Hören für andere Ohren: Wie funktioniert Monitoring?
#1
Ein Posting von PhonoMax brachte mich auf die Idee zu diesem thread. "... mit Deinen Ohren müsste ich (erst) hören lernen ..." schrieb er zum Thema Hören mit Kopfhörern sinngemäß. Diese Aussage - eigentlich eine Binsenweisheit - brachte mich zum Grübeln.

Ein Instrumentenbauer baut ein Instrument nach seinem Gehör, den Klang beurteilen Musiker nach ihrem Gehör, der Musiker wiederum spielt für Ohren des Pulblikums, bestehend aus vielen verschiedenen Ohrenpaaren. Spielt der Musiker nicht im Konzertsaal, sondern im Tonstudio, so entscheidet der Tonmeister anhand seines Equipments und seines "Gehörs" über die Abmischung. Die zufriedenzustellende Zielgruppe ist neben dem Musiker noch ein Publikum im Alter von 16 bis 96 und entsprechendem Gehör, das so völlig verschiedene Gerätschaften verwendet wie mp3-Player, Ghettoblaster, Autoradio, Pommes-Anlage, HiFi-Anlage, High-End-Anlage.

Ziemlich viel Beurteilungen und daraus resultierende Entscheidungen von ziemlich viel verschiedenen Standpunkten aus, mit verschiedenem Equipment, mit verschiedenen Ohren. Der subjektive, persönliche Geschmack, zusätzliche Störgröße, wurde bis jetzt noch nicht 'mal erwähnt.

Das ganze erinnert an den Versuch, den Turm von Babel ohne Meterstab zu bauen. Zwar gibt es so was wie einen Meterstab - die Monitor-Lautsprecher, gebaut nach Vorgaben von Rundfunkanstalten (Stichwort: BBC-Monitor), aber diese sind ja nur Wandler, deren Output "nach Gehör" beurteilt wir. Und dieses ist nun einmal von Mensch zu Mensch verschieden.

Es ist verwunderlich, daß unter diesen Umständen Produktionen entstehen, die von großen Personengruppen gleich oder ähnlich beurteilt werden.

# Wie geht das? Wie ist die Messkette, die abwechselnd aus Lautsprechern und Ohren besteht, geeicht? Die dazwischenliegenden Gerätschaften kann man vernachlässigen, die brauchen "nur" einen linearen Frequenzgang, den kann man messen.

# Nach welchen Gesichtspunkten werden Monitore gebaut, und wie unterscheiden sie sich zu HiFi-Lautsprechern?

# Und wie "lernt" man hören, wenn man doch selbst sein Leben lang der einzige ist, der einen kontrolliert, denn niemand kann nachempfinden, wie ein Anderer hört?

Oder seh' ich das einfach nur zu kompliziert und alles ist ganz einfach?
Michael(F)
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#2
Du siehst es zu kompliziert!

An Monitorboxen muß man sich auch gewöhnen ... und irgendwann klingen sie auch gut.

Wie fast immer!

Diese Diskussion hatte ich schon Anno ´84 mit meinem Tonmeister ... und hab sie bis heut nicht verstanden.

Grüße Axel
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#3
Klar gewöhnt man sich an alles. Ich will mich aber nicht an Monitorboxen gewöhnen, sondern wissen, wie man mit Hilfe der selben sowie der eigenen Ohren eine Aufnahme mischt, die auch von anderen akzeptiert und für "gut" befunden wird.

Kannst Du Dich an Details der Diskussion noch erinnern? Wink
Michael(F)
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#4
Nun, mein Hauptargument war, daß es ja wohl am meisten Sinn macht, eine Aufnahme so zu mischen, wie sie zu Hause auch gehört wird. Da hätte es am meisten Sinn gemacht, die damals aktuellen Highlights BM 20 hinzustellen.

Andererseits: Wer hat die schon. In der Studioregie hingen allerdings riesige JBLs, die in der Tat kein Mensch im Wohnzimmer hat. Mit dem Sound taten sich alle schwer, so daß es in der Praxis oft so aussah, daß andere Lautsprecher in anderen Räumen zum Quervergleich herangezogen wurden. Übrigens auch andere Musikstücke.

Was man den JBLs allerdings zugestehen mußte: Sie waren sehr präzise, immerhin erreichte eine Produktion in der Zeitschrift Audio 17 von 20 Technikpunkte (wobei diese Bewertungen immer mit Vorsicht zu genießen waren).

Heute arbeite ich ausschließlich an Fernsehproduktionen und mische sehr oft Dokumentarfilme. Wir haben in diversen Räumen Klein + Hummel O98 zu stehen und hier kann man bestens feststellen, wie unterschiedlich die Räume klingen. Das ist extremer, als man denkt!

Fakt ist: Mischen in einer Raum/Box-Kombination, die man nicht kennt, kann man gleich vergessen.

Demnach würde ich durchaus soweit gehen zu sagen, daß man überall mischen kann (nätürlich bei einem Mindestmaß an Qualität der Anlage), man muß sie nur wirklich gut kennen.

Grüße Axel
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#5
Ich fürchte, ich habe mein Denkmodell zu ehrgeizig angelegt. Machen wir einen 2CV draus Wink

Nehmen wir an, es gäbe nur einen Raum, nur ein Paar Monitore, nur ein Equipment und nur zwei Menschen - den Tonmeister und den Zauberlehrling, der das auch mal können soll.

Letzterer macht einen Mix und ist hin und weg von seinem Werk, bis der Tonmeister kommt und sagt: "Das ist Mist!"

Wie verständigen sich die beiden? Der Tonmeister kann ja gar nicht mit den Ohren des anderen hören, weiss also nicht, was schief läuft. Also sagt er: Weniger Bass, mehr Höhen, ... oder er macht den Mix und sagt: "So muss das sein."


Der Stift denkt sich dann: Klingt bescheiden, aber so ist es offenbar richtig. Damit lernt der Stift die subjektive Einschätzung des Lehrmeisters und gibt diese weiter.

Ist unsere heutige Hörkultur also nix weiter als mündliche Überlieferung subjektiven Hörempfindens, das zum nicht meßbaren Standard erklärt wurde?
Michael(F)
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#6
Michael, super, da haste Dir die eigene Antwort gegeben.

Ich sag´s mal nochmal mit anderen Worten: Am Ende ist die Technik nur ein Hilfsmittel. Oder nur ein Übertragungsmedium. Sprich: Du kannst viel falsch machen, das ist auch der Hauptjob, dies zu verhindern. Es gibt in dem Sinn aber nix "Richtiges". Da wird´s dann subjektiv. Oder: Gut ist, was gefällt.

Natürlich fällt Dir ein Rauschen, Brummen oder was immer auf, bestimmt auch eine schlecht aufgenommene Stimme, Gitarre, Klavier etc.. Aber wenn Du erstmal auf der guten Seite bist, also Deine Technik im Griff hast, lässt Du´s laufen. Da hast Du dann die kreativen Eingriffsmöglichkeiten wie EQ, Hall, Effekte, Mischverhältnisse usw.

Und da kannst Du dann gute oder sehr gute Arbeit abliefern. Aber spätestens hier kommt wieder die Frage des Geschmacks und alles beginnt von vorn.

Hier kommt dann auch die Kunst ins Spiel, weil: Wenn jeder Stift auf seinen Tonmeister hört, wird´s irgendwann langweilig. Irgendwann bricht einer was auf, machts anders und schon hast Du eine neue Stilrichtung.

Dies betrifft die musikalische Seite allerdings wesentlich stärker. Am Mischer ist der Einfluss doch etwas geringer.

Damit sind wir auch wieder am Anfang. Das Mischen inclusive Abhören ist eher ein Handwerk und da ist´s wie überall: Machst Du es falsch, meckert jeder herum, machst Du es dagegen gut, so merkt niemand etwas davon.

Grüße Axel
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#7

Zitat:Michael Franz postete
...
Der Stift denkt sich dann: Klingt bescheiden, aber so ist es offenbar richtig. Damit lernt der Stift die subjektive Einschätzung des Lehrmeisters und gibt diese weiter.

Ist unsere heutige Hörkultur also nix weiter als mündliche Überlieferung subjektiven Hörempfindens, das zum nicht meßbaren Standard erklärt wurde?

Ein kleiner Kommentar aus meiner bescheidenen (Amateur) Praxis: Tonmeister sind schlauer!

Gut, ich darf nicht stellvertretend für die Zunft reden, denn erst fast eine Handvoll von den ausgeprägten Individualisten habe ich bisher kennengelernt. Jedoch zeigt diese Spezies (ich spreche von Meistern!)  übereinstimmend eine außergewöhnlich hohe Allgemeinbildung, Aufgeschlossenheit, Neugierde und einen nicht wegzudiskutierenden Hang in Richtung: Liebe zur Musik.

Mündliche Überlieferungen und physikalische, nachvollziehbare Meßwerte sind einfach unabdingbare Voraussetzungen dafür, um überhaupt einen fachbezogenen Austausch über ein Phänomen führen zu können, das den Namen  Musik trägt.

Amselgezwitscher ist jetzt in meinen Ohren (sorry Naturfreaks) keine Musik, wenngleich sich ein Tonmeister sicher auch darüber schon so seine Gedanken gemacht haben mag.

Kanonenschüsse auf einer dunkelgefärbten, runden Scheibe (sorry, Vinylmitleser)  sind m.E. nirgendwo in Zusammenhang mit Musik zu bringen, da handelt es sich schon eher um grenzwertige Naturmeßsignale, die jeder moderne HP-Synthesizer-Generator deulich auswertbarer und reproduzierbarer zur Verfügung stellt. Um nicht allzuweit vom Thema abzukommen: da braucht man auch keine Monitore oder wie auch immer gearteten Abhören dazu, um die wiederzugeben und zu bewerten, sondern ein Scope, ein paar Analysatoren, etwas Software und einigen Sachverstand.

Daß es viele Autodidakten unter den Tonschaffenden gibt, die in Bereichen, wo "Klassik" jetzt nicht gerade die Hauptmusikrichtung ist, aber (in der Vergangenheit) gut Kohle eingefahren werden konnte, verwundert nicht. Ich bin mir sicher, auch aus diesen Kreisen sind tonmeisterliche Meisterschüler hervorgegangen, die sich dann wieder in die Reihe dieser vorgenannten Individualisten einstellen lassen: mit Blick nach vorn, nach hinten, nach links, rechts, unten und oben.

Vielleicht sollte im Verlauf des threads jetzt einmal Konsens (nicht Einigkeit!) darüber geschaffen werden, was die Teilnehmenden unter heutiger Hörkultur denn eigentlich verstehen!

Ich erinnere mich an open air Zeiten, noch keine 10 Jahre zurückliegend, da war eine bauchdeckenvibrationsgarantierende Baßanhebung von 15 bis 25 dB ein Muß, sonst hatte der sound mit Hörkultur nicht das geringste zu tun! Jedem Klassiker sträuben sich die Haare, und mir tun heute noch die Ohren weh neben manchem Kleinwagen (an der Ampel etwa), wo mehr Energie ins Basschassis wandert als in das turbogetunede Antriebsaggregat... Es muß dennoch gültig bleiben: ein Teil "irgendeiner Hörkultur".

Jetzt sind wir bei Kultur gelandet und es sollte aber in Richtung Hörempfinden / Monitoring weitergehen. Jetzt sind erst einmal wieder andere Beiträge gefragt.

Bitte schön.

P.N.

©DK1TCP
Klasse CH-Parts, ultimative 810-MPU, nomen est omen und eine Klarstellung sowie meine Remanenzreferenz & was nWb/m sind... und zur Rezenz...
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#8
Es gibt doch immer wieder diese 'sagenhaften' Referenzplatten, bei deren Herstellung man sich besonders viel Mühe gegeben hat. Haben zu diesem Zwecke die Tonmeister dann wieder so abgemischt, wie es ihre Zauberlehrlinge ursprünglich vor hatten? Oder nahm man sich da nur etwas mehr Zeit???
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#9
Die sogenannten "Referenzplatten" wurden anfänglich von den Zeitschriften gekürt. Das waren in der Regel Platten, die "besonders gut gelungen" waren, egal aus welchen Ursachen heraus. Weil sie zu Vergleichszwecken taugten, z. B. weil sie Unterschiede der Hardware hörbar machten, wurden sie oft verwendete Referenz.

Weil das für das Image gut war, begann man, gezielt Referenzplatten zu produzieren.

Besonders sorgfältige Anwendung des Handwerkes, auch in der Pressung, sorgt dafür, daß wenigstens im Neuzustand keine Knackser drauf sind. Das war ja leider keine Selbstverständlichkeit bei der Plattenproduktion. Für Referenzplatten sollte das selbstverständlich sein.

Für die gezielte Produktion von Referenzplatten braucht man noch irgendein spektakuläres Ereignis, mit dem man die sehr oft vorhandene künstlerische Dürftigkeit kaschieren kann. Ein Kanonenschuß ist hier sehr gut geeignet, oder dessen Reproduktionsversuch via Schlagzeug.

Andreas erinnert sich sicher noch an das Konzert von Inga Rumpf. Wenn ich bei so einer Gelegenheit eher beiläufig höre, wie ein "normaler" Schlagzeuger, also einer der sein Geld mit harter Musikerarbeit auf Provinzbühnen verdienen muss ohne dabei berühmt zu werden, sein Drumkit testet und sich einspielt, dann brauche ich keinen "Knock out" von Charly Antolini mehr. Wenn ich dagegen den excellenten Drummer Charly Antolini hören will, kann ich beruhigt zu den MPS-Recordings greifen, wo er z. B. zusammen mit Eugen Cicero MUSIZIERT statt Geräusche für sog. Referenzuplatten abzusondern. Auch wenn die MPS-Platten nicht als Referenz-Recordings durchgehen würden, so hat mit die Arbeit von Hans-Georg Brunner-Schwer doch weitaus besser gefallen als manche Referenzplatte.

Will sagen: Nix gegen Referenzplatten, also nix gegen Platten, die das werden, weil sie gut sind. Aber wenn angefangen wird, ganz bewusst eine Referenzplatte herzustellen, dann wird's eng... zumndest in künstlerischer Hinsicht. Will ich Schallplatten hören oder Musik?

Die Zauberlehrlinge sind dabei aussen vor. Das waren die Tonmeister selber mal in jungen Jahren, haben jetzt vielleicht welche dabei, die ihnen über die Ohren hören dürfen. Nun müssen sie als Tonmeister entscheiden, wie das "sounden" soll. Da spielt natürlich die von trolltest erwähnte Hörkultur eine Rolle. Wenn ich Kultur (alle Kulturschaffenden mögen bitte entschuldigen) mal salopp als Quintessenz der aus dem Zeitgeist entstandenen Gewohnheiten definiere, vielleicht noch mit einem Blick zurück garniert, dann geht es also darum, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden zwischen

a) dem Stand der Gewohnheiten, der sogenannten Hörkultur, zu entsprechen
b) neue Wege aufzuzeichnen, in denen es weiter gehen könnte.

Der Einsatz technischer Mittel ermöglicht es, Ergebnisse zu produzieren, wie man es "Live" nie zu hören bekommen könnte, selbst dann nicht, wenn man das Konzert ganz für sich alleine spielen lassen könnte. Die Konserve ist nicht mehr Reproduktion des Originals, sondern ein eigenständiges Medium mit eigenen Regeln und Gesetzen. In der Unterhaltungsmusik, speziell Rock & Pop, ist das von Anfang an so gewesen. Der spezielle Sound der amateurhaft agierenden Autodidakten, mehr durch technische Mängel bestimmt denn durch künstlerische Absicht, konnte zum Erkennungszeichen werden. Fans lehnen restaurierte Aufnahmen, die richtiger klingen, oft ab. Richtig ist hier das, was zu allererst unter der Nadel des Mister-Hits eierte.

So agiert der Tonmeister ähnlich wie ein Koch, der sein handwerkliches Geschick einmal für Eisbein mit Sauerkraut verwendet und ein anderes Mal für fritiertes Erbsenpüree an Salbeiextrakt, aber stets weiss, wie heiss er die Kochplatte einstellen muss. Es gibt creative Künstler, die experimentieren, Erfolg haben, dadurch Standards setzen und solche, die diese Standards dann erfüllen, verfeinern.

Aber, um zum Thema des threads zurückzukommen, ist das alles Überlieferung von Generation zu Generation? Und was geht uns da alles verloren, weil wir das hören, was wir gewohnt sind und nicht einmal wissen, unabhängig davon ob es gefällt, wie richtig es ist? Nix gegen eine spektakuläre Platte, die Freude bereiten kann, aber mir fehlt oft der Bezug zur "Wahrheit". Gibt es die im Musikbusiness überhaupt?

Zumindest scheint es keinen einheitlichen Maßstab zu geben, vielmehr eine Vielzahl von eigene Maßstäbe setzenden Leuten, denen wiederum andere nachfolgen.
Michael(F)
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