Abenteuer mit TFK M10, oder: Werbung für antike Relaistechnik
#1
Kleine Ursache, große Wirkung. Anders ausgedrückt: Wer keine Arbeit hat, der macht sich welche. Da mir diese Weisheiten dieser Tage einige neue Erfahrungen mit Relaistechnik beschert haben, dachte ich mir, es könnte ja evtl. dem einen oder anderen Besitzer von Maschinen mit solcher Technik helfen, wenn ich diese Erfahrungen mal zum Besten gebe.
Und sei es nur, um vorzeitiger Entmutigung vorzubeugen: Ich dachte nämlich auch ursprünglich: „Aus solchen Situationen gehen die Ausschlachtungsaktionen hervor, deren Relikte in Gestalt von Einzelmotoren, Einzelschaltern, Einzelwellen hinterher in Internet-Auktionen landen. Schade nur, wegen eines Fehlers, den man nicht findet, so ein schönes, ansonsten intaktes Laufwerk zu zerpflücken. Oder es für 20 Ocken an einen Bastler zu verschachern, der den Fehler dann nach einem Tag aufgespürt hat.“

Aber wenn man Platinen aus einer Bandmaschine ausbaut, um endlich an festgebackene Rändelmuttern zu kommen, dann sollte man sie schon ohne größere Ruppigkeiten wieder einsetzen. Rolleyes

Da ich das im Falle der M10-Laufwerkstasten vor einer Woche NICHT getan hatte, trug es sich beim Wiedereinschalten und Umschalten von Wiedergabe auf Umspulen zu, daß ich ebenso lautlos wie plötzlich im Dunkeln stand Confusedhocked:
Nochmals ausbauen, begucken, ratlos dastehen und wieder (diesmal sanfter) einbauen – diesmal war der Fehler schon weniger spektakulär – die Sicherung blieb drin. Dafür war es nicht mehr ein Fehler.
Sondern DREI Big Grin

1. Umschalten von Wiedergabe/Aufnahme auf Halt funktionierte nicht.
2. Bei Aufnahme blieb die Aufnahmelampe dunkel.
3. Bei Umspulen reagierte die Maschine nicht auf den Rangierhebel. Die Wickelmotoren schienen sich vielmehr genauso zu verhalten wie bei Wiedergabe.

Zum Glück ist die M10 erstens eine relativ übersichtliche Maschine, zu der ich zweitens von netten Forumsmitgliedern vor Jahren schon Ablaufdiagramme und den Schaltplan bekommen hatte.

So sieht die Gegend um die Laufwerkstasten aus:

https://tonbandforum.de/bildupload/M10-S...n-3-Na.jpg

(Glückliche M10A-Besitzer werden bemerken, daß die Relais bei der M10 noch anders benannt waren, also nicht „rs 1, 2, 3“ usw, sondern „RsW“, „RsA“ etc.)

Nach ausgiebigem Bebrüten des Materials in verspäteten Zügen und bei längeren Kantinenaufenthalten ergab sich nur der Schluß, daß der Halt-Taster (SH, oben rechts), der normalerweise den Stromkreis zu den Relais für Aufnahme (RsA, Bildmitte) und Wiedergabe (RsW, rechts davon) unterbricht (wodurch selbige abzufallen geruhen – was ich auch erst bei der Gelegenheit kapiert habe), irgendwo überbrückt sein mußte. Also wohl eine Verbindung zwischen den Punkten 14 (=167) und 161 (letzterer gleichbedeutend mit Minus).

Warum aber blieb die intakte Aufnahmelampe LaA dunkel? :?
Eine unerwünschte Verbindung zwischen 14/167 und 29/165 muß die Pole der Lampe kurzschließen, dachte ich mir. Aber warum konnte dann das Aufnahmerelais RsA überhaupt ziehen?? Confusedhocked:

Der dritte Punkt – die Rangierhebel-Geschichte – war schon leichter zu klären: Das Umspulen scheint bei der M10 in zwei Schritten abzulaufen:

https://tonbandforum.de/bildupload/M10-S...n-1-Na.jpg

1. Man drückt die Taste SU, das Umspulrelais RsU zieht an, daraufhin gehen beide Wickelmotoren kurz in gegenläufige Richtung und straffen das Band.
2. Jetzt tritt das sog. Verzögerungsrelais (RsV, 1. Bild rechts unten) in Aktion: Das bekommt nämlich mit dem Schalten auf Umspulen keinen Saft mehr, wird nur noch vom Kondensator C 3 gehalten. Nach kurzer Zeit (bei meinen Geräten in einem Fall vielleicht eine halbe Sekunde, im anderen Fall eine Viertelsekunde) hat der Kondensator fertig, das Relais RsV fällt ab – und damit schaltet sein Kontakt V 1 (2. Bild, gemeinsam mit U 4, etwas rechts oberhalb der Bildmitte) das Regelgewusel mit dem Rangierhebel zu, der die Richtung fürs Umspulen vorgibt. Und ab geht die Post.

Also mußte irgend etwas das RsV davon abhalten, abzufallen.
Und das konnte ja eigentlich nur abermals eine Verbindung zwischen 14 und 161 sein. Die wird normalerweise beim Umspulen direkt durch den Kontakt U 1 des Umspulrelais RsU gekappt.

Klang eigentlich alles ganz gut (zumal der Punkt 14 immer wieder vorkam, wie die Spinne im Netz) – jetzt mußte ich nur noch rauskriegen, ob a) das Ganze überhaupt stimmte, und b) wo denn die unerwünschten Verbindungen entstanden waren...

Die abendfüllende Aktion bestand u.a. aus dem wiederholten Aus- und Wiedereinbau der Platine mit den Laufwerkstasten (an die man erst rankommt, wenn man die Schalttafel mit Netzschalter etc. ausgebaut hat).
Angereichert wurde sie durch den würzenden Umstand, daß sich zwischenzeitlich insgesamt zwei Unterlegscheiben und eine (natürlich winzigkleine :grins: ) Schraube unter Hervorbringung des berüchtigt-klickernden Geräusches ins Innere der Maschine verabschiedeten :mauer: Zum Glück war auch das versteckteste dieser drei Teile wieder rauszukriegen, indem ich schließlich das Netzteil ausbaute.

a) Als erstes stellte sich raus, daß meine schöne Theorie vom Kurzschluß zwischen 29/165 und 167 auf tönernen Füßen stand. :|
b) Dafür aber auch, daß es zwischen 14 und 161 in der Tat eine feste Verbindung gab (das Meßgerät piepte). :oah:

Da ich mich um die möglicherweise unbequemen Konsequenzen des Punktes a) erst mal rumdrücken wollte, habe ich mich b) zugewandt.
Sobald man die Platine mit den Laufwerkstasten ausbaute, war der Fehler verschwunden. Smile Baute man sie wieder ein, war er wieder da :| Einer der ganz großen Klassiker also. Wink

Da war aber kein verbogener Pol irgendeines Tasters oder einer Platine zu sehen, der irgendwo das Metallgehäuse berührt hätte.
Nur: Sobald man mit dem Stift des Rangierschalters beim Einbauen das Gehäuse berührte, war der Fehler da :oah:
Daß dieser Stift Massekontakt hat, ist aber normal, wie sich an meiner anderen M10 feststellen ließ.
Also saß der Fehler irgendwo auf der Platine selbst. :undnun:

Es war aber kein Hexenwerk, sondern – tätärätä: beim rustikalen ursprünglichen Wiedereinbau hatte ich Mist gebaut und den der Lampe LaA zu(!)gewandten Pol des R 5 zwischen der Platine und dem Gehäuse eingeklemmt (dabei die von Telefunken an sich natürlich fein säuberlich angebrachte Isolierung ramponiert). Sobald man die Platine an ihren Platz setzte und etwas andrückte, schloß diese Kontaktstelle wieder, und der Fehler war da; und damit hatte sich eine Verbindung ergeben von 161 zu dem Punkt zwischen LaA und R 5 (ziemlich genau waagerecht links vom RsA zu sehen). Also etwas anders, als ich gedacht hatte.

So sieht die ausgebaute Platine mit den Laufwerkstastern von oben aus (das ist ein Ersatzteil, das ich noch herumfliegen habe – ich schrecke davor zurück, für das Foto jetzt alles noch mal rauszufriemeln). Der grüne waagerechte Widerstand oberhalb des Stiftes mit dem Schraubgewinde ist der R 5.

[Bild: M10-Laufwerktasten-N.jpg]

Man beachte übrigens, wie penibel die Leute von Telefunken vor 47 Jahren sämtliche Bauteile im Inneren beschriftet haben. Selbst der Tonmotor, ein wirklich kaum zu mißdeutendes Monstrum, trägt den kleinen Aufkleber „MT“).

Nun also vorsichtig und RICHTIG einsetzen, alles wieder einbauen, hinterher Werkzeuge nachzählen wie der Oberarzt im OP (also kein Schraubendreherchen im Netzteil vergessen Big Grin ), Maschine waagerecht legen, Verstärker anschließen, tiiiiiiiief Luft holen und den Netzstecker....
Na, die Sicherung blieb schon mal drin.

Band einlegen, damit über den linken Bandzughebel den Tonmotor einschalten.
Alles normal.

Wiedergabe drücken.
Auch das funktioniert. Smile

Jetzt die Nagelprobe Confusedhocked: : Halt-Taster drücken.
Funktioniert. :hoerer:

Aufnahme: dito, sogar mit Lampe :bier:
Umspulen mit Rangierhebel: ganz wie es sollte :party:

Ihr werdet merken, daß ich die Euphorie von gestern abend noch längst nicht wieder im Griff habe. Wink
Auch wenn ich immer noch nicht kapiert habe, warum das RsA zog, obwohl LaA dunkel blieb. Vielleicht weil R 5 groß genug war, daß auch immer noch für RsA genug Strom vom Tisch fiel? Na egal.

Geplättet bin ich als Nicht-Elektroniker zum einen, wie ein einziger klitzekleiner Fehler eine komplette Laufwerksteuerung aus dem Tritt bringen kann. Zum anderen aber auch, daß der vermurkste Einbau keine bleibenden Schäden an irgendwelchen Teilen hinterlassen hat, denen ich jetzt erst noch stundenlang hinterherfahnden müßte. Und ich weiß doch wieder, warum ich für den Fall, daß meine M15A mich irgendwann verlassen, immer noch die beiden M10 als stille Reserve halte Wink.

Kennt sich eigentlich jemand mit der Stabilität solcher fingerdicken (und ziemlich steifen) 45 Jahre alten Kabelbäume aus, wie sie in der M10 verbaut sind?
Ich hatte nämlich ursprünglich schon Angst, ich hätte beim ersten Ausbau der Platine im zugehörigen Baum irgendeine spröde Isolierung verletzt. Das auszubügeln, wäre ja nun RICHTIG unterhaltsam geworden... Wink

Michael
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#2
Zitat:mk1967 postete
Kennt sich eigentlich jemand mit der Stabilität solcher fingerdicken (und ziemlich steifen) 45 Jahre alten Kabelbäume aus, wie sie in der M10 verbaut sind?
Ich hatte nämlich ursprünglich schon Angst, ich hätte beim ersten Ausbau der Platine im zugehörigen Baum irgendeine spröde Isolierung verletzt. Das auszubügeln, wäre ja nun RICHTIG unterhaltsam geworden... Wink
Hallo Michael,

erst einmal "Dankeschön" für den aufschlussreichen und überaus witzig geschriebenen Reparaturbericht. Zur Langzeithaltbarkeit von Kabelbäumen kann ich zwar nicht allzuviel ausagen, nur soviel, eine 1940 gebaute BASA (Bahnselbstanschlussanlage, das Fernmelde-Vermittlungsnetz der damaligen Deutschen Reichsbahn) hat bei uns noch bis Anfang der 90er Jahre problemlos gearbeitet. Übrigens habe ich während meiner Berufsausbildung noch gelernt solche Kabelbäume zu binden. Dazu bedarf es nicht viel, ein Nagelbrett und dicke Schnur sowie eine Kerze zum Einwachsen reichen schon aus. Wink

Gruß Jens
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#3
Hallo Jens,

Zitat:esla postete
[...] aufschlussreichen und überaus witzig geschriebenen Reparaturbericht.
Danke Smile.

Zitat:esla postete
Zur Langzeithaltbarkeit von Kabelbäumen kann ich zwar nicht allzuviel ausagen, nur soviel, eine 1940 gebaute BASA (Bahnselbstanschlussanlage, das Fernmelde-Vermittlungsnetz der damaligen Deutschen Reichsbahn) hat bei uns noch bis Anfang der 90er Jahre problemlos gearbeitet.
Na :oah: das läßt einen früheren Eisenbahnfan doch mal wieder das Glas erheben auf die unverwüstliche Technik der Dampflokzeit. Ich werde an die BASA denken :bier:, wenn ich das nächste Mal im Zug sitze und wieder mal was von "Signalstörung" oder "Weichenstörung" höre... Rolleyes

Zitat:esla postete
Übrigens habe ich während meiner Berufsausbildung noch gelernt solche Kabelbäume zu binden.
Chapeau Smile denn ich habe beim Blick in die M10 oft gedacht: Wow, was für Handarbeit, allein die Binderei der Kabelbäume...

Michael
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