Staatliche Förderung von Kunst & Kultur: Pro und Contra
#1
Im thread "Hörspiel als Hobby" wurde dieses überaus interessante Thema angesprochen. Bevor es dort ausufert, leite ich hier um Wink

Neben der Frage, ob überhaupt gefördert werden soll und was, ist es sicher lohnend zu beleuchten, was für ein Verhältnis man hierzulande zu Kunst und Kultur hat und wie es diesbezüglich in anderen Ländern aussieht.
Michael(F)
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#2
Stellt euch vor, es gibt Kunst und keiner geht hin...

In Frankreich gibt es - dies ist mein Eindruck ohne je dagewesen zu sein - fast ausschließlich Kunst & Kultur. Die Menschen müssen fleischgewordene Kunstformen sein Wink Das ganze erscheint mir mittlerweile lächerlich und auch gefährlich für die Wirtschaft des Landes - nur von Kunst kann ein Land nicht leben, oder?

Ich habe meine Aussage zu Frankreich bewußt überzogen dargestellt. Schon damals im Franz-Unterricht wurde klar, dass die Franzosen Genießer und Künstler sein müssen. Heute schaut man 'arte', was nicht umsonst so heißt, und entdeckt gleiches wieder... Englischkurse im Fernsehen hatten immer etwas mit dem 'typischen' England zu tun, das franz. Pendant hingegen hieß 'Les Gammas' oder so ähnlich Smile

Aber was soll ein Staat fördern? Einfach alles ein bißchen oder nur erfolgsversprechendes, nur bewährtes bzw. nur populäres?
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#3
Zitat:highlander postete
Aber was soll ein Staat fördern? Einfach alles ein bißchen oder nur erfolgsversprechendes, nur bewährtes bzw. nur populäres?
Ich würde sagen alles ein bisschen, es sei denn es ist populär.
Wie definierst du erfolgversprechende Kunst?
Letztendlich muss dazu Kunst überhaupt definiert werden.
Was ist also Kunst?
Etwas was einen im weitesten Sinne "glücklich macht", oder etwas womit man nix anfangen kann? Etwas wofür ein kleiner elitärer Haufen extrem viel Geld ausgibt um beim sehen und gesehen werden gut dabei zu sein?
Oder etwas das einen Sinn oder eine Aussage haben soll, die auch allgemeinverständlich ist?
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#4
Die Einschätzung von Andreas bez. Frankreich kann ich nicht teilen. In bestimmten Gegenden Frankreichs ist der Wein wichtiger als das Auto. Überhaupt scheint man das wichtige vom unwichtigen besser unterscheiden zu können als hierzulande, und es ist beeindruckend, wie gut z. B. ein einfachstes Essen im Elsass schmeckt im Vergleich zu hier. Eine relaxtere Lebensart in der Nähe der Basis? Das schon! Aber besonders kunstsinnig? Das ist mir nicht aufgefallen, der Louvre in Paris reisst's da auch nicht.

Ich selber wünsche mir, das Kunst, die sich nicht aus sich selbst heraus finanzieren kann, gefördert wird. Über die Auswahl und die Verteilung der Mittel habe ich meine eigenen Vorstellungen, die nicht mit anderen, ebenso berechtigten, konform gehen.

Ich finde es betrüblich, wenn z. B. der SWR Klangkörper und Vokalensembles einspart. Ich finde es aber auch betrüblich, wenn vor einem S-Bahnhof einerseits große Summen für "Kunst am Bau", in diesem Falle schwerverdauliche Skulpturen ausgegeben wird, andererseits am Lärmschutz für die Anwohner gespart werden muss. Wer mehr auf gestaltende Kunst denn auf tönende Kunst steht sieht das natürlich anders. Der bekämpft den Lärm durch Eliminierung der Klangkörper Wink

Matze hat die richtigen Fragen gestellt: Was ist Kunst? Wie muss sie beschaffen sein, um als solche zu gelten, zumindest als Kunst in der Form, daß sie aus öffentlicher Hand gefördert wird?

Populärers Fördern ist unnötig - das wird gegen Geld konsummiert und trägt sich von selber. Unpopuläres zu fördern ist unpopulär und führt zu Ablehnung wegen Geldverschwendung. Damit ist der Kunst nicht geholfen, sie wird dadurch nicht populärer. Das ganze ist nicht nur ein Problem der Bestimmung und der Auswahl, sondern auch der Begründung an die Steuerzahler.

Vor vielen Jahren wurde für die Staatsgalerie Stuttgart ein Picasso beschafft, der seinerzeit ca. 6. Mio DM kostete. Die Frage ist, ob es nicht ein paar Kopien auch getan hätten, und dazu ein gewisser Aufwand, um den Leuten durch Vorträge etc. Picasso näher zu bringen. Damit würde man unter Umständen mehr erreichen als mit einem einzigen, einzigartigen Bild zu exorbitantem Preis.

Kunst zu fördern heisst m. M. nach nicht nur, sie dem Künstler zu bezahlen, damit dieser sein Auskommen hat, sondern auch sie dem Volk nahe zu bringen, damit dieses die Kunst, wenn schon nicht schätzt, so zumindest respektiert. Dann wird es auch von selber den Geldbeutel aufmachen und sich Kunst gönnen, so wie sich unsereins eine Bandmaschine gönnt.
Michael(F)
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#5
Zitat:Michael Franz postete

Vor vielen Jahren wurde für die Staatsgalerie Stuttgart ein Picasso beschafft, der seinerzeit ca. 6. Mio DM kostete. Die Frage ist, ob es nicht ein paar Kopien auch getan hätten, und dazu ein gewisser Aufwand, um den Leuten durch Vorträge etc. Picasso näher zu bringen. Damit würde man unter Umständen mehr erreichen als mit einem einzigen, einzigartigen Bild zu exorbitantem Preis.
Das ist ein sehr interssanter Punkt. Jeder kennt den Namen Picasso, aber warum dessen Werke nun so teuer sind und was überhaupt das Besondere daran war, weis längst nicht jeder. Ich weis es auch nicht und habe noch nix vermisst. Und wenn ich es wissen wollte, wüsste ich -ausser Wikipedia- nichts und niemanden der mir das sagen könnte.
Ob hier ein Problem liegt?

Der Andere Punkt ist, wo wäre der Picasso wenn ihn die Staatsgalierie Stuttgart nicht gekauft hätte?
Wie ist das denn bei uns?
Ich habe eine Uher 22 Spezial in OVP im Keller stehen und als Wolfgang aka revoxidiert mich besucht hat, habe ich sie ausgepackt um dieses seltene Stück vorzuzeigen.

Das heist, wenn der Picasso nicht in S hängen würde, würde er bei einem Privatsammler im Keller hängen. Wobei, wer 6 Mio für ein Bild ausgibt, wird dafür sicherlich ein separates Zimmer anbauen um es stilechter aufstellen zu können.

Man könnte also mit diesem Beispiel argumentieren, das Schwabens Landeskassen geschohnt worden wären und auserdem noch das Baugewerbe angekurbelt worden wäre, wenn man den Picasso nicht beschaft hätte. Wer hat also wirklich etwas davon das jetzt ein Picasso in Stuttgart hängt? Hat wenigstens der Tourismus zugenommen?
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#6
Über die Preise zu diskutieren ist müßig. Jemand ist im Besitz, jemand möchte in den Besitz kommer. Zweiter bietet, Erster nimmt an - der Preis der dabei herauskommt ist zu akzeptieren. So ist das überall.

Manchmal kann ein Sammler durch den Verkauf eines Exponats - das ja in gute Hände kommt - seine Sammlung erweitern. Dann hat der Käufer diesen Sammler (und die Kunst) gefördert, zumindest wenn der Sammler die Bilder nicht verschliesst, sondern der Öffentlichkeit zur Einsicht zur Verfügung stellt.

Im Falle Stuttgart gibt es eine Staatsgalerie. Gemälde "aus den privaten Kellern zu kaufen" um sie dem Publikum zu zeigen, ist eigentlich ein hehres Ziel. Nur ist zu überlegen, ob man mit diesen 6 Mio. nicht sinnvoller etwas für die Kunst hätte tun können. Ob der Tourismus wg. Picasso zugenommen hat, weiss ich nicht. Die Staatsgalerie ist jedoch eine recht renommierte Galerie.

Es geht aber auch anders: In Tübingen gibt es die sog. Kunsthalle, ein schmuckloser Zweckbau. Der Betreiber bittet um Leihgaben, die er für temporäre Ausstellungen zusammentrommelt. Was er da für ein paar Wochen, die Dauer der Ausstellung, zusammenträgt geniesst hohes Ansehen. Hier werden, da liegt der Reiz des Ganzen, Werke vereinigt, die man sonst nie wieder auf einem Haufen sehen wird. Wenn dann, um zum Picasso zurückzukommen, ein Werk von öffentlicher Hand gekauft wird, sind die Aussichten gut, daß es auf Wanderschaft geht und von vielen gesehen werden kann.
Michael(F)
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#7
Zitat:Michael Franz postete
Im Falle Stuttgart gibt es eine Staatsgalerie. Gemälde "aus den privaten Kellern zu kaufen" um sie dem Publikum zu zeigen, ist eigentlich ein hehres Ziel. Nur ist zu überlegen, ob man mit diesen 6 Mio. nicht sinnvoller etwas für die Kunst hätte tun können.
Das ist es ja worauf ich hinaus wollte.
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#8
Zitat:Matze postete
Jeder kennt den Namen Picasso, aber warum dessen Werke nun so teuer sind und was überhaupt das Besondere daran war, weis längst nicht jeder.
Nun ja, die Preise für Kunst haben mit der Qualität der Werke erst mal nichts zu tun, das sind reine Markt- und Spekulationspreise.
Insofern sind 6 Mio. für einen Picasso in dem Sinne nicht unbedingt eine Verschwendung, weil man ihn in 10 Jahren vielleicht für 7 Mio. oder mehr weiterverkaufen kann. Jedenfalls ist es eher unwahrscheinlich, dass der Preis für etablierte Künstler der Moderne ins Bodenlose fallen wird.
Wenn man sich die amerikanischen Künstler des abstrakten Expressionismus anschaut, ich meine jetzt so Leute wie Rauschenberg, Pollock, Johns, usw. - die lebten in ihren jungen Jahren am absoluten Existenzminimum. Kein Schwein interessierte sich für die Bilder. Dann entsprachen sie auf einmal dem Zeitgeist, warum auch immer, die Preise stiegen und stiegen und einige Künstler wurden zu Millionären. Das heißt aber nicht, dass die Werke und auch die weitere produktive Arbeit dieser Künstler dadurch besser oder schlechter geworden wären.
Das hat Markus Lüpertz mal sinngemäß in etwa so kommentiert: "Wenn Kunst so etwas primitives wäre, dass sie von einem vollen oder leeren Magen abhängt, wäre sie es nicht wert, sich damit zu beschäftigen."

Gruß,
Markus
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#9
Zitat:Markus Berzborn postete
Das hat Markus Lüpertz mal sinngemäß in etwa so kommentiert: "Wenn Kunst so etwas primitives wäre, dass sie von einem vollen oder leeren Magen abhängt, wäre sie es nicht wert, sich damit zu beschäftigen."
Hmm, aber vom Zeitgeist abzuhängen ist auch nicht besonders anspruchsvoll.

Im Grundsatz gebe ich Markus Recht, ersetze dabei lediglich den "Zeitgeist" durch das Wort "Mode".

Ich erinnere mich an einen Künstler (H.A. Schult ??) der irgendwelche Aktionen / Performances veranstaltete und der in einem Interview gefragt wurde, daß doch diese oder jene seiner Aktionen auch von anderen gemacht werden könne, sooo originell sei die Idee doch auch wieder nicht, worauf er im Brustton der Überzeugung antwortete: Ja, aber dann sei es keine Kunst. Dazu würde es erst durch ihn.
Michael(F)
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#10
Hallo Michael

HA Schult redet viel Blödsinn, wenn der Tag lang ist. Aber auch viel Sinnvolles. Und immer unterhaltsam (meiner Meinung nach). Der Mann ist ein begnadeter Selbstdarsteller mit SEHR viel Selbstbewusstsein, aber ich glaube, das brauchte er auch, um vor 30, 35 Jahren mit seinem Zeug an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe eine gewisse Grundsympathie für Schult, gebe ich zu, obwohl ich manche seiner Aktionen, z.B. die in St. Petersburg vor einigen Jahren, reichlich banal finde.
Ähnlich geht es mir mit Joseph Beuys. Allerdings nicht, was eine Banalität seiner Werke angehen würde, die kann ich nämlich nicht feststellen, ganz im Gegenteil, sondern in Bezug auf manche seiner - vor allem politischen - Aussagen. Trotzdem erkenne ich in ihm einen großen und wichtigen Künstler.

Kommen wir zur Frage, was Kunst ist. Ich vertrete da den zugegebenermaßen radikalen Ansatz von John Cage: "If you celebrate it, it's art, if you don't, it isn't". Will heißen, wenn ich z.B. meine Schuhe bewusst die Treppe hinunter werfe, nicht um damit etwas praktisches zu erreichen, sondern nur um der ästhetischen Dimension der Aktion selbst willen, ist das für mich schon Kunst.

Gruß,
Markus
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#11
Zitat:Michael Franz postete
Hmm, aber vom Zeitgeist abzuhängen ist auch nicht besonders anspruchsvoll.
Es wäre nicht anspruchsvoll, ihm hinterherzulaufen bzw. bewusst für ihn zu produzieren. Das meinte ich aber nicht, sondern vielmehr, dass der Zeitgeist einfach über diese Künstler geschwappt ist, ohne dass sie etwas dafür konnten. Sie haben als arme und als reiche Maler mehr oder weniger das gleiche gemacht. Darauf zielt Lüpertz mit seinem Statement ab, und das unterstütze ich voll und ganz. Wer ein wahrer Künstler ist, der macht was er machen muss aus seinem inneren Drang, seiner Intuition oder wie immer Du das nennen willst heraus, unabhängig davon ob und wie gut er jetzt gerade davon leben kann.

Gruß,
Markus
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#12
Zitat:Markus Berzborn postete
Das hat Markus Lüpertz mal sinngemäß in etwa so kommentiert: "Wenn Kunst so etwas primitives wäre, dass sie von einem vollen oder leeren Magen abhängt, wäre sie es nicht wert, sich damit zu beschäftigen."
D.h. Künstler müssten eigentlich nicht gefördert werden, die sehen selbst zu, wie sie durchkommen. Auch wenn ein Schiller an TB stirbt oder sich ein van Gogh selbst verstümmelt bevor er sich erschiesst.

Also nur 'den übrigen' Kunst nahe bringen - Picasso-Kopien kaufen und Vorträge halten?
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#13
Zitat:highlander postete
D.h. Künstler müssten eigentlich nicht gefördert werden, die sehen selbst zu, wie sie durchkommen.
Nun ja, zumindest ist es nicht üblich und meines Erachtens auch nicht wünschenswert, einfach jemandem, der sagt "Ich bin Künstler" unabhängig von seiner Produktion eine monatliche Grundrente o.ä. zukommen zu lassen, um es jetzt mal platt auszudrücken. Dafür gibt es im Notfall ja schon die allgemeine Sozialhilfe. Aber Michael Franz hat da ein wichtiges Thema angeschnitten: Es gibt permanente Institutionen wie staatliche bzw. öffentlich-rechtliche Orchester, Chöre usw., die laufende Fixkosten verursachen, die aber meiner Meinung nach wichtige Kulturträger sind. Die ganze lebendige Neue Musik-Szene der deutschen Nachkriegszeit und die Entwicklung der Elektronischen Musik mit solchen epochalen Werken wie "Gesang der Jünglinge", die heute als historisch bedeutsame Beispiele in Schulen vorgeführt werden, wäre ohne die Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bzw. Bereitstellung deren technischer Einrichtungen in der Form nicht möglich gewesen. Gut, jetzt ist vielen klar geworden, dass die Staatskassen leer sind. Daher ist wohl, wie schon im vorherigen Thread angeschnitten, auch im Kultursektor verstärkt privates Engagement von Nöten. In Amerika, das in der Hinsicht natürlich eine ganz andere Tradition hat, halten sich einige rein privat finanzierte Orchester ja seit Jahrzehnten auf Spitzenniveau.

Gruß,
Markus
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