Die Cassette im Jahr 2024
(15.09.2024, 19:35)timo schrieb:
(15.09.2024, 16:09)tk141 schrieb: Und wenn Generation Z vernünftige (wie gesagt, nur brauchbar, kein High End) Geräte zur Verfügung hätte, würden auch viele merken, dass Kassetten gar nicht so übel sind.

Kassetten sind aus Sicht der Leute, die mit Streaming aufgewachsen sind, wahrscheinlich schon ziemlich übel. Der Klang ist nicht das Problem, aber die Bedienung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß heutige 20jährige noch hin- und herspulen wollen, um ein bestimmtes Lied zu finden. Oder Überspielen in Echtzeit. Sowas tun nur noch wir Nostalgiker uns an.

Es kommt darauf an, was man kennt und auch auf die Situation. Natürlich ist meine Tochter mit Spotify aufgewachsen und nutzt das täglich, wie auch ihre Freundinnen und eigentlich jeder Mensch in dem Alter. Dennoch ist zumindest bei den richtig Musikbegeisterten dieser Generation der Besitz physischer Medien erstaunlich verbreitet, denn auch die wollen etwas besitzen, was sie in der Hand halten können. Nun gibt es zwar das Phänomen, dass viele Platten nur als Fan-Merchandise und Schmuck gekauft werden - aber zumindest die Freundinnen meiner Tochter haben tatsächlich Abspielgeräte für Platten und CDs. Spotify ist für den Alltag, das physische Objekt kommt dann ins Spiel, wenn man etwas so gut findet, dass man es "haben" will. (Kassetten werden vermutlich dann doch noch mehr nur gesammelt als gehört, einfach, weil das auch ein physisches Objekt ist, aber nur halb so viel kostet wie das Vinyl? Ich weiß es nicht.)

Kassetten als Alltagsgegenstand kennt ein Großteil dieser Generation tatsächlich nicht mehr, auch nicht mehr im elterlichen Auto, die hatten Ende der 2000er schon alle CD oder es wurde ohnehin nur Radio gehört. Da ich aber schon immer alte Autos gefahren bin und darin immer Kassetten gelaufen sind (bis ich irgendwann den ersten FM-Transmitter gekauft habe sogar ausschließlich) und meiner Tochter auch schon früh "ihre" für gemeinsame Fahrten aufgenommen habe, waren die bei uns immer gegenwärtig.

Spulen muss man nicht unbedingt, wenn das Tape inhaltlich gut genug ist. Und mit Autoreverse kann man ja auch einfach auf die andere Seite switchen.

Nun hat meine Tochter noch nie ein Tape selbst aufgenommen, das habe immer ich gemacht. Aber seit sie alleine Auto fahren darf (davor war begleitetes Fahren), hat sie verstanden, warum ich immer Kassetten spiele: Man macht das Auto an, die Kassette spielt, man macht das Auto aus, die Kassette stoppt, man macht es wieder an, sie läuft an der Stelle weiter. Wenn eine Seite zuende ist, spielt es dann dank Autoreverse automatisch die andere Seite, so lange immer wieder, bis man eine andere Kassette reinsteckt, was auch simpel und schnell geht. Man muss nichts machen. Und durch Bedienung vom Fahren abgelenkt wird man auch nicht.

Das Smartphone muss sich erst koppeln und selbst wenn man eine gute Playlist hat, muss man die auswählen und erst extra auf Play drücken, dafür das Ding womöglich auch erst entsperren, vielleicht koppelt es sich nicht auf Anhieb - es ist tatsächlich komplizierter. Macht sie nur für längere Fahrten.

Das weiß man aber auch nur, wenn man es kennt. Dass man seine Wunschmusik einfach hören kann, ohne erst in ein Menü zu gehen, dass sie einfach zu spielen anfängt, wenn man das Auto anlässt und losfährt. Ich kenne nichts Bequemeres. In diesem speziellen Kontext sind Kassetten und ihre Bedienung tatsächlich bequem.

Zuhause hört sie keine Kassetten, da laufen Streaming, Platten und CDs. Kassetten sind fürs Auto. Aber auch da ist sie die Ausnahme, denn wer in dem Alter hat heute sonst noch ein Auto mit Kassettenradio? Vermutlich auch eher wenige.

Von daher frage ich mich schon, was sonst mit all den Kassetten gemacht wird, welche die in dieser Generation populären Musiker verkaufen. Laufen die dann in einer China-Boombox oder stehen sie nur im Regal? Fakt ist jedenfalls, dass irgendwer sie kaufen muss, denn ansonsten würden die Majorlabels keine herstellen.

Viele Grüße
Nils
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(15.09.2024, 20:49)Manfred_K. schrieb: Aber wir werden es wahrscheinlich nie mehr erleben, dass eine Firma neues Typ II jemals produzieren wird.

Genau das tut die National Audio Company seit 2-3 Jahren wieder: Neues Typ-II-Band produzieren. Es wird u.a. von ATR und Tascam verkauft, als auch von NAC selbst (in einem alten Ampex-Design).

Das Problem daran ist nur: Die Qualität dieses Bandes ist so mäßig, daß man mit den meisten aktuell angebotenen Typ I besser bedient ist, zum halben Preis.

Das Gute daran: Es beweist, daß es auch heute möglich ist, Typ II auf FeCo-Basis herzustellen. Die immer wieder durchs Netz geisternde Geschichte, Kobalt dürfe wegen Umweltauflagen nicht mehr verwendet werden, ist eine Räuberpistole.

Viele Grüße,
Martin
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Danke, Martin, das wusste ich nicht, dass diese Bänder neu produziert werden.

Du meinst diese Kassette?

https://www.thomann.de/de/atr_magnetics_...gJJuvD_BwE

Ich hatte diverse negative Berichte über die ATR Bänder im Allgemeinen gelesen und mich dann nicht weiter damit beschäftigt.
Viele Grüße 
Manfred

"The warm sound of analog recordings is made of harmonic distortion and Tape hiss - I like it".
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Ich habe eine davon ausprobiert, die mir ein Freund geschenkt hat. Sie war komplett unbrauchbar. Nur Dropouts, kein Einmessen möglich, Aussteuerung auf dem Niveau einer schlecht gealterten Echtchrom Cassette. Ich habe mal gehört, dass es Glückssache ist, das man bekommt, weil die Bänder nicht aus Neufertigung stammen sondern einfach irgendwelche Altbestände von Typ II Band verwendet werden. Ob es stimmt weiß ich nicht, aber mit der RTM One ist man da sicher 10 mal besser beraten.
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Genau diese verlinkten meine ich, zusätzlich gab es auch noch eine Spulencassetten-Version. Das Bandmaterial wird wirklich bei NAC neu produziert. Problem daran ist, daß sie dafür uralte Maschinen verwenden, die eigentlich zur Herstellung von Magnetstreifen auf Parkschein-Karten und dergleichen dienten. Immerhin, sie haben es geschafft, das Equipment so umzufrickeln, daß Tonband dabei herauskommt. Typ I stellen sie darauf auch her, und auch das in einer Qualität, wie sie sich in den 80er Jahren höchstens noch Hong-Kong-Marken erlaubt hätten. Die Bänder kranken vor allem an einer unebenen Oberfläche, daher die vielen Drop-Outs.

ATR produziert auch neues Typ-I-Cassettenband, das durchaus besser ist als das von NAC, aber noch weit entfernt von RTM oder quasi allen Standardbändern der großen Hersteller in den 80ern und 90ern. Typ II beschichtet ATR nicht selbst. Deren erste Serie Pro Chrome (graue Einleger) waren mit Altbeständen verschiedener BASF/Emtec-Bänder gefüllt, manche davon Echtchrom, manche FeCo. Als diese Pancakes aufgebraucht waren, kam die neue Serie mit den blauen Einlegern und dem NAC-Band.

Viele Grüße,
Martin
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Bei dieser überschaubaren Anzahl an aktuellen Bandherstellern würde mich nun umso mehr interessieren, was in heutigen Kaufkassetten drinsteckt. Universal nutzt doch wahrscheinlich eher kein BASF-Rohmaterial aus den 90ern...?

Viele Grüße
Nils
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Bei vorbespielten aus den USA ist oft NAC-Band drin, das in Schnellkopieranlagen sogar funktioniert, weil dort der Aufsprechstrom höher ist als bei Echtzeit-Bespielung und damit der miserable Band-Kopf-Kontakt weniger ins Gewicht fällt.

Bei uns ist es meistens das gleiche China-Band, das auch in den EQ Professional steckt, das erkennt man schon am Geruch, und am Abrieb bei den ersten 1-2 Durchläufen.

Der Rest verteilt sich auf RTM, Greencorp und bei kleineren Labels immernoch Restbestände von Emtec, Aurex, Panggung, Saehan, SKM, ECP...

Viele Grüße,
Martin
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Danke Martin, interessant!

Aber mich wundert, dass ein Band, welches bei der Aufnahme nur unter bestimmten Bedingungen funktioniert (hohe Geschwindigkeit, hoher Aufsprechstrom) sich dann auf normalem Equipment vernünftig abspielen lässt.

Viele Grüße
Nils
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Wiedergabe ist diesbezüglich viel unkritischer als Aufnahme. Läßt sich auch daran beobachten, daß z.B. oft gespielte, mit Railroads verzierte TDK-Bänder nach wie vor gut klingen, solange die Aufnahme vor den Railroads gemacht wurde, wohingegen diese Bänder dann beim Neubespielen das ganze Repertoire vo Dropouts und einseitigem Pegelabfall ziehen.

Woran das technisch genau liegt, können andere sicher besser erklären, da müßte ich selbst nochmal Grundlagen der magnetischen Aufzeichnung und Wiedergabe pauken.

Viele Grüße,
Martin
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Die Beobachtung habe ich bei Gebrauchtbändern allerdings auch schon gemacht, die sich noch ordentlich abspielen ließen, bei denen eine Neubespielung jedoch scheiterte.

Das gibt es also quasi auch in nagelneu, gut zu wissen.

Viele Grüße
Nils
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Ja. Das Problem hab ich leider auch. Ich hab wahrscheinlich 2000 Cassetten und es passiert mir sehr oft, dass eigentlich noch gut erhaltene Cassetten nur Dropouts erzeugen, ich fang dann 3 oder 4 mal neu an, bis ich ein Band gefunden habe, das noch ok ist. Das ist leider sehr frustrierend und betrifft alle Hersteller, weil man ja nie weiß in welchem Gerät sie benutzt wurden. Ich könnte wahrscheinlich mindestens 50% meines Bestands entsorgen. Dazu kommt die Alterung. Bei mir läuft keine einzige rote BASF Ferro Cassette bis 1991 mehr und es ist fraglich wie lang die älteren Bänder noch in neue Gehäuse gefüllt wurden. Ich habe einige 3 Fragezeichen Cassetten aus den Späten 90ern und frühen 00ern, die sich genau so verhalten wie die röten Ferro Extra I und Ferro Super LH vor 1991. es heißt zwar die Formel sei da umgestellt worden und deshalb sind neuere Bänder nicht mehr betroffen, aber vielleicht ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis es dort auch los geht.

Das ist echt schade, weil das ja eigentlich gute Bänder sind, teilweise auch in schönen Gehäusen. Mehrere SKC Cassetten, die ich neu geöffnet habe laufen auch nicht mehr zuverlässig. Zum Ende hin bekommen sie massive Dropouts und auf der B Seite ist irgendwie ein Kanal ständig am Faden, auch das ist schade, denn an den Stellen wo sie noch laufen, hört man, dass es eigentlich sehr gute Bänder waren.

LG Tobi
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Es wird wohl so sein, daß viele Bandsorten nicht ewig halten. Bei mir laufen zwar fast alle BASF Typ I seit den frühen 80ern noch problemlos, nur ein paar aus Indonesien quietschen bereits - aber ich denke, das kommt von unterschiedlichen Lagerungsbedingungen, und früher oder später können meine auch Probleme machen.

Irgendwann wird es einfacher, die Bandsorten aufzuzählen, von denen noch keinerlei Alterungsprobleme bekannt sind und die auch als Gebrauchtware quasi immer funktionieren. Paßt ja sogar auch in diesen Thread: Welche Cassetten sind im Jahr 2024 noch eine "sichere Bank"? Bei mir sind das:

- Agfa 649/949 (der hellbraune Standard-Typ in LNX, F-DX I, HR usw.)
- BASF/Emtec AT Fe Plus (also der Standard-Typ aus den 90ern, gemeinsamer Nachfolger der LH-D und Agfa-Typen)
- BASF/Emtec FeCo 1996-2000 (in CS II, CM II, TP II, Ref II Master)
- ECP (ist ja quasi der alte Agfa-Typ x49)
- Maxell XL II, 1986 bis ca 2000 also vor der letzten, orange/rot verpackten
- MPO (Oosterhout) Typ I, also die ganzen SK-Dinger
- Sony UX und UX-S, nur nicht die mit Aurex-Band
- TDK D

Das sind jetzt nur die gewöhnlichsten, es gibt natürlich noch viel mehr funktionierende Sorten. Aber von den großen Herstellern können die meisten nicht genannten irgendwelche Probleme beim Neubespielen machen, oder es liegen einfach zu wenige Erfahrungswerte vor. Wenn sie gut gelagert und behandelt wurden, laufen sie meistens trotzdem.

Viele Grüße,
Martin
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Genau deswegen gönne ich mir immer mal wieder die RTM ONE. Es macht einfach Freude, diese neuen Bänder zu bespielen. Ich unterstütze den Hersteller damit und hoffe, das sich die Firma noch lange halten kann. RTM ist für die Bandmaschinen-Freunde ebenfalls ein sehr wichtiger Lieferant.

Man liest leider immer mal wieder negative Kommentare über die RTM ONE. Diese Leute sollten sich mal mit den Grundlagen der Einmessung von Magnetbändern und der Wartung und Überholung von Tapedeck´s  beschäftigen, dann klappt´s auch mit audiophilen Aufnahmen.

Typ I ist nämlich so schlecht nicht...
Viele Grüße 
Manfred

"The warm sound of analog recordings is made of harmonic distortion and Tape hiss - I like it".
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Hallo Martin,

(17.09.2024, 08:44)Kirunavaara schrieb: - Maxell XL II, 1986 bis ca 2000 also vor der letzten, orange/rot verpackten

wie ist denn deine Erfahrung mit diesen orange-rot verpackten XLII?

Viele Grüße
Moritz
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Richtige Ausfälle hatte ich bei denen noch nicht, nur die Bandoberfläche macht einen weniger glatten Eindruck und ich habe gebrauchte Exemplare mit Railroads. Sicher jetzt nicht _die_ Problembänder, aber im Vergleich zu früheren XL II schon ein deutlicher Abstieg, auch beim Gehäuse. Bin nicht sicher, ob Maxell überhaupt das Band dafür noch selbst hergestellt hat.

Viele Grüße,
Martin
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Ich hatte in den letzten paar Jahre diverse Neu Cassetten gekauft. Wirklich überzeugt hatte mich nichts davon.
ich kaufe da lieber ganze Konvolute an Gebrauchtcassetten und behalte die paar die gut sind, der Rest geht in die gelbe Tonne.
So habe ich hier in den Supermärkten ´mal auf diesen Zetteln " Suche / Biete " am schwarzen Brett nach Cassetten gesucht.
Für insges. knapp 100€ bekam ich etliche hundert Cassetten (gebraucht), vielleicht ´mal so als Tipp- Dabei waren viele
Werksbespielte Cassetten versch. Künstler, viel Müll, aber auch viele gute Maxell XL II-S, BASF, TDK....

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" Der erste Schluck aus dem Glas der Wissenschaft macht Sie zu einem Atheisten,
aber Gott erwartet Sie am Boden des Glases. "

(Werner Heisenberg)


Meine Recorder wurden gefertigt in: Regensdorf, Löffingen, Hösbach und Frankfurt

Gruß
Ralf
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