Tandberg 9100X
#1
[Bild: tanderg_9100x.jpg]

Durch Glück und Zufall bin ich an diese wohl eher selten anzutreffende Norwegerin geraten. Die Tandberg wurde als Bastlergerät angeboten, sei jedoch komplett und in einem guten äusserlichen Zustand. Da der Preis ebenfalls sehr fair blieb habe ich zugeschlagen und es bisher alles andere als bereut.
Eine Woche später stand sie auf meinem Tisch und sah für eine 36-jähriges Gerät wirklich erstaunlich gut aus. Keine schlimmen Kratzer, Beulen, fehlende Knöpfe oder Schalter, dafür wunderschöne Palisander-Seitenteile und schimmerndes Aluminium.

Also frisch ans Werk und die Nordländerin entblättern. Dies gelingt sehr einfach, da sämtliche Abdeckungen durch (leider etwas billig wirkende) Blechschrauben am Chassis verschraubt sind. Zuerst die Alu-Blech-Rückwand (!) welche gar zweigeteilt ist. Dann die vordere schwarz lackiert Stahlblech-Abdeckung welche die Antriebsmechanik und die Oberseite schützt. Das „Armaturenbrett“ besteht dann wiederum aus 3 hochwertigen Alu-Profilen welche beinahe nahtlos ineinander übergehen und die zahlreichen Knöpfe und Schieberegler beherbergen. Die Tandberg ist im Vergleich zu anderen Maschinen recht widersprüchlich aufgebaut, modernste Technologien gehen hier Hand in Hand mit archaisch anmutenden Lösungen. Nichtsdestotrotz funktioniert der Mix tadellos und sehr Band-schonend, doch davon später.

[Bild: hinten_oben.jpg]

Gucken wir zuerst mal unter die Motorhaube der alten aber sehr vitalen Dame:
In der oberen Hälfte fallen sofort der gross dimensionierte Trafo und zwei schwarze, bekannte Gesellen auf, genau, es sind dies Papstmotoren. Der mächtige Capstan-Motor ist ebenfalls von Papst und treibt via ausgeklügeltem Reibrad-Antrieb die Schwungmasse an. Der untere Drittel ist mit nicht weniger als 8 Platinen gut ausgenutzt, bei der Dolby-Version die auch erhältlich war darf es dann noch etwas mehr sein.


[Bild: hinten_unten.jpg]

Am Boden sitzt die Mutterplatine in welcher die kleineren Sechs mittels Steckkontakten sitzen. Gesichert werden die Platinen durch stabile Blechhalterungen welche mit wenigen Schrauben schnell zu lösen sind. Am auffälligsten ist sicher das DC-Relais-Board welches fast bis zu den Motoren hoch reicht.

[Bild: knick.JPG]

Leider ist dieses meiner Meinung nach etwas unglücklich verbaut, es erfährt nämlich einen ziemlichen „Knick“ dort wo es mit dem Logikboard zusammen gesteckt ist. Ich frage mich immer noch, ob dies so der Standard war, oder ob an meiner Maschine etwas krumm sein sollte?


[Bild: logikboard.jpg]

Die meisten Komponenten wie Oszillator, Verstärker etc. sind auf ihren jeweiligen Steckkarten diskret und sehr wartungsfreundlich aufgebaut. Anders sieht es mit der Laufwerkslogik aus, denn so eine besitzt die Tandberg, eine ausgeklügelte noch dazu. Die Ingenieure waren darauf wohl auch recht stolz, denn im ServiceManual wird auf über 20 Seiten die Funktionsweise von Nand-Gates, Flip-Flops, monostabilen Multivibratoren und vielem mehr erklärt. Die Laufwerkssteuerung funktioniert nach wie vor tadellos, doch wenn hier mal Probleme auftauchen sollte dann dürfte es ev. schwierig werden, entsprechende IC's aufzutreiben.


[Bild: vorderansicht.jpg]

Auf der Frontseite fällt einem schnell der unkonventionelle Antrieb der Capstanwelle für einen Dreimotorer auf, Reibrad anstelle Riemen? Ähnlich wie bei vielen Uher-Maschinen wird ein Reibrad an Schwungmasse und Capstanmotor gedrückt und übernimmt somit den Kraftschluss. Aber auch hier haben sich die Norweger etwas innovatives, spezielles einfallen lassen, denn anders als bei Uhers wo eine falsch ausgeschaltete Maschine ihr Reibrad platt drückt kann das bei der Tandberg nie passieren, denn das Reibrad wird via Elektromagnet in Position gebracht. Sobald keine Spannung mehr da ist oder die Maschine ausgeschaltet wird zieht sich das Rad in die Ruheposition zurück. Eine Deformation des Gummis ist so ausgeschlossen, Tolle Sache.


[Bild: Antriebsradklein.gif]

Bei der Geschwindigkeitswahl ging man dann wieder konventionelle Wege. Durch eine Kulissenschaltung wird das Reibrad auf die drei unterschiedlichen Durchmesser der Capstanwelle gebracht. Achtung: Die Geschwindigkeitswahl ausschliesslich bei laufender Maschine vornehmen, im Stillstand funktioniert die Schalterei nicht!


[Bild: bremsansicht_oben.jpg]

Die Mechanik besitzt drei starke Elektromagnete welche sich auch im Betrieb nicht merklich erwärmen. Magnet eins zieht wie erwähnt das Reibrad in Position, Magnet zwei ist für die Bandbremsen zuständig und Magnet drei zieht den recht komplizierten Andruckrollen-Crossfield-Biaskopf-Mechanismus in Position.
Zuerst zu den Bremsen von welchen normalerweise deren zwei anzutreffen sind, bei der Tandberg sind es jedoch drei. Zwei sind wie üblich für die linke und rechte Spule zuständig, die dritte ist analog zur „normalen“ Bremse ebenfalls links untergebracht, jedoch mit einer eigenen Mechanik.



[Bild: bremse.JPG]

Und auch hier gibt es nun wieder eine Parallele zur Firma Uher, denn auch bei der Tandberg wird das Band, trotz dreier Motoren, bei Wiedergabe mittels Bremse auf Zug gehalten. Die Bremskraft wird stufenlos durch den linken Fühlhebel dosiert welcher durch eine Feder die Bremse anzieht oder lockert, der Motor ist stromlos. Nicht ganz so kompliziert wie bei einer RDL, aber funktional. Warum man die Linke Spule nicht via Motor bremsen? Keine Ahnung, vermutlich wollte man keine schnöden, Energieverbratende Widerstände einbauen wie es viele andere Hersteller zu dieser Zeit taten. Es fällt nämlich tatsächlich auf, dass die Tandberg nahezu keine Abwärme produziert. Auf meiner Dokorder kann ich nach einer Stunde Betrieb fast Würste grillieren.


[Bild: kopfsektion.jpg]

Nebst Reibrad und Bremsen fällt auch die Kopfsektion mit ihren vielen Kabeln, Hebelchen, und den vier Köpfen ins Auge. Alleine zum Löschkopf führen zwei dicke Kabel zu den jeweils drei Anschlüssen. Wozu der Löschkopf sechs Kontakte braucht? Ich gebs zu, ich weiss es nicht. Gegenüber dem Aufnahmekopf sitzt der berüchtigte Crossfieldkopf welcher die Vormagnetisierung hinterrücks aufs Band bringt. Der Crossfieldkopf wird durch einen komplizierten Klapperatissmus mit Federn und Hebel bei Wiedergabe und Aufnahme in Position gebracht, aktiv ist er natürlich nur bei Aufnahme. Das Band läuft also durch einen Haarfeinen Spalt von ca. 2/10 mm was aber bisher problemlos funktioniert. Rechts dann noch der Wiedergabekopf welcher seine Brummklappe via Andruckrollen-Hebel vorgesetzt bekommt. Die Andruckrolle wird ebenfalls durch diesen Hebel von unten an die polierte Capstanwelle gedrückt. Und dann wird es wieder modern, denn rechts der Andruckrolle verrichtet ein Glühlämpchen und eine kleine Fotozelle ihren Dienst, und schalten sämtliche Bandfunktionen aus, sobald der Lichtrahl die Fotozelle trifft, also bei Bandriss oder -ende. Hier musste ich etwas mogeln und die Glühlmape samt Abschirmblech wenige Milimeter näher zu der Fotozelle rücken, da die Funktion nicht mehr gegeben war.


Die Bedienungselemente lassen eigentlich keine Fragen offen, besitzen aber doch das eine und andere interessante Detail:

[Bild: armaturen.jpg]

Die Source/Tape Schaltung für die Hinterbandkontrolle hielt ich zuerst für defekt, denn normalerweise hört man die bestehende Aufnahme eines Bandes noch, wenn nur auf einer Spur aufgenommen wird. Hier wird aber die aufgenommene Spur ob L oder R bei Hinterbandkontrolle auf beide Kanäle gelegt, natürlich einfach in Mono. Zuerst verwirrend aber doch ganz nützlich.

[Bild: tastenfeldklein.gif]

Witzig sind aber vor allem die Steuerungstasten in knalligem Grün, sie sind sehr leichtgängig und besitzen nur einen minimalen Hub von vielleicht knapp zwei Milimetern, also im Grunde die Vorfahren der Kurzhubtasten. Zudem sind sie „Hintergrundbeleuchtet“ und zeigen somit immer an, welche Funktion gerade aktiv ist. Durch die Logik ist eine Fehlmanipulation unmöglich. Interessant ist auch, dass beim Bremsen aus vor- oder zurück spulen die Motoren nun mithelfen, ebenfalls angezeigt durch die Tastaturbeleuchtung. Eigentlich fast überflüssig, da die Bremsen recht heftig zupacken. Ferner gibt es noch die Edit/Cue-Taste welche die Stummschaltung beim Spulen und auch bei Stillstand des Laufwerkes aufhebt.
Übrigens um eine Aufnahme zu starten genügt es, die Recordtaste anzutippen, diese reagiert aber nur, wenn eine oder beide Rec-Select-Tasten gedrückt sind. Darum unbedingt darauf achten, dass diese bei Wiedergabe nicht aktiv sind, ansonsten kann ein versehntliches Berühren der Record-Taste schnell zu einem Bandlöschen führen.

Ansonsten gibt es keine Überraschungen bei der Bedienung, doch wie fühlt sich die Maschine denn an?

Der Powerkippschalter muss mit Nachdruck bedient werden, und passt nicht so wirklich zu der ansonsten sehr leichtgängigen Bedienbarkeit der Maschine. Ein sattes Klacken ertönt wenn das Reibrad in Position gefahren wird und ein leises singen durch den Antrieb wird hörbar. Die Stoptaste leuchtet auf, ebenso die Powerlampe oberhalb der Hauptschalters. Die VU's sind in diesem Betriebszustand nicht beleuchtet, ausser eine oder beide Rec-Select-Taste ist aktiv. Ein leichtes antippen der Playtaste setzt die Wiedergabe in Gang, beide VU-Beleuchtungen schalten ein, ebenso die Lampe hinter der Playtaste. Die Geräusche der Mechanik sind eher dezent, ähnlich einer Braun TG1000. Vom Laufgeräusch selbst ist ausser dem leise sirrenden Reibrad nichts zu vernehmen. Es kann nun nach Herzenslust hin- und her gespult werden, und man freut sich am lustigen Aufleuchten der Lämpchen hinter den Tasten. Falls man eine Aufnahme tätigen will genügt es wie erwähnt, die Spur auszuwählen, sofort werden die VU's unter Licht gesetzt und man kann mittels der zwei Schieberegler Aussteuern. Die Zeiger reagieren etwas träge aber präzise, zudem ist die Skala sehr übersichtlich. Nun reicht der Druck auf den roten Record-Knopf und los gehts.
Mit den beiden Output-Level-Schieberegler rechts kann der Ausgangspegel von den beiden Chinchanschlüssen sowie vom Kopfhörer geregelt werden. Dies klappt bei Aufnahme und Wiedergabe, wobei bei der Wiedergabe auch die VU's entsprechend stärker oder schwächer ausschlagen.

Und wie klingt sie nun, die Tandberg? Der erste Eindruck zählt wohl immer am meisten, und der war mit einem Band meiner Uher RDL sehr beeindruckend. Feine Höhen, satte Bässe, sehr klar, und das ohne was in irgend einer Richtung verstellt zu haben.
Anders sah es dann bei einer Eigenaufnahme aus, wo nur ein Kanal mehr schlecht als Recht aufgezeichnet wurde. Der Übeltäter war schnell gefunden, ein Kabel am Crossfieldkopf hatte seine Lötstelle verlassen. Dies könnte ein Schwachpunkt sein, da der Kopf ja dauernd geschwenkt werden muss, und daher die Lötstellen belastet werden. Ich habe dann die Maschine laut SM versucht einzustellen, was aber nicht in allen Punkten nach den verlangten Messwerten gelang. Die Maschine bietet so oder so nicht allzu viele Justiermöglichkeiten, doch nachdem der BIAS-Strom und der Aufnahmekopf minimal verstellt wurden, klingen auch Aufnahmen recht gut, hier muss ich aber noch etwas tüfteln.

Erstes Fazit? Eine Maschine die mir ähnlich wie damals die Uhers oder die Dokorder sofort ans Herz gewachsen ist. Das kühle, kantige Design, die wunderschönen strukturierten Palisander-Seitenteile (übrigens ein Edelholz), die feine-leichtgängige Bedienung und der tolle Sound sprechen für sich. Die Köpfe machen alle noch einen tadellosen Eindruck, der einzige Riemen in der Maschine für das Zählwerk macht seine Arbeit immer noch ausgezeichnet, ebenso Andruckrolle und Reibrad. Es macht Spass der Tandberg zuzuhören und zuzusehen und auf ihr zu spielen. Sie bekommt einen Ehrenplatz Wink

[Bild: grossansicht_montiert.JPG]
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#2
Sehr schönes Gerät! Ich hatte vor 16 Jahren mal die Dolby-Version 9200 XD, die bis heute eine meiner liebsten Bandmaschinen geblieben ist. Ich ärgere mich heute noch schwarz, daß ich sie im Taumel meiner damaligen Tandberg-Begeisterung durch eine TD-20 A ersetzt habe. :-(

Ein Foto dieser vorbildlich stabilen Metall-Rückwand fehlt übrigens noch. :-)
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#3
Hallo,

man sollte noch erwähnen die wunderschönen farbigen VU Meter.
Zwar nicht so gut zum Ablesen, aber sehr, sehr esthetisch.

Gruß und meine Hochachtung bezüglich der Reibrad-animation!

Nikola
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#4
Hallo,

Daumen hoch für die schöne Vorstellung und die Norwegerin.
Eine im Grunde genommen gute Maschine (meiner Meinung nach),
und vom Design eher erfrischend anders.

Gruß

Peter
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana. (...soll Groucho Marx gesagt haben, aber so ganz sicher ist das nicht...)
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#5
Schaut übrigens mal, was das gute Stück damals gekostet hat:

http://tonbandwelt.magnetofon.de/jahrb/08/37.JPG :oah:

Für den gleichen Preis gab's bei Akai das Topmodell GX-650 D, eine A77 dürfte einige Hunderter billiger gewesen sein. Kein Wunder, daß die Geräte so selten sind.
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#6
Hallo Richard,

spitzenmäßige Vorstellung dieses schönen Gerätes !
Und das bewegte Laufrad find ich ja total geil.

Grüße

Peter
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#7
Sehr cool, ich habe neulich die gleiche Maschine erstanden Wink Das waren schöne Abende mit Qtips und fett/öl... Wink


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#8
Ich hatte Glück und habe ohne zu wissen die 2-Spur Variante "getroffen" Smile Laut SM gab es das ja als optionale Version zur 4-Spur.
Aufnahmen sind leider nicht ganz so toll, es gibt einen recht grossen Unterschied zwischen Vor und Hinterband wenn es um den Hochtonbereich geht.
Putzen und Ausrichten bringt keinen grossen Erfolg mehr.
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#9
Die Spurlage kannst Du an der kompletten Modellnummer erkennen. Auf Deiner Halbspur-9100 müsste auf dem Typenschild die Nummer "9121" stehen, die dritte Ziffer gibt die Zahl der Spuren an. Meine 9200-XD Viertelspur war eine "9241".

Das mit dem Unterschied zwischen Vor- und Hinterband wundert mich etwas, gerade bei der Halbspurversion. Bei mir ist die Maschine ein Vierteljahrhundert her, aber klanglich habe ich sie als ziemlich gut in Erinnerung, besser als eine Akai GX-210 D, und vor allem rauschärmer (auch ohne Dolby).
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#10
john_coffee,'index.php?page=Thread&postID=236311#post236311 schrieb:Aufnahmen sind leider nicht ganz so toll, es gibt einen recht grossen Unterschied zwischen Vor und Hinterband wenn es um den Hochtonbereich geht.

Wenn die Köpfe zweifelsfrei korrekt eingestellt sind und die Bandführung ok ist (Band-Kopf-Kontakt zu 100% i.O.), dann scheint mir hier die Einstellung auf das verwendete Bandmaterial "daneben" zu liegen (Bias ggf zu hoch).

Gruß
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana. (...soll Groucho Marx gesagt haben, aber so ganz sicher ist das nicht...)
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#11
Kommt der Crossfield-Kopf, gegenüber bzw. unter dem Aufnahmekopf, hoch?
Der muß Kopfspiegel zu Kopfspiegel Aufnahmekopf stehen, dazwischen läuft das Band durch.
Wenn das Gerät längere Zeit stand verharzt das Fett und er wird nicht hochgedrückt.

Viele Grüße
Volkmar
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