Frequenzgang & Entzerrung
#1
Liebe Tonbandfreunde,
es müssen eine große Anzahl von historischen Sprachaufnahmen digitalisiert werden.
Die Aufn. liegen als 1/2 Spur - 4,75cm/s original vor.
Damit das Übertragen nicht ewig dauert, dachte ich dabei an eine doppelte oder vierfache Bandabtastgeschwindigkeit.
Im Prinzip ist das ja möglich. 
Die Qualität der Aufnahmen ist entsprechend teils suboptimaler Mikrofonierung, teils der 4,5 cm/s B.-Geschw. nicht besonders, aber durchaus verstehbar.
Praktische Versuche brachten, hörmäßig keine nennenswerte Differenzen zur Nominalgeschwindigkeit. Also könnt Ihr Euch fragen, was soll dann meine Fragerei.
Interessieren würde mich, inwiefern ändern sich, wie in diesem Fall Frequenzgänge und wie könnte das in Zahlen ausgedrückt aussehen.
V.G.
Jo
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#2
Hallo Jo,
wenn du mit doppelter oder vierfacher Geschwindigkeit abspielst, werden ja nicht passende Entzerrer aktiviert. Das gibt schon ein arges Durcheinander, das durchzurechnen ich mir nicht antun würde. Da es sich nur um Sprache handelt, würde ich das einfach probieren und den Klang gehörmäßig mit einem Equalizer hinbiegen. Frei nach MUP (Methode des unbekümmerten Probierens).

LG Frank
In Rust We Trust!
T e s l a  B 1 1 6 (A.D.),  R E V O X  B 7 7
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#3
Die Problematik wurde hier schon an anderer Stelle behandelt.

Franks Vorschlag kann man auch meßtechnisch untermauern, indem man mal ausmißt, wie sich ein Mess-Ton-Sweep zwecks Frequenzgang-Messung bei dieser Vorgehensweise bei der Wiedergabe darstellt.
Darauf basierend kann man dann einen Entzerrer entwerfen.
Sub-optimales Rausch- und Verzerrungs-Verhalten wird man natürlich nicht so einfach wieder los.

Für das angemessene Verhalten ist dann entscheidend, wieviel Respekt die historischen Aufnahmen verdienen.
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#4
Definiere "historische Sprachaufnahmen" genauer. Hier gibt es ja alles von unbedeutenden Amateuraufnahmen bis hin zu unwiederbringlichen Schätzen.
Die Frage ist z. B. ist da nur Gepläre eines Kindes aus den 50ern auf Band festgehalten oder doch etwas ernsthafteres?
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#5
Die Wiedergabe mit doppelter oder vierfacher Geschwindigkeit ist ein wiederkehrendes Thema, das ich zumindest nicht uninteressant finde. Die üblichen, berechtigten Zweifel sind ja bereits zum Ausdruck gebracht Wink - also kann ich hier auch ein wenig Theorie betreiben:

   

Wenn die Aufnahme mit 4.76 cm/s und den später genormten 120 + 3180 µs erfolgt ist, und man sie später doppelt so schnell mit den dann wahrscheinlich wirksamen 90 + 3180 µs abspielt und danach die Geschwindigkeit halbiert, ergibt sich die gezeigte Frequenzgang-Differenz. (Wenn ich nicht falschrum gedacht habe, dann zeigt der Plot die Abweichung vom Ideal, nicht die nötige Korrektur). Die zweite Linie zeigt das gleiche für vierfache Geschwindigkeit und 50 + 3180 µs.

Aber: Mit welcher Entzerrung wurde denn die Sprachaufnahme überhaupt vorgenommen? Ich meine, das waren früher auch gerne mal 200 µs bei 4.76 cm/s, ohne Bass-Anhebung? Das sähe dann im Prinzip so aus:

   

Die nötigen Korrekturen sind also nicht verschwindend klein, aber immernoch in einem Bereich, wo man sie durchaus auch einfach ignorieren könnte. Effekte durch Eigenschaften der verwendeten Mikros, Abstand der Sprecher zum Mikro, (Fehl-)Einmessung des Bandgeräts bei der Aufnahme etc. sind in der gleichen Größenordnung, wenn nicht größer.

Praktisch kommst Du vermutlich am besten ans Ziel, wenn Du die schnell digitalisierte Aufnahme dann nach Gehör zurechtbiegst. Dabei kann man ja mit einer Korrektur anfangen, die dem Verlauf oben (invertiert) ähnlich sieht, also die Bässe etwas absenkt.

Irgendwann probiere ich das mal systematisch mit Testsignalen und Musik aus - bis dahin bleibt es eine theoretische Spielerei Smile

Viele Grüße
Andreas
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#6
(08.11.2023, 13:44)Tonschreiber schrieb: Interessieren würde mich, inwiefern ändern sich, wie in diesem Fall Frequenzgänge und wie könnte das in Zahlen ausgedrückt aussehen.

Anhand der vorhandenen Aufnahmen selbst - also ohne Neu-Aufnahme eines Meßton-Sweeps -
kann man den Frequenzgang-Unterschied  auf folgende Weise ermitteln:
Man sucht eine möglichst lange Aufnahme heraus,
(1) digitalisert die und berechnet das gemittelte Leistungsspektrum bei Original-Geschwindigkeit
(2) tut das Gleiche bei (zwischendurch) höherer Geschwindigkeit
(3) bildet die Differenz der in dB ausgedrückten Spektren und normalisiert bei zB 1 kHz auf 0 dB.
Damit hat man die relativen Frequenzgänge, sofern Rauschen und Verzerrungen vernachlässigbar sind.
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#7
Sehr interessant,
ich würde erstmal mit  definierten Frequenzen anfangen und mir diese in Bezug auf die für die jeweilige geänderte (falsche Bandgeschwindigkeit) ansehen. Aber darüber wie und mit welchen Parametern muss ich erst nachdenken.
Im Moment und das ist für mich schon mal erfreulich ist das Ergebnis mit vierfacher Bandgeschwindigkeit - es sind alles reine Sprachdokus aus dem kommunalpolitischen Umfeld der 60iger Jahre - so brauchbar, weil der nahezu nicht wahrnehmbare Unterschied zur Original-Bandgeschwindigkeit wirklich vernachlässigbar ist. Natürlich werde ich das Digitalisat mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen optimieren.
Leider sind die Bänder durchweg mit 4,75 cm/s aufgenommen worden, wobei in vielen Fällen die Bandlänge auch für 9,5 cm/s gut ausgereicht hätte. Der städtische Bedienstete dem es oblag als "Toningenieur" tätig zu werden war wohl sicher kein interessierter Tonbandler und hielt sich stur an das was man ihm bei der Einführung dieser Neuheit - vielleicht vom Gerätelieferanten gesagt hatte: "Sprachaufnahmen werden mit 4,75 gemacht". Dann wanderte das Band in ein Schreibzimmer zur Verschriftlichung, wo man sowiso nichts von umstellbaren Geschwindigkeiten wusste.
Nach 60 Jahren, wer hätte das gedacht erleben solche Tonokumente ihre Wiederauferstehung, für die sich jetzt nicht nur die Archivare und Historiker dieser Stadt interessieren.
V.G.
Jo
ps ich durfte auch Tonbandaufnahmen aus gleicher Quelle kennen lernen die in den 50igern entstanden, in wirklich guter Aufnahme- und Erhaltungsqualität, aber eben in 9,5. Weis jetzt nicht wann die ersten Aufnahmegeräte mit der kleinen Bandgeschwindigkeitsmöglichkeit herauskamen.
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#8
Wenn es wirklich historische Aufnahmen sind, würde ich sie 1:1 in den Rechner spielen und dabei mithören, unabhängig von deren Qualität.
Oder ist das ein Digitalisierungsauftrag und es geht um Gewinnmaximierung?
Wieviele Bänder in welcher Spulengröße sind betroffen?

Und bitte nicht böse sein, aber die Arbeitsweise, am Anfang eines Projektes an Zeit und Qualität zu sparen und dann mit "fix it in post" wieder die Qualität zu verbessern zu versuchen, funktioniert nicht und spart weder Geld noch Zeit.
Ich bekomme dabei Brechreiz. Smile

Darf aber natürlich jeder seine eigenen Erfahrungen machen ...


Viele Grüße

Joachim
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#9
DIN 45513 definierte im Blatt 5 für R2R mit 4,76 cm/s 120+1590 µs von 1966 bis 1971, ab dann waren es die aktuellen 120+3180 µs. Vor 1966 waren es die ominösen 2x 70 µs. 200+3180 µs bei 4,76 gab es bei Ampex.

Vielleicht hilft bei "Entzerrungsberechnungen" auch diese interessante Excel?
https://www.tapeheads.net/threads/exampl...-775725909

Wenn es keine dreistellige Zahl von Bändern ist, würde ich auch eher zu 1:1-Überspielungen tendieren.

Schöne Grüße
Frank
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#10
Hallo Frank,

danke für die Ergänzung, und vor allem für den Link! Die Rechnung zur Korrektur der Spaltverluste bei der Einspeiseschleife wollte ich wir sowieso mal anschauen - der Rest des Threads scheint auch interessant zu sein!

Die 200 µs bei 4.76 cm/s waren mir vom Magnetophon 75 im Hinterkopf - dort aber wohl ohne Tiefenentzerrung.

Viele Grüße
Andreas
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#11
Gern.
Der Tapeheads-User Teiusls scheint ein ziemlicher Crack zu sein, vgl. auch seinen Thread zur Nachrüstung von HX-Pro bei R2R-Maschinen: https://www.tapeheads.net/threads/fittin...eck.85514/

Die 200 µs bei der M75 liefen wahrscheinlich bei 9,5....hier nochmal das "ewig unvollendete Destillat":


.xlsx   Entzerrungszeitkonstanten_Entwurf6.xlsx (Größe: 37.52 KB / Downloads: 11)

Schöne Grüße
Frank
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#12
Hallo Frank,

bei der M75-15 sind im Servicemanual 200 µs bei 4,75 und 100 µs bei 9,5 cm/sek angegeben

   

Beste Grüße

Arno
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#13
(09.11.2023, 17:50)kesselsweier schrieb: Die 200 µs bei der M75 liefen wahrscheinlich bei 9,5....

Die Schaltungsbeschreibung sagt 200 µs bei 4,75 cm/s und 100 µs bei 9,5 cm/s:

   

Für die Tiefenentzerrung ist bei der M75 keine Zeitkonstante genannt, und sie sei nur bei 9,5 cm/s aktiv. In der M76-Beschreibung (das gleiche Gerät in Viertelspur) wird von 2 ms (=2000 µs) gesprochen - und kein Unterschied zwischen den Geschwindigkeiten gemacht. Ich fände es seltsam, wenn dies zwischen Halb-  und Viertelspur anders wäre, aber man weiß ja nie. In die Schaltpläne habe ich noch nicht geschaut - hängen an, falls es jemanden interessiert.

Viele Grüße
Andreas


Edit: Arno war schneller Smile


Angehängte Dateien
.pdf   schaltbild-m75-m76.pdf (Größe: 779.26 KB / Downloads: 0)
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#14
Hallo Arno, hallo Andreas,

danke Euch, interessant und seltsam.
Was bedeutet denn M75-15?

Jetzt habe ich gerade einmal geschaut....im Hifi-Wiki ist die M75 mit den Baujahren 1959 bis 1962 angegeben.

In der DIN 45513 gab es eine Norm für 4,76 erst ab 06/1962, ein Entwurf kam in 12/1960:

"Der Kurvenverlauf der Höhen entspricht dem Frequenzgang des Übertragungsmaßes zweier gleicher hintereinandergeschalteter R-C-Spannungsteiler von Je 70 µs. Der Kurvenlauf der Tiefen entspricht dem Scheinwiderstandsverlauf einer R-C-Serienschaltung von 3180 µs."

Das mit den 2x 70 µs in Serie habe ich noch nie verstanden...aber es gibt ja auch stets eine Tiefenentzerrung, anders wie im M75-Manual.

Somit ist die M75 scheinbar nicht nach DIN und auch nicht nach den weiteren, mir bekannten Instituten entzerrt.
Zeitgemäß passen würden die 100 µs hingegen für 19 cm/s bzw. 200 µs für 9,5 nach der damaligen DIN, zumindest für die Höhen.

Auch die M85 aus der (fast) gleichen Ära verwendet bei 9,5 cm/s keine 100 +3180 µs, sondern 120+3180 µs (CCIR) bzw. 90+3180 µs (NAB), zumindest die 60er Jahre-Version mit dem hinteren Entzerrungsumschalter.

Schöne Grüße & sorry for OT
Frank
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#15
(10.11.2023, 21:35)kesselsweier schrieb: In der DIN 45513 gab es eine Norm für 4,76 erst ab 06/1962, ein Entwurf kam in 12/1960:

"Der Kurvenverlauf der Höhen entspricht dem Frequenzgang des Übertragungsmaßes zweier gleicher hintereinandergeschalteter R-C-Spannungsteiler von Je 70 µs. Der Kurvenlauf der Tiefen entspricht dem Scheinwiderstandsverlauf einer R-C-Serienschaltung von 3180 µs."

Das mit den 2x 70 µs in Serie habe ich noch nie verstanden...

Wenn man zwei gleiche RC-Spannungsteiler ( = RC-Tiefpass ) !entkoppelt! hinter einander schaltet, bekommt man eine Übertragungsfunktion, die dem Quadrat der Übertragungsfunktion des einzelnen RC-Tiefpasses entspricht. Die Dämpfung hoher Frequenzen, in dBs ausgedrückt, wird verdoppelt. M.a.W. der Tiefpass erster Ordnung wurde durch einen zweiter Ordnung ersetzt.
Wenn die beiden RC-Glieder einfach in Reihe geschaltet werden, gibt es eine gegenseitige Beeinflussung, die die Steilheit des Tiefpass-Verhaltens im Übergangsbereich beeinträchtigt. Weit jenseits der Grenzfrequenz bleibt es jedoch ähnlich bis asymptotisch gleich.
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#16
Ist denn überhaupt bekannt, mit welchem Gerät die Aufnahmen gemacht wurden? Nur dann kann man ja auch sicher sagen, welche Zeitkonstanten / µs bei der Aufnahme benutzt wurden. Nur weil bestimme Werte zu der Zeit üblich waren, heißt das ja nicht, dass das Aufnahmegerät diese auch genutzt hat.
Jetzt mit einem anderen Gerät einen Frequenzgang mit 4,76 cm/s aufnehmen, diesen z. B. mit 19 cm/s abspielen und dies als Basis für die Korrekturen zu verwenden, führt dann auch nicht unbedingt zu korrekten Ergebnissen. Selbst das Abspielen mit 4,76 cm/s ist dann unter Umständen nicht korrekt.

Ich wurde daher auch eher ein paar Aufnahmen machen und ausprobieren, was sich dann einigermaßen korrekt anhört. Bei Sprache ist das ja nicht so kritisch.

Und bei der Aufnahme eine höhere Qualität einstellen. Man denkt ja vielleicht, ist nur 4,76 cm/s, da reicht 48 kHz / 16 bit locker. Wenn man aber hinterher die Geschwindigkeit verdoppelt, halbiert man auch die Samplerate...

Gruß
Robert
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#17
Die von mir in Beitrag #6 beschriebene Methode funktioniert immer, auch wenn man nichts über die Aufnahme-Maschine weiß.
Es geht ja nur um die Frage, wie sich der Frequenzgang ändert, wenn man zwischendurch andere Geschwindigkeiten verwendet.

Das Verfahren wird einfacher, wenn bei verdoppelter Geschwindigkeit doppelte Sample-Rate und bei vierfacher Geschwindigkeit vierfache Sample-Rate verwendet wird.
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#18
(10.11.2023, 21:35)kesselsweier schrieb: Was bedeutet denn M75-15?
 Hallo Frank,

die M75 hatte zunächst wie die KL65 nur 13 cm Spulen. Später dann wurde sie vergrößert (und m.E. potthässlich) und bekam 15 cm Spulen, also dann die M75-15 halbspur bzw M76 1/4 Spur

Beste Grüße

Arno
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#19
Danke Arno, danke Kai.
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