Privileg RM651
#1
Was einem so alles über den Weg läuft …

Zum Beispiel dieses Privileg RM651 aus dem Versandhaus Quelle (einige Bilder sind diesmal nicht so doll. Meine Digicam hat den Geist aufgegeben. Deshalb wurden einige Aufnahmen mit der Laptop-Kamera gemacht, z. B. die beiden folgenden):

   

   

   

Es ist ein simpler Einmotorer für 15-cm-Spulen mit den Geschwindigkeiten 4,75 – 9,5 – 19 cm/s und mit zwei Köpfen für Halbspur mono.
An der Oberseite gibt es separate Eingänge für Mikro und Radio, seitlich noch einen Ausgang für externen Lautsprecher, mit dem sich der kleine interne wahlweise auch abschalten läßt.
Die Abmessungen betragen 34 x 37 x 18 cm (B x T x H), das Gewicht beträgt etwa 8 kg.
Die Elektronik kommt mit drei Röhren aus: ECC83, ECL82, EM87.
Zum Frequenzgang machte Quelle seinerzeit folgende Angaben:
4,75 cm/s: 40 – 8000 Hz
9,5 cm/s: 40 – 14000 Hz
19 cm/s: 20 – 18000 Hz.

Einen Hinweis auf ein Baujahr habe ich im Inneren nicht gefunden, aber die Sammlerkollegen von radiomuseum.org geben dafür 1966 an. Dort ist auch der damalige Verkaufspreis genannt: 198 DM.
Das wäre ja äußerst günstig gewesen für ein Gerät, dessen Daten sich gar nicht mal so schlecht lesen. An einem Dampfradio oder einer Musiktruhe hätte es vielleicht eine ganz gute Figur gemacht.

Also mal hurtig das Köfferchen in Betrieb genommen, um einen eigenen Eindruck zu bekommen.
Doch leider …

   

… war die Schwungscheibe schon am Zerbröseln. Da der Antrieb per Reibrad auf den Rand dieser Scheibe erfolgt, wäre von Gleichlauf keine Rede gewesen. Schlimmer noch: einige Chassisteile sitzen so dicht neben der Schwungscheibe, daß diese Unebenheiten genügen, um sie komplett zu blockieren.

Schade.
Damit schien das gute Stück zu einem Dasein als Teilelieferant bestimmt.

Man konnte allenfalls noch der Frage nachgehen, wer dieses Gerät wohl gebaut haben könnte.
Im Inneren wies einiges in Richtung Italien: Elkos « made in Italy », eine Röhre von FIVRE (Fabbrica Italiana Valvole Radioelettriche, Mailand), ein Lautstärkepoti von LESA (Laboratori Elettrotecnici Società Anonima, Mailand) und vor allem dieser Stempel im Inneren des Koffers:

   

Ah, Italien … Plötzlich bekam die Modellbezeichnung RM651 einen Sinn. Könnte dieses RM nicht für Radiomarelli stehen, ebenfalls in Mailand ansässig?

Bei radiomuseum.org war kein vergleichbares Modell für diesen Hersteller gelistet. Aber eine Suche im Netz ergab, daß so oder so ähnlich aussehende Geräte unter verschiedenen Marken- und Modellbezeichnungen vertrieben wurden, wie z. B. Dihor, Rhodex, Turmix oder SNT (Società Negro e Torretta, ebenfalls Mailand). Manche hatten die Eingänge nicht oben, sondern seitlich, manche hatten oben zwischen den Spulen ein Bandzählwerk, wo dieses Quelle-Modell sich mit simplen Markierungen auf der Deckplatte begnügt. Allerdings ist die Quelle-Deckplatte ebenfalls für ein Zählwerk gedacht, wie man beim Blick auf ihre Rückseite sieht.

   

Die Aussparung wird einfach durch das Typenschild verdeckt.

Italien also.
Warum dann nicht mal in der italienischen E-Bucht etwas stöbern? Dort fanden sich in der Tat einige der oben erwähnten Geschwister. Das Problem: die Verkäufer zeigten ihre Geräte natürlich nur von außen, deren Schwungmasse konnte aber ähnlich zerbröselt sein wie meine. Schließlich stieß ich auf ein Angebot, in dem ein ähnliches Gerät bewußt als Schlachtgerät angeboten wurde. Es fehlten schon einige Teile der Elektronik, aber die Mechanik war vollständig vorhanden. Um klar zu zeigen, was noch da ist und was fehlt, hatte dieser Anbieter auch mehrere Bilder des Chassis eingestellt.
Die Schwungmasse schien hier aus einem anderen Material gefertigt, war aber auf jeden Fall noch intakt. Für ein paar Euro (plus ein paar Euro mehr für den Transport) kamen diese Überreste zu mir.

Es war ein Radiomarelli RM10.

   

Ein Blick unter die Haube zeigt, daß für beide das gleiche Chassis verwendet wurde. Auch die wenigen noch vorhandenen Elektronikteile und auch die Köpfe waren identisch.

   

   

   

Und die Schwungmasse war noch intakt!
Hoffnung begann zu keimen. Ach was, Hoffnung. Euphorie!
Im Überschwang der Gefühle hatte ich jedoch nicht so genau hingeschaut und ein paar doch recht augenfällige Unterschiede übersehen.
Der Dämpfer kam deshalb recht schnell:

   

Die Tonwellen hatten unterschiedliche Durchmesser. Die des Radiomarelli war größer und paßte folglich nicht in die Sinterbuchse des Privileg.

Konsequenterweise hatten auch die Geschwindigkeitsstufen auf der Motorwelle unterschiedliche Durchmesser.

   

Der Motor mußte also ebefalls getauscht werden.

Hinsichtlich Schwungscheibe wäre es das einfachste gewesen, aus beiden Chassis die Tonwellenbuchsen zu entnehmen und sie ebenfalls zu tauschen. Ich habe es mit Kältespray versucht, es ist mir jedoch nicht gelungen.

Also mußte die Elektronik mit allem Drumrum aus dem Privileg in das Radiomarelli-Chassis umziehen. Da alles auf nur zwei Platinen montiert war und für fast alle Kabel Steckverbindungen verwendet wurden, schien das leicht machbar. Die eigentlich naheliegende Lösung, statt des Privileg das Radiomarelli wieder flott zu machen, kam nicht in Frage. Dazu war dessen Koffer in zu schlechtem Zustand.

Das Privileg wurde also völlig zerlegt.

   

Und noch einmal zeigte sich, daß ich nicht genau hingeschaut hatte. Als schon alles wieder zusammengebaut war und funktionierte, wollte die Deckplatte des Privileg nicht draufpassen.

Weshalb?

Tja, das Radiomarelli ist für 18er Spulen gemacht, das Privileg nur für 15er. Folglich sitzen bei ersterem die Bandteller etwas weiter außen.

Ein Blick auf das völlig entkleidete Chassis zeigt, wie das geht.

   

Für die Bandteller sind im Chassis zwei Positionen vorgesehen. Je nach gewünschter Spulengröße werden die Laufbuchsen in die eine oder die andere gesetzt (rote Pfeile). Auch für die Reibräder, die für den schnellen Vor- und Rücklauf sorgen und die beim Drücken der entsprechenden Taste nach oben geschoben werden, gibt es unterschiedliche Positionen (blaue Pfeile). Die Sinterbuchsen der Bandteller habe ich mit Kältespray herausbekommen und konnte sie umsetzen. Bei den Stiften, die die Reibräder fürs Umspulen halten, ist mir das nicht gelungen. Deren Position ist jetzt halt suboptimal.
(Das war übrigens das letzte Bild, das meine alte Kamera noch machen wollte.)

Dann waren noch die Dämpfungsgummis der Motohalterung bei beiden Geräten zerbröselt. Aus neuem Material zur Schwingungsdämpfung habe ich etwas Passendes zurechtgeschnitzt.

   

   

In der Elektronik gab es dagegen nichts zu tauschen. Alle Spannungen an den Röhren waren noch im grünen Bereich.

Uff, was für ein Aufwand für so einen Billigheimer!
Hat er sich gelohnt? Probelauf!

Der Klang über den kleinen Kofferlautsprecher ist ganz manierlich, über eine Anlage sogar recht gut.
Der schnelle Vorlauf ist etwas schlapp, der Rücklauf noch schlapper. Liegt wie gesagt an der jetzt suboptimalen Position der Reibräder und auch an etwas verhärteten Gummis.

Positiv zu vermerken ist der breite Einfädelschlitz, durch den man bequem mit einem Wattestab hindurch kommt und so den Bandpfad reinigen kann, ohne die Deckplatte abnehmen zu müssen.
Sympathisch finde ich, daß die Anzeigeröhre auch bei Wiedergabe ausschlägt.

Der Tastensatz dieser Geräte ist allerdings ein Schwachpunkt. Wo die Kunststofftaste in den metallenen Schieber greift, der letztlich die nötigen Hebel bewegt, bricht der Kunststoff mit der Zeit aus und dann bewegt die Taste nichts mehr. Bei beiden Geräten hatten bereits Vorbesitzer an mehreren Tasten herumgeklebt oder mit etwas Heißem dran herumgebraten, um wieder eine dauerhafte Verbindung mit den Schiebern herzustellen.

Von diesem Problem mal abgesehen bekamen die Käufer für einen sehr günstigen Preis von knapp 200 Mark eigentlich ein ordentlichen Gerät, das in Verbindung mit einem zeitgenössischen Radio oder einer Musiktruhe ein Wohnzimmer ganz brauchbar beschallen konnte.

Der günstige Preis erklärt sich wohl auch durch große Stückzahlen. Mit einem Chassis, das hinsichtlich der Modellgestaltung viele Möglichkeiten bot, und mit einer einfachen Standardelektronik, die auf zwei kleine Platinen verteilt ist, war offenbar eine ganze Reihe von Firmen in der Lage, ein Gerät nach eigenen Vorstellungen fertigen zu lassen und es unter eigenem Namen oder unter dem einer Handelsmarke zu verkaufen.

Wurde das Gerät nun tatsächlich bei Radiomarelli gebaut? Da bin ich nicht sicher. Auf den Platinen beider Exemplare steht « Rhodex » zu lesen.

   

Das ist einer jener Namen, unter denen das Gerät verkauft wurde. Von einer solchen Firma habe ich noch nie gehört. Aber vielleicht gibt es hier jemanden, der mehr weiß?

Gruß
TSF
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#2
Hallo TSF (Du hattest aber lustige Eltern)

das nenne ich Einsatz für die Geschichte eines Gerätes. 
Und zusätzlich eine schöne Beschreibung noch dazu mit vielen Hintergrundinformationen.

Das habe ich alles sehr gerne gelesen.

Viele Grüße
Manfred
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