15.10.2020, 22:33
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß wir auf eine einfache Frage nach einem Auto inzwischen darüber diekutieren, ob Autos als Verkehrsmittel überhaupt noch zeitgemäß sind. Das nächste Mal, wenn jemand nach einer Bandmaschine fragt, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen soll, landen wir bestimmt auch bei der Erkenntnis, daß ein digitaler Festspeicher-Recorder doch wesentlich weniger Feinstaub ausstößt. Wobei - alles schonmal da gewesen, insofern bleibt sich das Forum treu :-)
Da nun aber sowieso das meiste zur eigentlichen Frage gesagt sein dürfte und der Fragende sich bestimmt schon überlegt, ob er nun einen Japaner, einen neuen Dacia oder doch einen alten Benz anschaffen soll, möchte ich nochmal an die Frage der Zukunft unserer Fortbewegung anknüpfen. Lorenz, ich hoffe das ist okay. Wenn Du noch mehr zu den diskutierten Autos wissen möchtest, dann frage einfach nochmal, und wir kommen wieder aufs Thema zurück.
Es gibt bei Verkehrsthemen immer wieder Vertreter sehr eindimensionaler, radikaler Lösungsansätze. Nicht nur in der Politik - da allerdings ziemlich ausgeprägt - sondern auch unter Menschen, die eigentlich vom Fach sind. Das hängt damit zusammen, daß Verkehr und die Nachfrage nach persönlicher Fortbewegung bzw. Transport von Gütern derart komplex sind, daß es schier unmöglich ist, all die Zusammenhänge auf einmal zu erfassen. Das fängt bei geographischen Voraussetzungen an und geht über Stadtplanung, wirtschaftliche Interessen und Lenkung durch Steuern und Subventionen, bis hin zu persönlichen und kulturellen Prioritäten wie bevorzugte Wohnformen, Freizeitaktivitäten, Bereitschaft Zeit und Geld für Reisen zu investieren und vieles mehr.
So kommt es beispielsweise zu der Forderung, das Autofahren stark einzuschränken, weil einem die Lösung einiger damit verbundener Probleme am Herzen liegt. Das kann z.B. Lärm, Unfallrisiko, Abgasbelastung oder Flächenversiegelung sein, gerne auch alle greifbaren Argumente zusammen, wenn man sich einmal auf ein Feindbild eingeschossen hat. Das geht übrigens mit allen Verkehrsmitteln: Es gibt auch genug Gegner des Ausbaus von Radwegen oder ganze Lobbyorganisationen, die Straßenbahnen als "von gestern" im öffentlichen Diskurs gezielt schlechtreden (um einem dann nachher einen rumpelnden Bus als tolle Alternative zu verkaufen...).
Wenn man sich ausführlicher mit Reisen und Transporten beschäftigt und nicht nur einen Problembereich abdecken mag, dann kommt man zu der Erkenntnis, daß alle Verkehrsmittel ihre sinnvollen Einsatzgebiete haben und auch in Zukunft haben werden. Ok, Kreuzfahrtschiffe und Museumseisenbahnen seien mal außen vor, das sind Sonderfälle, weil dort alleine der Weg das Ziel ist. Wohl aber gibt es Bereiche, in denen ein Umdenken viele positive Effekte hat:
- Überall dort, wo viele Menschen auf den gleichen Strecken unterwegs sind, lohnt es sich, richtig in öffentlichen Verkehr zu investieren. Das ist vor allem in Städten und zwischen größeren Städten der Fall.
- Wenn wir Städte kompakter bauen, und mit gemischten Funktionen Wohnen/Arbeiten in den Stadtteilen, dann werden die Wege kürzer, was die Fußgänger und Radfahrer-Quote schon von ganz alleine erhöht. Weiter nachhelfen kann man mit attraktiven Wegen für diese Gruppen - was viel billiger ist als Straßen für mehr Autos zu bauen, wenn die Stadt immer nur nach außen wächst. Im Idealfall sind die Verkehrsströme auch gleichmäßig in beide Richtungen, was den Öffis zu Gute kommt, die dann mit weniger Ressourcen einen dichten Takt aufrecht erhalten können, statt wie in einer Stadt mit strikt getrennten Gebieten für Wohn- und Arbeitsstätten immer in die eine Richtng voll und in die andere Richtung leer zu fahren, und Abends genau umgekehrt.
- In den Städten ist einfach nicht genug Platz für immer mehr Autos. Vor allem in Frankreich arbeitet man seit etwa 25 Jahren konsequent daran, die Innenstadtstraßen wieder für die Menschen umzubauen, die sich ohne Auto dort bewegen. Wer dennoch mit dem Auto kommen muß, wofür es viele legitime Gründe gibt, kann entweder für viel Geld im Zentrum in ein Parkhaus fahren, oder sich am Stadtrand auf einen P+R-Platz stellen und die letzten Kilometer mit der Bahn fahren. Bei dem Modell gibt es fast nur Gewinner. Es sind viel weniger störende Autos im Zentrum unterwegs, aber man wird nicht komplett ausgesperrt.
- In der Fläche und zwischen kleineren Orten wird das Auto auch in Zukunft nicht sinnvoll ersetzbar sein. Einen kleinen Teil des Verkehrs dort kann man auch mit Öffis und Fahrrad abdecken, dank E-Bikes auch immer längere Strecken. Aber in jedes Kaff einen Bus zu scicken, wäre einerseits finanziell für die Kommunen kaum zu stemmen, und andererseits noch nicht einmal ökologisch sinnvoll. Dann lieber die Ressourcen dort konzentrieren, wo man auch viele Fahrgäste abholen kann.
- Selbstfahrende Autos: Die sind gar keine Lösung für die meisten Verkehrsprobleme. Sie können den Durchsatz marginell erhöhen, den Parkplatzbedarf etwas senken und den Autoverkehr etwas sicherer machen. Aber die Kapazität von Straßen und Kreuzungen wird durch diese Verkehrsform nicht entlastet, eher im Gegenteil, wegen der anfallenden Leerfahrten. Eventuell kommt da was auf das traditionelle Taxigewerbe zu, aber eher nicht für die breite Masse.
Noch was Interessantes zum Thema im Spiegel:
https://www.spiegel.de/auto/carsharing-d...194e64275#
Noch ein weiterer Grund, warum Carsharing nur für ein paar Idealisten funktioniert: Stellt Euch mal vor, man dürfte nur noch zwei Paar Schuhe besitzen. Für besonderen Bedarf gibt es Shoe-Sharing. Da könnte man richtig Geld sparen, denn mal ehrlich: So selten, wie man die Gummistiefel oder die besonders schicken Lackschuhe wirklich benutzt, wäre es doch clever, die spontan für 3,50 einen Tag mieten zu können... wer würde da mitmachen?
Viele Grüße,
Martin
Da nun aber sowieso das meiste zur eigentlichen Frage gesagt sein dürfte und der Fragende sich bestimmt schon überlegt, ob er nun einen Japaner, einen neuen Dacia oder doch einen alten Benz anschaffen soll, möchte ich nochmal an die Frage der Zukunft unserer Fortbewegung anknüpfen. Lorenz, ich hoffe das ist okay. Wenn Du noch mehr zu den diskutierten Autos wissen möchtest, dann frage einfach nochmal, und wir kommen wieder aufs Thema zurück.
Es gibt bei Verkehrsthemen immer wieder Vertreter sehr eindimensionaler, radikaler Lösungsansätze. Nicht nur in der Politik - da allerdings ziemlich ausgeprägt - sondern auch unter Menschen, die eigentlich vom Fach sind. Das hängt damit zusammen, daß Verkehr und die Nachfrage nach persönlicher Fortbewegung bzw. Transport von Gütern derart komplex sind, daß es schier unmöglich ist, all die Zusammenhänge auf einmal zu erfassen. Das fängt bei geographischen Voraussetzungen an und geht über Stadtplanung, wirtschaftliche Interessen und Lenkung durch Steuern und Subventionen, bis hin zu persönlichen und kulturellen Prioritäten wie bevorzugte Wohnformen, Freizeitaktivitäten, Bereitschaft Zeit und Geld für Reisen zu investieren und vieles mehr.
So kommt es beispielsweise zu der Forderung, das Autofahren stark einzuschränken, weil einem die Lösung einiger damit verbundener Probleme am Herzen liegt. Das kann z.B. Lärm, Unfallrisiko, Abgasbelastung oder Flächenversiegelung sein, gerne auch alle greifbaren Argumente zusammen, wenn man sich einmal auf ein Feindbild eingeschossen hat. Das geht übrigens mit allen Verkehrsmitteln: Es gibt auch genug Gegner des Ausbaus von Radwegen oder ganze Lobbyorganisationen, die Straßenbahnen als "von gestern" im öffentlichen Diskurs gezielt schlechtreden (um einem dann nachher einen rumpelnden Bus als tolle Alternative zu verkaufen...).
Wenn man sich ausführlicher mit Reisen und Transporten beschäftigt und nicht nur einen Problembereich abdecken mag, dann kommt man zu der Erkenntnis, daß alle Verkehrsmittel ihre sinnvollen Einsatzgebiete haben und auch in Zukunft haben werden. Ok, Kreuzfahrtschiffe und Museumseisenbahnen seien mal außen vor, das sind Sonderfälle, weil dort alleine der Weg das Ziel ist. Wohl aber gibt es Bereiche, in denen ein Umdenken viele positive Effekte hat:
- Überall dort, wo viele Menschen auf den gleichen Strecken unterwegs sind, lohnt es sich, richtig in öffentlichen Verkehr zu investieren. Das ist vor allem in Städten und zwischen größeren Städten der Fall.
- Wenn wir Städte kompakter bauen, und mit gemischten Funktionen Wohnen/Arbeiten in den Stadtteilen, dann werden die Wege kürzer, was die Fußgänger und Radfahrer-Quote schon von ganz alleine erhöht. Weiter nachhelfen kann man mit attraktiven Wegen für diese Gruppen - was viel billiger ist als Straßen für mehr Autos zu bauen, wenn die Stadt immer nur nach außen wächst. Im Idealfall sind die Verkehrsströme auch gleichmäßig in beide Richtungen, was den Öffis zu Gute kommt, die dann mit weniger Ressourcen einen dichten Takt aufrecht erhalten können, statt wie in einer Stadt mit strikt getrennten Gebieten für Wohn- und Arbeitsstätten immer in die eine Richtng voll und in die andere Richtung leer zu fahren, und Abends genau umgekehrt.
- In den Städten ist einfach nicht genug Platz für immer mehr Autos. Vor allem in Frankreich arbeitet man seit etwa 25 Jahren konsequent daran, die Innenstadtstraßen wieder für die Menschen umzubauen, die sich ohne Auto dort bewegen. Wer dennoch mit dem Auto kommen muß, wofür es viele legitime Gründe gibt, kann entweder für viel Geld im Zentrum in ein Parkhaus fahren, oder sich am Stadtrand auf einen P+R-Platz stellen und die letzten Kilometer mit der Bahn fahren. Bei dem Modell gibt es fast nur Gewinner. Es sind viel weniger störende Autos im Zentrum unterwegs, aber man wird nicht komplett ausgesperrt.
- In der Fläche und zwischen kleineren Orten wird das Auto auch in Zukunft nicht sinnvoll ersetzbar sein. Einen kleinen Teil des Verkehrs dort kann man auch mit Öffis und Fahrrad abdecken, dank E-Bikes auch immer längere Strecken. Aber in jedes Kaff einen Bus zu scicken, wäre einerseits finanziell für die Kommunen kaum zu stemmen, und andererseits noch nicht einmal ökologisch sinnvoll. Dann lieber die Ressourcen dort konzentrieren, wo man auch viele Fahrgäste abholen kann.
- Selbstfahrende Autos: Die sind gar keine Lösung für die meisten Verkehrsprobleme. Sie können den Durchsatz marginell erhöhen, den Parkplatzbedarf etwas senken und den Autoverkehr etwas sicherer machen. Aber die Kapazität von Straßen und Kreuzungen wird durch diese Verkehrsform nicht entlastet, eher im Gegenteil, wegen der anfallenden Leerfahrten. Eventuell kommt da was auf das traditionelle Taxigewerbe zu, aber eher nicht für die breite Masse.
Noch was Interessantes zum Thema im Spiegel:
https://www.spiegel.de/auto/carsharing-d...194e64275#
Noch ein weiterer Grund, warum Carsharing nur für ein paar Idealisten funktioniert: Stellt Euch mal vor, man dürfte nur noch zwei Paar Schuhe besitzen. Für besonderen Bedarf gibt es Shoe-Sharing. Da könnte man richtig Geld sparen, denn mal ehrlich: So selten, wie man die Gummistiefel oder die besonders schicken Lackschuhe wirklich benutzt, wäre es doch clever, die spontan für 3,50 einen Tag mieten zu können... wer würde da mitmachen?
Viele Grüße,
Martin