War Linearisierung per HF-Bias ein "Selbstgänger"?
#1
Hallo Tonband-Spezis,

ich hab mal eine Frage an die Experten bzgl. Band-Eigenschaften.
Es gibt ja die Anekdote von der zufälligen Entdeckung der linarisierenden Wirkung der HF-Vormagnetisierung auf den Analog-Speicherungsvorgang auf Magnetband.
Mich bewegt die Frage, ob dieser Effekt eigentlich bei allen Materialien, die man je als Ingredienzien für Magnetband in Betracht gezogen und ausprobiert hat, "von selbst" und in ausreichendem Umfang eintrat oder ob man sich im Verlauf der Band-Entwicklung technisch-physikalisch darum bemühen mußte.
Hintergrund der Frage ist:
Wie an anderem Ort im Forum schon mal erwähnt, versuche ich, den Speicherungsvorgang am hinteren Spaltrand des Aufnahmekopfes im Rechner zu simulieren. Zuletzt mit dem Preisach/Schwantke Hysterese-Modell der Magnetschicht.
Die Simulation läuft. Probleme bereitet die Berechnung einer geeigneten Preisach-Verteilung für ein typisches Bandmaterial.
Es hat sich gezeigt, daß die veröffentlichten Daten von Magnetband, selbst bei den historisch besser dokumentierten frühen Bandsorten wie zB AGFA FR4004 (mit Hysteresekurve, Neukurve, Remanenzkurve) nicht ausreichen, um eine geeignete Preisachverteilung zu ermitteln. Es sind immer noch genügend Freiheitsgrade enthalten, um ungeeignetes zu erzeugen.
Das "ungeeignete" äußert sich zB darin, daß trotz hoher HF-Vormagnetisierung die Magnetisierungskennlinie wellig bleibt oder zumindest einen störenden flachen Anfangsteil behält. Es muß also noch irgendein "Rezept" hinzukommen, um die weitgehende Linearisierung ab einem HF-Pegel mit einer Amplitude (Spitzenwert) von etwa dem 1.42-fachen der Koerzitivfeldstärke zu bewirken.
Hat jemand Einblick in diese Problematik oder kann auf Literatur verweisen, die hierzu Aufschluß gibt ?

MfG Kai
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#2
Google mal nach Magnettontechnik und den Namen Friedrich Engels. Auch gibt es ein aktuelles Buch von Peter Meinold dazu.
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#3
Danke für den Hinweis.

Eigentlich habe ich aber fast alle historischen Werke über Magnettontechnik als PDF vorliegen, auch Friedrich Engel's bei AGFA entstandenen Klassiker.
Das von Peter Meinold fehlt vielleicht noch.
Ich hab zwar nicht jede Seite umgedreht, geschweige denn gelesen, kann mich aber nicht besinnen, mal irgendwo Hinweise gesehen zu haben, ob man sich nach der Entdeckung der HF-Vormagnetisierung bei der Entwicklung verbesserter Bandtypen für gute Kennlinienlinearität noch zusätztlich bemühen mußte oder hat, oder ob man mit dem, was sich per Bias-Pegel einstellen ließ, immer zufrieden sein konnte.

MfG Kai
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#4
Nun, wichtig beim Einmessen erachte ich persönlich, dass ich genügend Reserven im HF-Strom habe und ein dickes Studioband durchlöschen kann.

Als man auf einer früheren Tonmeistertagung damals das BASF 900 Maxima mit einem Röhrenverstärker Telefunken V66 vorführte, kam man zu dem Schluß, dass dieses Band 10 Jahre zu spät kam.

Hätte man damals dieses hochaussteuerbare Band gehabt, hätte Digital keine Chancen gehabt! (Zitat aus einem Bericht des VDT)

Noch heute gilt eine gut eingemessene Mastermaschine als wohlklingend und wird als zusätzlicher Speicher vom Master genutzt, mit Compander wie Dolby SR oder Telcom C4 kommt man erst heute mit hoher Auflösung bei 24bit und 192KHz an das professionelle Analogsignal heran.

Selbst bei zu Tode kompremierten Dateien kann ich noch etwas Dynamik mit meinen Telcom's bei Wiedergabe etwas retten! thumbsup
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#5
Ich nehme mir die Freiheit, ein paar Gedanken loszuwerden, die mich beim, zugegeben nicht tiefgründigen, Verfolgen dieser von kaimex angestoßenen Diskussion umtreiben, auch wenn sie off topic erscheinen können:

Mathematik ist unverzichtbar, aber: mathematische Formeln beschreiben physikalische Vorgänge modellartig, und dieser Modellcharakter setzt Grenzen, ab denen Formel und Realität nicht mehr übereinstimmen. Beispiel Ohm’sches Gesetz: unbedingt von hohem Erkenntniswert, hat es Grenzen, weil es z.B. thermische Effekte (zwischen Supraleitfähigkeit und thermischer Selbstzerstörung) nicht abbildet. In solchen Fällen kommt es dann, allgemein gesprochen, zu ggfs. schrittweise weiter „verfeinerten Berechnungsverfahren“.

Je komplexer physikalische Vorgänge sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, eine in allen Belangen deckende mathematische Beschreibung zu finden. Für die magnetische Speicherung heißt das: wir haben es bei Magnetköpfen einerseits, Magnetbändern andererseits mit Komponenten mit weit auseinderliegenden magnetischen Eigenschaften zu tun, deren Interaktion sich im (mindestens) dreidimensionalen Raum abspielt. Und zwar dummerweise im Mikrometerbereich und daher der direkten Beobachtung nahezu entzogen. Was geschieht, ist nur aus den Folgen rekonstruierbar, und solches Vorgehen ist irrtumsgefährdet.

Konkretes Beispiele: die – dreidimensionale – Gestalt des Magnetfelds vor dem Spalt des Aufnahmekopfs ist nur für den Fall bekannt, dass kein Magnetband anliegt. Wie sieht das Feld im Betriebsfall aus, welche Rückwirkungen haben Felder, die vom Band selbst ausgehen?

Das Band selbst: die in Datenblättern angegebene Koerzitivfeldstärke gibt nur den Mittelwert wieder. Tatsächlich sind die „Schaltfeldstärken“ der Pigmentteilchen statistisch verteilt. Um wieviele Akteure es geht, führt zu einem aufschlussreichen Zahlenspielchen: moderne Pigmente sind i.A. etwa zylindrisch mit 0,8 µm Länge und 0,08 µm Durchmesser. Die Schicht sei 12 µm dick, die Spurbreite 2 mm. Ca. 60 % des Schichtvolumens nimmt das Bindemittel ein, d.h., der Volumenfüllfaktor mit magnetischem Material liegt bei 40 %. Man berechne wahlweise, wie viele Teilchen sich vor dem Spalt eines 7 µm-Aufnahmekopf befinden bzw. unter 1 mm² Bandoberfläche bzw. auf 38,1 cm Bandlänge.

Jetzt sind die Akteure beisammen, und es stellen sich Fragen wie: wo wird die Magnetisierungsrichtung jedes Teilchens endgültig festgelegt? Sicher, an der „ablaufenden Kante“ des Aufnahmekopfs, aber in welchem Bereich? Welchen Wirkungsmechanismus hat die Hochfrequenzvormagnetisierung? Wie ist z.B, zu erklären, dass sich Bereiche mit einem Drittel / Fünftel usw. der Wellenlänge des „Nutzsignals“ bilden, hör- und messbar als Klirrprodukte?

Jedes Pigmentteilchen lässt sich als magnetischer Ein-Bereich verstehen, d.h., bei einer bestimmten einwirkenden Feldstärke spingt die Magnetisierung komplett in die eine bzw. andere Richtung. Hier setzt das Schwantke-Preisach-Modell an, das eine gewisse Zeit lang mit großen Erwartungen analysiert wurde, aber in der Praxis – jedenfalls meines Wissens – zu keinen weiterführenden Erkenntnissen in Sachen Verbesserung der Tonaufzeichnungs-Qualität geführt hat.

Die Magnetiker (hochspezialisierte Physiker) haben in eigenen Publikationen (z.B. IEEE) über ihre Erkenntnisse berichtet, aber diese Berichte sind dermaßen anspruchsvoll, dass man ihnen ohne systematische Einführung und lange Erfahrung nicht folgen kann. Wie diese Erkenntnisse dann mit den Mitteln der Chemie in die Praxis umgesetzt wurden, ist schon wieder ein neues, weites Feld.

Ich habe den Eindruck, dass im Großen und Ganzen sehr viel empirisch gearbeitet wurde, nicht zuletzt dort, wo es – auch das noch – um die mechanischen Eigenschaften des Magnetbands ging, hier vor allem um den sehr diffizilen Ablauf zwischen Haft- und Gleitreibung an Magnetköpfen und ggfs. Bandumlenkungen bei unterschiedlichen Bandgeschwindigkeiten. Von so vergleichsweise trivialen Eigenschaften wie Abrieb, Schmieren etc. einmal ganz abgesehen.

Fazit: wie die Aufzeichnung mit Hochfrequenzvormagnetisierung nun tatsächlich funktioniert (hat), dürfte ein großes Geheimnis bleiben – erst recht, weil sich heute kaum noch jemand mehr mit dieser Frage herumschlagen will. Labors mit der notwendigen Ausrüstung gibt es ohnehin nicht mehr, und die damals führenden Magnetiker dürften allesamt im Ruhestand ff. sein.

F.E.
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
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#6
Hallo Friedrich,

danke für deine Anmerkungen.
Falls ich den Eindruck erweckt habe, mit dem Versuch einer Simulation des Preisach-Schwantke Modells der Analogsignalspeicherung an der "Ablaufkante" des Aufnahmekopfes den Anspruch einer in allen Details korrekten Nachbildung dieses komplexen Vorgangs zu verbinden, so kann ich versichern, daß das nicht der Fall ist. Es hat mich aber als Projekt gereizt, zu diesem Zweck die alte Fachliteratur zu studieren, Dinge zu lernen bzw. wieder an die Oberfläche des Bewußtseins zu holen und die Vorgänge im Gerät am Band besser zu durchschauen.
Es ist also mehr Mittel zum Zweck der Verschiebung des eigenen Horizonts.
Bei der Beschâftigung damit ging mir dann irgendwann auf, daß die noch auffindbaren Beschreibungen der magnetischen Eigenschaften der Bânder nicht spezifisch genug sind, um eine passende Preisach-Verteilung zu bestimmen. Da sind noch genügend Freiheitsgrade drin, die mir gestatten würden, allerlei Unfug zu konstruieren. Man kann eventuell "das Pferd von hinten" aufzäumen und Verteilungen generieren, die das liefern, was man gerne als MOL und Klirrverlauf hätte, so wie aus jungeren Banddatenblättern bekannt. Ich würde mich allerdings "gewissensmäßig" wohler fühlen, wenn sich das "von alleine" aus den dokumentierten Hysteresekurven ergäbe.
Daneben tauchte die Neugier/ Fragestellung auf, ob die damaligen Pioniere der Bandentwicklung sich bei der Herstellung der Pigmente noch speziell um besonders vorteilhafte magnetische Eigenschaften für hohe Linearität nach HF-Vormagnetisierung bemüht haben, oder ob es bei Auswahl von prinzipiell geeigneten magnetischen Partikeln geblieben ist. Dazu fand ich in der klassischen Literatur (dein Buch bei der AGFA, das Buch von Fr. Krones (1952) und die von ihm geschriebenen Kapitel im Buch von Fr.Winckel (1960)) keine direkten Hinweise.
Ich hoffe, das lag nicht daran, daß ich manchmal "diagonal" lese.

MfG Kai
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