Teil 1
#4
Ich bemühte mich um Betroffenheit.

"Wie schrecklich", murmelte ich zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervor.

Innerlich begann ich zu überlegen. Der Sammler M. aus F., um den mußte es sich handeln, war ein verrückter Chaot der im Laufe von Jahren alles zusammengetragen hatte, was ihm unter die Finger kam. Gebremst wurde er nur durch die temporären Leeren auf seinem Bankkonto, die sich in immer häufigerer Folge einstellten. Die Geräte passten schon lange nicht mehr in seine Dachgeschoss-Wohnung, und die Stapel waren aus dieser hinaus, die Treppe hinunter, bis in die Kellerräume gewuchert, wo sie die anderen Mieter störten. Das sowas in einem schwäbischen Haus überhaupt möglich war fand ich immer unglaublich. Vor der taktischen Meisterleistung, den Rausschmiss zu verhindern, zog ich insgeheim meinen Hut.

Nun, wo der Gute so ausserplanmäßig aus der Mitte seiner Sammlung gerissen worden war - Anhang hatte er keinen - gab es für den Vermieter ein Problem: Wie wird er den vermeintlichen Schrott los? Ich würde der rettende Engel sein und für einen Appel und ein Ei in kürzester Zeit ein zweites "Geschäft meines Lebens" machen.

"Regeln wir das Finanzielle" schlug ich vor und ging in den Laden. Der Ladenbesitzer folgte mir.

Dort klingelte das Telefon.

Mit dem mir mittlerweilen bekannten, halb entschuldigenden und halb erstaunten Gesichtsausdruck schaute er mich an und nahm den Hörer ab.

Er sagte nichts! Das zarte, gesunde rosa in seinem freundlichen Gesicht wich schlagartig einer Blässe, wie ich sie aschfahler noch nicht gesehen hatte. Die Augen wurden größer und größer, drohten aus den Höhlen zu springen, der Mund öffnete sich und nur mit Mühe konnte er den Hörer wieder auffangen, der ihm beinahe aus der Hand gefallen war. So muss es aussehen, wenn jemand eine Stimme aus dem Jenseits hört!


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Kurz zuvor stand der Sammler M aus F fassungslos auf einem Rastplatz der Autobahn nach Frankfurt.

Als er, verkrampft über das Lenkrad seines Autos gebeugt auf der Überholspur den ersten klaren Gedanken seit Stunden fassen konnte, wurde ihm zweierlei klar:

a) Es waren am Abend zuvor zuviele Biere gewesen. Ein Teil davon machte noch Probleme im Kopf.
b) der Teil des Biers, der nicht über das Blut in den Kopf stieg, machte Probleme in der Blase.

Wenigstens dem 2. Problem konnte schnell abgeholfen werden. Mit quietschenden Reifen war er über quer über die Fahrbahn in den Parkplatz hineingewedelt und knapp vor einem Truck zu stehen gekommen. Er stürzte aus dem Auto, hinter die Büsche und genoss das Gefühl der Erleichterung, als er die letzten Tropfen abschüttelte und die Hose zuknöpfte. Dann stapfte er zu seinem Auto zurück und konnte sehen, wie es genauso dynamisch, wie es hinein gefahren war, wieder vom Parkplatz fegte.

"War keine gute Idee mit laufendem Motor und und offener Tür zu parken", meinte lakonisch der Trucker, der auf einer Bank saß und an seinem Vesperbrot kaute "Es gibt Leute die leben davon."

"Bier?" fragte er weiter und langte in seine Kühltasche, zog eine Büchse "Aschendorfer Schäumle" hervor und riß, um vollendetet Tatsachen zu schaffen, die Dose auf bevor er sie zu M hinüber schob, der sich resigniert auf die Bank gesetzt hatte. Ein Auto war schnell gekauft, aber der Zeitverlust war durch nichts zu ersetzen.

"Kannst ja jetzt ruhig trinken, musst ja nicht mehr fahren" lachte der Trucker und fügte hinzu: "Ich nehme Dich mit nach Frankfurt, dahin habe ich Fracht, und von dort aus kommst Du weiter."

War es das Bier, war es das beruhigende Brummeln des Diesels, im Fahrerhaus kam M. zur Ruhe und begann zu planen. Auf den Planen des Trucks war nichts zu lesen gewesen.

"Für welche Spedition fährst Du?" fragte M.

"Für keine, bin mein eigener Chef", kam die erhoffte Antwort.

"Was kostest Du am Tag?"

Der Betrag war verblüffend niedrig.

"Ich brauche Dich für 3 Tage und ich zahle das Doppelte des Üblichen." sagte M

Der Trucker - "Theo" stand auf dem Schild in seinem Fahrerhaus - zuckte bedauernd die Schultern.
"Geht leider nicht, habe Termine."

"Das 3fache," erhöhte M.

"No way. Werde meine Kunden nicht verprellen." Theo blieb stur.

Der LKW rollte Richtung FFM.

"Darf ich telefonieren?"

"Bitte!" Theo zeigte auf das futuristisch eingerichtete Cockpit mit PC, Satellitentelefon, Fax, und und und..

Er bemerkte den erstaunten Gesichtsausdruck von M, dessen Büro wesentlich altmodischer war als dieses Cockpit.

"Technisch bin ich uptodate," sagte Theo, "Musiktechnisch eigentlich auch."

Dabei zeigte er auf einen HiFi-Turm, den man eher im Wohnzimmer eines Zahnarztes vermutet hätte denn in der Fahrerkabine eines LKws.

"Aber das ist alles digital. Ganz praktisch für die Parkplatzparty mit Kollegen. Aber mein Herz hängt hier dran."

Dabei zeigte er unter das Armaturenbrett. Dort erblickte M als Anachronismus mitten in diesem Raumschiff-Enterprise-Ambientente - - - ein SABA Transeuropa! Irgendwie dahingebastelt. Theo bemerkte Ms Erstaunen.

"Den Halter habe ich selbst gemacht," sagte Theo voller Stolz.
"Mit einem Griff hab ich das Radio in der Hand und mit einem Griff steckt es wieder. Das Ding nehme ich sogar mit zum Pinkeln. Schließlich hat man mir schonmal einen Laster geklaut. War ein ziemlicher Stress damals und mit Müller-Westernhagen haben sie einen Film darüber gedreht."

M schöpfte Hoffnung.

"Wie schön," sagte er mit glänzenden Augen "so einen hatte meine Mutter. Meine A77 lief darüber, denn ich hatte keinen Verstärker" "Kanst Du mal einschalten?"

Theo betätigte den Drehschalter. Es lief, was zur Zeit immer lief: "Behind Blue Eyes" von Limp Bizkit. Der Song nervte M.

"Gefällt Dir nicht?" fragte Theo etwas unfreundlich

"Der Song ist Klasse" beeilte sich M. Theos Mundwinkel wurden wieder gerade.

"Aber das Original finde ich besser" Theos Mundwinkel gingen leicht nach oben.

"Who's next" ist eine super Scheibe". Wieder 2 mm Höhe gewonnen.

"Aber wenn ich mich entscheiden müsste: Ich weiss nicht ob ich "Who's Next" oder "Live at Leeds" auf die Insel nehmen würde."

"Sag ich doch!" zeigte sich Theo begeistert, schaltete den Transeuropa ab und ein anderes, daneben hängendes Gerät an.

Das war eine Stellavox, kunstvoll ins Amaturenbrett integriert und vom Band erklang "Magic Bus", der Killertrack des letztgenannten Albums. M war hingerissen - noch nie hatte er eine Stellavox gesehen, geschweige denn gehört. Der Sound lies ihn vermuten, da sein wohl irgendwo in dieser Kabine eine Electrovoice Sentry III versteckt.

"Ist das Dein Hobby?" fragte Theo hoffnungsvoll.

"Mehr als das."

M nutzte die Chance. Er erzählte von seiner Situation, von seinem Vorhaben, von einem norddeutschen Noah und seiner Arche für anitke HiFi-Geräte. Und es gelang ihm, Theo weich zu kochen.

"O.K." sagte der schließlich "Man muss Prioritäten setzen. Wir fahren"

M war erleichtert.

"Aber vorher muss ich noch zum Abladen nach Frankfurt!"

M guckte über das Armaturenbrett. "Ladeboardwand auf/zu" stand dort auf einem Knopf. Er drückte beherzt. Der LKW für gerade durch eine Kurve, die Boardwand öffnete auf der richtigen Seite, und im Rückspiegel konnte M sehen, wie einige Stapel Kisten über das Geländer der Brücke segelten, über die sie gerade fuhren. Von dort fielen sie auf die darunter verlaufende Autobahn.

"Iss praktischer so" meinte Theo nach kurzer Überraschung.

"Ich zahl Dir den Schaden," sagte M, "was war den drin?"

"Nix besonderes, nur Bananen!"

M griff zum Telefon



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Als der Verkäufer wieder auflegte, hatte sein Gesicht einen freudigen Ausdruck bekommen.

"Ich verstehe das zwar nicht ganz," sagte er, "aber der Kollege kommt doch noch."

Und dann fügte er bestimmt hinzu:

"Was sie im Auto haben, dürfen sie behalten. Für 50.000.--. Das Geld will ich sofort.
Über den ganzen Rest sprechen wir erst, wenn ihr Kollege ein Angebot gemacht hat."

Den Spatz in der Hand zu halten und trotzdem die Taube auf dem Dach zu jagen war Gebot der Stunde.

"Gut," sagte ich zähneknirschend, und reichte ihm meine Kreditkarte.

"Nehmen wir nicht, tut mir leid!" Es schien ihm gar nicht leid zu tun!

"Ich zahle an und bringe den Rest."

Ich öffnete mein Geldbeutel und leerte ihn auf dem Kassentisch aus. Jetzt schien er zum ersten Mal das Geld anzusehen.

"Oh, das sind ja die neuen Euronen! Ich hätte gerne von jedem eines, aber den Rest brauche ich in DM!"

"Die gibt es doch gar nicht mehr!"

"Doch, bei uns schon. Wir passen sehr darauf auf, daß nichts nach draussen geht."

"Aber ich habe keine DM und bekomme auch nicht so viel her." Ich war verzweifelt.

"Wie wäre es mit Naturalien?" schlug er vor. "Sehen sie den Garten da draussen? Der Gärtner der mir das immer gemacht hat und den ich mit Fernsehern bezahlt habe ist leider verstorben. Meine Frau und ich hätten gerne wieder einen Garten, aber wir sind zu alt für die schwere Arbeit. Ich brauche Pflanzen, die können sie kaufen und bringen. Einpflanzen müssen sie natürlich auch. So ein junger kräftiger Mann wie sie macht das mit links. Aber sie müssen vor morgen Mittag fertig sein, da kommt ihr Kollege."
Michael(F)
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[Kein Betreff] - von highlander - 31.03.2004, 18:02
[Kein Betreff] - von Michael Franz - 01.04.2004, 13:41
[Kein Betreff] - von highlander - 02.04.2004, 07:50
[Kein Betreff] - von Michael Franz - 02.04.2004, 17:18
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[Kein Betreff] - von Michael Franz - 22.04.2004, 09:34

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