Entfernung Umlenkung in der Kompaktkassette
#1
Die Frage wurde meines Wissens im Forum schon beantwortet, aber was ist der richtige Suchbegriff? Ich habe dazu nichts mehr gefunden ...
Meine Frage dreht sich um diese Stifte/ Bolzen (?) im Gehäuse einer Kompaktkassette.

   

Die kann man, so meine ich, problemlos entfernen. Bei einigen Kassetten habe ich das gemacht. Tatsächlich kein Problem. In meinen Decks laufen sie weiterhin problemlos. Es gab wohl auch mal Kassetten, die scheinbar auf diese feststehenden Umlenkungen verzichteten, wie hier in einem Werbeprospekt der BASF Maxima. Oder sie wurden wegretuschiert, weil es professioneller aussieht?

   

In meinen typgleichen Kassetten sind sie allerdings noch zu finden.

   

Welche Funktion haben diese Umlenkungen? Hat es Vor- oder Nachteile, wenn man sie entfernt? Verschleißt die Kassette dann weniger, obwohl das bei der dort vorbei geführten Rückseite des Bandes keine große Rolle spielen dürfte ... Für Informationen wäre ich dankbar.
Olaf, der eher passiv seit Jahren hier mitliest und sich an den fachlichen Beiträgen über Tonbandgeräte erfreut
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#2
Der feststehende Umlenkbolzen bremst den ablaufenden Bandwickel, so mein Verständnis.
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#3
Um diese Umlenkstifte, Bremsbolzen, Bandlauf-Beruhiger... das Kind hat viele Namen, ranken sich einige Legenden, was vor allem daran liegen dürfte, daß deren eigentlicher Sinn und Zweck so gut wie nicht in der bekannten Literatur behandelt wird. Eventuell gibt es noch eine Patentschrift, oder gar einer der damals an der Entwicklung Beteiligten kann noch was dazu beitragen?

Fest steht jedenfalls, daß die ersten Philips-Cassetten noch ohne auskamen:
https://tonbandforum.de/showthread.php?t...0#pid92860

Schon in den darauf folgenden Gehäuse-Generationen, also noch in den 60er Jahren, wurden die Stifte eingeführt. Ich kann mir folgende Erklärungen vorstellen (vorsicht, Legendenbildung:

a) Wenn die Cassette aus dem schnellen Umspulen gestoppt wird und noch etwas nachläuft, kann er verhindern, daß das Band von der sich noch drehenden Rollle als Schlaufe nach innen gezogen wird

b) Die Umlenkrollen waren noch nicht so genau gefertigt, daß sie wirklich rund liefen. Eine zusätzliche, fest stehende Bandführung konnte den Wickel verbessern.

In den 70er Jahren gab es bei BASF folgende interessante Unterscheidung:

- Bei Cassetten ohne SM wurde das Band über den Stift geführt
- Bei Cassetten ohne SM wurde das Band unter dem Stift hindurch geführt

Mit Einführung der neuen, asymmetrischen Gehäusearchitektur ab ca. 1979 verschwanden die Stifte komplett, auch bei SM-freien Cassetten, und es tat der Funktion keinen Abbruch. Auch ICM hatte in vielen Gehäusedesigns keine Umlenkstifte, und wenn sie vorhanden waren, wurde das Band nicht darüber geführt.

Beim nächsten großen Gehäuse-Update der BASF Ende der 80er Jahre, wie z.B. die im Eingangspostig gezeigten Chrome Maxima, tauchten die Stifte wieder auf, vielleicht nicht ganz von Anfang an (ich muß mal in ein sehr frühes Exemplar davon hinein schauen). Als Grund kann ich mir eigentlich nur den oben genannten Punkt a) vorstellen, denn unpräzise laufende Umenkrollen waren zu der Zeit kein Problem mehr.

Es gibt Leute, die lehnen die aktuellen Musicbox-Gehäuse ab, weil das Band bei denen auch meistens nicht über die Stifte geführt ist. Denen kann ich nur sagen: Laßt es einfach so, es funktioniert trotzdem :-)

Viele Grüße,
Martin
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#4
Danke Martin für die, wie immer, kompetente und schnelle Antwort Smile
Deine Erklärungen und Ableitungen erscheinen logisch, eine Bremsfunktion durch den "Bremsbolzen" schien bei preiswerten Geräten sicherlich sinnvoll. Bei teuren Geräten ist diese wiederum nicht nötig, z.B. ist bei den Revox-Decks der Bandlauf ständig unter Kontrolle. Der bandgebende Wickel wird immer durch einen leicht rückwärs laufenden Motor gebremst. Allerdings ist die Trägheit des Gehäuses bei der Kassette (zumindest heute) schon so groß, daß mir ein Bremsbolzen nicht nötig erscheint. Da schleift ja immer etwas. Meine Überlegung diesen Bolzen zu entfernen, fußte (für mich als Laien) darauf, genau diese unkontrollierte Bremswirkung auszuschalten ...

(25.03.2024, 10:57)Kirunavaara schrieb: - Bei Cassetten ohne SM wurde das Band über den Stift geführt
- Bei Cassetten ohne SM wurde das Band unter dem Stift hindurch geführt

Auch ICM hatte in vielen Gehäusedesigns keine Umlenkstifte, und wenn sie vorhanden waren, wurde das Band nicht darüber geführt.

Wenn das Band bei vorhandenen Umlenkstiften nicht darüber geführt wird, dann läuft doch die Magnetschicht an diesen bei vollem Wickel vorbei (siehe meine Fotos). Das kann ja wohl kaum von Vorteil sein, weil diese nun verschlissen würde ...
Olaf, der eher passiv seit Jahren hier mitliest und sich an den fachlichen Beiträgen über Tonbandgeräte erfreut
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#5
Hallo Olaf,

der Umlenkstift ist normalerweise so positioniert, daß auch bei vollem Bandwickel die Magnetschicht nicht daran schleift, wenn das Band nicht über den Stift geführt wird:
http://compactcassette.weebly.com/upload...5_orig.jpg

Die späten BASF-Gehäuse haben da eine abweichende Geometrie, mit der es tatsächlich ratsam ist, das Band über den Stift zu führen; der Stift sitzt viel näher an der Umlenkrolle als üblich:
http://compactcassette.weebly.com/upload...7_orig.jpg

Die Links stammen von dieser Seite, auf der man das Innenleben von einigen Cassetten auf detailreichen Fotos studieren kann:
http://compactcassette.weebly.com/

Viele Grüße,
Martin
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#6
(25.03.2024, 12:35)Kirunavaara schrieb: Die Links stammen von dieser Seite, auf der man das Innenleben von einigen Cassetten auf detailreichen Fotos studieren kann:
http://compactcassette.weebly.com/

Tolle Seite. Kannte ich natürlich nicht. Sehr schöne Fotografie, gerade bei den Detailaufnahmen. Danke für den Hinweis.

So wie es ausschaut, scheint nach den Entwicklern von Philips ja vor allen Dingen BASF mit diesem Umlenkstift experiemtiert (Weglassen. Hinzufügen. Position ändern.) zu haben. Warum? Wieso? Weshalb? Welche Erfahrungen führten zu diesen Entwicklungen?

Ich nehme Abstand von der Idee, diese Stifte zu entfernen, um meine Kassetten zu schonen. Habe das zum Glück erst bei zwei Kassetten gemacht Smile
Olaf, der eher passiv seit Jahren hier mitliest und sich an den fachlichen Beiträgen über Tonbandgeräte erfreut
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#7
Hier ist ein älterer Aufsatz aufgetaucht, der von einem Wissenschaftler mit ausgeprägten Kenntnissen der Mechanik-Probleme der Compact-Cassette stammt. Der Text müsste auf dem Höhepunkt der CC-Entwicklung geschrieben worden sein. Er ist definitiv nicht in den ZEITSCHICHTEN enthalten.

Meines Wissens gibt es bei Philips eine Dissertation bzw. Habilitation zum gleichen Thema. Das dürfte allerdings hartes Brot zum Kauen sein, zumal die Arbeit in englisch geschrieben sein müsste. Viel Erfolg beim Guuhuhuhgeln!

F.E.


Angehängte Dateien
.pdf   BASF_GdM_20041021 (400-403).pdf (Größe: 176.53 KB / Downloads: 25)
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
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#8
Vielen Dank, Friedrich! Genau auf solche Quellen hatte ich gehofft. Auch wenn die Umlenkstifte nicht explizit as wesentlicher Bestandteil des Gehäuses genannt werden, so geht doch deren Zweck - Erhöhung der Reibung zwecks Ausgleich der Zugkräfte diesseits und jenseits des Capstans - aus dem Kontext hervor.

Einige der beschriebenen Phänomene kann ich aus Erfahrung mit einem (hochwertigen) Deck, dessen Bremsmoment auf der Abwickelseite zu gering ist, sogar im Selbstversuch nachvollziehen: Legt man eine Cassette mit sehr leichtgängigen Wickeln ein, so wird das Band nach wenigen Sekunden geknittert, besonders am Anfang einer Seite. Durch leichtes manuelles Abbremsen per Fingerspitze mit sehr geringem Druck auf den linken Wickeldorn stabilisiert sich der Bandlauf.

Cassetten ohne Umlenkrollen, wie im Text beschrieben, gab es tatsächlich einige. Zum einem in den 70er Jahren von 3M; hier wurde eine Metallhülse auf feststehende Umlenkbolzen gesteckt. Da die Bänder rückseitenbeschichtet sind, geht auch das Umspulen nicht zu langsam. Leider kranken diese Gehäuse an anderen Nachteilen, wie sich auflösenden Andruckpolstern und generell fragwürdiger Präzision. Zum anderen waren viele der innerhalb der Polygram-Familie duplizierten Cassetten bis in die frühen 80er Jahre hinein mit vereinfachten Philips-Gehäusen ausgestattet, die am Ein- und Ausgang des Bandes lediglich einen etwas verdickten Steg aufweisen und sonst keine Rollen oder Bolzen von größerem Durchmesser. Diese laufen tatsächlich erstaunlich stabil, spulen aber auch etwas langsam um.

Viele Grüße,
Martin

PS: "Gerätepopulation beim Kunden" ist ein sehr schöner Ausdruck, werde ich mir merken.
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#9
Hallo Friedrich,

auf Deine Mithilfe habe ich insgeheim (wie wahrscheinlich auch Martin) gehofft. Mein (unser) Hoffen wurde belohnt. Danke für Deinen Beitrag. Man kann es nicht oft genug sagen, wie hilfreich und schön es für das Forum ist, hier noch tatsächliche fachliche Kompetenzen zu finden, die ein enormes Wissen aus der Zeit mitbringen, als diese Technik aktuell war.

Der von Dir eingebrachte Artikel beschreibt anschaulich die Probleme beim Bandtransport mit all den verschiedenen Parametern, die hier wirken. Das dürfte bei einem Bandgerät mit offenem Wickel ähnlich sein - ohne die Probleme, die eine Kassette sonst noch mit sich bringt. Und wie so oft sind die Ergebnisse, diese Probleme in den Griff zu kriegen, ein Kompromiß. Die Gerätehersteller brachten ja ebenfalls verschiedene Konzepte ein, um die Probleme beim Gleichlauf zu minimieren.

Der Doppel-Capstan war sicherlich eine solche Lösung, die wahrscheinlich mit anders konstruierten Kassetten ebenfalls zurecht gekommen wäre. So kann man (Achtung Mutmaßung!) auch den Versuch der BASF bei besseren Kassetten verstehen (hier Chrome Maxima II), den Umlenkstift wegzulassen, da diese Kassette wahrscheinlich auch nur in besseren Geräten zum Einsatz kamen. Später wurde er wieder hinzugefügt, um Probleme mit einfacheren Geräten zu vermeiden. Keine Ahnung ... Wie bereits gesagt, werde ich diese Umlenkstifte nun in den Kassetten lassen. Man weiß ja nie ...

Also nochmals danke für Deine Mühen und Deine Hilfe. Während ich hier schreibe läuft mein alter Kassetten-Rekorder nunmehr in der 13. Stunde. Seit heute Morgen um 8:30 Uhr spielt er Kassetten in einer Tour. Von Gleichlaufproblemen höre ich nichts - ob mit oder ohne Stift Smile

P.S.: Martin hat schon geantwortet ...
Olaf, der eher passiv seit Jahren hier mitliest und sich an den fachlichen Beiträgen über Tonbandgeräte erfreut
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