Durchschnittsspektrum Singstimme
#1
Hallo,

in einer Präsentation von Prof. Oliver Curdt, Stuttgart, über "Sounddesign - Die menschliche Stimme" habe ich diese Illustrationen gefunden:
   

   

Wie man sieht, weicht offenbar das ?-typische-? Spektrum einer geschulten Singstimme erheblich von den Durchschnittsspektren von Sprechstimmen ab.

Kennt jemand Fachliteratur mit ähnlichen Darstellungen von Durchschnittsspektren von Singstimmen (männlich, weiblich | Bass, Bariton, Tenor, Männeralt | Alt, Mezzosopran, Sopran| Kulturkreis-Abhängigkeit | spezielle Ausnahme-Sänger: Caruso, Axl Rose, Yma Sumac) ?

MfG Kai
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#2
Der Effekt wird in der musikalischen Akustik allgemein als „Sängerformant“ bezeichnet, seine Ausbildung hilft einer Singstimme unter anderem, sich gegenüber einem 100köpfigen Orchester akustisch zu behaupten.

Google liefert eine Fülle Hinweise zu Einzelaspekten, zum Beispiel zur „Auswirkung der Richtcharakteristik der menschlichen Singstimme im Tonstudio“ oder zum „Bühnensprechen professioneller Sopranistinnen“.

Zur Akustik der menschlichen (Sing)stimme gibt es reichlich Grundlagenliteratur. Curdts zweite Abbildung beispielsweise stammt ursprünglich aus einem Artikel von Johan Sundberg, „The Acoustics of the Singing Voice“ Scientific Amercan No. 236 (1977) S. 82-89

Weiteres Material findet sich z.B. in Weinzierl „Handbuch der Audiotechnik“ ab S. 139 oder im von Curdt erwähnten Dickreiter „Mikrofonaufnahme“ S. 68ff.
Ich habe auch einige Artikel vergangener Tonmeistertagungen hier, die ich aber besser nicht öffentlich einstellen sollte.

Grüße, Peter
Grüße
Peter


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(Konrad Adenauer)
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#3
Hallo Peter,

vielen Dank für deine Links.
Da schau ich gerne mal rein. Ist aber nicht genau das, was ich suche.
In den Weinzierl und Dickreiter, "Mikrofon...", hab ich auch schon mehr vergeblich geguckt, sogar in den Meyer ("Akustik...").

Am besten würde mir ein Bild ähnlich dem ersten nützen, falls es sowas gibt oder überhaupt geben kann.

Hintergrund ist ein bei mir erwachtes Interesse an der klanglichen Restauration von Plattenaufnahmen aus der Zeit der akusto-mechanischen Aufnahmetechnik vor 1925. Diese alten Aufnahmen wurden noch direkt von einem großen Horn-Trichter als Mikrofon auf eine Druckdose mit Schneidstichel in eine Wachsmatrizze übertragen.
Die Platten, die es noch gibt, haben nicht nur allerlei Störgeräusche, sondern aufgrund der damaligen Aufnahme-Technik auch nach heutigen Begriffen "abenteuerliche" Frequenzgänge, die zur Restauration ausgebügelt werden müssen, und teilweise erhebliche Verzerrungen, insbesondere wenn ein kräftiger Stimmformant mit einer Resonanz des Trichtersystems zusammen fiel.
Man findet im Internet Digitalisierungen solcher Platten in der Spannbreite zwischen "sehr gut / fast optimal" bis "gut gemeint, aber ohne den nötigen Sachverstand" durchgeführt.
Leider gibt es meist keine Aufzeichnungen über die technischen Details der benutzten Aufnahme-Gerätschaften (Horntrichter, Schneiddosen), weshalb man bezüglich der Frequenzgänge der Apperaturen ziemlich im Dunkeln steht.
Aber unsere Ohren nehmen den "eigentümlichen" Klang wahr, teilweise gibt es aus den Jahren nach 1925 elektrische Aufnahmen gleicher Musiktitel vom gleichen Künstler mit viel besserem Frequenzgang. Und es gibt eben die statistischen Methoden.
Mein Gedanke war, mittlere Singstimmen-Spektren heranzuziehen als "Norm"...Anhaltspunkt, wie solche alten Aufnahmen zu entzerren sind.

MfG Kai
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#4
kaimex,'index.php?page=Thread&postID=214583#post214583 schrieb:Mein Gedanke war, mittlere Singstimmen-Spektren heranzuziehen als "Norm"...Anhaltspunkt, wie solche alten Aufnahmen zu entzerren sind.
Ach so. Tja, aus meiner langen beruflichen Erfahrung mit Sängern werde ich deine Begeisterung leider ein wenig dämpfen müssen.

Sängerformanten sind individuell sehr unterschiedlich ausgebildet und zum Teil auch charakteristisch für die jeweilige Stimme. Eine statistische Methode („alles über einen Kamm“) führt darum meist zu keinen überzeugenden Ergebnissen.

Diese Formanten ändern sich zudem in Lage und Stärke sehr stark mit der Lautstärke des gesungenen Tons und dienen dem Gehör als Erkennungszeichen für die tatsächlich erzeugte Lautstärke, unabhängig vom empfangenen Schalldruck.

Last but not least ist zu berücksichtigen, dass eine Filterung nicht nur Vokale, sondern auch Konsonanten beeinflusst und ein geschultes Ohr gerade bei Konsonanten auf Klangveränderungen besonders empfindlich reagiert.

Als Quintessenz bleibt eigentlich nur eine individuelle Klangeinstellung nach Geschmack, und dieser am besten entwickelt durch genügend Fachkenntnis (Hör-)Erfahrung und Übung. Nach wie vor weitgehend offen in der Fachwelt ist zum Beispiel die Frage, inwieweit eine Berücksichtigung damaliger Wiedergabebedingungen in das Restaurationskonzept mit einzufließen hätte, und falls ja, in welcher Weise.

Grüße, Peter
Grüße
Peter


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(Konrad Adenauer)
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#5
Peter Ruhrberg,'index.php?page=Thread&postID=214586#post214586 schrieb:Nach wie vor weitgehend offen in der Fachwelt ist zum Beispiel die Frage, inwieweit eine Berücksichtigung damaliger Wiedergabebedingungen in das Restaurationskonzept mit einzufließen hätte, und falls ja, in welcher Weise
gibt es dazu frei zugângliche veröffentlichungen, die ich zwecks Horizont-erweiterung lesen sollte ?
ich hab den aufsatz copeland ?bbc? studiert. und einiges von anderen hobby-restauratoren. die kommerziellen restauratoren sind sehr verschwiegen. über verzerrungskorrektur-methoden findet man fast garnichts. bei copeland scheint mir über die korrektur der horn-frequenzgânge auch nicht nur richtiges drin zu stehen....

mfg kai
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#6
Malzeit,
ist etwas über Versuche bekannt diese alten Platten mit einem guten Grammophon abzuspielen und ein Mikro vor den Trichter zu stellen. Das wäre doch glaube ich die Methode die die alten Klänge am besten wiedergibt.
Oder?
Gruß Jürgen
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#7
Weniger ja als nein:
Man will ja auch all die störenden Nebengeräusche loswerden. Das würde diese Methode nicht leisten.
Andererseits war da wohl mal was dran.
Man muß bedenken, daß die bei den Aufnahmen benutzen Hörner/Trichter wie Wellenleiter für den Schall wirkten. Die müßten wie HF-Leitungen oder Hohl-Leiter mit der richtigen Wellen-Impedanz abgeschlossen werden, damit es an beiden Enden keine wesentlichen Reflektionen gibt, die die Wellen mehrfach hin- und herlaufen lassen, was zu unschönen periodischen Resonanzen führt. Das war aber ein großes Problem.
Es mußte deshalb vermieden werden, daß Wiedergabe-seitig gleiche Hörner benutzt wurden, wodurch dieser Effekt ja gleich "im Quadrat" dringewesen wäre. Man kann in Berichten über die alte Zeit tatsächlich lesen, die Aufnahme-Firmen hätten absichtlich statt 78 U/m 80 oder 76 genommen (ca. 1/4 Ton höher oder tiefer) , damit auch bei gleichen Hörnern dieses Problem abgemildert wurde. Das erscheint mir aber wenig glaubhaft, erstens weil man zu Hause wohl kaum so große Trichter (Länge 1,5 m oder mehr) benutzt hat. Außerdem variiert der Effekt mit der Größe beider Öffnungen und der Öffnungsfunktion der Trichter (zB konisch oder exponentiell). Diese Formen-Vielfalt hat sicher schon bewirkt, daß das Resonanzspektrum von Aufnahme-Horn und Wiedergabe-Trichter recht verschieden war.
Die Abweichungen von den nominelle 78 U/m hatten vermutlich andere schlichtere Gründe.

MfG Kai
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#8
Hallo Kai und Jürgen,

kaimex,'index.php?page=Thread&postID=214587#post214587 schrieb:die kommerziellen restauratoren sind sehr verschwiegen. über verzerrungskorrektur-methoden findet man fast garnichts.
Ja, und genauso mau sieht es bei anderen wenigen Veröffentlichungen aus, die ich dazu auftreiben kann. Sobald es an entscheidende Details (und finanzielle Interessen) geht, können Fachleute sehr verschwiegen werden. Dann geht es kaum hinaus über „wir haben da was ganz Tolles entdeckt, das macht ne Heidenarbeit und kostet auch nen Haufen Geld, aber die Ergebnisse werden Sie vom Hocker hauen“ (wovon Letzteres so gut wie nie zutrifft, jedenfalls nicht in meinen Ohren).

In diesem Zusammenhang halte ich die Einleitung zu einem Referat auf der Tonmeistertagung 2008 mit dem Titel „Digitale Restaurierung historischer Tonaufnahmen: Eine Gratwanderung zwischen Authentizität und Manipulation“ von Nadja Wallaszkovits (Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) für überlegenswert:

… immer wieder werden auf Messen und Konferenzen mehr oder weniger beeindruckende Tonbeispiele vorgeführt, um Fortschritte zu demonstrieren. Der Tonträgermarkt wird – getrieben vom Ablauf der Urheberrechtsfristen – überschwemmt mit historischen Aufnahmen, die meist kommentarlos dem Hörer angeboten werden. Die akustischen Ergebnisse solcher Bearbeitungen werden vom Konsumenten offenbar bedingungslos entgegengenommen, wenn nicht sogar gefordert, und klangästhetische oder gar quellenkritische Betrachtungen, die dem akustischen Original auf den Grund gehen, werden ausgespart. Weltweit bieten Archive ihre Bestände in aufbereiteten Abhörkopien an, sei es in Form von Tonträgereditionen oder als Web-Downloads, und auch hier sind quellenkritische Kommentare zur digitalen Restaurierung und Bearbeitung kaum vorhanden. Dabei handelt es sich besonders bei Archivmaterial oft um berühmte oder vielfach zitierte Originalquellen, die ohne weitere Beschreibung von Bearbeitungsschritten veröffentlicht werden. Doch – wen interessiert’s?

Kurt Deggeller* beschreibt das Phänomen folgendermaßen: „Während den kommerziellen Nutzer nur der Inhalt interessiert und zwar in einer seinen Vorstellungen von einem modernen technischen Standard entsprechenden Form, wird der Archivar versuchen, beim Transfer die Charakteristiken des Originaldokuments zu erhalten. Auch wenn die Zeiten des hemmungslosen Kolorierens von Schwarzweißfilmen und des „Stereophonisierens“ älterer Musikaufnahmen unterdessen vorbei sind, hat sich noch keine verbindliche Ethik der Erhaltung und Restaurierung von audiovisuellen Dokumenten herausgebildet“.

Im Bereich der physischen Restaurierung von Tonträgern und des Re-Recordings, also der sachgerechten Übertragung und Digitalisierung von analogen Beständen, wurden besonders in den letzten Jahren maßgebliche Standardwerke formuliert. Bezüglich der Signalverbesserung bzw. digitalen Restaurierung und klanglichen Bearbeitung fehlen jedoch – mit wenigen Ausnahmen – ethische bzw. klangästhetische Richtlinien. Der Bereich der digitalen Restaurierung vereint die Geschichte der Tontechnik mit den ästhetischen Ansprüchen der Klanggestaltung der heutigen Zeit und den damit verbundenen kommerziellen Ansprüchen – eine schwierige Aufgabe, die laufende Entscheidungen fordert.


*Kurt Deggeller, vormalig Leiter der Schweizer Nationalphonotek und Direktor von MEMORIAV (Schweizer Netzwerk zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes), heute Berater für audiovisuelle Archive. Quelle


olav246,'index.php?page=Thread&postID=214607#post214607 schrieb:ist etwas über Versuche bekannt diese alten Platten mit einem guten Grammophon abzuspielen und ein Mikro vor den Trichter zu stellen.
Mit dieser Grundidee wurde längere Zeit im "Emil Berliner Haus" (nomen est omen, Historie verpflichtet) der DG (bzw. Polygram) in Hannover-Langenhagen vor rund 25 Jahren experimentiert. Allerdings nicht um das komplette Schellackarchiv erneut mit historischen Tonarmgewichten und Abtastnadeln zu malträtieren, sondern um die Wiedergabecharakteristik des Abspielgeräts (versuchsweise auch einschließlich der akustischen Abbildung einer dazu passenden Räumlichkeit) mit elektronischen Mitteln möglichst gut nachzubilden. Und eine der entscheidenden – und schwierigsten – Aufgaben bestand tatsächlich darin, die Hornresonanzen von Aufnahme- und Wiedergabetrichtern nicht zu potenzieren.

Die Ergebnisse, die ich aus diesen Versuchen mitbekommen habe, empfand ich damals als durchaus überzeugend: Es klang tatsächlich der Wiedergabe eines sehr guten Trichtergrammophons zum Verwechseln ähnlich. Leider kann ich die zugehörigen Klangbeispiele heute nirgendwo mehr auffinden und auch nichts darüber sagen, ob das Verfahren in dieser Form sich langfristig bewährt hat.

Links zur Beschäftigung mit Restauration und Restaurationsethik allgemein:

Frühe Aufnahmetechniken - Auralisierung und Restaurierung

Die Veröffentlichungen der IASA (International Association of Sound and Audiovisual Archives) sind m.E. besonders empfehlenswert. Zwei kostenlose Beispiele:

IASA-TC 03 (2005): Safeguarding the Audio Heritage: Ethics, Principles and Preservation Strategy

Die Restaurierung und Konservierung von Datenträgern aus restaurierungsethischer Sicht

Grüße, Peter
Grüße
Peter


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(Konrad Adenauer)
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#9
Hallo Peter,

vielen Dank für deine Hinweise und die angeführte Zitate.
Was Frau Wallaszkovits schreibt, ist sicher richtig.
Das hat aber bestimmt auch damit zutun, daß "man" das Feld den kommerziellen Restauratoren und den Verkäufern des Know-Hows überläßt, statt dafür zu sorgen, daß das an Hochschulen erarbeitete Know-How offen zugänglich bleibt und weiter voran getrieben wird, und staatlich geförderte Kultur-Organisationen selbst Restauration nach diesen kulturhistorisch-ethischen Prinzipien betreiben.
Die Gründer von CEDAR kamen aus der Cambridger Uni-Szene.
Die Köpfe dahinter und hinter solchen Firmen wie izotope haben früher ihre Entdeckungen/Verfahrensmethoden auf Kongressen veröffentlicht. Aus neuerer Zeit findet man wenig(er).

Unter den zum Kauf angebotenen Medien gibt es gut & zurückhaltend gemachte und stark glatt-gebügelte.
Vor kurzem hab ich in einer Hamburger Bücherhalle ein französisches Produkt aus 2-mal 10 CDs entdeckt mit dem Titel "L'Histoire du Jazz Vocal/The History of Vocal Jazz". Teil 1 deckt die Zeit von den ersten Aufnahmen 1911 bis 1940 ab, Teil 2 die Jahre 1941-1953. (Le Chant du Monde / harmonia mundi , 2004)
Da scheint mir die Bearbeitung der ganz alten Aufnahmen im Sinne von Frau Wallaszkovits Vorstellungen durchgeführt worden zu sein.
Leider erfährt man nicht das Geringste über die eingesetzte Technik & Methoden/Software.
Ebenso beim bei der 3-fach CD "Over There! Sounds and Images of Black Europe", die Aufnahmen Afrikanisch-Amerikanischer Künstler von 1903 bis 1926 enthält. (Erschienen 2013 bei Bear Family). Es gibt ein Booklet über die Künstler und ihre Musik, aber nichts über die Transfer-Technik & Methoden.

Andererseits ist natürlich zu berücksichtigen, daß von dem (kleinen) Kreis der Leute, die sich sowas anhören (oder gar kaufen) wieder nur ein Bruchteil für dahinterstehende technische Herausforderungen und Lösungen interessiert.

MfG Kai
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#10
In dem Aufsatz IASA TC-03 (2005) "Safeguarding the Audio Heritage..." steht allen Ernstes unter "3. The instability and vulnerability of audio carriers" drin:

"The level of risk ranges from the very high for an LP frequently replayed by conventional mechanical pick-up systems
to relatively low for a rarely used analogue quarter inch polyester tape replayed by well maintained equipment."

Da gab es also noch keinerlei Sensibilität für den allmählicher Verfall mancher Magnetbänder.

MfG Kai
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