Warenhauskette Hertie schließt...
#27
was mir an der ganzen Debatte zunehmend hochklommt, ist, dass offenbar niemand die wahren Gründe für das Kaufhaussterben sieht / sehen will.

Kaufhäuser haben sich zu besten Zeiten dadurch ausgezeichnet, dass es wirklich alles gab. Natürlich gab es Abteilungen mit hohen Gewinnspannen und welche mit geringeren Gewinnspannen, aber auch die Dinge, die weniger Gewinn erwirtschaftet haben, haben zum Gesamterfolg beigetragen, weil sie die Kunden ins Kaufhaus gezogen haben.

Dann kamen in den 1980iger Jahren zwei Management-Philosophien auf, die das Ende eingeläutet haben - "Profit Center" hieß das eine, und bedeutete, dass jede Abteilung für den eigenen Profit verantwortlich wurde. Die Konsequenz aus der Profit Center Philosophie bedeutete, dass weniger profitable Abteilungen zugemacht wurden. In den kleinen Karstadt Häusern wurden z.B. die Lebensmittelabteilungen geschlossen, was dazu führte, dass ehemals volle Kaufhäuser keine Kunden mehr hatten, weil in Kleinstädten niemand shoppen geht, sondern das Kaufhausgeschäft ein Mitnahmegeschäft ist, wenn Leute ihren täglichen Bedarf decken. In großen Kaufhäusern wurden Fachabteilungen wie Spielwaren und Medien ausgedünnt, und anschließend wunderte an sich, dass auch der Umsatz bei der Herrenkonfektion zurückging.

Die zweite Erfindung der Manager kam in den neunziger Jahren auf, und wurde schon als Reaktion auf die durch "Profit Center" ausgelöste erste Kaufhauskrise verkauft - "Sell and lease back" hieß die geniale Idee, die auf deutsch nichts anderes bedeutete, als dass die Kaufhauskonzerne ihr Tafelsilber - die Innenstadt Immobilien - an Immobilienspekulanten verkauften und anschließend zurückmieteten. Dieser Deal spülte zunächst mal Milliarden in die Taschen der Besitzer und ihrem Gefolge, führte aber in Folge dazu, dass die schon zum Teil zugrundegewirtschafteten Kaufhäuser noch die irren Mieten erwirtschaften mussten. Diese Kostenexplosion sorgte noch einmal dafür, dass die Vielfalt ausgedünnt werden musste, die ein Kaufhaus eigentlich ausmacht - und heute führt der Mietwucher in den Citylagen dazu, dass die Städte sterben - denn das Mietgeschäft steckt in einem großen Dilemma. Würden Vermieter die Mieten senken, wären die Städte schnell wieder voll, es würde aber auch den Mietspiegel nach unten treiben, und damit die Renditen aller Immobilien schrumpfen lassen. Da kann es für Immobilienhaie lohnender sein, die Mieten oben zu lassen, und Leerstände als Verluste abzuschreiben.

Bei Karstadt Dortmund, das im Sommer geschlossen werden soll, wird sogar ganz offen gesagt, dass es nicht am Umsatz oder an mangelnden Kunden liegt, sondern an den hohen Mieten und einem amerikanischen Immobilieninvestor, der zu keinen Kompromissen bereit ist. Und dennoch sprechen nicht mal die "Qualitätsmedien" dieses Problem offen an, sondern schwallen wie alle anderen das Märchen vom Konzept Kaufhaus, das nicht mehr zeitgemäß ist.

Witzigerweise hätten die Kommunen die Möglichkeit, auf Leerstände sogar mit Enteignung zu reagieren, weil die Gesetze noch von Menschen gemacht wurden, die sich darüber bewusst waren, was es bedeutet, wenn man alles nur noch den Geiern überlässt. Aus mir nicht erklärbaren Gründen wird dieses Instrument aber kaum genutzt - seit ich denken kann, hat es in Dortmund nur einen einzigen Fall gegeben, wo dem Besitzer einer Innenstadt-Immobilie die Pistole auf die Brust gesetzt wurde. Der hatte eine Passage mit Hotelgebäude 40 Jahre leerstehen lassen, heute sind ein Hostel und eine kleine Einkaufszone für den täglichen Bedarf in dem Gebäude.

Ich denke, wenn man nicht irgendwann anfängt, sich mit dem Immobilienthema zu beschäftigen, sind die Städte in absehbarer Zeit komplett tot - ich gehe nur noch alle paar Monate mal nach Dortmund, und bin jedes Mal entsetzt über die Zahl der Läden, die wieder zugemacht haben. Die Kaufhäuser sind da nur die Spitze des Eisbergs.

Gruß Frank
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RE: Warenhauskette Hertie schließt... - von nick_riviera - 21.03.2023, 10:02

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