Frequenzgang messen mit Rauschen und Audacity
#18
Eine andere nützliche Anwendung der Frequenzgang-Messung mit Rauschen sind Hall-Systeme.
Solche Systeme haben meist Frequenzgänge mit hoher und "schneller" Welligkeit, zu deren Erfassung eine Frequenzauflösung proportional zu 1/T erforderlich ist. T ist dabei eine typische Ein/Auschwingzeit einer Hall-Resonanz.
So wie Zeitfunktionen entsprechend ihrem hoch-frequenten Anteil hinreichend schnell abgetastet werden müssen, ist in diesem Fall die Frequenz-Achse hinreichend fein mit Test-Frequenzen "abzutasten".
Das läßt sich am Beispiel einer historischen Hall-Spirale demonstrieren.
Davon haben Jungs Mitte der 60er Jahre geträumt.
Sehen zB so aus:
   
Gabs bei K.C., der damals erst 29 Jahre alt war:

   
Man beachte die letzte Zeile von S.1 der Produkt-Beschreibung:
       
Nicht alles stimmt, was da steht.
Zur Ausgangs-Impedanz verkündet S.1 "ca. 30 Ohm", Seite 2 ist mehr für 30 kOhm.
Tatsächlich sind es knapp 10 kOhm bei 1 kHz, aber "links" und "rechts" davon sieht es sowieso schon wieder anders aus.

Das Teil befindet sich bei mir schon seit Jahrzehnten in einem Dornröschen-Schlaf bzw Elektronik-Rente,
woraus (aus dem Keller) ich es jetzt mal für ein paar Messungen hervor geholt habe.

Rechts im Bild ist ein kleiner Vorverstärker zu sehen, den ich mal dafür gebaut habe. Nach Inspektion und ein paar Löt-Arbeiten war das Teil wieder einsatzbereit. Er verstärkt das Signal der Empfangsspule (symmetrischer Eingang) etwa 30-fach und unterdrückt Gleichtakt-Signale um etwa 1/175.
Es gibt auch einen Strom-Treiber für die Eingangsspule, der aber nur zu 90% komplett ist und ungebräuchliche -24V sehen will. Deshalb habe ich den nicht verwendet, sondern die Spule über 166,7 Ohm an den Phones-Ausgang eines Xenyx502 (Ra~23,4 Ohm) angeschlossen. Dann wird die Spule von ~190 Ohm getrieben, was bis etwa 16 kHz mehr ist als deren Impedanz, also bis zu wenigen kHz auf Stromspeisung hinausläuft.

Orientierendes Be-Gucken des resonanten Frequenzgangs zeigte, daß deren Bandbreiten wohl in der 1Hz-Größen-Ordnung liegen und eigentlich entsprechend feine Abtastung der Frequenz-Achse mit dazu passenden "Settling-time"s erfordern.
Übliche (Breitband-) Frequenzgang-Mess-Systeme verwenden Test-Töne mit logarithmisch gestufter Frequenz-"Treppe" mit einigen hundert Tönen oder spezifizieren Töne[Steps]/Dekade.

Aus Bequemlichkeit wollte ich wieder mein PicoScope 2204A mit dem Programm FRA4PicoScope verwenden. Da hatte ich zuletzt bei ähnlichen Anwendugen 200 steps/decade benutzt (zb für Kleinlautsprecher). Das würde jedoch kaum reichen:
10^(1/200)=1.0116 , d.h. bei 1000 Hz betrüge die Schrittweite 11.6 Hz mit der Folge daß es zur Glücksache wird, auf eine Resonanz zu treffen.
Ein damit gemessener Frequenzgang sähe also ziemlich "erratisch" aus.

Ich habe deshalb den Frequenzgang von 26 Hz bis 20 kHz zunächst mal "klassisch" aber mit 1000 steps/decade gemessen:

   
Bei tiefen Frequenzen werden die Resonanzen gut aufgelöst.
Da 10^(1/1000)=1.0023 wird die Schrittweite aber ab etwa 500 Hz größer als 1 Hz und wird deshalb zunehmend Resonanzen nicht mehr fein genug treffen oder gar "verpassen".
Bei der Messung war die "settling time" auf 400 ms eingestellt, also uU zu knapp für Einschwingvorgaänge von ~1s.
Die Messung dauerte allerdings bereits ~3/4 h, bei 1 s settling-time hätte sie 2,5-mal länger gedauert.

Das in einem früheren Beitrag gezeigte gemischte weiss/rosa-Rauschen war mit einer Abtast-Rate von 48 kSps erzeugt worden.
Mit einer 8k-FFT bekommt man eine Frequenz-Auflösung von 5.9 Hz oder schlechter, je nach benutztem Window.
Bei 32k-FFT wären es ~1.5 Hz, bei 64k-FFT ~0.73 Hz.
Das Rauschen wurde mit einer Dauer von knapp 4 Minuten erzeugt, weil Audacity nicht mehr analysieren mag.
Hier das Ergebnis für die Analyse mit 64k-FFT (32k sieht schlechter aus):
   
Außerdem ist mit roten Sternchen markiert, was bei Messung mit den Test-Tönen eines Bezugsbandes für 9,5cm/s rauskam. Typische Frequenzgang-Programme würden die Punkte dann kubisch interpoliert mit glatten Kurven verbinden (gestrichelt).
Zwecks leichterem Vergleich habe ich die blaue Kurve mal über die rote geplottet:
   
Man sieht, daß bei tiefen Frequenzen die rote Messung mehr Detail enthält, bei hohen Frequenzen aber umgekehrt die blaue.
Dabei hat die blaue Messung aber nur die knapp 4 Minuten der Länge des Rausch-Files gedauert.
Wie man so sagt: Noch optimaler wäre es, wenn Audacity noch eine 128k-FFT eingebaut hätte.

Wenn ich die klassische Messung so gestalte, daß sie auch nicht länger dauert, muß ich auf 64 steps/decade runter (bei 400 ms settling-time).
Das Ergebnis sieht dann so aus:
   
Wahrlich vergleichsweise "erratisch".

Mache ich statt der 64k-FFT nur eine "alltägliche" 8k-FFT, kommt dies raus:
   
Man sieht, daß die FFT mit geringerer Auflösung "naturgemäß" den Frequenzgang über die breiteren Frequenzgang-"Behälter" mittelt.
Das zeigt zwar nicht die tatsächlichen Spitzen und "Löcher" im Frequenzgang, ist aber recht gut geeignet, um Asymptoten des mittleren Frequenzgangs zu erkennen und uU zum Entwurf eines Entzerrers heranzuziehen.

Zum Frequenzgang selbst:
Von 300 Hz bis 30 Hz fällt er um ~ 15 dB ab. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Von 1 kHz zu 2 kHz fällt er um ~ 5 dB ab.
Von  2 kHz zu 3 kHz fällt er um ~ 10 dB ab.
Bei etwa 3,5 kHz ist Schluß. Das, was man darüber sieht, ist im Wesentlichen Übersprechen vom Eingang auf den Ausgang.

MfG Kai
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RE: Frequenzgang messen mit Rauschen und Audacity - von kaimex - 08.09.2022, 20:14

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