Anfänge der Tricktechnik in der Musikindustrie
#12
Im Deutschen Museum stehen die Reste des alten Siemens-Studios für Neue Musik, dessen Keimzelle ein Industriefilm über die Firma Siemens war und der natürlich nicht mit Musik Bachs, Schuberts oder Regers unterlegt werden konnte. Also musste ein elektronisches Studio mit entsprechendem Leiter her, das die neuzeitgemäße Musik beizusteuern hatte. Es dauerte Jahre bis der Film da war, wo man ihn haben wollte, weshalb das Studio inzwischen durchaus und primär eigene Wege ging, umzog (zunächst etwas außerhalb Münchens, dann im Semens-Haus in der Innenstadt, Oskar-von-Miller-Ring), bis es der Fa. Siemens zu bunt wurde ("wuidste Leit im Haus"), die ja mit Musikern einer etwas abgedrehten Kulturszene im Verwaltungsgebäude zunehmend weniger anzufangen wusste. Die Anlage wurde an die FHS Ulm verschenkt/verliehen, ich weiß es nicht ganz genau, könnte das aber en detail klären. Dort aber kam das Ding nicht mehr zum Einbau, wurde eingelagert und nurmehr einmal halbwegs 'adäquat' eingesetzt, als (ich glaube) E. Reitz für einen Film eine effektvoll "verbrennende Maschine" benötigte; dafür griff man dann auf 'Gelumpe' aus der Studioeinrichtung aus der Mitte der 1950er zurück, das man ja dankenswerterweise im Depot liegen hatte. Derlei Nutzungen führten natürlich zu Bestandsdezimierungen, bis irgendjemand auf die Idee kam, dieses sehr frühe, allein für elektronische Musik konziperte Studio der im Aufbau begriffenen Abteilung "Elektronische Musik" im Deutschen Museum München zu schenken. Dort nahm man die Reste der Anlage gerne und brachte sie zu Teilen sogar wieder dem Betrieb nahe. Es läuft also allerlei, wobei die Plexiriegel zum Schutz der durchwegs originalen V7X-Verstärker in ihren Gestellen auf meine Anregung zurückgehen, weil die Einschübe mit ihren vom 'Fachmann' leicht zu lösenden Schnellverschlüssen sonst schnell Beine bekämen. Offenbar wurde das selbst vom Haushaltsausschuss des Museums als glaubwürdig angesehen, denn die Riegel kamen recht bald.

Das Deutsche Museum besitzt faszinierende Dokumente in seiner Schausammlung (darunter den teilelektronischen, kapazitiven Vierling-Flügel, der noch vom ollen Vierling selbst nach München gestiftet und gebracht wurde) und im Magazin, wo sich inzwischen die lange Jahre ausgestellte AEG-K2 (Ursprungszustand mit Vorverstärker und Wiedergabeeinheit) und eine Gleichstrom-K4 befinden.

Die NF-ler und Nachrichtentechniker waren lange Jahre im Museum nicht unerheblich unter wirtschaftlichem Druck, verkörperten sie doch als wenig 'zukunftsträchtig' dspektierte Techniken (im Gegensatz zur Raumfahrt oder ähnlichen, heute ebenfalls obsoleten 'Spielereien'). Eine schöne Darstellung der Entwicklung der Medientechnik, des Mikrofons, der Schallspeichertechniken sucht man daher vergeblich. Ansätze, die mal da waren, sind längst wieder weg. Auch in Berlin (Rundfunkmuseum) setzen einschlägigen Unternehmungen die öffentlichen Sparvorgaben nicht nur Grenzen, sondern unterbinden sie. Sicher auf lange Zeit (dem Vernehmen nach...).

Gerade finde ich auf meiner Festplatte einen Text Josef Anton Riedls (Orff-Schüler, 'aber' nicht unmerkwürdig) zum Siemensstudio, den ich nachfolgend in der originalen Orthografie zitiere, was man mir verzeihen möge:

"Siemens-Studio für elektronische Musik

von Josef Anton Riedl

* siemens-equipment zur erzeugung und verarbeitung elektronischer
klänge und geräusche gauting bei münchen 1956-59
* siemens-studio für elektronische musik und
* studio für elektronische musik der geschwister-scholl-stiftung
* jeweils (siemensgebäude) oskar-von-miller-ring münchen 1959-63
und 1963-66
* geschichtlicher bericht
* 1994

ende 1955 beschloß die leitung der firma siemens auf empfehlung von
carl orff, ihren abendfüllenden, in farbe und teilweise experimentell
gehaltenen jubiläums- und dokumentarfilm "impuls unserer zeit" mit
elektronischer musik auszustatten und für diesen zweck eine apparatur
zur erzeugung und verarbeitung elektronischer klänge und geräusche
entwickeln und erstellen zu lassen.

oktober 1956 wurde eine arbeitsgruppe des zentrallaboratoriums unter
leitung von alexander schaaf, unter mitarbeit von helmut klein, hans
joachim neumann u. a. mit dem aufbau der apparatur im
elektroakustischen labor von alexander schaaf in gauting bei münchen
beauftragt und auf empfehlung von carl orff zur musikalischen
beratung josef anton riedl herangezogen und mit der komposition der
musik zum film betraut. zuvor befaßte sich alexander schaaf mit der
entwicklung eines lautsprechersystems, helmut klein mit der
entwicklung eines in der bundesrepublik ersten umfassenden gerätes
zur herstellung synthetischer sprache (vocoder) bei siemens, hans
joachim neumann theoretisch (promotionsarbeit) mit glockenspektren
und josef anton riedl seit anfang der 50er jahre mit konkreter und
elektronischer musik.

nach verschiedenen musikalischen erprobungen der apparatur bereits
seit 1956 und im zusammenhang mit vorläufig fertiggestellten
abschnitten des filmes ab 1957 erfolgte von frühjahr 1959 an für den
film die eigentliche komposition der musik - elektronische
klanggestaltung - und ihre technische realisierung sowie im gleichen
jahr oktober seine uraufführung.

zur veröffentlichung kam nun (bezüglich der parameter dauer, tonhöhe,
farbe und lautstärke) lochstreifengesteuerte elektronische musik, die
bis zu diesem zeitpunkt noch nicht gehört werden konnte.

die praktische bewährung der apparatur, der erfolg des filmes bei
publikum und presse sowie durch die verleihung von auszeichnungen und
preisen (drehbuch, regie, kamera, schnitt und musik) und das jetzt
auftretende interesse von komponisten, insbesondere aber von film-,
theater- und hörspielregisseuren, mit dieser apparatur hergestellte
elektronische musik zu verwenden, sowie die anregung von carl orff,
josef anton riedl, alexander schaaf, helmut klein u. a. bei der
leitung von siemens, ein studio für elektronische musik zu gründen
und zu unterhalten, veranlaßten die firma, dies noch 1959 zu tun.

die apparatur verlegte man daher nach münchen, in räume des
siemensgebäudes am oskar-von-miller-ring, wo sogleich produktionen
elektronischer musik für film, theater u. a. begannen. bald wurde die
anzahl der studiomitglieder und studioräume erhöht, nach und nach
wurden neue geräte hinzugekauft und andere übernommen, erfahrungen
aus der praktischen arbeit mit den komponisten in verbesserungen der
vorhandenen apparatur und zu neuentwicklungen von geräten umgesetzt,
und es entstanden auch verstärkt kompositionen autonomer musik und
fanden klangexperimente statt.

oktober 1963 übergab siemens das studio der
geschwister-scholl-stiftung. später umfaßte das team des studios
alexander schaaf (technischer leiter), helmut klein
(entwicklungsingenieur), rudolf heinrich (technischer praktikant),
hansjörg wicha (tonmeister), gerda sommerfeld (tontechnikerin),
martin wöhr (tontechnischer praktikant), josef anton riedl
(künstlerischer leiter) u. a., und die räumlichkeiten beliefen sich
auf 8, regie-, maschinen-, büro- und entwicklungsraum, raum für
sprachaufnahmen, raum für vokal- und instrumentalmusikaufnahmen sowie
2 räume zum lagern von geräten.

ab april 1965 gehörte dem studio eine abteilung psychophysik des
hörens an, in der volker rahlfs untersuchungen durchführte.

ende 1966 geschah die auflösung der geschwister-scholl-stiftung, die
ihren sitz in ulm hatte, und damit die einstellung der arbeit ihrer
einrichtungen, hochschule für gestaltung/ulm (u. a. Ieitung max bill)
und institut für industrielle formgebung/ulm (leitung gugelot) sowie
studio für elektronische musik münchen. die zur stiftung ebenfalls
gehörende abteilung für film/ulm (leitung alexander kluge und edgar
reitz) konnte gerettet werden. es gelang, sie rechtzeitig in einen e.
v. institut für filmgestaltung umzuwandeln. das institut übernahm die
gerätschaft des studios, deren für filmarbeit geeignete teile dann
kurze zeit noch in betrieb waren.

außer produktionen autonomer musik (herbert brün, bengt hambraeus,
mauricio kagel, milko kelemen, ernst krenek, josef anton riedl,
dieter schnebel), klangstudien und -experimenten (boris blacher,
pierre boulez, john cage, lejaren hiller, nicolaus a. huber, roland
kayn, otto luening, nikos mamangakis, henri pousseur, makoto
shinohara, david tudor, vladimir ussa-
chevsky) und - da finanzielle einkünfte erreicht werden sollten -
eine größere rolle spielende produktionen von musik für film (henri
clouzot, sergei eisenstein, alexander kluge, vlado kristl, jan
lenica, edgar reitz, jacques tati), theater (samuel beckett, georg
büchner, living theatre, harold pinter), hörspiel (ferdinand kriwet,
paul pörtner) u. a. wies die arbeit des studios auf:

wiederholt lösung wissenschaftlicher aufgaben in zusammenarbeit mit
dem institut für kommunikationsforschung und
informationstheorie/universität bonn, institut für
psychologie/universitäten münchen und strasbourg, max-planck-institut
für verhaltensforschung/radolfszell, der abteilung für musikalische
akustik beim staatlichen institut für musikforschung/stiftung
preussischer kulturbesitz berlin sowie

- besonders wesentlich geltend - immer wieder pädagogisches und
informatorisches, nämlich eine reihe von kursen für elektronische
musik (darunter mehrmals in zusammenarbeit mit den internationalen
ferienkursen für neue musik darmstadt), zahlreiche sondervorführungen
(bezüglich der gerätschaft des studios, von im studio hergestellter
autonomer musik in verbindung mit film u. a. sowie von in anderen
studios hergestellter musik u. a.) für komponisten (milton babitt,
günter bialas, reiner bredemeyer, friedrich cerha, paul dessau, hans
9 helms, wlodzimierz kotonski, györgy ligeti, bruno maderna, hans
otte, myron schafer, karlheinz stockhausen, christian wolff),
dirigenten (rafael kubelik, andrzej markowski, karl richter, hermann
scherchen), interpreten (christoph caskel, italo gomez, aloys
kontarsky, walter levin), musiktheoretiker (theodor w. adorno,
abraham moles, hans rudolf zeller) und -wissenschaftler (rudolf
frisius, erich valentin, andre verchaly), musikabteilungsleiter und
musikredakteure des hörfunks (siegfried goslich/bayerischer rundfunk;
ulrich dibelius/bayerischer rundfunk, heinz enke/hessischer rundfunk,
clytus gottwald/süddeutscher rundfunk, klaus hashagen/norddeutscher
rundfunk - studio hannover, josef häusler/südwestfunk) und fernsehens
(haffner/bayerischer rundfunk, hansjörg pauli/norddeutscher
rundfunk), veranstalter neuer musik (klaus bernbacher, wolfgang
fortner, karl amadeus hartmann, iris von kaschnitz, ernst thomas),
leiter von studios für elektronische musik (józef patkowski, gerhard
steincke und 9. schwalbe, knut wiggen), klangphysiker (werner
meyer-eppler, gerold ungeheuer), akustiker (fritz winckel),
regisseure für film (henri clouzot, alfred feussner, alexander kluge,
edgar reitz, rüdiger syberberg, jacques tati), theater und hörspiel
(heinz von cramer, ferdinand kriwet, paul pörtner), bildende künstler
(mary bauermeister, gerhard von graevenitz), architekten (paolo
nestler, richard neutra), kunstphotographen (stefan moses, wolfgang
ramsbott, karsten de riese), schriftsteller (herbert w. franke, fred
k. prieberg) und kunstkritiker (musik: helmut lohmüller, fritz
muggler, reinhard oehlschlägel, karl heinz ruppel), viele vorträge
über die gerätschaft des studios und seine produktionen auf tagungen
und im rundfunk, in zusammenarbeit mit der veranstaltungsreihe NEUE
MUSIK München konzerte mit elektronischer musik (teilweise schon über
lautsprecherorchester) sowie in zusammenarbeit mit dem fernsehen des
norddeutschen rundfunks die durchführung der abendfüllenden
filmischen dokumentation "elektronische musik - möglichkeiten der
klangsynthese, -analyse und -veränderung in den studios köln,
münchen, paris, utrecht, beobachtet an arbeiten von francois bayle,
luc ferrari, mauricio kagel, gottfried michael koenig, wlodzimierz
kotonski, josef anton riedl, pierre schaeffer, iannis xenakis;
beispiele autonomer und angewandter musik; interpretationen
elektronisch-instrumentaler musik mit bayle, bernard parmegiani,
karlheinz stockhausen; klangphysikalisches; geschichtliches.".

nachdem das studio über 25 jahre unbenutzt und nahezu vergessen in
ulm gestanden hatte, wurde es sommer 1993 vom institut für
filmgestaltung dem deutschen museum/münchen übergeben und in seinen
sammlungsbestand aufgenommen. die wichtigsten geräte, die des regie-
und maschinenraumes, sind dort seit beginn mai 1994 als
zusammenhängendes equipment in der neu gestalteten halle für
elektronische musikinstrumente und musik-akustik jetzt stets zu
sehen.


Josef Anton Riedl, zur KlangForschung ´98"

Oskar Sala in Berlin hatte seine eigene Anlage bzw. konnte auf das Studio an der TH (Fritz Winckel) zurückgreifen, da in Berlin ja die Techniker und die Tonmeister/Musiker recht nah zusammen dahinvegetieren (?).

Hans-Joachim
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[Kein Betreff] - von Frank - 06.07.2004, 15:06
[Kein Betreff] - von ~MichaelB - 06.07.2004, 15:41
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Schon gewußt? - von kaiman_215 - 20.03.2014, 16:28

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