Das nächste Schnäppchen habe ich diese Woche gemacht.
Ich suchte schon länger nach einem Sennheiser MD 211, jenem kleinen, stabförmigen Tauchspulmikrofon, das als "Tom-Jones-Mike" zu Berühmtheit gelangte.
Es wurde von irgendwann Ende der 60er bis Mitte der 80er gebaut. Anfangs nur mit Kleintuchelanschluss, später auch mit XLR-Steckverbinder. Letzteres wurde MD 211-U benannt, während die Kleintuchelversion den Zusatz -N bekam, wie bei Sennheiser üblich.
Es handelt sich um einen dynamischen Druckempfänger (Kugel) mit einem Frequenzbereich von 30-20000 Hz und einem Feld-Leerlauf-Übertragungsfaktor von 1,6 mV/Pa. Beides wurde im Lauf der Produktionszeit etwas geändert. Die ersten Serien waren nur von 50 bis 17000 Hz angegeben und die Empfindlichkeit lag mal bei 1,3 mV/Pa (bei 1 kHz). Das Mikrofon ist rücksprechfähig, d.h., es kann als "Gegensprechanlage" zwischen Ü-Wagen und Reporter genutzt werden. Angeblich verkraftet es NF-Leistungen bis 500 mW ohne Schaden zu nehmen. Ausprobieren werde ich das nicht. Ich habe schon eins mit durchgebrannter Schwingspule...
Bei einem Grubenunglück in Holland soll es durch die Rettungsbohrung zu verschütteten Bergleuten heruntergelassen worden sein und dadurch den Kontakt hergestellt haben.
Das Mikro ist zeitlos-stabförmig mit einem Durchmesser von 22 mm und einer Länge von 133 (-N) oder 141 (-U) mm. Es hat ein Messinggehäuse mit satinvernickelter Oberfläche und eingefräste Stege oben an der Einspracheöffnung. Es sieht aus wie aus einem Stück (was es aber natürlich nicht ist) und wirkt auf den ersten Blick eher wie ein Kleinmembran-Kondensatormikrofon.
Die meisten MD 211, die man angeboten bekommt, sind abgerockte Exemplare, denen man ein hartes Studio- und Bühnenleben ansieht. Sehr oft sind die Stege an der Einsprache verbogen oder gebrochen, weil sie die empfindlichste Stelle darstellen. Ich hatte vor ein paar Monaten schon mal ein defektes Exemplar für 30 Euro gefunden, bei dem das
Gehäuse aber in einem sehr schönen, fast neuwertigen Zustand war. Vor allem die Kappe wies keinerlei Verletzungen auf! Die Schwingspule allerdings war durch. Und sowas ist nicht reparabel. Aber natürlich hob ich das schöne Gehäuse auf und geierte nun auf eine Gelegenheit, ein technisch intaktes Mikro mit unansehnlichem Äußeren zu ersteigern, um aus zweien eins zu machen. 8o
Diese Gelegenheit kam dann vor rund zwei Wochen. Es wurde ein MD 211-U angeboten, das einen abgebrochenen und zwei angedetschte Stege an der Einsprache aufwies, aber ansonsten noch wunderschön aussah. Keine Benutzungsspuren am Rest-Gehäuse, technisch o.k. Und das ist das Schönste: komplett mit OVP, Garantiekarte (wie immer: nicht ausgefüllt), Original Frequenzgangschrieb und Schatulle. Sogar der Anhänger "HIFI DIN 45500" lag noch in der Schachtel, und das Seidenpapier, in dem das Mikro im Bissendorfer Werk einst eingewickelt worden war. Anhand des beiliegenden Datenblattes konnte ich erkennen, dass das Mikro frühestens 1979 hergestellt sein konnte, denn die Druckauflage stammte von Dezember 1978.
Nun war ich gespannt wie ein Flitzebogen auf den Ausgang der Auktion. Normalerweise gehen 211er, auch in bedauernswertem Zustand, für Beträge zwischen 120 und 180 Euro weg, weil das MD 211 für seinen guten Sound und seine robuste Bauweise bekannt und begehrt, aber relativ selten ist. Und so viel wollte ich auf keinen Fall ausgeben. Nun hatte der Verkäufer aber den Fehler gemacht, dass er die Auktion mittags gegen 12 enden ließ. Die Folge war, dass ich den Zuschlag für 56 Euronen bekam!
Als es mit Hermes ankam, war ich begeistert. Das Gehäuse sah wirklich aus, als sei es nie benutzt worden, von den Fallschäden am Gitter abgesehen! Ich löste die drei Schräubchen, mit denen der XLR-Anschluss befestigt ist, zog selbigen heraus und entfernte den Wattepfropfen, der sich im Inneren fand. Dann konnte ich eine M3-Schraube am oberen Ende durch das Rohr hindurch lösen und dadurch kam der Mikrofonkopf frei, den ich nach nachdrücklichem Ziehen alsbald in der Hand hatte. Nun galt es natürlich vorsichtig zu sein, damit die beiden dünnen Anschlusslitzen nicht abreißen oder beschädigt werden. Die Kapsel war mit einem Innen-Sicherungsring im Kopf fixiert, den ich mit der SiRi-Zange entfernte, nachdem der dämpfende Filzstopfen abgenommen war. Dann drehte ich eine 5 cm lange M3-Schraube in das Bodengewinde der Kapsel und zog kräftig. Etwas widerspenstig, weil noch eine dünne, abdichtende Silikonraupe am Rand saß, kam die Kapsel aus der Hülse. Ich reinigte sie von Silikonresten, applizierte stattdessen etwas "Repair extreme"-Kleber um den unteren Rand und schob die Kapsel dann in den unbeschädigten Kopfteil ein, den ich von meinem letzten Kauf aufgehoben hatte.
Sicherungsring wieder eingesetzt, Filzpfropfen drauf, beide Teile zusammengebaut, Watte und XLR-Stecker rein, fertig.
Nun habe ich endlich ein MD 211-U, das aussieht, wie eben aus dem Werk, wenn man von einer Nuance Unterschied in der Vernickelung der beiden Teile absieht... Der Kopf ist etwas matter als der Schaft. Es klingt genau so, wie man es anhand des Frequenzschriebs erwarten kann: sehr offen mit ganz leichter Brillanzanhebung und etwas zurückhaltenden Tiefen. Das ideale Reportagemikrofon. Als Druckempfänger ist es naturgemäß unempfindlich gegen Griffgeräusche und Wind/Popp. Da sich die Membran aber nur unter einem Drahtgazegitter und ohne weitere schützende Maßnahmen im Kopf befindet, ist ein Schaumstoffwindschutz empfehlenswert.
Auf dem Balkon, im weichen Licht, habe ich ein paar Fotos gemacht. Das erste ist ein "vorher"-Foto:
LG Holgi