Norddeutsche HiFi-Tage "Hörtest" 2024
#1
Moin, moin,



die Messe ist mal wieder rum. Und ich hatte Anweisung bekommen, ich solle berichten, dann müsse man nicht selber hin. Also Neuigkeiten?



Ja. Die Weltpremiere des ersten (?) Lego-Plattenspielers!



   



Im Vergleich zum Vorjahr und insbesondere im Vergleich zu den Vorjahren fehlten einige etablierte Anbieter. Insbesondere fehlten, im Gegensatz zu früheren Jahren, die Angebote für die Artikel, die der "normale" Verbraucher auch kaufen würde. So die Tischlampe mit eingebautem DSP-kontrollierten Lautsprecher. Batteriebetrieben natürlich, und über irgendein Funk-Dings mit irgendeinem Basis-Dings verbunden. Nicht wichtig, aber halt von einem der bekannten Konzerne, die so etwas auch zu Preisen anbieten, die nicht einmal als Anzahlung für den Kleinwagen der jüngsten Tochter geeignet sind.

Aber das geht ja nicht nur dieser Branche so: Kredit-Zinsen sind halt teurer geworden, und so schaut man genauer darauf, welche Zielgruppe zu so einer Messe kommt. Neue Geschäftsfelder wollen in der Not auch erschlossen werden? Offenbar hat einer der bekannten Hersteller das bereits erkannt!



   



Immerhin war Sennheiser mit Kopfhörern deutlich unterhalb der vierstelligen Klasse vor Ort, und bieten auch Canton und Elac immer noch Boxen an, bei denen der Zentimeter Höhe mit einstelligem Euro-Betrag bezahlt werden kann. Ganz im Gegensatz zu manch anderem, wo schon der Ständer der Kompakt-Box vierstellig kostet ... und natürlich zwingend notwendig ist.



Ansonsten gab Boxen, die aussahen, wie früher. Es gab Boxen, die man früher eher auf der Hutablage von Autos vermutet hätte. Und es gab leuchtende Plattenspieler.



   



Neuigkeiten gibt es zweifellos aus der Kabel-Branche: überall liegen nun die Flachband-Varianten highendiger Verbinder herum, die nunmehr auch den Aufbau in kleineren Räumen erlauben, weil durch die neue Bauweise, hochkant gelegt, der mögliche Biege-Radius kleiner geworden ist. So kommentierte ein Lautsprecher-Verkäufer, seine Groß-Boxen (funfstellig) könne man auch in kleineren Räumen betreiben, als selbst in der Vorführung gezeigt. Sozialwohnungs-geeignet?

Und während zwei Verkäufer in Ihren Vorführungen darauf hinwiesen, die eingesetzten LAN-Strippen kämen vom PC-Händler und keiner von beiden hätte auch nur zwanzig Euro dafür ausgegeben, werden an anderer Stelle Highend LAN-Kabel für einen dreistelligen Meterpreis angeboten. Ich bin sicher, nächstes Jahr gibt es dann auch hochpreisige WLAN-Kabel.

Für den Low-Budget-Kunden bleibt das HiFi-Magazin vom letzten Jahr Preis-stabil. Die Zahl der Werbegeschenke hat sich der wirtschaftlichen Gesamt-Lage angepasst. Canton geht es noch gut oder sie haben zumindest Hoffnung.



Ein interessantes Argument im Kontext Kabel, von einem Hersteller mit zwei Buchstaben plus Sonderzeichen: für den Kleinwagen-kompatiblen Preis der Boxen bekäme man, pro Box, auch gleich elf Endstufen mit, und die Trennung erfolge in der Box, die somit nur eine Zuleitung benötige. Man spare sich also jede Menge Endstufen UND Kabel dazu zu kaufen. Runter-gerechnet sind die Boxen also preiswert? Ich bin sicher, der Hersteller überlegt schon, in welcher Supermarkt-Kette seine Kreationen demnächst mit diesem Argument angeboten werden können. Immerhin: Klanglich gehörte die Vorführung zu den Besseren, wenn auch etwas Hochton-lastig und der Hochton manchmal zu scharf. Das aber kann am Raum und an der Einmessung gelegen haben.

Einmessung, sprich DSP, dürfte es umfänglich gegeben haben. In der Vorführung britischer Boxen lief eine Frau sogar mit einem selbst-gebastelten Körper-Stativ mit zwei zusammengeklebten Gesangsmikrofonen herum, wohl um Messfutter für die DSP-App zu liefern. Ein Promoter antwortete auf die Frage nach aktiver Regelung der angebotenen Aktiv-Boxen, das brächte nichts, weil die am Klirr-Faktor des Raumes ja nichts ändere, und meinte damit wohl, er benutze DSP. Dr. Schwäbe macht kein DSP. Er bat seine Zuhörer einfach, mit ihren Stühlen alle einen Meter nach vorn zu hoppeln, wegen der Reflexionen von der Rückwand. So geht es auch.

In dem Kontext DSP sind manche Ergebnisse tatsächlich erschreckend. Meine Ohren mache ich dafür allerdings NICHT verantwortlich, weil die hätten ja, wenn, dann gleichmäßig schlechte Ergebnisse geliefert, und nicht nur punktuell. Eben: DSP ist auch keine Lösung, wenn an mehreren Punkten eines Raumes gleichmäßig gehört werden soll. Jedenfalls nicht beim Abspielen über Stereo-Boxen. Da hilft es auch nicht, wenn eine Werbetafel an der Wand auf Systeme für die Raum-Beschallung hinweist.



Warum schreibe ich so viel über Boxen?



Zwischenspiel.

   

   

Ende des Zwischspiels



Ein Paar der bekannten Hardware-Hersteller sind tatsächlich da gewesen. Elektronik stand allerdings meist im Hintergrund.

Plattenspieler finden sich inzwischen in jedem Raum: wer selber keinen besitzt oder im Angebot hat, der leiht sich einen. Aktiv angeboten werden die allerdings nur von den reinen Plattenspieler-Anbietern. Selbst wer "auch" einen im Programm hatte, fühlte sich nicht genötigt, diesen zu erwähnen. Bis auf eine Ausnahme aus Litauen: Der Reibrad-getriebe Reed.



   





CD-Player findet man noch hin und wieder. Der Promoter eines britischen Herstellers konstatierte, man bemühe sich zur Zeit, wieder einen CD-Player der tausend-Euro-Klasse ins Programm zu bekommen, weil in Deutschland noch eine Nachfrage dafür bestehe. Woanders halt nicht. Tonband-Maschinen stehen inzwischen nur noch bei denen, die auch Master-Tapes anbieten, und nur Dr. Schwäbe benutzt seine Ferrograph tatsächlich zur Vorführung. Zwei Nagras waren eher Deko.



   



Und Elac hatte ein Kassettendeck da, allerdings nicht in der Vorführung. Der CD400-Toplader von Nakamichi aus den Siebzigern stand in der Küche. Spühlmaschinen-geeignet?

Unausgesprochen ist also Streaming die Zukunft. Für die Rahmenbedingungen interessiert sich offenbar niemand. Zumindest glaube ich nicht an Anbieter, die sich langfristig um die Interessen etwaiger Hörer kümmern. Schon heute hört man aus Künstler-Kreisen, von Streaming-Gagen können die nicht leben, und dass Cloud-Anbieter Monopole kultivieren, und das gern zum Nachteil des Verbrauchers, lässt sich an anderer Stelle heute schon beobachten. Es lebe die Verarmung. Aber vielleicht auch die Chance für mehr Live-Bühnen ... die zur Zeit reihenweise dicht machen.



Immerhin: in einem kleinen Dorf, gleich hinter den Römischen Linien ... Quatsch: für unser virtuelles Dorf gibt es noch neues Futter.



   



Das sogar von originalen Master-Tapes.



HighBit war ein Thema. Nur weiss ich tatsächlich nicht, welche der Künstler, die mich interessieren, HighBit produzieren. Muss ich meinen Geschmack jetzt umstellen, nicht nur eine neue Anlage kaufen, sondern auch neue Sprachen lernen, um die Texte verstehen zu können?



Chord scheint eine Lösung zu haben. Ein D/A-Wandler mit eingebauter Hoch-Ratung: M-Skaling. Wir raten mal, was zwischen den Bits gewesen sein könnte und rechnen hoch, was da hin gehören sollte. Analog hat es so etwas schon früher gegeben: Pseudo-Quattro zum Beispiel. Die Idee ist also nicht ganz neu und für nur knapp über fünftausend Euro sicher ein Sonderangebot. Immerhin "Made in Britain", und würden die noch zur EU gehören, wäre das hierzulande, durch die Kundschaft, vielleicht auch Förderungs-würdig.

Was mir, zum Glück nur virtuell, Magenschmerzen verursacht ist der Hinweis, Chord würde das Verfahren weltweit auch in der Studio-Technik einsetzen. Bedeutet das, die doch etwas teureren HighBit-Produktionen stammen auch von Chord's Hoch-Ratungen und nicht aus Hoch-Produktion? Und die "Normal-Bit" Produktionen lassen sich jetzt auch mit noch niedrigerem Aufwand her-raten? Zum Wohle des Verbrauchers?

Mike Batt hat mir mal gesagt, irgendeine CD einer Künstlerin habe er in England tatsächlich nur über eine Supermarkt-Kette vertrieben, wäre so immerhin auf Stückzahlen gekommen. Mit LowBit-Hochratung vielleicht bald auch bei uns? Wobei: einen meiner Lieblings-Sampler habe ich vor ca. 10 Jahren tatsächlich in der "Eis-Insel" bekommen. Keine Fünf Euro für zehn Tracks. Aber, noch normal-Bit. Ohne raten.



Eine Art Radio-Wecker habe ich auch im Angebot der Messe gefunden. Jedenfalls blinkte eine nicht eingestellte Uhr in dem knapp einen Meter breiten Kubus. Der Name des Herstellers lässt allerdings vermuten, das Kompakt-Gerät sei tatsächlich als Anzahlung für einen Kleinwagen geeignet. Von solchen Kompakt-Anlagen standen vor ein paar Jahren tatsächlich noch mehrere auf der Messe. Die sind verschwunden. Und auch der ursprüngliche Initiator Lyravox hat sich inzwischen anders orientiert. Die bauen keine Kompakt-Anlagen mit integrierten DSP-Boxen mehr, sondern DSP-Boxen mit "all in". Aber, immerhin, Anschlüsse für z.B. einen Phono-Vorverstärker hat das Teil noch. Und natürlich für alles was funkt und für alles andere auch. Die integrierte Diebstahl-Sicherung geht wohl über das Gewicht. Schwerer war wohl nur das Set von BETONart Audio.

Überhaupt sollte so mancher Interessent für die hier vorgestellten Boxen, vor dem Kauf, über die notwendige konstruktive Optimierung der Traglast seiner horizontalen Etagen-Trennung nachdenken.



Meine Highlights? Trotz intensiver Gegenrede eines Besuchers aus Amelinghausen (nicht der!), in der Mittagspause am Samstag, eine Line aus Frankfurt. Der Erfinder von Audiophile Fast meinte, seine Boxen für sich selber entwickelt zu haben und aufgrund des Interesses von Besuchern müsse er sie jetzt halt einem Publikum als Hersteller anbieten. Interessant das modulare Konzept: ein Tieföner und eine Brücke mit sechs davor gelagerten Hoch-Mitteltönern bilden ein konstruktives Modul, die zu Mehreren vom Hersteller als Line quasi übereinander "gestapelt" werden können. Ich mag Line's, da bin ich vorgeschädigt.



   



Wie im letzten Jahr auch schon, das hochkant stehende Klavier ohne Tasten, bzw. der Lautsprecher mit Holz-Membran von Syman Soundboards aus Verl. Wer Platz für Grundig's große Monolith hatte, oder für einen Vollbereichs-Elektrostaten, der wird mit der Aufstellung keine Probleme haben. Der Rest muss halt auf den Groß-Bildschirm verzichten. Der eine wie der andere bekommt einen Vollbereichs-Strahler, ohne Weiche: Eine Ein-Wege-Fläche. Ein Klavier ist auch kein Punkt-Strahler.



   



Und dann wären da noch die kleinen 360°-Boxen des Anbieters Ton & Art aus Hamburg. Tatsächlich war der Vorführ-Raum doch etwas zu klein, um das mit den 360° wirklich probieren zu können. Aber der Versuch allein lohnt schon die Erwähnung: Ein innen verbauter Tieftöner arbeitet auf eine geschlossene Kammer und strahlt über seine Rückseite in Richtung auf die in einer weiteren Kammer darüber gegeneinander arbeitenden zwei Hochtöner. Der Schall von zwei Membran-Rückseiten gelangt über den 360°-Spalt zwischen den beiden "Wegen", als so etwas wie ein Punkt- (Ring-) Strahler, in den Hörraum.



   



Wenngleich: billig ist nichts davon.



Herrn Hansen's Temperatur-"aktivierte" Silikon-Kabelständer habe ich nicht probiert, kenne ich nur vom Hörensagen; bei ihm war immer zu, wenn ich vorbei kam.

Ich rede mir ein, die wären, im Besonderen, ein Statement eines Satirikers an der Branche und, im Allgemeinen, an der Realität der Funktion des Verbrauchers in der Marktwirtschaft. Man kann ja träumen.

Immerhin hatte er live-Musik! Gitarren-aktiviert.



Was ich an diesem Wochenende noch gelernt habe: bis zu einem gewissen Niveau klingt "lauter" besser als "leiser", und viele Promoter wissen das. Und ich habe mir immer wieder sagen lassen dürfen, nichts geht über "Watt". Das braucht man. Wahrscheinlich auch bei Röhren-Verstärkern. Mehrere hundert. Watt, nicht Verstärker. Da sind die Anbieter anders, als die Stapler.

Ich durfte also zweimal mit der festen Überzeugung nach Hause radeln, "mein Wohnzimmer-Verstärker reicht nicht". Und jedes mal beim Radeln habe ich leise vor mich hin murmeln können "doch", und konnte grinsend über meine Alternativen nachdenken. Mich kriegt ihr nicht.



Tschüß, Matthias
Stapelbüttel von einem ganzen Haufen Quatsch
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#2
Hallo Matthias!

Vielen Dank für Deine ausführlichen Bericht.

Beim Lesen entstand bei mir der Eindruck,
ich wäre selbst da gewesen.
Was natürlich schon deshalb nicht stimmen
kann, weil zeitgleich die Bremen-Classic statt-
fand (wie jedes Jahr - seufz).

Ich hoffe, wir sehen uns demnächst bei einem
Nordtreffen wieder. Freue mich drauf...

Gruß
Wolfgang
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#3
Auch ich sage vielen Dank, Andreas.
Sehr unterhaltsam und kurzweilig geschrieben. Smile

LG
Mike
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#4
Moin Matthias,
vielen Dank für den schönen Bericht.
Kann man den LEGO Plattenspieler schon kaufen ?
Gruß
Peter
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#5
Hallo Matthias 

wirklich ein toller Bericht. Nun habe ich doch wieder Lust heuer auf die HighEnd in München zu gehen.

Übrigens ist das nicht der erste Lego-Plattenspieler, denn mindestens meiner von vor knapp 20 Jahren war früher dran (und hatte sogar einen mit Gummi befestigten Tonabnehmer und funktionierte auch (wenn auch schlecht Big Grin )

Gruß 
Andreas
Festina lente!

Motto der SN-Sammler: Irgendwann haben wir sie alle...
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#6
Hallo Andreas!

Du hast wahrscheinlich diesen Plattenspieler im Sinn?

   

Steht bei uns im Hörraum...

Gruß
Wolfgang

Nachtrag:

Hersteller ist Pro-Jekt
Und es gibt noch wenige Exemplare bei Amazon für 549€ zu kaufen...
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#7
Also, Wolfgang,
das ist das schärfste, was ich bisher gesehen habe Smile 
Glückwunsch zu dem Fang!!!

LG
Mike
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#8
Hallo Wolfgang, 

Das ist ja ein cooles Museumsobjekt - Sachen gibt's!!

Aber nein, ich habe damals mit klassischen Lego-Bausteinen einen Plattenspieler gebaut. Mit einem alten Motor aus einem TapeDeck versehen samt großem Haushaltsgummi und sogar einem Motor für die Tonarmbewegung zur Platte hin. Alles nur 08/15-Steine - das billiges Plastik-Abnehnersystem war dann per Gummi um den Arm geschnallt und hat immerhin etwas von sich gegeben.

Gruß 
Andreas
Festina lente!

Motto der SN-Sammler: Irgendwann haben wir sie alle...
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#9
Moin Matthias,

danke dafür, dass ich die Messe mit Deinen Augen betrachten konnte, während meine Augen auf meinen Enkel aufpassen durften. So war das eine geniale Kombination.

Danke, dass Du Dir die Zeit für diesen Bericht genommen hast!

Hannes
Meine Elektronik-Kenntnisse: Ich löte nach Zahlen Smile
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#10
Moin Matthias,

das war ja wieder ein Bericht vom Feinsten.
Wie es eigentlich immer so ist bei Dir.

Velen Dank, daß Du den Text dann nach dem Ende der "Hörtests" spät in der Nacht für uns noch aufgeschrieben hast.

Viele Grüße
Manfred
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#11
Vielen Dank für den Bericht! Ich habe sehr schmunzeln müssen - sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Thomas
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#12
Auch ich bin sehr froh, nicht selbst dagewesen zu sein.

Wer sich heutzutage mit dem Kauf von Hifi oder gar "High-End" beschäftigt, muss schon hartgesotten sein.

Gibt es eigentlich schon einen avisierten Termin für die Beerdigung der "State of the art" Audio-Industrie ?

Vielen Dank für den Bericht und das stellvertretende Erleiden, Matthias.

Groetjes, Frank
Hau wech, den Schiet - aber sech mir, wohin


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