eine echte Alternative und dürfte jeden Sammler begeistern. Leider
sind die Olimps auch sehr, sehr selten...
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