Normalisieren von Digitalaufnahmen: Vorteile, Nachteile?
#1
Stellt man nach Fertigstellung einer digitalen Aufnahme fest, daß man ein paar db verschenkt hat und das man etwas beherzter hätte Aussteuern können ohne 0dbFS zu überschreiten, so wird normalisiert:

Rechnerisch wird im nachhinein der Pegel der Aufnahme auf das passende Maß erhöht. Eigentlich eine feine Sache ... aber in den Kellern meiner dumpfen Erinnerungen ruht die Meinung, das hätte irgendwelche Nachteile. Stimmt das oder täusche ich mich?
Michael(F)
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#2
Rein hypothetisch und ohne Hintergrundwissen über den Normalisierungsvorgang könnte ich mir vorstellen, daß durch die Anhebung der Lautstärke der ursprüngliche Pegelverlauf an der zulässigen Wertegrenze für die Lautstärke (die es in der Digitaltechnik ja nun mal zwangsläufig gibt) "plattgedrückt" wird.

Als Beispiel in Zahlen: Angenommen, es sind für Lautstärkepegel Werte von 0 bis 255 zulässig. Eine Stelle der Aufnahme hat vor der Normalisierung den Lautstärkewert 240, eine andere den Wert 225. Nach einer Anhebung des Pegels für die gesamte Datenmenge um 20% würden beide rechnerisch den zulässigen Maximalwert überschreiten. In der Praxis könnte man den Vorgang entweder mit einem Fehler abbrechen ("Normalisierung nicht durchführbar"), oder aber beide Werte werden einfach auf 255 gesetzt, um dem gewünschten atomaren Ergebnis zumindest in Zahlen so nahe wie möglich zu kommen (ich gehe stark davon aus, daß letztes passiert). Für das Gesamtergebnis heißt das: Wo ursprünglich ein Pegelunterschied war, ist auf einmal keiner mehr - der Pegelverlauf wäre irreversibel "verbeult".

Ein intelligenter Normalisierer könnte diesen Fall natürlich von vornherein ausschließen, indem er die Lautstärke maximal so stark anhebt, daß die Spitzenpegel noch in den zulässigen Bereich fallen.

(Falls es zu wirr war, bitte einfach überlesen. :-))
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#3
Den von Dir zuletzt geschilderten Intelligenz-Fall habe ich vorausgesetzt. Nachdem die Aufnahme im Kasten ist, lässt sich unschwer herausfinden: 240 ist die Spitze, statt 255 erlaubten. Also muss ich absolut um +15 liften, dann ist das Maximum da, wo es sein soll.

Die Frage ist: Was passiert mit dem Rest aus dem Keller? Es wird ja lauter - soweit so gut. Es fehlen vielleicht Signale, die zu leise waren und deswegen unter den Tisch gefallen sind. Dann ist die Aufnahme nicht deswegen schlecht, weil sie normalisiert wurde, sondern weil durch zu niedrige Aussteuerung nicht alles aufgezeichnet wurde. Aber der Dynamikbereich eines digitalen Aufnahmegeräts ist ja in der Regel mehr als ausreichend groß. Könnte es sein, daß in den Kellern dieses Dynamikbereichs die Auflösung etwas gröber ist, und diese Grobheiten dann mit nach oben genommen werden?

Falls wir weiter mit beispielhaften Zahlen hantieren, schlage ich als Obergrenze 0dbFS vor, die Frage ist: Was ist dann die untere? Irgendwo hatten wir das schon mal, im Zusammenhang mit 14/16/18 bit. Aber das ist schon wieder eine Weile her und das Forum ist groß. Wink

Meine Frage: Wenn ich eine LP mit 50 db Dynamikumfang habe und ein Aufzeichnungsgerät das von -80db bis 0db geht, ist es dann egal ob ich von -70 db bis -20 db plaziere und dann normalisiere oder ist anzustreben, daß ich von -50db bis 0db plaziere?
Michael(F)
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#4
Normalisieren hat nix mit Kompression zu tun.
Es wird wie lauteste Stelle auf einen bestimten Wert angehoben.
Wie wenn man den Aussteurungsknopf bewegt.
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#5
Zitat:Michael Franz postete
Den von Dir zuletzt geschilderten Intelligenz-Fall habe ich vorausgesetzt.
Bei genauerer Überlegung: Wahrscheinlich völlig zu recht. Das Befehlszeilen-"Normalize" unter Unix läuft alle ausgewählten Dateien erst einmal durch und normalisiert erst im zweiten Schritt. Höchstwahrscheinlich wird im ersten der Spitzenpegel ermittelt.

Ich merke gerade, daß ich das Programm seit Jahren benutze, ohne genau zu wissen, was es überhaupt tut. :-)

Edit: Was mir die Sinne für eine vorherige Spitzenwertermittlung vernebelt hat, war wahrscheinlich der Umstand, daß ich ähnliches mal für eine Helligkeitswertanpassung bei Grafiken entwickelt habe. Da war es wirklich so, daß die Umwandlung i.d.R. irreversibel war und Pixel, deren Wert rechnerisch außerhalb des gültigen Bereichs lag, einfach mit dem Höchst- bzw. Tiefstwert belegt wurden. DIeses sogar für alle drei Komponenten des RGB-Tripels einzeln.
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#6
zu Michael(F)

Wenn ich es richtig rieche, willst Du am PC mit der Soundkarte LP's aufnehmen. Rein rechnerisch kannst Du das erzeugte Datenmaterial ohne Verluste hoch- und 'runterschieben wie Du willst, sofern Du den zulässigen Bereich von "0 - 255" nicht verläßt. Um dem Beispiel zu folgen, bewegst Du Dich mit der Aufnahme zwischen "15 - 240", darfst Du also in der digitalen Ebene ohne jegliche Fehler um 15 Zähler anheben oder absenken.
Praxis: Man sollte bei der Wandlung analog zu digital mit möglichst hohem Pegel arbeiten, ohne die "255" zu überschreiten. Soundkarten haben nicht selten geschönte Angaben bezüglich Dynamik. Ein gutes Tonbandgerät macht bezüglich Dynamik so manche Soundkarte von "geil und blöd" platt.
Es ist eigentlich wie beim Tonbandgerät, steuert man zu niedrig aus, landet zu viel vom Nutzsignal im Rauschen. Bei 50 dB Nutzsignal hat man aber einiges an Spielraum, selbst mit Billigkarten.
Man bedenke aber, daß das wiedergebende Medium (CD-Spieler) meist auch nur unzureichend bei der Wandlung digital zu analog ist, zweite Störquelle bezüglich Rauschen.
Ich selbst benutze gern Feurio! beim Digitalisiern. Wenn die "255" überschritten wird, bekomme ich eine Fehlermeldung und ich starte die Aufnahme neu mit etwas niedrigerem Pegel.
Oder ganz kurz: Du kannst ohne Qualitätsverlust auf der digitalen Ebene normalisieren, macht sogar Sinn! Smile

Andreas, DL2JAS
Was bedeutet DL2JAS? Amateurfunk, www.dl2jas.com
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#7
Lieber zweimal aufnehmen, einmal mit recht niedrigen Pegel (damit Clipping verhindert wird), um die lauteste Stelle zu finden => peak search. Und dann noch mal und den Pegel mit Hilfe des peaks einzustellen. Kostet zwar extra Zeit, lohnt sich aber meistens (bei Klassik eher als bei Rock/Pop).

Auf dem PC normalisiere ich nichts: Wenn mir die Lautstärke nicht passt, kommt Replay Gain in's Spiel. Das ist flexibler, als die Datei zu modifizieren.
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#8
Ich benutze zum Aufnehmen eine alte Soundforge Version, die merkt sich den Spitzenpegel und zeigt mir an wenn es zu viel war, dann wird's neu gemacht, sonst nicht. Normalisieren tue ich immer, allerdings erst nachdem ich überprüft habe, ob die Spitzenwerte Musik oder Kratzer sind. Kratzer werden dann vorher gebügelt. Da Kratzer meist extrem kurze Spitzen sind kann man die einfach glatt machen. Bei SF geht das einfach mit einem Stift-Werkzeug, mit der Maus wird die gewünschte neue Kurvenform gemalt. Ist nix für Puristen, ist schon klar, aber man (ich) hört es nicht.

Grüße,
dieter
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#9
Der wesentliche Punkt wurde noch nicht genannt, denn die Normalisiererei ist namentlich dann durchaus unerfreulich, wenn man mit 16 Bit arbeitet und das Problem nicht kennt, "96 dB Betriebsdynamik" hört und glaubt, Spitzenpegel bei -20 dB ansiedeln zu können, da man danach wegen des dann mit 76 dB immer noch DOLBY-tauglichen Geräuschspannungsabstandes "ohne Rücksicht hochziehen" zu können.

Bekanntlich reagiert die digitale Technik sehr viel harscher auf ein Übersteuern des Übertragungskanales als die analoge, weshalb man bei der Wahl eines digitalen Kanales jede auftretende Spitze -und sei sie noch so kurz- 'fangen' muss, denn sonst explodiert der k3. Die mittlere Aussteuerung liegt demnach bedeutend niedriger als bei vergleichbaren analogen techniken.
Weiterhin nimmt die Auflösung einer digitalen Wandlung von der Vollaussteuerung (allerbeste Qualität, da niedrigster Klirrfaktor) zum niedrigen Pegelbereich durchaus nennenswert ab. Bei 16 Bit muss man sorgfältig hinhören, ob Pegel unterhalb von -50 dB -wenn man den "Headroom", also die Aussteuerungsreserve, auf etwa 30 dB setzt, kommt man da bei klassischer Musik und akustischem Jazz sehr schnell hin!- nicht schon zu unsauber werden. Bei 14 Bit (daran dachte man zunächst bei der Konzipierung der CD), treten diese klanglichen Unsauberkeiten (erhöhter Klirrfaktor) schon im üblichen Dynamikbereich auf, bei 16 Bit nur bei ungünstiger Ausnützung des Leistungsangebotes; bei 20 Bit muss man oben schon sehr viel Luft gelassen haben, um bei einer sinnvollen (!) 'Normalisierung' für minderwertige Signale zu sorgen. Doch macht man sich keine Vorstellung davon, was 'so alles' in der 'lebendigen Praxis' angestellt wird.

Bei 24 Bit hat man oberhalb der mit 16 Bit zu verbindenden Qualität bei Vollaussteuerung noch 48 dB Headroom, womit auch ein Paukist zu 'fangen' sein sollte, wenn der einmal unerwartet heftig zuschlägt...

Jener Headroom ist einer der zentralen Gründe, warum man im Profibereich doch auf 24 Bit umgestiegen ist; man kann sich Headrooms genehmigen, die bei 16 Bit umgehend an die Wand führen. Der zweite Grund ist die Tatsache, dass bei jeder 'digitalen Operation' der Bitcode verlängert wird.

Grundsätzlich kann man 'normalisieren', doch sollte man zur Wahrung hoher Qualität auch und gerade bei digitaler Arbeit bei der voraufgehenden Aufnahme grundsätzlich so hoch wie möglich aussteuern, ohne an der Quantisierungsgrenze anzulaufen.

Zur Sache gibt es zwei schöne Aufsätze von Prof. Martin Fouqué in den Tagungsberichten der Tonmeistertagungen 1978 und 1981 (!). Trotz dieser steinalten(?) Aufsätze wird bei der Normalisiererei bis heute viel gesündigt.

Merke: Auch die digitale Technik kommt nicht ohne Hinhören aus.

Hans-Joachim
(wieder zuhause)
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