HiFi Qualität mit Tonbandgerät erst ab 9,5cm/s - warum?
#1
Fällt mir bei meinem derzeitigen "Projekt" gerade wieder verstärkt auf:
die Qualität bei 4,76 ist ja wirklich nur sehr eingeschränkt zu gebrauchen.
Selbst mit einem der letzten mir bekannten Tonbandgerät (Philips N7150 "Plastikbomber")
Ich habe mich historisch bedingt nie mit dieser Geschwindigkeit beschäftigt (Zitat meines Vaters:
"4,75 nimmt man beim Tonband nicht"), ohne jedoch jemals darüber nachzudenken.
Cassettendecks eigentlich jeden Alters machen dies mit deutlich geringerer Bandbreite bei gleicher Geschwindigkeit
trotz all ihren konstruktionbedingten Nachteilen bedeutend besser.
Aber warum ist das so?

Viele Grüße
Jörg
Viele Grüße
Jörg
Zitieren
#2
Das liegt an der Tatsache das die Koepfe grundlegends nicht fuer das geringe Tempo geeignet sind, deren Kopfspalt ist breiter beim Tonband.
Ich putze hier nur...
Zitieren
#3
Hallo Jörg,

das ist die Frage aller Fragen beim Tonband - d.h., nicht ohne weiteres zu erklären. Ich will es, unter Verzicht auf allzu tiefes Eindringen in die Materie und ohne komplizierte Grafiken, einmal so versuchen:

Halt, erst müssen wir uns über eine Spielregel klar werden: auf dem Tonband zählt nicht die Frequenz, sondern die Wellenlänge. Faustregel: bei 10 kHz ist die Wellenlänge (in µm) gleich dem Zahlenwert der Bandgeschwindigkeit; also: bei 38 cm/s haben wir als Wellenlänge 38 µm, bei 4,76 cm/s demnach nur noch 4,76 µm (und: halbe Werte bei 20 kHz, doppelte bei 5 kHz - alles klar?).

Nun muss man wissen, dass Magnetfelder umso weiter aus der Magnetschicht (eines bespielten Bandes) heraustreten, je länger sie sind. Das hat zur Konsequenz, dass unterhalb einer bestimmten Wellenlänge die im Wiedergabekopf induzierte Spannung immer kleiner wird, weil die Magnetfelder aus oberflächenfernen Bandschichten die Oberfläche nicht mehr (ganz) erreichen - die Wiedergabespannung sinkt mit abnehmender Wellenlänge (also ansteigender Frequenz) auch dann ab, wenn die Schicht "von vorn bis hinten" durchmagnetisiert ist, wovon man (auch wenn das viele nicht glauben wollen) im allgemeinen Fall ausgehen kann.

Diese "Schichtdickendämpfungs-Verluste" gleicht man durch die standardisierte Höhenanhebung im Wiedergabeverstärker aus - hebt damit aber das unvermeidliche Bandrauschen mit an.

Wir haben jetzt einen ersten Übersichtspunkt: je länger die Wellenlängen bei kürzesten Wellenlängen, umso weniger Wiedergabe-Entzerrung ist notwendig, umso geringer ist das Rauschen. Wie erreicht man das? Nur mit entsprechend hoher Bandgeschwindigkeit!

Die Schichtdickendämpfung hat aber noch eine andere Konsequenz. Wenn Du ein Magnetband-Datenblatt zu Hand nimmst, siehst Du, dass die Aussteuerbarkeit bei tiefen Frequenzen (also langen Wellenlängen) deutlich höher ist als bei hohen Frequenzen, und zwar um beachtliche Beträge. Das wiederum hat zur Folge, dass man bei hohen Lautstärken obertonreicher Musik nicht über das ganze Tonhöhenspektrum gleich hoch aussteuern kann - da hilft Mutter Natur, indem sie bei den meisten musikalischen Ereignissen die Mittellage stärker vertreten sein lässt als die Höhen und, etwas weniger ausgeprägt, die Tiefen. Näheres siehe Amplitudenstatistik.

Bist Du noch da bzw. wach?

Die Differenz zwischen Tiefen- und Höhenaussteuerbarkeit wird (auch bei den praxiserprobten Entzerrungsverfahren) immer größer, je langsamer das Band läuft (je kleiner also der resultierende Wellenlängenbereich auf dem Band ist). Je niedriger die Bandgeschwindigkeit, umso ausgeprägter ist das, kaschiert nur durch stärkere Höhenanhebung (z.B. 120 µs beim Cassettenband bei 4,76 cm/s anstatt 35 µs bei der Studiotechnik mit 38,1 cm/s). Man kann aber nicht beliebig stark entzerren, weil es sonst unbrauchbar stark rauscht. Noch einmal: umgekehrt heißt das: wenn das aufzunehmende Musikstück relativ viele Höhen hat, kann man nur relativ niedrig aussteuern - oder man riskiert Verzerrungen in den Höhen und die daraus entstehenden Intermodulationsverzerrungen (der bekannte K3, der Klirrfaktor der 3. Harmonischen, fällt oberhalb etwa 5 kHz sowieso aus dem Übertragungsbereich heraus).

Also, um es kurz zu machen: Hohe Bandgeschwindigkeiten (damit meine ich 38,1 cm/s oder 76,2 cm/s) garantieren komfortable Höhenaussteuerbarkeit bei geringem Rauschen, bedingt durch relativ moderate Entzerrung. Kleine Bandgeschwindigkeiten leiden zunehmend unter eingeschränkter Höhenaussteuerbarkeit (das Klangbild wird, sagen die Leute mit den goldenen Ohren, zunehmend "verwaschener") und angehobenem Rauschen, das sich (glücklicherweise?) mit elektronischer Hilfe - Dolby, highcom, telcom etc. - auf akzeptable Werte absenken lässt.

Wahrscheinlich ahnst Du jetzt auch, warum der Frequenzgang bei nahezu allen Tonbandgeräten bei 20 dB unter Bezugspegel (d.h., rund und roh einem Zwölftel der Tiefenaussteuerbarkeit) gemessen und angegeben wird: bei hohen Pegeln lässt sich das Band nicht mehr über den ganzen Frequenzbereich voll aussteuern.

Jetzt kommen auch noch die Spaltverluste die Wiedergabekopfs ins Spiel, aber das ist eine Sache des Kopfherstellers (bei Compact-Cassetten-Geräten kam man m.W. bis auf 0,7 µm herunter) und der Bandführung bzw. der genauen Einhaltung des Azimuts - das war bei der Compact-Cassette von der Spritzguss-Präzision des Gehäuses abhängig.

Richtig: bei der Digitaltechnik fällt diese ganze Akrobatik weg, es kommt nur darauf an, den Datenstrom ungestört zu übertragen.

So, präziser kann ich das hier und heute nicht mehr ausleuchten.

F.E.


Jürgen: könntest Du bitte Links zu den Datenblättern LGR 50, DPR 26 LH und einem Fe-Cassettenband beisteuern?
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
Zitieren
#4
Hallo Friedrich,

gerne doch.....

SM-911 / LGR-50 / DP-26 / AT-18_u_12--Ferro_649-949 jeweils komplett als PDF

[Bild: normal_SM_911-2.jpg] [Bild: normal_SM911-11.jpg] [Bild: normal_LGR50-06.jpg] [Bild: normal_BASF_TonB__DPR-26-LH-Pro.jpg] [Bild: normal_AT1812-2.jpg]

Gruß
Jürgen
Zitieren
#5
moin moin,

das ist eine ausführung die mich begeistert, ich kann nur sagen TOP F.E.

cu reginald
Das wahre Verbrechen verübt die volkstümliche Musik am Gehörgang der Menschheit.
( Benno Berghammer )
Zitieren
#6
Jürgen,

das LGR 50 war (als Datenblatt) hier die suboptimale Wahl: bitte noch die URL für das deutschsprachige Datenblatt Studio Master 911 angeben, weil hier die Kurven für 76 / 38 / 19 gezeigt sind, die schön den Rückgang der Höhenaussteuerbarkeit in Abhängigkeit von der Bandgeschwindigkeit zeigen.

Für fachkundige Betrachter: bitte die unterschiedlichen Entzerrungen beachten, derentwegen der Rückgang der Höhenaussteuerbarkeit etwas reduziert erscheint (konkret: um die Differenz der Höhenanhebung bei 10 / 12 usw. kHz bei 17,5 µs / 35 µs / 50 + 3180 µs bzw. 70 µs).

Wenn das kein reinrassiges Insider-Kauderwelsch ist ...


F.E.
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
Zitieren
#7
Hallo Friedrich,

das SM-911 ist oben mit eingefügt.

Gruß
Jürgen
Zitieren
#8
Hallo zusammen,

vielen Dank für die ausführlichen Antworten!
Gebt mir das kommende WE um mir das in Ruhe zu Gemüte zu führen

Viele Grüße
Jörg
Viele Grüße
Jörg
Zitieren
#9
Wenn ich es richtig verstanden habe, so müßte durch die hohe Entzerrung von 120µs
und die damit verbundene niedrigere Aussteuerung eine CC extrem mehr rauschen
als ein Tonband bei gleicher Geschwindigkeit.
Dies tut es aber subjektiv zumindest nicht - auch nicht ohne Rauschunterdrückung.
Alles was man bei der CC technisch anscheinend besser gemacht hat (es klingt bei 4,76
nunmal deutlich besser als beim Tonband) hätte man doch in der Tonbandtechnik auch
tun können.
Tonband hat doch technisch enorme Vorteile (breiteres Band, präzise Bandführung, usw.)
und klingt erst bei deutlich höherer Geschwindigkeit
Sorry ich verstehe es noch immer nicht... Sad
Viele Grüße
Jörg
Zitieren
#10
Das Bandmaterial der Kassette ist ein völlig anderes als beim konventionellen Magnetofon.
Durch die Optimierung von Kopf und Band konnte der Frequenzbereich massiv erweitert werden.
Es gab mal auch Bestrebungen für unsere "Tonbandmaschinen" so ein spezielles Band (EE-Band) mit ähnlichen Eigenschaften zu entwickeln, setzte sich aber nicht durch.
Im Home-Bereich wurde nur durch neuere Bandtypen (z.B. Maxell XLI) die Höhenaussteuerung etwas verbessert, aber das war's auch schon.
Spätestens mit der Einführung der Digitaltechnik (DAT) war das Ende des Tonbandes besiegelt.
Hatte es doch zu viele Unzulänglichkeiten (Rauschen, Klirr, Phasenfehler, Haptik), nur Echtzeitverarbeitung möglich usw.
Bei den nächsten Wahlen wähle ich die NSA, denn die sind die einzigen die sich um mich kümmern.
Zitieren
#11
So völlig anders war das Cassetten Bandmaterial (Eisenoxid) zumindest am Anfang der Cassetten-Ära auch nicht . Philips hatte bei der Einführung mit der CC das Ziel, eine verständliche Sprachqualität zu erreichen.
Da war kaum (wenn überhaupt, ausser Rauschen) ein Unterschied zum 6,25 mm Band bei 4,75 cm/s. Erst mit der Weiterentwicklung von CRO2, Chromsubstitut und später mit den Metallbändern, sowie mit Dolby B/C/S HighCom, (usw.) hat sich die Qualität enorm zugelegt. Diese Techniken wurden aber (abgesehen vom EE Band und Dolby) nicht mehr konsequent in die Tonbandtechnik umgesetzt, nicht zuletzt, weil die „gängigen“ (Amateur) Tonbandgeschwindigkeiten 9,53 und 19,05 cm/s dies nicht unbedingt erforderlich machten. Theoretisch wäre das aber m.E. möglich gewesen.

Gruß: Marcell
Zitieren
#12
Hallo Jörg,

die obere Grenzfrequenz über Bandgemessen ist auch immer in Abhängigkeit des Kopfspaltmaßes des verwendeten Kopfes zu sehen...... und genau da beginnt die Krux..... ein zu 4,75 cm/s optimierter Kopf hat bei 9,5 cm/s wesentlich mehr Probleme mit den sogenannten Kopfspiegelresonanzen (Welligkeit im unteren Frequenzbereich) als ein Kopf der im Spaltmaß auf die höhere Geschwindigkeit optimiert ist.
Warum sollte also ein Geräte Hersteller jede menge Klimmzüge anstellen um in der niedrigeren Geschwindigkeit einen besseren Frequenzgang hin zu bekommen, wenn sich in dem Falle bei der höheren Geschwindigkeit sich das Ganze dann verschlechtert (vereinfacht ausgedrückt).


Noch ein Beispiel am Rande...... Aus dem Grunde des Zusammenhangs des Kopfspaltmaßes und oberer Grenzfrequenz wurden beim Bunzdeutschen Rundfunk Köpfe mit einem Spaltmaß von 18 µm beim Aufnahmekopf um so eine natürliche Begrenzung zu bekommen.

In diesem kleinen Büchlein von Friedrich Engel wird das Thema auch sehr ausführlich behandelt.....
Schallspeicherung auf Magnetband
..... kann ich nur empfehlen sich mal durch zu lesen.


Bandtechnik ist halt auch ganz einfache Physik, die es zu beachten gilt...... nur meist vergessen wird.


Gruß
Jürgen
Zitieren
#13
Au weh, ich habe mich mit dem Beitrag 003 mit einem Bein aufs falsche Pferd gesetzt (darf bei >1000 Beiträgen einmal passieren?), weil ich den Anfangs-Beitrag so gelesen habe, als sei die Frage: warum lässt die Qualität bei niedrigen Bandgeschwindigkeiten zu wünschen übrig? Es ging aber um Spule vs. Compact-Cassette.

Nun, man muss zeitgleiche Entwicklungsstände vergleichen. Die Heimtonbandgeräte-Technik ist, was die Bandentwicklung angeht, mehr oder weniger auf dem Stand vom Juni 1969 stehengeblieben (Bezugsband-Leerteil C 264 Z), mit der einzigen Ausnahme des EE-Bandes, was aber, weil zu spät gekommen, floppte (Hintergrund der Entwicklung dürfte eher die bei Viertelspur und 19,05 cm/s erhebliche "seitliche Einstreuung" gewesen sein als eine Qualitätsverbesserung; bei der für 9,5 cm/s durch EE angehobenen Qualität ist die seitliche Einstreuung geringer). Das C 264 Z ist übrigens (immer noch und ohne Aussicht auf Ablösung) IEC-Standard, seine Kompatibilitäts-Eigenschaften sind somit auch für japanische Heimtonbänder verbindlich gewesen.

Ich habe hier ein Datenblatt vom Januar 1971 für ein Compact-Cassetten-Band Ferro-Band QP 12, das technologisch dem C 264 Z entsprechen dürfte (das war immerhin im Jahre 8 nach Einführung der CC!). Die Dynamik (man muss etwas herumrechnen) dürfte bei 333 Hz etwa bei 58 dB gelegen haben bei einer Aussteuerbarkeit von +1 dB (Bezugspegel 250 nWb/m). Bei einem der Nachfolger, Ferro Maxima von 1989, ist die Aussteuerbarkeit auf +5,5 dB geklettert, wobei das Rauschen erstaunlicherweise etwa gleich stark ist wie beim 1971er-Band, die Dynamik also etwa 63 dB (jeweils entzerrt mit 120 µs, ohne Dolby etc.). Dazu kommen noch Gewinne in der Höhenaussteurbarkeit, die sich wegen der zwischen 1970 und 1989 erheblich gesteigerten Wiedergabekopf-Leistungsfähigkeit nicht vergleichen lassen. Bei der IEC-Klasse II sieht die Sache noch etwas günstiger aus, u.a., weil hier auf die mögliche bessere Höhenaussteuerbarkeit zugunsten niedrigen Rauschens (70 µs) verzichtet wurde.

In den späten 1970er Jahren verlagerte sich der Heimtonband-Verkauf siginifikant auf den Anteil der großen 26,5 cm-Spulen, was zeigt, dass die "kleinen" Heimtonbandgeräte langsam aus dem Markt verschwanden; das war dann, dem Bandverkauf nach zu schließen, etwa 1982 der Fall.

In dieser Zeit hatte sich die Bandentwicklung folgerichtig auf andere Gebiete geworfen: primär auf den Massenmarkt Videoband-Produktion (beherrschend VHS) mit seinen hochkoerzitiven Bändern, auf die Datenspeicherung auf Magnetband (das übergehe ich mal) und auf die Studioband-Entwicklung; die Compact-Cassetten-Band-Entwicklung hat starke Impulse aus Japan bekommen und dürfte von den Erkenntnissen aus den anderen Produkt-Linien mehr oder weniger stark profitiert haben.

Alles in allem: Viertelspur-Heimtonbandtechnik ist (bandseitig!) mehr oder weniger auf dem Stand von 1970 hängengeblieben - wer mag, sehe sich den Compact-Cassetten-Qualitätsstand dieser Jahre an. Kein Wunder, dass heute ein Spulentonbandgerät bei 4,75 cm/s gegen ein modernes Compact-Cassetten-Gerät kein Bein auf den Boden bekommt, zumal hier noch Dolby mehr schafft als die Bandentwicklung je hätte bringen können und die Kopfhersteller das Ihre dazugetan haben.

Jürgen: die 18 µm-Sprechköpfe der ARD sollten das Modulationsrauschen verbessern - eine ziemlich alte Erkenntnis, die mit der Entwicklung der Mehrspurtechnik etwas in Vergessenheit geraten war (aber das ist eine andere Baustelle).

F.E.
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
Zitieren
#14
Vielen lieben Dank für die Einblicke!
Das hätte ich so nicht erwartet, sah ich doch Spulenbänder immer als
etwas ganz besonderes an - gerade im Vergleich zu CC's
Ich hätte schon gedacht daß da noch weiterentwickelt wurde.
Aber als Anhänger hat man wohl einen etwas anderen Blick auf die Dinge
und wollte vielleicht auch nie wirklich wahrhaben daß die Technik ewig
schon ausgestorben ist (zumindest was den Massenmarkt anbelangt)
Viele Grüße
Jörg
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste