Dauerbelastbarkeit einer Zweierbeziehung nach DIN45500
#1
Über die Dauerbelastbarkeit einer Zweierbeziehung nach DIN45500


Heute sitze ich zwischen Bergen von technischem Gerät, vornehmlich
der Unterhaltungselektronik angehörend und denke, mittlerweile völlig
vereinsamt, darüber nach, wie eigentlich alles anfing…
…damals…
…als die Welt noch zu zweit genossen wurde…
…eine Familie gegründet wurde…
…Musik über eine langweilige 0815-Stereoanlage gehört wurde…

Es muss an einem dieser langen verregneten Herbstabende passiert sein,
als ich beim Aufräumen einen HiFi-Katalog aus den 70er Jahren in die
Finger bekam. Erinnerungen wurden wach an die frühpubertären Wünsche,
damals geweckt durch Tonbandgeräte vom Typ einer A77 oder einer
Sony TCweisnichtwas, Verstärkern von Marantz und Scott, Cassettendecks
von AKAI, Eumig und …
„Ach, sind die schön“ dachte ich mir und an eben diesem Herbstabend werfe
ich einen Blick in WW-Web, durchstöbere Marktplätze, Foren und Auktionen.
Da sind sie alle vertreten – die Idole der Jugend. An Jahren gereift, nicht ganz
ohne Mucken und Macken aber zum Greifen nahe.
Und schon brüllt tief in mir eine Stimme: „kauf doch mal so’n Ding!“.

Ein paar Tage später dann steht ein riesiges Tonbandgerät mit 25 kg „Trocken-
Gewicht“ vor mir. Nun müssen Bänder her. Nach Kauf eines Vorrates, der für
die nächsten 10 Jahre reicht (man weis ja nie…) stelle ich fest, dass ein Regal hermuss.
Die Tonbandspulen und das Gerät selbst sind so schwer und gross, dass sie in
dem Schrank, in dem die 0815-Stereoanlage steht unmöglich Platz findet.

Eine erste Diskussion mit meiner Frau beginnt („Muss das denn sein?“ JA es MUSS!).
OK – Regal gekauft und fertig. Bald darauf wurde mein Gemüt vom Zweifel geplagt,
ob denn die Bandmaschine überhaupt stilgerecht über die 0815-Anlage spielen darf.
Die Antwort lautete eindeutig: NEIN. Und wenn schon, dann eine vernünftige
Vor- und Endstufenkombi mit Doppel-Mono-Aufbau.

Nach erschöpfender Suche wurde ich auf dem Gebrauchtmarkt fündig. Der Haken:
Der Verkäufer hatte auch noch ein Tonbandgerät in der Ecke stehen. („Hätten Sie da
evtl. auch noch Interesse dran?“) Schnell ist ein „Gesamtpaket“ geschnürt und preislich
verhandelt.
Zuhause dann die Ernüchterung: Volumen und vor allem das Gewicht der Neuzugänge
lassen das Regal ganz schön „durchhängen“. Es muss ein stabileres Regal her. Sowas
muss man sich bauen – das gibt es nicht von der Stange, dachte ich mir. Meine Frau
dachte anders:“Unsere Stereoanlage braucht doch auch keine Stahlgerüste? Warum das
alles…?“ „Die alte Anlage taugt doch nix – glaube mir mein Schatz, nur wo richtig
Material drin ist, kommt auch guter Sound raus.“ Gesagt – getan.

Dann stellte sich die Boxenfrage. Natürlich waren die Kompaktboxen der 0815-Anlage
völlig untauglich, denn nur wo richtig Material drin ist… .
Die daraufhin angeschafften Standboxen brauchten noch ein paar
Spikes, die von meiner Frau sehr argwönisch betrachtet wurden: „Was sagt unser
Laminatboden dazu?“.
Die Suche nach dem passenden Lautsprecher-Monster-Kabel lenkten
meinen Blick auf einen HiFi-Marktplatz auf dem diverse „Vintage“-HiFi-
Geräte feil geboten wurden. Wieder war es ein Tonbandgerät („Platz haben wir
ja noch im Regal …“) dass mir aus meiner Jugend bekannt war. Dieses Teil
erforderte allerdings ein anderes Spulenmass – also Vorrat (für die nächsten 10
Jahre) anlegen!

„Hör doch Musik über Kopfhörer – dann brauchen wir keine Riesenlautsprecher“
sagte meine Frau. Auf meine mittlerweile ebenfalls erworbenen Elektrostaten verzichten ?
Niemals !!! Was sollte ich auch dann an meinen ebenfalls mittlerweile gekauften
Röhrenverstärker dranhängen. Andererseits – gute Idee, gab es doch diese HighEnd-
Kopfhörer mit separatem Kopfhörerverstärker.
So ein Teil wurde dann für den Musikgenuss während der Nachtstunden angeschafft
(…mit zunehmendem Alter braucht man ohnehin nicht mehr so viel Schlaf…).

Leider offenbarte dieser unbestechliche Kopfhörer eine von mir bis dahin kaum
bemerkte Schwäche in meinem Geräteportfolio: mein Vinyl-Plattenspieler war
nicht gut – besser gesagt nicht audiophil genug. „Transrotor“ hiess die Zauberformel.
Einen guten Plattenspieler kann man natürlich nicht in ein Regal stellen – da schwingt
alles viel zu stark. Nicht auszudenken, wenn eine sündhaft teure Nadel über meine
Vinyl-Schätzchen hüpft. Also wurde eine Wandkonsole mit riesegen Schrauben
im Wohnzimmer angebracht um den Transrotor unterzubringen. Das gefiel
meiner Familie zwar nicht, war aber nicht weiter schlimm, da sich mittlerweile ausser mir ohnehin niemand
mehr im Zimmer aufhalten konnte. Unserer kleinen Tochter hatte ich schon nach dem Erwerb
der Plasma-Hochtöner den Zutritt untersagt – da war mir das Risiko einfach zu gross.

Dann die erste Krise: Beim Versuch meine neue Class-A-Endstufe anzuwerfen fliegt
wegen des hohen Einschaltstromes die Sicherung. Dummerweise genau in dem Moment,
in dem meine Frau einen Spielfilm mit R.Redford aufnehmen will. Die Aufnahme ist
dahin, der Film kann auch nicht in einer Videothek ausgeliehen werden – kurzum: es
ist Ärger im Anmarsch.

Wochen später: Zwischenzeitlich hatte meine Tochter wohl einen kleinen Hund
geschenkt bekommen (…wann und von wem musste mir entgangen sein…mein
Boxenselbstbau-Projekt hatte wohl doch zu viel Zeit gefordert…). Dieser kleine
Köter hatte sich dann unglücklicherweise seine Schnauze an einem pottheissen
Kühlkörper verbrannt. „Warum steht dieses schwarze Monster auch auf dem
Boden?“ herrschte mich meine Frau an. Nun ja – das Monster von dem sie
sprach war die Class-A-Endstufe und 65 Kg Gewicht packt das Regal nun mal
nicht. Denn nur wo richtig Material drin ist … .

Natürlich liess die nächste Katastrophe nicht auf sich warten:
Der Besuch der Schwiegereltern war ein einziges Desaster. Nur die
wichtigsten Details dieses Horrortages im Zeitraffer erzählt:

* Begrüssungszeremonie verpasst, weil der Einmess-Vorgang meines
Tonbandgerätes No. 8 so knifflig ist – da kann man nicht mal eben zum
Händeschütteln unterbrechen.

* Anstossen mit Sekt ist nicht. Ich muss noch mal zum HiFi-Laden
fahren, einen Adapter kaufen.
Hatte wohl etwas länger gedauert im HiFi-Laden (…die neue
Cabasse-Box die mir der Händler kurz vorführte, war aber auch
erste Sahne…). Die Gäste und die Familie hatten zwischenzeitlich
schon mal angefangen zu essen.

* Mein Schwiegervater erdreistet sich, sein Weinglas auf
der Abdeckhaube meines Revox-Tangentialläufers abzustellen.
Irgendwann ist auch meine Toleranzschwelle überschritten…
Der daraufhin entbrennende Streit kann nur mit Mühe geschlichtet
werden.

* Die Hotelzimmerbuchung für meine Schwiegereltern muss ich wohl
vergessen haben, rauszufaxen. Zufällig finde ich sie zwischen zwei
Bedienungsanleitungen. Da wir auf dem Dorf wohnen, ist es schwer,
noch spontan ein Hotelzimmer zu bekommen. Ist aber dann doch
noch was geworden – und so schlimm sind 34 km Taxifahrt doch
nun wirklich nicht.

Danach folgten weitere Krisen, die ich nicht näher aufführen möchte.
Streng proportional zur wachsenden Anzahl meiner Sammelobjekte vergrösserte
sich die Distanz zu meiner Familie. Schon allein räumlich – verbrachte ich doch
mittlerweile den grössten Teil meiner Freizeit in einem SkiLine-ähnlichen
Tower-Gewimmel von 19-Zoll-Racks, Bandmaschinen-Rollwagen und
mannshohen Lautsprechern.

Letzten Monat dann der GAU:
„Ich habe genug …“ schrie mir meine Frau zu. Ihre Koffer hatte sie wohl
verdeckt durch etliche HiFi-Racks sozusagen im Verborgenen bereits gepackt.
Im Hinausgehen winkte mir unsere Tochter über die Oberkante einer Transmissionline-
Box zu. Wie gross das Mädel doch mittlerweile war – mir schien es als ob es gestern
war, als sie noch nicht über die Teile drüber gucken konnte.
Mein hinterher gerufenes „Ich hab’ Euch lieb“ ging allerdings in einem gerade einsetzenden
Schlagzeug-Solo von Ginger Baker unter.

Nun bin ich allein. Auch einen Nachbarn zum Klönen habe ich nicht mehr – er hielt
die Beschallung wohl nicht mehr aus.
Während ich so da sitze und darüber nachsinne, wie alles so hat kommen können,
bleibt mein Blick auf dem Titelblatt einer HiFi-Zeitung hängen.
„Irgendwie heiss, diese Boxen…“ denke ich mir. Jetzt, wo das Kinderzimmer
quasi frei ist, könnte man doch…




Anm. des Autors: Ähnlichkeiten zu lebenden oder bereits verschollenen
HiFi-Liebhabern sind rein zufällig.Smile
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana. (...soll Groucho Marx gesagt haben, aber so ganz sicher ist das nicht...)
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
[Kein Betreff] - von PeZett - 26.07.2006, 19:20
[Kein Betreff] - von Ralf B - 11.11.2012, 23:50
[Kein Betreff] - von Alex85 - 05.02.2019, 14:30
[Kein Betreff] - von goldstrom - 12.04.2019, 22:02
[Kein Betreff] - von helmut - 07.01.2020, 21:53
[Kein Betreff] - von LoveASC - 08.01.2020, 14:50
[Kein Betreff] - von GDR 22 - 09.01.2020, 09:49
[Kein Betreff] - von Alfred F - 09.01.2020, 10:01
[Kein Betreff] - von GDR 22 - 09.01.2020, 10:08
[Kein Betreff] - von arricchito - 09.01.2020, 10:15
[Kein Betreff] - von Gyrator - 09.01.2020, 11:08
[Kein Betreff] - von helmut - 09.01.2020, 19:58
[Kein Betreff] - von maddin2 - 10.01.2020, 00:13
[Kein Betreff] - von helmut - 10.01.2020, 13:21
[Kein Betreff] - von djhoerbie - 12.01.2020, 18:30
[Kein Betreff] - von arricchito - 12.01.2020, 19:56
[Kein Betreff] - von djhoerbie - 12.01.2020, 22:13

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste