Verspulter Abend
#1
Moin, moin,

warum auch immer fühle ich mich motiviert, Euch eine kleine Geschichte zu erzählen:
Es war einmal...

Nach einem Wochenende in den Wirren der Wiederherstellung einer defekten SQL-Datenbank und der Freude des stundenlangen, fruchtlosen Telefonierens mit der Hotline eines Nürnberger Software-Hauses, garniert mit der Abarbeitung der turnusmäßigen End-Jahres-Aufmerksamkeitsanmaßung gewisser Behörden, bin ich am Mittwoch-Abend wieder in die Realität eingetaucht und durfte erschrocken feststellen, daß gleich drei interessante Radio-Sendungen fast gleichzeitig der Aufmerksamkeit bewegten Bandes harren: „Concert for George“ auf D-Kultur, „Querköpfe“ auf DLF und der Mittwöchliche „Soundcheck“ auf NDR2.

Nun darf ich zu meiner Schande gestehen, daß ich meinen Spulis in der letzten Zeit nur wenig praktische Aufmerksamkeit gezollt habe. Nachdem eine N4520 zuletzt aufgegeben hatte, war nur noch eine tapfere PR99 zumindest theoretisch sofort aufnahmebereit.

Ich neige dazu, ein Bandgerät solange zu benutzen, bis es nicht mehr richtig funktioniert, und dann wegzustellen. Natürlich mit dem festen Vorsatz, es gaaaanz bestimmt zu richten. Sofort, wenn ich Zeit dafür habe. Und die Geräte, für die ich es mir früher schon vorgenommen hatte, abgearbeitet habe.
Es ging also erstmal darum, insgesamt drei Geräte auszusuchen und aufnahmefertig zu machen, bei denen eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand, daß sie auch funktionieren würden.

Zuerst entschied ich, die TG-600SH, die seit ihrer Einwanderung bei mir seit Monaten mehr oder weniger unberührt, aber immerhin betriebsbereit an einer Telefunken Slimline-Anlage angeschlossen, Mitte im Weg auf einem Nordmende-Fernsehfuß (noch im Karton) herumsteht, anzuwerfen.
Eine 22cm-Spule könnte für die Stunde „50 Jahre Lach- und Schießgesellschaft“ reichen.

Merke: Wer sich ein Bandgerät kauft, der sollte – selbst wenn er es nicht sofort benutzen will - sich die Mühe machen und die Zeit nutzen, den Dreck, den die Vorbesitzer auf den Köpfen hinterlassen haben, zumindest einzuweichen.
So haben es weder der Revox-Reiniger, noch Allsop3, noch Reinigungsbenzin (böse!) geschafft, den Aufnahmekopf von dem Panzer aus hart-gewordenem Abrieb zu befreien. Ob ich da vielleicht eine Spule altes Studioband als Poliermittel versuchen sollte?
Trotzdem bekam ich den Kopf zumindest soweit frei, das er seinen Dienst wieder auf beiden Kanälen versah. Schnell noch ein paar Probeaufnahmen auf dem aufgelegten Band gemacht. Die Höhen- und Tiefenregler haben ja tatsächlich Einfluß auf die Aufnahme! Gibt es da auch einen Standard "neutral" zum Vorjustieren? Und sie war startbereit.

Während die Nachrichten schon liefen, mußte der Flightcase-Deckel der PR99 noch schnell von einem Plattenspieler, einigen Grundig-Jahrbüchern und anderem Krimskrams befreit werden. Dann heruntergenommen werden.
Ups. Da lag noch eine Spule drauf. Natürlich am Ende der Sendung, nicht am Ende des Bandes gestoppt. Also zurückspulen, während schon der Werdegang von George Harrison erzählt wird. Zusammen mit Paul zur Schule gegangen. Sie spult. Eine E-Gitarre von den Eltern bekommen. Sie spult. Paul trifft den drei Jahre älteren John. Sie spult. Die beiden spielen in verschiedenen Bands. Sie spult. Der erst fünfzehn-jährige George darf in der Band mitspielen. Sie spult. Weil er so gut Gitarre spielen konnte. Sie spult. Die Beatles-Urbesetzung ist schon zusammen! Band-runter-irgentwo-hinlegen-Band-rauf-Verriegeln-kann-jemand-anders-schließlich-liegt-die-Maschine-ja. George war der erste Beatle, der ein Solo-Album herausbrachte. Schnell noch die Staub-braunen Köpfe reinigen. Die Trackliste wird aufgezählt. Band einfädeln. Revox Metall-Spulen sind gut zum einfädeln! Gang rein. Aufnahme. Lämpchen leuchten. Spule dreht. Hinterband umschalten. Aussteuerung stimmt. ASC-Vorverstärker auf Hinterband umstellen. Klingt Sch.... (bevor der Admin zensiert, tue ich es selber)

Merke: Neu erworbene alte Bänder wollen nicht nur gestapelt, sondern auch kontrolliert werden, bevor sie für Aufnahmen eingesetzt werden. Es reicht auch nicht. Bänder zu kontrollieren und dann wieder auf den gleichen Haufen zu packen, auf dem die Unkontrollierten liegen.
Insbesondere reicht es nicht, Stunden mit dem Abhören alten Bandmaterials zu verbringen, nach gut und schlecht zu sortieren, und dann zu vergessen, welcher welcher Haufen war, oder noch besser, beim „Aufräumen“ beide Haufen wieder aufeinander zu stapeln!

Wat löpt, dat löpt. Vielleicht wird's ja nach ein paar Metern besser.

Eine Braun TG-1000 unter den Arm genommen. Recht frisch gefixt. Sollte doch laufen? Den CN750 unter den anderen Arm (übertrieben!), eine Etage höher getapert und an die tagsüber-Anlage angeschlossen. Ein Cinch-Kabel baumelt dafür herum. Daher auch der Telefunken. Ich schrieb es schon in einem anderen Thread: Ein hervorragender Adapter von Cinch auf DIN.
Kabel eingestöpselt, alles angeschaltet. Löpt. Ein Band aufgelegt, eingefädelt, die Braun auf Vorband eingestellt, den Meßton beim Telefunken aktiviert und die Braun darauf eingepegelt, den Telefunken auf Hinterband gestellt und sein Meßinstrument abgeglichen, die Braun gestartet, auf Hinterband umgestellt und am Bandgerät anhand der Pegel des CN750 eingestellt. Paßt. Schnell noch den CN750 vorband auf das Radiosignal eingestellt. Fertig. Warten.

Nach den Neun-Uhr-Nachrichten sollten beide Sendungen losgehen. Also wieder runter in den Keller. Die Ansage von Soundcheck interessiert schließlich niemanden.
Ups. Die Revox steht. Wie lange schon?

Merke: Eine PR99 bleibt gerne mal stehen. Vor allem, wenn man nicht in der Nähe ist. Dann zumindest nur einmal Smile
Ist man in der Nähe, dann bleibt sie gerne häufiger stehen. Wartet aber immer solange, bis man sich wieder (ein paar Meter weg) hingesetzt hat.

Merke außerdem: Das Abkleben der Fotozelle hilft gegen unmotivertes Stehenbleiben. Es verhindert aber auch sehr effektiv das motiverte Stehenbleiben am Bandende. Vor allem, wenn man nicht in der Nähe ist Smile

Die Revox wieder gestartet. Läuft. Die Saba gestartet. Läuft. Schnell wieder hoch. Die Braun gestartet. Läuft.

Mittwochs stellt der NDR drei Stunden lang Neues aus Deutschen Landen vor. Da muß man nicht alles aufnehmen. Deshalb brauche ich hier ein Gerät mit Pause-Taste. Spart Band. Bindet aber auch das Bedien-Personal am Gerät.
Die Zehn-Uhr-Nachrichten drohen. Die anderen Sendungen sollten bald zuende sein. Also schnell wieder runter. Ein lautes klatsch-klatsch-klatsch... empfängt mich. Das Band ist zuende, obwohl Dieter Hildebrandt noch redet. Die Saba hat nicht abgeschaltet.

Merke: siehe oben.
Sabas können das scheinbar auch ohne abgeklebte Lichtschranke. Vor allem, wenn man grade nicht in der Nähe ist.

Merke außerdem: Lasse Dich nicht von Spulengrößen täuschen. Auch auf großen Spulen kann zu wenig Band drauf sein.

Parallel-Rückspulen (demnächst olympische Disziplin?). Ein Halbes Dutzend Geräte abschalten. Treppe hoch. Braun abschalten? Ist aus! Schaut mich an. Läuft wieder los. Tut so, als wäre nichts gewesen.
Ein altes BASF-Band ohne Rückseiten-Beschichtung klebt eigentlich nicht. Sollte zumindest nicht. Staubt höchstens. Warum stand die Braun also? Hilfe!

Braun anhalten. Zurückspulen. Nachrichten wegschneiden. Verkehrs-Service abwarten. Starten.
Während der zweiten Stunde „Soundcheck“ darf ich dreimal hinlaufen. Einmal umsonst, weil sie von selber wieder weiterläuft. Zweimal braucht sie Fingerdruck-Bestätigung. In der dritten Stunde nocheinmal.
Nun war das Motorengeräusch zugegebenerweise schon beim Einschalten ungewöhnlich laut. Also wieder eine Maschine für die Guten Vorsätze. Zum Glück bastelt ja schon jemand an meiner TG-1020.

Gegen Mitternacht sind vier Spulen irgendwie voll geworden. Leider haben die beiden „bedeutenderen“ Aufnahmen nicht den Standard bekommen, den sie für das Archivieren hätten kriegen sollen.
Vielleicht werden die Sendungen ja wiederholt. Die „Lach- und Schieß“ wird ja mal Fünfundsiebzig. Und der George ist in neun Jahren zehn Jahre tot.

Ich könnte jetzt sagen: „Mit Kassetten ist mir das früher nie passiert“ Quatsch. Bei schlechter Pflege passiert das selbst mit MP3. Also Pfusch! Ich geb's zu.
Pfusch dieser Art habe ich früher nicht kultiviert. Da stapelte ich aber auch nicht x-Bandgeräte und zudem noch x-Cassettendecks und x-sonstigen-Quatsch.
Wer seine Aufmerksamkeit teilt, der reduziert die Qualität des Ergebnisses.
Da stellt sich mir doch die Frage: Will ich jetzt eigentlich Bandgeräte (und zusätzlich vielleicht noch Bänder) stapeln oder Musik hören?

Aber mit solchen Fragen ist das ja, wie mit den Guten Vorsätzen. Später mal.

Und ich bin sicher, die Datenbank bricht kurz vor Neujahr auch wieder zusammen, Dann, wenn alle noch einigermaßen qualifizierten Hotline-Mitarbeiter im Urlaub beim Sonnenbanden an der Nordsee sind. Habt Ihr gewußt, daß man von Hamburg in Nürnberg anrufen muß, um mit dem Hamburger Support-mitarbeiter verbunden zu werden? Der Supporterin war es "unangenehm", als ich sie mal direkt angerufen hatte. (Sponsored by...) Und das Finanzamt schreibt mich auch noch mal an. Schließlich steht Weihnachten vor der Tür.

Übrigens ist das KEINE Weihnachts-Depression.
Schließlich greife ich auch morgen wieder zur Spule. Zu einer von dem großen Haufen. :ugly2:

Tschüß, Matthias
Stapelbüttel von einem ganzen Haufen Quatsch
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#2
Guten Morgen Matthias,

beim Lesen Deines Beitrags musste ich zustimmend schmunzeln, habe ich mir die geschilderten Aktionen gedanklich vorgestellt und nachgespielt. Insbesondere das von Dir beschriebene klatsch-klatsch-klatsch kenne ich von meinen Reports, gerade jüngst, als eine DLF-Sendung vorüber, das Band zu Ende und ich in der Waschküche war...
Gruß
Dreizack
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#3
Hallo Matthias,

Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie ich mit Dir fühle...

Deine Erkenntnis "Wer seine Aufmerksamkeit teilt, der reduziert die Qualität
des Ergebnisses", gibt auch mir immer wieder zu denken. Aber was will
man machen, wenn man auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen
will. Ich verfahre in solchen Fällen meist so, dass ich Freunde bitte, die
Sendung X oder Y für mich aufzuzeichnen. Das Resultat mag dann nicht
100%ig meinen Vorstellungen entsprechen aber das ist immer noch
besser als irgendein "Simultan-Murks".
Das mit den einsatzbereiten Maschinen solltest Du aber unbedingt in den
Griff kriegen. Hier vielleicht noch ein Tip des "Semi-organisierten Mehrgeräte-
Besitzers". Ich schreibe mir in letzter Zeit auf, WANN ich mit meinen
weniger benutzten TBs aufgenommen/wiedergegeben habe (einschl.
Reinigung und anderer Service-Arbeiten). So `ne Art Wartungs-Plan - das
schützt zwar auch nicht vor bösen Überraschungen aber es grenzt die
Wahrscheinlichkeit einer "Gebrauchsverweigerung" etwas ein und hilft bei
der Erinnerung an die regelmässige (u. notwendige) "Bewegungsfahrt" der
Geräte.

Es grüsst....
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana. (...soll Groucho Marx gesagt haben, aber so ganz sicher ist das nicht...)
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#4
Und ich dachte alle Forenmitglieder außer mir hätten ausschließlich Geräte in Betrieb die tiptop in Ordnung, eingemessen und gereinigt sind. Wink

niels
Wer bei Stereoaufnahmen kein Gegenspur-Übersprechen haben möchte, sollte Halbspur-Maschinen verwenden.
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#5
Ha, kommt mir auch sehr bekannt vor...
Wobei: Ich verpasse öfters die Radiosendungen, als dass mir Geräte ausfallen Rolleyes
BTW: Wann lief Concert for George?! Confusedhock:
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#6
Mir paßiert sowas auch oft, allerding nicht wegen defekten Geräten oder Vergeßlichkeit, sondern wegen Bedienfehlern.

Als ich noch keinen DAT hatte, habe ich längere Radiosendungen zuerst immer mit meinem Hi8-Videorekorder aufgenommen, auf der PCM Spur. Allerdings sollte man die 90er Kassetten dann mit LP laufen lassen, wenn man drei Stunden aufnehmen will.

In der Dunkelheit hab' ich dann auch schon öfters 60er DAT-Kassetten statt 180er eingelegt. Leider merkt man das dann immer erst, wenn das Band durchgelaufen ist.
Grüße,
Wayne

Weil immer wieder nachgefragt wird: Link zur Bändertauglichkeitsliste (Erfassung von Haltbarkeit und Altersstabilität von Tonbändern). Einträge dazu bitte im zugehörigen Thread posten.
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#7
Dazu fällt mir eine Begebenheit ein, die meinem Spezl, der mich mit dem
Revox - Virus infiziert hat, passiert ist. Der ließ damals häufig über Nacht
seine A77 laufen, um die nächtlichen Laufbandsendungen mitzuschneiden.
Entweder hat er es übersehen, oder das Lämpchen vor der Fotozelle stellte
just in dieser Nacht den Betrieb ein: jedenfalls liefen die Wickelmotoren
die ganze Nacht weiter, und wer die A77 kennt, der weiß, was die für eine
Drehzahl erreichen können. Morgens war das Vorspannband weg und lag
in Form hunderter kleiner Schnipsel rund um die A77 und am Boden verteilt.
Gruß
Heinz
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#8
Hallo Matthias

Das ist herrlich zu lesen! So oder ähnlich hat das sicher schon jeder einmal erlebt. Beim Lesen deines Textes habe ich mir noch Loriot dazu vorgestellt. Das hätte irgendwie gepasst ;-) Aber ich bin sicher , dass wird dir nie,nie wieder passieren - gaaaaaaannnnnzzzzz sicher nicht!

Wenn ich jetzt im Büro wäre würde ich was von "Flow Charts", "Prozessoptimierung" oder "C&E Analyse" faseln.

Da ich jetzt aber spät abends vor dem PC fast schon in der Horizontalen liege, habe ich deine nette Story einfach nur wirken lassen und freue mich für dich, dass du trotz allen Schwierigkeiten, deine Geschichte mit einem zwinkernden Auge mit uns teilst. Wie war das noch ? "Geteilter Spaß ist doppelte Freude"

VG
Michael
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