Mercury Living Presence auf SACD - Remaster-Probleme
#1
Im STEREO Nov. 2004 fand ich folgenden Artikel, den ich sinngemäß zusammenfasse:

Derzeit werden die legendären "Living Presence" Aufnahmen der Plattenfirma Mercury für SACD gemastert. Als großes Problem stellte sich der Zustand der Bänder heraus, die wellig sind und kleben. Klebestellen lösen sich bez. austretender Klebstoff verklebt die Wicklungen untereinander. Erfreulicherweise ist man mit der mechanischen Restauration auf gutem Wege.

Die Qualität der Aufzeichnungen soll noch sehr gut sein, so daß auf digitale Nachbearbeitung weitestgehend verzichtet wird. Lediglich bei mechanischen Beschädigungen (Klebestellen) wird repariert. Ebenso wird der 3. Kanal erhalten, so daß die Aufnahmen auf Surround-Systemen auch in der ursprünglichen Form gehört werden können.

Als Schwachpunkt des Projektes erwies sich eine originale Ampex-Maschine. Man war zunächst der Meinung, mit dem Original-Equipment die beste Wahl getroffen zu haben. Leider ging die Maschine zu raubautzig mit dem angeschlagenen Bandmaterial um, zudem soll das hohe Rauschen dieser Maschine selbst für diese alten Aufnahmen indiskutabel hoch gewesen sein.

So verpasste man einer neuzeitlichen Studer einen 3-Kanal-Kopf.
Michael(F)
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#2
Siehe da, haben die auch Ampex Bänder genommen?
Was für ein 3 Kanal Kopf ist denn das?
Und warum wird SACD verwendet?
Warum nicht CD oder DVD-A?
Und was für Aufnahmen sind das? Welche Musikrichtung?

MfG Matthias
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#3
Die Musikrichtung ging von Klassik über Jazz zu Trallalla - sehr vielseitig. Das war das Konkurrenzprodukt zu RCA Living Stereo. Da Mercury eine amerikanische Firma ist, liegt es nahe, Ampex zu verwenden. Wenn der Artikel interessiert, scanne ich ihn ein. Es muss mir dann nur noch jemand sagen, wie man die jpegs klein kriegt, die werden bei mir immer so riesig. Da das Heft aber noch überall zu haben ist, kann man das auch am Kiosk lesen.

Es war eine Besonderheit der Mercury-Tonmeister, daß sie mit 3 Kanälen arbeiteten. Damit wurde, wenn ich es richtig verstanden habe, eine Mitte aufgebaut oder anders gesagt: Es gab den linken und den rechten Kanal, und wenn man die weit auseinander zog, gab es in der Mitte ein Loch. Dieses hat man "gestopft" indem man Infos aus der "Mitte" hinzufügte. Das waren 3-Spur-Master-Bänder, die dann auf Stereo runtergemischt worden sind, unter Zuhilfenahme der dritten Spur.

Was das für ein Kopf ist, wo der herkommt, ob eigens angefertigt oder aus Altbeständen entnommen, weiss ich nicht. Ich könnte mir denken, daß es der Kopf aus der 3-Kanal-Ampex ist, der dann in die Studer eingebaut wurde.

Interessant, daß die Ampex-Bänder verrotten, wärend die BASF-Bänder aus alten Zeiten noch laufen. Da keimt regelrecht Hoffnung auf, wenn man jetzt auf Quantegy angewiesen ist.

Warum SACD? Nun, man kann ja auf SACD veröffentlichen (Reibach Nr. 1), und anschliessend auf anderen Medien (Reibach Nr. n).
Michael(F)
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#4
Einscannen brauchst du nicht.

Klar geht es um Reibach. Ich habe das nicht immer im Hinterkopf.
Ich finde es schade das nun die SACD in den Markt gedrückt wird.
Es passt aber zur Reibach Problematik.
Die DVD-A ist wesentlich vielseitiger und prinzipiel auch selbst erstellbar.
Die SACD ist kaum zu sich selbst kompatibel, nicht kopierbar und messbar klanglich schlechter. Ich habe einen Bericht gelesen nach dem der Rauschabstand der SACD stark Frequenzabhängig ist. Er nimmt nach oben hin stark ab. Hat damit zu tun das kein PCM Verfahren verwendet wird.
Aber die SACD wird von High End Leuten in den Himmel gelobt. Und da Sony dahinter steht, ziegt wieder einmal das bessere System den kürzeren.


MfG Matthias
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#5
Lieber Matthias,
liebe Mitleser,

vor einigen Jahren erwarb ich eine Mercury-Living-Presence-CD mit regelrechtem Beibuch, in dem -wenn auch unter Verströmung einigen Weihrauchs- dieser für die Stereo-LP nicht unkritischen Aufnahmetechnik gedacht wurde. Es gab also schon Mercury-CDs, von denen das genannte Beibuch nicht weniger als 102 Exemplare nennt. Die von Mercury eingesetzten Mikros kamen übrigens (soweit ich weiß ausschließlich) aus Deutschland: Neumann und Schoeps.
Das aktuelle Gequake der Überspieler dürfte der marktübliche Theaterdonner der Werbeetagen sein, denn die Labilität des Magnetfilms ist bei Filmleuten mehr als nur bekannt, und das Verhalten der diversen Laufwerke kennt man dort auch seit Jahrzehnten zur Genüge. Viel Lärm also um nichts.

Die Mercury-Aufnahmetechnik war damals unüblich, aber bekannt und stand durchaus in der Tradition, die auch die Reichrundfunkgesellschaft (und ihre Nachfolger der ersten Nachkriegszeit) vertreten hatten: So wenig Mikros wie möglich, wofür es durchaus gute Gründe gibt.
Ansonsten bediente man sich Bob Fines Vorschlag folgend ganz schlicht einer Groß-A-B-Technik mit eingefügtem Centermikrofon und war damit durchaus sehr modern, aber keineswegs das erste Institut, das in der Geschichte der Stereomagnetbandaufnahme so arbeitete. Die Reichsrundfunkgesellschaft hatte bei ihren Stereos nämlich bereits 12 Jahre vorher genau zu dieser Mikrofonierung gefunden, wovon wir Beispiele besitzen. Man nahm bei der RRG lediglich nicht auf drei, sondern nur auf 2 Spuren (wie Mercury anfänglich auch) und durchwegs mit Kugelmikros auf, wogegen Mercurys Leute (Fine/Cozart/Lawrence) zumeist mit Nieren arbeiteten (U47).

Die Laufzeitstereofonie besitzt klanglich gegenüber der damals regulär vertretenen Koinzidenzstereofonie erhebliche Vorteile, stellt für die Stereo-LP jedoch eine nicht minder große Hürde dar, weil laufzeitstereofone Modulationen relativ schnell vom Abtaster nicht mehr aus der Rille geholt werden können. Ich vermute deshalb, dass man aus diesem Grunde diskret dreikanalig produzierte, um beim "Downmix" auf zwei Kanäle die Laufzeiten von L und R durch das Aufziehen des Mittelmikros -das führt ja eine Mono-Information- 'bändigen' zu können.

Der für mich große, neue Reiz der Mercury-Aufnahmen liegt im Einsatz der 35mm-Magnetfilm-Laufwerke, die eine für damalige Verhältnisse enorme Spurbreite ermöglichten, wodurch ein gegenüber dem 1/4"-Band doch erheblich und damit hörbar verbesserter Geräuschspannungsabstand zu erreichen war.

Es ist letztlich wurscht, auf welchem Medium diese Aufnahmen heute daherkommen, die Idee trägt den Reiz für uns, wobei wir bedenken müssen, dass der Downmix 3 auf 2 pegelmäßig nicht festlag, sondern nach den Ansprüchen der LP-Überspielung, nicht prmär nach klanglichen Kriterien angelegt wurde. Ich bin mir deshalb sicher, dass wir auf unseren digitalen Speichern heute nicht das vorfinden, was Bob Fine, Wilma Cozart und Harold Lawrence unseren Vätern bzw. Großvätern auf ihren LPs angeboten haben. Ob das aber erstrebenswert wäre, sei füglich bezweifelt.

Hans-Joachim
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#6
Schöner Beitrag, Hans-Joachim! Ich stimme ich Dir insbesondere bei Deinem Schlußsatz ausdrücklich zu.

Wen es interessiert, wie man damals vorging und wie vor einigen Jahren die CD-Reissues hergestellt wurden, dem sei folgender Link nahegelegt:

http://www.xs4all.nl/~rabruil/mercury.html

Viel Freude beim Lesen!

Dem Vernehmen nach werden die SACD-Neuausgaben erstmals auch die dreikanalige Aufnahme zu Gehör bringen. Das würde mich schon sehr interessieren. Deswegen werde ich mir aber keinen passenden Spieler kaufen und auch meine sonstige Anlage nicht auf Mehrkanal umrüsten.

Gruß
Gerd
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#7
Was mich noch interessiert:

# Wie ist denn der Zustand von deutschen / europäischen Bändern im vergleichbaren Alter?
# Wie hiessen die Sorten auf beiden Seiten des Atlantiks, was zeichnete sie aus?
# Wenn sie sich beim Zerfallen unterschiedlich verhalten haben, warum? Eine Frage des Materials oder eine Frage des Umganges damit?
# Hat man in den Studios damals mit 3 Monitoren abgehört? Oder immer nur im wie auch immer gemixten 2-Kanal-Zustand?
# Die "Triophonie" hätte das Bindeglied zwischen Stereo- und Quadrophonie werden können, kam niemand auf diese Idee?
# Die SACD macht den ungemixten 3-Kanal-Sound hörbar (über Sorrround-Anlagen). Ob das dem entspricht, was im Studio zu hören ist, sei dahingestellt. Ich glaube das nicht. Aber eine interessante Hörerfahrung ist das sicher.

Ansonsten hat Hans-Joachim recht, was das Geklapper anbelangt: Der Artikel trägt sehr dick auf. Nach einem Kurzporträt des verantwortlichen Toningenieurs schlägt man den Bogen zum Kino, wo man auf "Indiana Jones auf der Jagd nach dem verlorenen Schatz" hinweist. Man beschreibt den morbiden Duft des zerfallenden Bandmaterials, das der geöffneten Dose entstömt und geht dann zu den Höreindrücken über. Leider verliert man kein Wort über die verwendeten Netzsicherungen und die Spulentellerauflagen der Studer. Ebenso bleibt unerwähnt, ob diese auf Rollen oder Spikes daherkommt oder in ein Rack eingebaut ist. Die "Stereo" ist halt einfach nicht audiophil und high-endig genug Wink

Es folgt ein noch dramatischer Hinweis darauf, daß diese Musik nun wohl nie wieder so hörbar sein wird, dann verschwindet das Band wieder in der Dose - für immer.

Vorhang, Applaus, vielleicht macht einer der aktiven Audioclubs mal ein Musical im Stile von "Evita" über die dahingerafften Mercury-Tapes Wink
Michael(F)
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#8
Lieber Hans-Joachim
Lieber Michael.

Eine Kleinigkeit verwirrt mich etwas: In dieser Zeitschrift ist angeblich die Rede von Bändern.
Hans-Joachim und die von Gerd angegebene Internetseite schreiben von Magnetfilm.
Was denn jetzt?
Noch eine Frage zum Magnetfilm: War das ein Film der an Stelle der fotografischen Schicht eine Magnetschicht enthielt? Wofür brauchte man soetwas sonst noch? Tonfilm ohne Bild? Smile Welche Bandgeschwindigkeit wurde verwendet? Wird beim Film nicht Lichtton angewendet?

MfG Matthias
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#9
Hallo Matthias,

in Magnetfilm einerseits und Band andererseits liegt kein Widerpsruch. Der Stereo-Artikel, den ich erst morgen werde lese können, meint wahrscheinlich die seinerzeit von den 35mm-Aufnahmen auf normales Tonband gezogenen und auf zwei Kanäle gemischten Master.

Der folgende Link gibt da weitere Hiweise und macht auf qualitative Unterschiede bei deren Verwendung für LP-Reissues (hier die von Speakers Corner) aufmerksam

http://www.hifiplus.com/m-rev27-mercury.html


Gruß
Gerd
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#10
Zitat:PhonoMax postete
Die von Mercury eingesetzten Mikros kamen übrigens (soweit ich weiß ausschließlich) aus Deutschland: Neumann und Schoeps.
Mercury verwendete hauptsächlich - oder sogar ausschließlich, weiß ich nicht genau - Telefunken-Mikros.

Zitat:Die Mercury-Aufnahmetechnik war damals unüblich, aber bekannt und stand durchaus in der Tradition, die auch die Reichrundfunkgesellschaft (und ihre Nachfolger der ersten Nachkriegszeit) vertreten hatten: So wenig Mikros wie möglich, wofür es durchaus gute Gründe gibt.
RCA hat damals auch so gearbeitet mit minimalen Mikrofon-Setup, ebenfalls zunächst Ampex-2-Spur dann 3-Spur. Man hat das aber dort nicht so konsequent durchgezogen wie bei Mercury, sondern setzte sehr bald zusätzliche Stützmikros ein.

Zitat:Ich vermute deshalb, dass man aus diesem Grunde diskret dreikanalig produzierte, um beim "Downmix" auf zwei Kanäle die Laufzeiten von L und R durch das Aufziehen des Mittelmikros -das führt ja eine Mono-Information- 'bändigen' zu können.
Glaube ich nicht. Der Grund war wohl wirklich mehr die Vermeidung eines "Mittenlochs". Mercury stellte übrigens damals keine zweispurigen Production Master her, man mischte direkt von 3-Spur in die Schneidemaschine. Ich habe originale Mercury-LPs, die von Wilma Cozart Fine selbst erstellten CDs sowie die audiophilen LP-Reissues von Classic Records und Speakers Corner. Die SACDs habe ich noch nicht ausprobiert. Es ist nicht so, dass auf den CDs mehr oder präzisere Rauminformation drauf wäre als auf den LPs. Die alten Original-LPs wurden aber tatsächlich oft recht "heiß" geschnitten (von George Piros). Die Dynamik lässt viele neue Produktionen uralt aussehen. Ich glaube nicht, dass viele Konsumenten die Platten damals überhaupt korrekt abtasten konnten. Einen Nachteil bei den alten Ausgaben sind die oft arg störgeräuschbehafteten Pressungen. Da nahmen es die Amerikaner wohl manchmal nicht ganz so genau. Auf den neuen Reissues gibt es dieses Problem natürlich nicht mehr. Meiner Meinung nach sind das die Ausgaben, die man haben sollte, da sie für mich sowohl die alten LPs als auch die CDs klanglich distanzieren. Wie gesagt, die SACDs habe ich noch nicht ausprobiert.
Ich wundere mich übrigens über diese Feststellung bezüglich schlechten Zustands der Bänder und Abspielproblemen mit der Ampex. Als die CDs produziert wurden, war davon noch nicht die Rede. Im Gegenteil hat Wilma Cozart Fine ausdrücklich Wert darauf gelegt, für die Überspielung auf Digitalmaster eine alte restaurierte Röhren-Ampex zu verwenden.

Gruß,
Markus
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#11
Generell halte auch ich die Aufnahmen Cozarts in der Geschichte der Stereofonie für hoch bedeutend, insbesondere in der der LP; legt doch Cozart den Finger auf eine Problemstelle des LP-Verfahrens, sucht einen interessanten, für uns sehr aktuellen Ausweg und stößt gleichzeitig die Tür zum HiFi-Zeitalter auf, das sich allerdings noch länger mit der LP als einzigem hochwertigem Speicher (für den Konsumenten) begnügen musste. Stereotaugliche HiFi-Bandgeräte befanden sich ja erst ab 1963/64 in fühlbarer Stückzahl in der Hand von Amateuren. Bedenken wir, dass Willi Studer erst von der G36 an größere Stückzahlen absetzte, die Marktsichten hinsichtlich eines qualitativ hohen Anspruches auf Kundenseite beeinflussen konnten.

Deine Erklärungen, lieber Markus, sind interessant, nur widersprechen sie nirgendwo meinen obigen, schon älteren Aussagen zum Thema. Man redet mitunter nebeneinanderher, ohne das zu merken:

Zum ersten:
Welche professionellen Telefunken-Mikros stammten von Telefunken?

Zum zweiten:
Wo rührt bei einer zweikanaligen Laufzeitstereofonie das Loch in der Mitte her? Was geschieht, wenn ich beiden Kanälen L-R ein Monosignal beimische, das letztlich aus der mehr oder minder genauen Addition der Signale A und B besteht?

Das nicht eben kompetent übersetzte (nehme ich mal an) Beiheft meiner Mercury-CD, die mir beide ein Freund anschleppte, spricht von der finalen Abmischung "während der Schnittphase des Lacks" (hüstel; vgl. auch "Kondensmikrofon", "Klangempfindlichkeit", "Spannweiten" [für 'Gabelgriffe'] bei Schwegelpfeifen und andere Blüten. Auch die Beschreibung der Geometrie des Mikrofonarrays ist schlicht falsch, das aber wohl schon im Originaltext). Diese 'Direktabmischung' in die Folienschneidmaschine hält den Geräuschspannungsabstand hoch, der bei 35- mm-Film und dreikanaliger Aufnahme ohnehin schon knapp 3 dB über den zeitgenössischen Werten von 6,3 mm-Vollspur-Aufnahmen lag.
Durch jene Entscheidung aber begibt man sich des Vorteils einer EP-Steuerung (extended play: Füllschrift-Verfahren nach Eduard Rhein), die einer Vor- und Hauptabtastung bedarf. Dies ist hier aber nicht möglich, weshalb sich Fußangeln auftun:

1.)
führt dies zu relativ kurzen LP-Laufzeiten und birgt ein nicht unerhebliches Fehlüberspielungsrisiko, dem man aber mit Erfahrung (und zu Lasten der Laufzeit) beikommen konnte. Mercury-LPs (ich habe keine) sollten also nicht unwesentlich unter 24 Minuten lang sein.

2.)
bedeutet dies, dass die endgültige Abmischung nach Cozarts Wünschen nicht mehr rekonstruierbar ist, da der Beimischungspegel des "Centers" über der Zeitachse eines Werkes gewiss variierte und mit Sicherheit nicht im Sekundenraster festgehalten wurde. Der Beimischungspegel des Centers entscheidet aber unmittelbar über den Raumeindruck der Aufnahme (also nicht nur über die sterofone Basisbreite!) und natürlich auch über die Ensembleauffächerung über die stereofone Basis, war also sensibel zu führen.

Zu den geschilderten Problemen des Bandverhaltens bei den modernen Rekonstruktionen:
Die mechanisch problematischen Erfahrungen mit historischem Magnetband verschärfen sich durch den Einsatz von bis zu 35 mm breitem Magnetfilm, dessen Sperrigkeit beim Ausdünsten der Weichmacher auch für die klassische Wiedergabequalität namentlich bei mehrkanaligen Aufzeichnungen zum Problem wird, da der Film vor den Köpfen unruhiger (als prinzipbedingt) abläuft. Magnetbandler der Bavaria, die sehr bald zum Magnetfilm (und natürlich zum Magnetband) umgestiegen waren, können da bezüglich der Restaurierungen historischer Soundtracks ein garstig Lied singen. Es verwundert also schon mechanisch nicht, dass man bei den Mercury-Rekos lieber auf ein neuzeitliches Laufwerk zurückgriff.

Ähnliches gilt übrigens auch für Magnetbandaufnahmen der 1940er (z. B. Slg. Quellmalz), die man bei der Phonothek der Österr. Akademie der Wissenschaften in Wien meinte, am besten mit einem aufgearbeiteten, originalen K4-Laufwerk überspielen zu sollen. Dies jedoch erwies sich als klassischer Fehlgriff, weshalb dafür heute ein in privater Hand existierendes und mit dem letzten Kenntnissen zur RRG-Entzerrung bei ANT gebautes 77-cm-M20-Speziallaufwerk verwendet wird. Es reist dann bei Bedarf aus Deutschland an.

Hans-Joachim
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#12
Zitat:PhonoMax postete
Zum ersten:
Welche professionellen Telefunken-Mikros stammten von Telefunken?
Lieber Hans-Joachim,

Ich weiß natürlich, dass Telefunken auch OEM-Produkte von Schoeps und Neumann vermarktet hat, aber wenn Du schreibst: Neumann und Schoeps gehe ich erst mal davon aus, dass damit die Markenbezeichnung gemeint ist.
Ich habe übrigens noch mal nachgesehen auf einigen alten Mercury-LPs: in der Frühphase verwendete man oft das U 47, später hauptsächlich das 201. Interessanterweise ist Mercury im Gegensatz zu anderen nie auf den Multimikrophonie-Zug aufgesprungen, solange die Fines dort verantwortlich waren.

Zitat:Zum zweiten:
Wo rührt bei einer zweikanaligen Laufzeitstereofonie das Loch in der Mitte her? Was geschieht, wenn ich beiden Kanälen L-R ein Monosignal beimische, das letztlich aus der mehr oder minder genauen Addition der Signale A und B besteht?
Was ich sagen wollte ist, dass ich noch nirgendwo eine Aussage von Wilma Cozart oder Robert Fine gelesen habe, dass der Grund für die Dreimikrophon-Technik Probleme beim Schneiden der LPs waren, wie Du das deutest. Mag sein, dass das auch ein Grund war, aber in den Interviews und sonstigen Texten ist immer nur von optimaler Erfassung der Räumlichkeit auf Band die Rede. Abgehört wurden die Bänder auch mit drei Altec-Lautsprechern (Voice of the Theatre).

Die Schneidemaschine wurde manuell gesteuert. Die Laufzeiten der LPs unterscheiden sich, die älteren sind meist eher kurz. Mir persönlich ist eine kurze Laufzeit in jedem Fall lieber als Kompromisse bei der Dynamik.

Zitat:bedeutet dies, dass die endgültige Abmischung nach Cozarts Wünschen nicht mehr rekonstruierbar ist, da der Beimischungspegel des "Centers" über der Zeitachse eines Werkes gewiss variierte
Die CD-Ausgaben hat ja noch Wilma Cozart selbst betreut. Variiert wurde laut ihrer Aussage ohnehin nicht mehr viel, nachdem die Mikrofone einmal standen und ausgepegelt waren. Insofern ist die Rekonstruktion keinesfalls sonderlich kritisch.

Ach ja, nochwas: Ich habe den Eindruck, in diesem Thread wurden die Magnetband- und die 35mm-Filmaufnahmen von Mercury durcheinandergeschmissen. Die Bandaufnahmen entstanden auf einer Ampex, die 35mm-Aufnahmen auf einem Westrex-Recorder.

Gruß,
Markus
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#13
Lieber Markus,

es ist für mich fraglich, inwieweit Cozart die theoretischen Grundlagen ihrer Spezialversion des (späteren) Decca-Trees klar waren. Sie waren ihr nicht in jeder Hinsicht klar, befasste sich die wissenschaftliche Szene damals doch noch nicht mit den Gehörsinterpretationen unkorrelierter Signale beim A-B-Verfahren, das man -aus verständlichen Gründen- für untauglich hielt. Die Stereofonie war erst am (Zweit-)Anfang.

Die Erklärung mit dem Loch in der Mitte habe ich in besagtem Beibuch jener in meinem Besitz befindlichen CD auf jeden Fall nicht gelesen. Im Zusammenhang mit den RRG-Aufnahmen Ludwig Hecks und Helmut Krügers stammt dieses etwas flapsige Wortspiel ("Was macht der Tonmeister, wenn er ein Loch hört?..." Etc. pp.) von mir und nur von mir, was mir einige Zurechtweisungen im einschlägigen Kollegenkreis eingetragen hat, die ich parieren musste.... Ging auch, war aber ein etwas internationaleres Unterfangen.

Das 201 (der "Winker") stammt von Schoeps und gehört damit natürlich der Nachkriegszeit an. Es gab auch noch ein 201-1, das als Bändchentyp (M25) den späten 1930ern angehört und hier nicht zur Debatte steht, zumal es Fotos vom Schoeps-Mikro in Cozart-Setups gibt. Auf meiner CD wurde es sogar dreifach auf dem Einleger abgebildet.

Hinsichtlich der Abmischung ist anzumerken, dass dies den Übergang von der Drei- auf die Zweikanaligkeit beim Schnitt der Folie betrifft, mit der Aufnahmesitzung und ihrem Mikrofonsetup also nicht unmittelbar zu tun hat.
Meine obige Anmerkung gilt daher fort.

Großmembranmikrofone wie die verwendeten sind in den angewendeten Techniken durchaus kritisch, gestatten aber klangliche Korrekturen durch das Anwinkeln des Mikros in allen Ebenen. Dies kann helfen, jedoch auch schlimmen Ärger verursachen. Ich würde das heute nicht mehr so machen; damals aber gab es keine Aternative.

Übrigens kann man keine lineare Beziehung zwischen der Zahl der Mikrofone und der Qualität einer Aufnahme herstellen. Zu Mono-Zeit galt das zwar mit einigen Einschränkungen, was nebenbei auch zu der dreikanaligen Wandlung der zweikanaligen RRG-Aufnahmetechnik geführt hat, denn Helmut Krüger war ein Ein-MIkrofon-Sektierer. Was man aber sagen kann ist, dass die Probleme mit der Anzahl der Mikrofone zunächst tatsächlich nicht eben geringer werden. Mit neuzeitlichem Gerät und Wissen ausgestattet, bekommt man das in den Griff, öffnet aber auch jeder Vogelei Tür und Tor, worauf nicht zuletzt die klangliche Verflachung des High-tech-Zeitalters ("ich brauche alles und ich kriege alles") zurückzuführen ist.
Pop-Musik wird ja ausschließlich polymikrofonisch produziert, selbst wenn das Studio nurmehr ein einziges Mikrofon besitzt. Hier spielen Laufzeiten/Phasendiffernzen daher zumeist auch erst dann eine Rolle, wenn jemand etwas ganz aktiv versiebt hat, oder man sich in einer aggressiven Raumsoße suhlt.

Wilma Cozart hingegen musste sich überall an die Grenzen ihres Systemes vortasten, das nicht zuletzt gute Räume voraussetzte; vieles 'wurde' daher, ganz vieles sicher aber auch nicht. Was draus machen ("let's do it in the mix") war nicht.

Hans-Joachim
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#14
Zitat:PhonoMax postete
Wilma Cozart hingegen musste sich überall an die Grenzen ihres Systemes vortasten, das nicht zuletzt gute Räume voraussetzte; vieles 'wurde' daher, ganz vieles sicher aber auch nicht. Was draus machen ("let's do it in the mix") war nicht.
Zum Glück!
Ich finde die Philosophie wunderbar, den Raum optimal einzufangen und auszupegeln und dann alles dem Dirigenten zu überlassen. Es war eine bewusste Entscheidung von Mercury, bei diesem Prinzip zu bleiben. Sie hätten es ja auch anders machen können wie viele andere. Dass dabei Durchhörbarkeit und Verfolgbarkeit einzelner Stimmen verloren gingen, kann ich gegenüber Multi-Mikrophonie-Produktionen nicht feststellen.
Du solltest Dir aber wirklich mal ein paar LPs aus der Reihe besorgen, sonst kannst Du nicht nachvollziehen, wie gut diese Aufnahmen wirklich waren.

Gruß,
Markus
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#15
Ja, wenn die Räume gut sind, dann geht das auch.
Man hört das ja bei den Karavan-Stereos 1944 vs. 1975. Das war damals (1993) bei der CD-Vorstellung der RRG-Stereos in Berlin am originalen Ort mit Diskussion und (interesantem) Trallala auch Thema, das die versammelte Fach-Mannschaft von den Socken hob. Man hört das auch in der Hörfunkübertragung dieses Ereignisses.
Meine Devise, für die ich mir aber auch schon einen Schiefer eingezogen habe: Man muss sich am Problem reiben, damit etwas herauskommt. Geht dagegen alles, dann geht auch alles. Entsprechend klingt das dann auch, 'unerklärt', unverbindlich, leidenschaftslos. Perfektion ist immer untypisch, irreal glatt.
Ich gehe heute lieber in einen schlechten Konzertsaal mir einer Fülle von (miesen) Individualmerkmalen, mit denen Hörer und Musiker kämpfen, als mir eine der neuzeitlichen hochglanzpolierten, metallic-jiftich-jrün-bunten Produktionen anzuhören.
Ich habe da Beispiele im Auge, benenne die aber nicht explizit. (Es betrifft dies keinen hiesigen Kollegen, nicht dass einer auf die Idee kommt...).

Hans-Joachim
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#16
Hallo Hans-Joachim

Klar können viele Wege zum Ziel führen. Das macht das Ganze für mich ja so faszinierend und interessant. Wenn ich zum Beispiel an Direktschnitte von Umbrella oder der japanischen RCA denke, da wurde mit jeder Menge Mikrofonen gearbeitet. Trotzdem entsteht ein überzeugender Raumeindruck.
Und ein paar "Minimalisten" gibt es ja auch heute noch (oder wieder?). Mir würden da solche Namen wie Andreas Speer, Bo Hansson und Kavi Alexander einfallen, die alle m.E. ganz hervorragende Ergebnisse erzielen. Gut, ein großes Orchester nehmen die wohl eher selten auf, dafür sind die Labels zu klein.

Gruß,
Markus
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