Band-Kenndaten messen
#53
Friedrich Engel,'index.php?page=Thread&postID=200001#post200001 schrieb:gibt es Erfahrungswerte bzw. -vorgehensweisen, bei welcher Instrumenten(-kombination) der AP in welcher Richtung zu verändern war?
Darüber könnte ich mühelos eine Bachelorarbeit verfassen. Schon aus zeitökonomischen Gründen skizziere ich lieber anhand einiger Beispiele ein paar grundsätzliche Überlegungen, um die Denkweise hinter der Praxis deutlich zu machen.


Captn Difool,'index.php?page=Thread&postID=200015#post200015 schrieb:Ich denke, ein obertonreiches Cembalo wird man mit weniger BIAS-Strom zugunsten besserer Hochtonwiedergabe "abstimmen", während eine Querflöte oder Oboe mehr BIAS bekommt, da hier weniger Obertöne präsent sind und man sich dafür besser das "THD-Loch" sucht, denn bei diesen Instrumenten wird der Klirr wesentlich deutlicher wahrnehmbar. Ein Flügel geht eher Richtung Mitte, damit der Diskant nicht zu muffelig wird …
Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass eine Erhöhung des VM-Stroms selbstverständlich immer mit einer Vergrößerung der Aufnahmeentzerrung einherzugehen hat, damit der Frequenzgang linear bleibt. Weil sich dadurch die Höhenaussteuerbarkeit vermindert, kann dies zu einer gepressten, matschigen Hochtonwiedergabe führen (wofür mein damaliger Mentor Klaus Matthes das schöne Wort "vollfett" verwendete).

Im Fall eines Cembalos wäre dies aber nicht so tragisch, da es hohe Modulationsdichte mit geringer Dynamik verbindet und darum durchaus 5…7 dB niedriger ausgesteuert werden kann, ohne dass der geringere RGA störend wirkt. Auf jeden Fall würde ich einen niedrigeren Bias wählen, wenn jemand es unbedingt darauf anlegt, ein Cembalo auf 9,5 cm/s zu zwängen.

Bis weit in die 1970er Jahre hinein betraf eine möglichst optimale Ausnutzung von Magnetbandeigenschaften nicht nur den Arbeitspunkt, sondern auch die Wahl des Bandtyps. Das deutlichste Beispiel, was mir ad hoc dazu einfällt, ist das Agfa PER 525.

Aus den Diagrammen könnte man vermuten, dass es als ein auf 38 cm/s optimiertes PER 525 universell geeignet sein müsste, elektroakustisch etwa gleichauf mit dem Konkurrenzprodukt LGR 30P. Dem ist aber nicht so.

Sein entscheidender Nachteil zeigt sich, sobald man versucht, ein Horn – noch drastischer: zwei Hörner – aufzuzeichnen (optimaler AP, also Klirr- und GR-Minimum vorausgesetzt). Hier macht man schnell unangenehme Bekanntschaft mit einer speziellen Eigenschaft des Gleichfeldrauschens, die in dessen Messung nur stark abgeschwächt eingeht, nämlich das sogenannte Poltern, das durch plötzliche Schichtinhomogenitäten erzeugt wird, vorwiegend durch lokale Zusammenklumpungen magnetischen Materials.

Das Gleichfeldrauschen (früher Modulationsrauschen genannt) wird normgerecht über ein sog. Belger-Filter bestimmt, welches dieses Poltern bedämpft. Eben diese Polterstellen sind es aber, die für die meisten PER 525 Chargen kennzeichnend sind, die ich verwendet habe. Zusätzlich zum Programm ist ein mehr oder weniger lautes, unregelmäßiges Pochen und Klopfen ("Poltern" eben) zu hören, meist im Bereich um 100…250 Hz, das sehr störend wirkt (weil nicht zum Instrument gehörig) und sogar durch Kompander wie Dolby A, telcom oder Dolby SR nicht genügend kaschiert wird. Ein LGR 30P war in diesem Punkt viel unauffälliger, auch wenn sein GR mit dem des PER 525 messtechnisch gleichauf lag (beide um -49 dB).

Die einzige Möglichkeit, diesen Effekt zu vermeiden besteht im Wechsel auf einen geeigneteren Bandtyp.

Andere Beispiele:

Eine Querflöte ist gegen Modulationsrauschen vergleichsweise unempfindlich, da es von ihrem eigenen Rauschanteil (Anblasgeräusch) größtenteils verdeckt wird. Der kubische Klirrfaktor (= ungeradzahlige Harmonische) hingegen passt nicht in ihr Obertonspektrum (= geradzahlige Harmonische) und sollte deswegen so gering wie möglich gehalten werden.

Eine Blockflöte stellt wegen seiner relativen Oberton- und Geräuscharmut deutlich höhere Anforderungen an Klirrfaktor und Modulationsrauschen. Oder wie Jürg Jecklin vor 40 Jahren treffend formulierte: "Die Blockflöte hat einen intensiven, süßen Ton, der die Neigung hat, das Band zu übersteuern".

Der alte Musikerwitz "was ist schlimmer als eine Blockflöte? Zwei Blockflöten" gilt hier uneingeschränkt, denn sauber und vibratoarm gespielte Intervalle ergeben auf ungeeignetem oder schlecht eingemessenen Bandmaterial eine muntere Vielfalt an Differenztönen, die den Eindruck vermitteln, dass noch ein dritter, reichlich unmusikalischer Spieler mitwirkt. Hier hilft nur ein Bandtyp mit Klirr- und GR-Minimum an derselben Stelle, und beide möglichst tief gelegen.

Ein Konzertflügel wiederum ist relativ unempfindlich gegen Modulationsrauschen und Poltern, sein eigener Geräuschanteil ist dafür zu hoch. Ein Konzertflügel zeigt aber auch eine erstaunlich hohe Dynamik, weswegen bei ihm das Bandrauschen störend in Erscheinung treten kann. Abhilfe schafft hier entweder ein Kompander, oder eine nicht normgerechte Aufzeichnungsentzerrung (die natürlich bei Wiedergabe spiegelbildlich anzuwenden ist):

Aufgrund der zahlreichen, aber vergleichsweise leisen Obertöne eines Flügels können bei einer Aufzeichnung auf 38 cm/s die Höhen soweit angehoben werden, dass die Höhenaussteuerbarkeit des Magnetbands besser ausgenutzt wird. Dies kann in günstigen Fällen zu einer Rauschminderungswirkung führen, die einem Dolby A vergleichbar ist. Verständlich andererseits, dass ein solches Verfahren beispielsweise beim Rundfunk auf wenig Gegenliebe stieß. Es konnte nur eine Insellösung werden und bleiben. (Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die sog. ARD-Entzerrung für Mehrspurmaschinen, die mit ihrer charakteristischen Überhöhung um 2 dB bei 4 kHz dem gleichen Grundgedanken folgte.)

Je nach ihrer Auslegung fordern die Klangeigenschaften großer Orgeln ein Magnetband nicht nur in den Höhen (horizontal angeordnete Zungenpfeifen), sondern und vor allem in den Tiefen (32' Register). Bei solchen Wuchtbrummen würde ich als erste Maßnahme von Bandmaschinen mit NAB (IEC 2) Entzerrung Abstand nehmen, weil die Frequenzen der Subkontraoktave (16…32 Hz), welche meist mit verblüffend hohem Schalldruck abgestrahlt werden, das Band regelmäßig übersteuern. Auch wegen der enormen Dynamik größerer Orgeln würde ich ein möglichst hochaussteuerbares Band mit Klirr- und GR-Minimum an derselben Stelle einsetzen und auf diese Minima auch einmessen.

Grüße, Peter
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Peter


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(Konrad Adenauer)
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