Phonorex
#1
Hallo Leute, und insbesondere Phonorex-Spezialisten, also Hans-Joachim,

im thread über "Berlant-Concertone"
habe ich nach möglichen Verbindungen zwischen Berlant und Ihle gefragt.
Das scheint mir zwar eigentlich abwegig, aber:
die Bandführung der Berlant erinnert mich spontan an Ihle. Und der Knopf für die Laufwerkssteuerung ist an der gleichen Stelle in der Frontplatte.

Anfang der 50-iger gab es viele verschiedene Lösungen für den Bandlauf.
Charakteristisch für Ampex ist z.B.
[Bild: ampex2.jpeg]
aus der ebay-Auktion:
http://cgi.ebay.com/large-ampex-reel-to-...dZViewItem

oder

[Bild: brush.jpeg]

aus:
http://reel2reeltexas.com/vinListA.html

Wenn ihr Euch im Moment einmal die Tonbandgeräte in ebay/USA
http://electronics.listings.ebay.com/Ree...ngItemList
anseht, Wollensack, Crown, etc., versteht ihr, was ich meine:
Charakteristisch, jedenfalls in den USA, scheint die Vielfalt zu sein: die Hersteller scheinen das Design des Bandlauf zu einem Markenzeichen gemacht zu haben.

Deshalb ist es für mich überraschend 2 Lösungen zu sehen, die einander, jedenfalls oberflächlich, so ähneln.....

Haben da tasächlich 2 Leute 8000 km voneinander entfernt ähnliche Vorstellungen/Lösungen gehabt?

Viele Grüße
Frank
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#2
Die Verbindungen, die Ihle über den Atlantik (wenn dorthinüber) unterhielt, beschränkten sich gewiss auf seinen Vertrieb der und seine Ersatzteilfertigung für die "Burroughs Adding-Machines" (Burroughs Adding Machine Company, 6071 Second Av., Detroit, Michigan, U.S.A., weitere Fertigungsstandorte Nottingham/England, Strathleven/Schottland, Villiers-Ecalles/Frankreich), bezüglich derer er ein überaus kundiger Fachmann gewesen sein muss, wie seine damaligen Mitarbeiter noch heute bezeugen. (Ein weiterer Hersteller, den der betreute, war Conti [Wanderer-Conti], der 1968 -ein Jahr vor dem absoluten Schluss bei Ihle- von Nixdorf erworben wurde.)

Doch weiter in unserer Sache:
Dass brieflich systematisch Konzepte zu Bandgeräten diskutiert wurden, halte ich -auch in Kenntnis amerikanischer Mentalitäten des Typs "not invented here"- für eher unwahrscheinlich, zumal namentlich in der frühen Nachkriegszeit Briefe, die grundsätzlich per Schiff kamen, nicht nur lange brauchten, sondern auch systematisch zensiert wurden. (Vier Wochen hin + vier Wochen her + zwei Wochen Bearbeitung = knapp drei Monate; wir haben das bei 'surface' ja noch heute. Mein letztes Bücherpaket aus Kanada benötigte 9 [neun!] Wochen hierher. Ich hatte Luftpost geordert und bezahlt....)

Weitere Verbindungsmöglichkeiten jedoch kommen über Bruno Woelke in die Ihle-Szene, aus dessen Nachlass mir mehrere Briefe R. H. Rangers ("Rangertone", Newark, NJ) aus dem Jahre 1947 vorliegen. In diesen wird zwar wenig von technischen Gegebenheiten berichtet (es ging mit den Bandgeräten in den USA ja auch gerade erst los), dafür wird aber eine gewisse Vertrautheit Woelkes mit Ranger deutlich, woraus ich auf einen dichteren Schriftverkehr schließe, als den, der mir vorliegt. Einer der Briefe Rangers weist am Schluss einen "TO THE CENSOR" überschriebenen Abschnitt auf, in der der Briefwechsel mit Woelke auf eine sehr persönliche Ebene grehoben und zudem in Beziehung zum klassischen "Care-Paket" ("food packages") gesetzt wird.
Ein weiteres Problem dürfte sich darin gestellt haben, dass ja alle bestehenden Nazi-Patente in Deutschland von den Alliierten für den außerdeutschen Raum freigegeben waren, also für die Amerikaner nichts kosteten, hier von deutschen Herstellern aber zahlungskräftig zu bedienen waren. Man (Woelke) wird hierzulande deshalb nicht unbedingt großes Interesse daran gehabt haben, den finanziell ja wesentlich leistungsfähigeren Brüdern im Westen zu erzählen, wo welche Patente zwangsweise kostenlos abzurufen waren. Insbesondere wenn es -Woelke- eigene waren.

Generell müssen wir aber immer im Auge behalten, dass alles, was bis zum Jahre 1946 zum Magnetbandgerät gedacht und gemacht wurde, eindeutigen Ursprungs ist/war. Es gleichen sich daher bis etwa 1950 Konzepte schlicht naturgegeben weitgehend.

Das zweite oben abgebildete Gerät der Brush Corp. Cleveland, Ohio hat auch eine interessante, deutsch eingefärbte Geschichte, in die deutlich früher als zu Kriegsende durch den Berliner Ingenieur Semi Joseph Begun (1905 Danzig - 1995 Cleveland) eingegriffen wurde, der aus der Berliner Tondraht- und Stahlbandecke (Schuchardt bzw. Lorenz) kommend als Jude im Zuge des nationalsozialistischen Druckes Deutschland 1935 verließ, besser verlassen musste (er ging nicht freiwillig) und bald bei Brush in Cleveland unterkam. Nicht zuletzt der an sich ja unglaublich zutreffende Warenname 'Soundmirror' ist sein -also eines Deutschen- Produkt. Ich habe ein längeres Gespräch mit ihm auf Band, in dem er sich nicht zuletzt auch in gewisser Rechthaberei als Preuße mit dem Magnetbandhistoriker und eigentümlichen Menschen Heinz Thiele misst (da trafen sich die richtigen...); hier in Deutschland bzw. in Berlin gepflogene Denkweisen nahm Begun als Absolvent der TH Berlin-Charlottenburg, als Angestellter von Schuchardt und Lorenz natürlich mit in die USA.
Beguns Lebenserinnerungen gibt es bei der AES in Gestalt eines kleinen Taschenbuches zu kaufen.

Hinsichtlich des Ihle-Zentralschalters bleibt anzumerken, dass auch im deutschen Rundfunkgerätebau die Wellenumschaltung zunächst mit Drehschaltern erfolgte, deren mechanischer Aufwand (Fertigung, Justage, Wartung) offen- und erklärbar geringer, allemal 'überschaubarer' ausfiel als der von Einzeltastenaggregaten mit gegenseitiger Auslösung. Bei einem Dreher- und Fräser-Klub wie Ihles Verein ("Rechenmaschinen- und Ersatzteilfertigung") lag eine solche Lösung allemal näher am Wege als die Tastenbedienung, wie man sie von den ersten "Klaviertastensupern" kannte. Ich glaube, Grundig nannte als erster seine frühen Radioflaggschiffe mit Tasten- und Festtastenwellenbereichswahl so.

Internationale Kontakte Ihles wurden von den durch mich befragten Leuten nicht erwähnt, obgleich deren Erwähnung im Falle seines Werksleiters aufgrund des von ihm später bei Grundig gewonnenen, sehr internationalen Blickes auf jeden Fall innerhalb des Horizontes lag. Nachdem Ihle-Teile auch jenseits des eisernen Vorhanges auftauchen, vermute ich, dass er die gelegentlichen Besuche bei einer Cousine, die es in der Chemnitzer Gegend als einzigen Familienrest noch gegeben haben soll, gleich kontaktstiftend genutzt hat. Inwieweit dies über und/oder unter der politisch tolerierten Oberflächen erfolgte, weiß ich nicht, weil ich bis heute keine Angehörigen der Verwandtschaft von Elli Ihle, geb. Michel ausfindig machen konnte. Die gab es nämlich in Reinheim/Odenwald und Basel, wie die Todesanzeige anlässlich ihres Todes am 30.10.1980 nachweist.

Hat hierzuforen irgendjemand Beziehungen nach Reinheim im Odenwald und kennt sich im Ortgespräch dortselbst aus?

Wieder zurück zum Thema:
Wenn man geradlinig als Ingenieur ein Problem andenkt, reflektiert, bündelt das allemal die technologischen Sichten einer Epoche; und da kommt dann bei zwei Individuen oftmals tatsächlich auch Vergleichbares heraus, was man nicht zuletzt an der vierfachen Entdeckung/Erfindung der Hf-Vormagnetisierung erkennt. Und deren Entdecker lebten ja zum Teil weit mehr als 8000 km Luftlinie auseinander.
"Es lag dies in der Luft", pflegte mein Vater zu sagen, wenn ich als Kind kopfschüttelnd eine Doppelerfindung ansonsten kommentarlos hinnahm.

Hans-Joachim
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