Wer kennt diesen Diodentyp?
#1
Hallo,

ich habe in einem röhrenbestückten Tonbandgerät aus Anfang der 60er Jahre eine Diode ausgelötet, weil sie keinerlei elektrischen Durchgang mehr hatte. Sie diente zum Gleichrichten der NF-Spannung für die Anzeigeröhre EM84.
Hier die Bilder dazu:

           

Aufschrift auf der Diode: M1 D60

Infos zum Tonbandgerät, in dem sie drin war:
Vertrieben vom Versandhaus Quelle unter der Hausmarke "Simonetta", Typ TB491
Hersteller: Elektron, Weikersheim

Mich interessiert:
War das schon eine Halbleiter-Diode auf Germaniumbasis, oder vielleicht ein kleiner Selen-Gleichrichter?
Es gab auch noch andere Gleichrichterarten, z.B. Kupferoxid-GR ...
Sind zu diesem Teil noch irgendwelche Daten verfügbar?

Schönen Gruß
Chris
1. Können wir hören, was wir messen?
2. Können wir messen, was wir hören?
Menno van der Veen
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#2
Das ist ein Selen-Gleichrichter.
Der wurde Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts in wohl fast allen Röhren-Geräten als Gleichrichter für Pegel-Anzeigen verwendet.
Vor geraumer Zeit habe ich mal die Kennlinie von dem Exemplar in meinem Uher 502S ausgemessen.
Diese Dioden sind viel hoch-ohmiger als Silizium-Dioden und habe eine recht "schlappe" Gleichrichter-Kennlinie.
Der Ersatz durch eine aktuelle Silizium-Diode führt ohne weitere Maßnahmen nicht zu einer gleichartigen Pegel-Anzeige.
Da sind weitere Anpassungen erforderlich.
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#3
Frage: wie würde sich für diesen Einsatzzweck eine Germanium-Universaldiode verhalten? OA85 oder so.
Wenn ich gerade eine offene Röhrenkiste da hätte, würde ich das direkt mal probieren.

Grüße
Frank
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#4
Auch ziemlich anders.
Wenn man Pech hat, geht die Aussteuerungsanzeige schon ohne Audio-Signal allein von der HF-Bias-Spannung, die da rum-geistert, auf zB 3/4 der EM84 Balkenlänge.
Die Selen-Diode bewirkt diesbezüglich mit ihrer höheren "Schwellspannung" bzw Unempfindlichkeit eine gewisse Unterdrückung.
Geeigneter wären da mehrere Silizium-Dioden in Serie und ein zusätzlicher Serien-Widerstand,
bzw allgemeiner die Approximation der Selen-Dioden-Kennlinie durch ein Netzwerk aus Silizium-Dioden und Widerständen.
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#5
Hallo Kai,

vielen Dank für Deine Erklärung.
Ich habe dieses Teil durch eine Germaniumdiode ersetzt (AA113), weil ich es zum einen nicht besser wußte und zum anderen mir gedacht habe, das ein Germaiumgleichrichter hinsichtlich dem Selengleichrichter zumindest etwas "ähnlicher" als Slilizium ist, z.B. was die Flußspannung angeht, die wohl bei beiden so ca. 0,2 ... 0,3V beträgt.
Ich konnte aber so direkt kein Durchschlagen der HF erkennen, aber die EM 84 zeigte offensichtlich mehr an als sie sollte, was sich dann in einer zu schwach ausgesteuerten Aufnahme zeigte. Original gab es keine Einstellmöglichkeit für die Aussteuerungsanzeige; es folgte auf den Selengleichrichter nur ein Festwiderstand von 500 kOhm. Diesen habe ich durch ein Einstellpoti 1MOhm ersetzt und damit konnte ich die Anzeige so einstellen, daß das Band ordentlich ausgesteuert wird.

Schönen Gruß
Chris
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Menno van der Veen
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#6
Zunächst ein Dementi:
Die von mir ausgemessene Diode ist keine M1 D60 sondern eine M3 D60.

Hier nun drei Darstellungen ihrer Kennlinie, jeweils im Vergleich mit einer Silizium-Diode ala' 1N4148 o.ä. :
im Bereich -2 bis +2 Volt:
   

im Bereich von etwa -13 bis +13 Volt:
   

im Sperr-Bereich:
   

Falls jemand eine funktionierende M1 D60 hat, kann ich gerne deren Kennlinie ebenso vermessen.

Nachtrag:
Eine vereinfachte Approximation der M3 D60 Kennlinie im abgebildeten Bereich könnte zB mit diesen Standard-Bauteilen erreicht werden:
   
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#7
Hallo,

so etwas ähnliches findet auch in dem AEG Magnetophon 75 Verwendung, an dem ich gerade rummache, ebenfalls mit einer EM 84 als Anzeigeröhre, und trägt die Bezeichnung E 30C5. Sie hat ein eckiges rotes Kunststoffgehäuse ähnlich wie heutige WiMa Folienkondensatoren. Wenn man danach googelt findet man die Bezeichnung "Selen-Hochohmdiode".

Mein Chinatester zeigt eine Durchlassspannung von 2,4 Volt an. Ich dachte daher, im Falle eines Falles schalte ich einfach 3 Siliziumdioden in Reihe und drehe etwas am Einstelltrimmer, der vorhanden ist. Würde das Daumen mal Pi (Mono-Halbspur- röhre von ca 1958 bei 9,5 cm/sek, die Anforderungen sind also nicht allzu hoch) funktionieren ?

Beste Grüße
Arno
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#8
Der Chinatester mißt vermutlich bei einem Strom von wenigen Milli-Ampere (1-2 ?).
Die Gleichrichterschaltungen in den Röhren-Geräten sind meist so hoch-ohmig, dass solche Ströme allenfalls bei bei plötzlichen hohen Spannungsspitzen in den anfänglichen Auflade-Phasen des Speicher-Kondensators auftreten würden.
Bei kleinen Strömen ist die "Durchlass-Spannung" kleiner.
Das drückt sich in der in Beitrag #6 gezeigten Schaltung dadurch aus, dass im Durchlass-Zweig (der Strom-Pfad ganz rechts von oben nach unten) 2 von 3 Silizium-Dioden mit 200 Ohm recht nieder-ohmig überbrückt sind.
Vielleicht geht es aber auch so einfach, wie du glaubst.
Wenn es doch schon zu viele sind, kannst du sie ja nach einander überbrücken, bis es gefällt.
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#9
Danke !

dein Ersatzaufbau oben hätte leider mehr aktive Elemente, als der Rest des Geräts (4 Röhren, eine Diode und ein Brückengleichrichter). Daher wäre mir das etwas zu viel Aufwand.

Beste Grüße

Arno
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#10
Den linken Zweig mit R16, D15 & D16 sowie R15 kann man getrost weglassen, wenn man nicht den Sperrbereich museal nachbilden möchte.
Der Teil für die Flußrichtung hat nur eine Diode mehr als du spendieren wolltest und drei Widerstände, die dafür sorgen, dass die Dioden damit den Kurvenverlauf der M3 D60 recht gut nachbilden.

Wenn man sparen will, nimmt nur eine 1N4148 o.ä. und baut den "Rest" der Gleichrichterschaltung im Gerät dazu passend um.
Dazu würden aber einige Hoch-Halter der Tonband-Geräte-Fahnen "Verrat" schreien.
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#11
Hallo zusammen,

also Kai hat ja hier echt ins Zeug gelegt, diese Selendiode M3D60 exakt nachzubilden.
Und die Kurven mal im Vergleich zu sehen ist schon auch interessant.

Meine praktische Lösung hat so ausgesehen:
Zunächst die Originalschaltung:
   

So habe ich die M1D60 durch eine Germaniumdiode AA113 ersetzt:
   

Kais Befürchtung, die HF vom Löschgenerator könnte bis zur EM 84 durchschlagen und das Leuchtband bereits bis zu 75% aussteuern,
kann dadurch entkräftet werden, daß auf die Diode der Kondensator C22 (0,1µ) gegen Masse folgt, der wohl etwas zur Beruhigung der Anzeige dient, damit sie nicht zu "nervös" arbeitet. Da dürfte aber bereits auch der gröte Teil der HF geschluckt werden.
Dann folgte der 500k-Widerstand in Richtung Gitter.
Doch offensichtlich hat die Germaniumdiode eine deutlich geringeren Spannungsverlust und läßt den Anzeigepegel höher ausfallen.
Deshalb habe ich diesen Widerstand durch ein Einstellpoti 1M ersetzt und kann damit den Anzeigepegel passend einstellen.
Eventuell noch vorhandene HF-Reste werden vom Kondensator C23 (3n) kassiert, so daß die EM 84 davon so gut wie nichts mehr abbekommt.
C22 und C23 waren original bereits vorhanden.

Kurz: Mit dieser Lösung funktioniert die Aussteuerungsanzeige bei meinem Gerät so wie sie soll.

Schönen Gruß
Chris
1. Können wir hören, was wir messen?
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Menno van der Veen
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#12
(11.11.2023, 17:57)Magictape schrieb: Kais Befürchtung, die HF vom Löschgenerator könnte bis zur EM 84 durchschlagen und das Leuchtband bereits bis zu 75% aussteuern,
kann dadurch entkräftet werden, daß auf die Diode der Kondensator C22 (0,1µ) gegen Masse folgt, der wohl etwas zur Beruhigung der Anzeige dient, damit sie nicht zu "nervös" arbeitet. Da dürfte aber bereits auch der gröte Teil der HF geschluckt werden.

Da hast du mich missverstanden.
Gemeint war, dass durch gleichgerichtete HF soviel Ausschlag entsteht.
Genau so war es zunächst nach Ersatz der M3 D60 durch eine Silizium-Diode im Uher 502S.

Abhilfe muss/kann man dann zB dadurch schaffen, dass man vor der Diode den HF-Pegel durch zusätzliche Tiefpässe herabsetzt.

Nachtrag:
In diesen Schaltungen gibt es keinen Bedarf für den Einsatz von Germanium-Dioden. Die vorhandene NF-Spannung hat ja vorher für den Selen-Gleichrichter gereicht.
Bei Germanium-Dioden müßte man prüfen, wie hoch ihr Leckstrom in Sperr-Richtung ansteigen kann bei den sich zB nach 1-2 Stunden Betrieb im Röhrengerät einstellenden hohen Temperaturen.
Bei Silizium-Dioden kann man dagegen davon ausgehen, dass ihre Leckströme kleiner sind als die des Selen-Gleichrichters.
Bei Germanium-Dioden könnte der Leckstrom uU so groß werden, dass dadurch die gewünschte Abfall-Zeitkonstante der Anzeige merklich verringert wird.

In diesen Gleichrichterschaltungen folgt immer ein Lade-Kondensator der Diode, dann ein RC-Glied zur weiteren Glättung.
Wenn, wie im gezeigten Beispiel, der  erste Kondensator viel größer ist als der zweite, beträgt die Zeitkonstante etwa C*Summe der beiden Widerstände. Dort werden üblicherweise Fest-Widerstände verwendet.
Bei Bedarf nach Einstellbarkeit der Anzeige setzt man vor die Diode ein Potentiometer oder einen  variablen Serien-Widerstand.

Früher hat man sich den Einsatz weiterer teuer Dioden verkniffen.
Heutzutage sind das Pfennig-Artikel und man kann ohne Bauchschmerzen vor die Gleichrichterdiode ein zweite Shunt-Diode setzen, die die andere Polarität kurzschließt (was den Leckstrom der Gleichrichter-Diode verringert). Wenn sich davor dann noch ein Kondensator befindet, wird daraus eine "Spannungs-Verdoppler"-Schaltung mit höherem Anzeigewert.
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#13
Hallo,

eine hochinteressante Diskussion.

hier zur Vervollständigung der Ausschnitt aus der Originalschaltung des Magnetophons 75

   

Soweit ich das erkennen kann, ist da hinter der Diode nur das von Kai erwähnte RC Glied und sonst nischt.

Beste Grüße

Arno
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#14
Da hat der Designer auf das Glättungs-RC-Glied verzichtet,
oder der verantwortliche Kaufmann hat das gestrichen.

Allerdings hat die relative Hoch-ohmig-keit dieser Selen-Dioden den Effekt, dass sozusagen in der Diode selbst ein Serien-Widerstand wirksam ist, der abruptes Aufladen von C2 verhindert. Dazu kommt dann noch der Quell-Widerstand auf der linken Seite der Diode mit gleicher Wirkung. Der hängt hier aber von der Stellung des Potis ab.
Das zusätzliche Glättungs-RC-Glied ist nötiger, wenn eine moderne Silizium-Diode (mit ihrem recht geringem inneren Serien-Widerstand) nieder-ohmig gespeist wird.
Die vorliegende Schaltung hat eine Entlade-Zeitkonstante von ~ 1 s (47 nF * 22 MegOhm) und ungünstigsten Falls eine Auflade-Zeitkonstante von ~ 2,6 ms (bei Mittelstellung des Potis).
Wie man der Sperrkennline der M3 D60 ansehen kann , verhält die sich bei niedrigen Spannungen wie 550 MOhm, bei höheren wie 160 MOhm. An der Diode wird als Spannung im Sperrbereich die Summe der Beträge von rechtseitig in C2 gespeicherter Spannung und der momentanen positiven Audio-Spannung wirksam. Die kann sich also durchaus häufig im höheren Teil der Kennlinie befinden.
160 MOhm parallel zu 22 MOhm sind schon nicht mehr vernachlässigbar, sondern 1/8 (12,5 %) mehr Leitfähigkeit.
Bei einer Germanium-Diode in heißer Röhren-Umgebung könnte das Verhältnis noch ungünstiger sein.
Der Lade-Kondensator C2 wird dann unerwünscht zusätzlich über die Diode selbst entladen.
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#15
Noch eine Bemerkung zur Bezeichnung:
E 30 C 5 ist genauso zu lesen wie übliche Gleichrichter wie ihr sie alle kennt:

E = EInweg, B = Brücke. C = Nennstrom bei Belastung mit Ladekondensator.
Also z.B.
B 80 C 3200 = Brückengleichrichter für 80V /3,2A
E 30 C 5 = Einweggleichrichter, 30V, 5mA.

"M3D60" ist eine ältere Nomenklatur.

VG Stefan
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#16
Hallo,

Danke Stefan. Wer denkt schon bei einem Gleichrichter heute an 5 mA.

Beste Grüße
Arno
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#17
Hallo alle zusammen,

für mich ist die anfangs gestellte Frage ja schon mehr als beantwortet.
Deshalb nochmals danke an alle die sich mit ihren Beiträgen eingebracht haben.

Besonderen Dank an Dich, Kai, für Deine ausführlichen und tiefgreifenden Erklärungen.
Ich bewundere Dein extrem umfangreiches und detalliertes Fachwissen.

Auch danke an Arno für das Schaltungsbeispiel.

Jetzt bin ich nicht nur über diese speziellen Selengleichrichter ein ganzes Stück schlauer geworden,
sondern auch über die Verarbeitung des Steuersignals für Anzeigeröhren EM ...

Schönen Gruß
Chris
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Menno van der Veen
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