"Auch Mono abspielbar"
#1
Heute hielt ich eine Platte von Reinhard Mey in der Hand, darauf stand irgendwo 'auch Mono abspielbar'. Was heißt das nun? Wurde bereits beim Abmischen darauf geachtet, daß sich ein hübscher Monoklang einstellt, ist das eine besondere Pressung? Ist das womöglich ein Kompromiss, der der stereophonen Wiedergabe Punkte kostet?
Zitieren
#2
Früher gab es noch jede Menge Monoplattenspieler. Man wollte damit nur klarstellen, dass man diese Platte eben auch dort abspielen konnte.
Gruß,
Michael/SH

Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu (Ö v. Horvath)
Zitieren
#3
Dieser berühmt-berüchtigte Satz ist eigentlich nichts weiter als klassische Augenwischerei (so wie DDD, 'Digitalaufnahme' etc. pp) und in die Welt gesetzt, um einen Markt garz klopfen, den Monofonikern immer brav vor Augen zu führen, dass ihnen etwas abging und die Stereofoniker dahingehend in Sicherheit zu wiegen, etwas besseres zu sein. Die Schallplatte selbst setzte ansonsten der Stereofonie technisch recht enge Grenzen, weil ja zwei Kanäle mit einem einzelnen Stift abzutasten waren. Sie konnte problemlos die Monofonhörer ebenso bedienen wie die Stereophonhörer. Das einzige Problem waren alte Monoabtaster, die aufgrund der fehlenden Elastizität in der Tiefenschriftrichtung (die Monoplatte hat Seitenschrift) bei gleichzeitig meist hoher Masse den Tiefenschriftkanal mit der Zeit abhobelten, so dass der unbrauchbar oder zumindest unsauber wurde. Das aber war in den 1960ern dann vorbei, weil die Monoabtaster zunehmend tiefenschriftelastisch gebaut wurden. Aber zu diesem Problem äußert sich ja die Plattenaufschrift ja gerade nicht, wogegen die Mono-Wiedergabe einer Stereo-LP eigentlich nie ein Problem war.

Denn da hängt mehr in den Gardinen:
Das Verfahren der Stereo-LP war ähnlich dem Stereomultiplexrundfunk so angelegt, dass die alte Monoplatte Emil Berliners als Kanaladditon (links + rechts) in deren Seitenschrift fortlebte, wogegen das Stereozeitalter als die Kanaldifferenz (links - rechts) in die Tiefenschrift (Edisons) verlegt war. Addiert man beide Signale erhält man 2 x links, subtrahiert man sie so erhält man 2 x rechts. Infolgedessen kann man die Platte auch als Seiten- und Tiefenschrift schneiden (was wegen der dann günstigen Verhältnisse im Schneidkopf häufig geschah), muss das aber nicht, denn geometrisch ergibt sich beim Betrieb eines solchen Kopfes dann eine zweimal 45°-Schrift, deren eine Rillenflanke den linken, die andere den rechten Kanal transportiert.

Angesichts des geringen Verrundungsradius' des Abtasters (da gibt es eigene Engpässe, warum das alles so sein muss) ist bei gegenphasigen Signalen großer Amplitude (unseligerweise tritt das meist bei tiefen Frequenzen auf) recht schnell Schluss mit der Abtastfähigkeit solch eines Abtasters, weil die Rille so groß wird, dass er darin nurmehr herumschlackert und leidenschatlich Krachen produziert, was technisch ausgeschlossen werden sollte. Man versuchte daher zu vermeiden, dass die Amplitude der Tiefenschrift 'links-rechts' (im Grunde das Maß für die 'Stereofonie der PLatte') zu stark anwuchs. Man machte das so, dass man die tiefen Frequenzen amplitudenabhängig monofonisierte, also aus der Tiefenschrift herausnahm. Das nannte sich dann Tiefenschriftlimiter und verringerte die Krachneigung bei lauten Signalen erheblich, ohne die Richtungsinformation zu schädigen, weil der Mensch unterhalb von 800 Hz ohnehin nicht mehr zuverlässig orten kann, im Bereich unter 200 Hz geht dann diesbezüglich absolut gar nichts mehr. Er ist demnach gleichgültig, wo diese Signale herkommen, hohe Frequenzen passieren die von Neumann betriebstüchtig ausentwickelte Technik ja unbeeinflusst.

Das Verfahren (Patent/Offenlegungsschrift DT 1772343) wurde Ende der 1960er Jahre von meinem Freund und Kollegen Ernst Rothe (ehedem EMI, Köln) und seinem Kollegen Udo Schmidt entwickelt und war einer der nicht unwesentlichen Schritte bei der Steigerung der LP-Qualität. Das Verfahren ist noch heute selbstverständlicher Bestandteil der Überspieleinrichtungen.

Hans-Joachim
Zitieren
#4
Hatte man bei der Tiefenschrift nicht auch ein höhen Knisterpegel? Staub lagerte sich nach der Theorie auf dem Grund der Rille ab und lenkt die Nadel nach oben. Diese Auslenkung sollte bei einem Stereoabtaster keinen, oder wenig Ausgangspegel erzeugen. Das Knistern sollte dadurch leiser sein.
Gruß,
Michael/SH

Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu (Ö v. Horvath)
Zitieren
#5
Lieber Michael,

so ganz sicher bin ich mir nicht, ob du meinen Exkurs gänzlich durchschaut hast. Nicht zuletzt deswegen, weil ja zwei unterschiedliche Bedeutungen der Begrifflichkeit 'Tiefen' und 'Seiten' verwendet werden mussten, weil das eben so heißt.
Ich habe mich zwar bemüht, einschlägige Abschnitte immer entsprechend sprachlich zu illustrieren, 'auf dass es denn eindeutig würde', aber die theoretischen Buchstabenmassen sind ein eigenes Kapitel.

Wir haben es hier mit derselben Matrizierung und Dematrizierung zu tun wie bei der MS-Stereofonie oder beim Mulitplexstereorundfunk.
Störgrößen nur in einer der beiden Kanäle M (= a+b; Seitenschriftkanal) oder S (= a-b (Tiefenschriftkanal) haben bzw. hätten ganz charakteristische Folgen, wobei es schwerfallen dürfte, einen Störfussel im Tiefenschrift- oder Seitenschriftkanal allein zu positonieren. Der Fussel liegt immer an einer der Rillenflanken an und ggflls. zusätzlich auf dem Rillenboden auf.

Nehmen wir den Rillenboden (Tiefenschriftkanal (a-b)) einmal als alleinigen Lagerort eines Fussels an (das kann ich mir noch vorstellen), dann passiert folgendes (a ist links und b ist rechts):

(a+b)+(a-b+x)= 2a+x
(a+b)-(a-b+x)= 2b-x

Das bedeutet, dass der Knacker auf rechtem und linkem Kanal gegenphasig erscheinen würde. So etwas kenne ich vor allem als Pressmangel, der als Pickel auf dem Rillenboden erscheinen kann.


Vor- oder Nachteile hinsichtlich der Störgeräusche hat die Schaltung der Schneideköpfe als 90°-Seitentiefenschrifttypen oder 2x45°-Links/RechtsTypen nicht. Es ist letztlich die Platzfrage, die Justierung der Systeme im Schneidkopf, die die Entscheidung für oder gegen das eine oder andere Plattenschneideverfahren beeinflusst; das Ergebnis ist gleich.

Den Rillenboden gibt es immer, und auch die 2 x 45°-Schneideweise schneidet effektiv eine Seiten- und Tiefenschrift, so wie der Seiten-Tiefenschrift-Schneidekopf auch eine 2 x 45°-Schrift schneidet. Das Ergebnis beider Verfahren ist in der Platte gleich; der Weg zur Modulation in der Schallplattenrille unterscheidet sich jeweils.

Auf das MS-Stereomikro übertragen:
Ein MS-Mikrofonpärchen ist genauso ein L/R-Koinzidenzmikrofon wie eine X/Y-Gruppe, von der sie sich nach der Dematrizierung auch nur deshalb unterscheidet, weil ein Kugel- und ein Achtermikrofon mehr voneinander abweichen, als allein die Summe bzw. die Differenz aus Links und Rechts zu bilden. Aber schon der angebliche, immer wieder behauptete Vorteil der Beteiligung einer Kugel beim MS-Mikrofon verschwindet mit der Dematrizierung. Er ist also danach nicht mehr da. Jedes Signal einer X/Y-Kombination kann in ein MS-Signal und wieder zurück verwandelt werden, was als 'Shuffling' nebenbei auch durchaus häufiger gemacht wird, um das stereofone Klangbild einer Aufnahme zu weiten oder zu verengen.

Alles klar soweit?


Hans-Joachim
Zitieren
#6
Zitat:highlander postete
Heute hielt ich eine Platte von Reinhard Mey in der Hand, darauf stand irgendwo 'auch Mono abspielbar'.
Stand das in den frühen 70ern nicht auf praktisch allen Stereo-Platten?

Lustig fand ich den nicht ganz ernst gemeinten Aufdruck auf einem Bootleg von Marc Bolan & T.Rex, das ich mal hatte: "Quadrophonie. Auch Stereo oder Mono abspielbar." Smile
Zitieren
#7
Viele Schallplatten sind bei mittleren Pegeln stereophon und bei Impulsspitzen mono. Stimmt, Hans-Joachim! Bei Klassikplatten hört man das häufig. Tutto voce wird es zu mono. Na toll! In Hauruck-Stereo gemischte Pop-Platten wie etwa Beatles-Scheiben der Jahre 1965 bis 1968 sind aber nicht so behandelt sondern wurden stattdessen mit geringerem Pegel geschnitten. Das ging, weil Popmusik in der Dynamik stark begrenzt ist, was seinerseits wiederum eine Folge der fünf Jahrzehnte von Schellack und AM ist. Es gibt auch Platten, die mit einer Schaltung à la http://grassomusic.de/b/mono.gif in letzter Minute monofonisiert, leiser gemacht oder arg im Pegel begrenzt wurden, weil das im Tonstudio so großartig Klingende beim Plattenschneiden (englisch "Mastering") problematisch war. Wenn kein Geld mehr übrig war, mußte man eben schnell eine Lösung finden, damit die Pressung anlaufen konnte. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß das Übertragungsmedium auch im digitalen Zeitalter noch ein casus cnacksus ist: Wenn ein Lied früher zu leise war, griff man einfach zum Lautstärkerknopf. Heute muß man Fernbedienung oder Maus suchen. Darum müssen Musiker und Audioverleger die Dynamik ihrer Erzeugnisse an den Hauptstrom anpassen, was zusammen mit den gehirnlosen Redakteuren und Moderatoren mit ein Grund dafür ist, das Radio heutzutage nur noch nervendes Geplärre ist.

Zurück zur Schallplatte: Was ich schon oft gehört habe, ist, daß man die Bässe und eigentlich auch alle anderen lauten Instrumente vor der Pressung tunlichst monofonisieren sollte. Was übrig bleibt, sind Georgele im Hintergrund und "Ambience" wie etwa erste Reflexionen und der Nachhall. Das wurde dann gnadenlos stereoisiert. Der dadurch erzeugte flirrend-atmend-glitzernde Klangboden hat sich in die Hirne eingegraben und ist auch im digitalen Zeitalter, wo man ganz anders mischen könnte, noch der Standard. Man muß es bringen, ansonsten ist es nicht gut, so wie die Erdbeere rot sein muß. Ob etwas menschliches dahinter steht, ist scheißegal. Die Kultur ist von den Begrenzungen der Vergangenheit gezeichnet, sozusagen vernarbt. Wo fing sie an, die Manipulation, die in dein Leben drang, von Anfang an, Mann! (Schwarzweiss)
Zitieren
#8
Nachdem das Thema ja schon fast wissenschaftlich abgehandelt wurde, will ich nochmal auf den Anfang Bezug nehmen. In der DDR stand entweder auf der Rückseite des Covers oder auf dem Innencover der Vermerk: "Stereo, auch mono abspielbar. Auch bei Monowiedergabe nur einen Stereotonabnehmer verwenden" Desweiteren standen noch Hinweise zur Plattenpflege und Lagerung darauf. Als ich in das Alter kam um mit Plattenspielern umgehen zu können (dürfen) hatten selbst die billigsten Phonokoffer schon einen stereofonen Kristalltonabnehmer. Da diese Tonabnehmer nun mehr oder weniger Standartbauteile waren, fand man zum Bespeil das System mit der Bezeichnung KS22-SD im billigen Phonokoffer "Duo" aber auch in der Schallplattenwiedergabeanlage "Excellent". Meist waren sogar die Tonarme identisch. Gespart wurde hier eher beim Laufwerk, welches ja in der Regel ein reibradgetriebenes war und beim elektrischen Umfeld. Den teueren Geräten wurde dann auch ein teils viskosegedämpfter Tonarmlift gegönnt. Durch den Umstand, das der Tonabnehmer auch bei den Billigheimern der gleiche war, wie bei besseren Geräten, konnte man mit einem Phonokoffer an einem entsprechenden Verstärker / Radio noch so einiges herausholen.
Zitieren
#9
Ich habe gerade noch einmal meinen eigenen Betrag gelesen. Es erscheint so, als hätte ich Hans-Joachims Beschreibung des Basisbreiten-Limiters nicht verstanden. Nun, mein Gefühl hat meinen Verstand überrumpelt.

Ich höre den Limiter sehr deutlich. Bei XY-Mikrofonie ist er vielleicht o.k., aber welche Platte ist schon in reiner XY-Technik aufgenommen? Der Basisbreitenlimiter gibt Aufnahmen mit dem typischen flirrend atmend weiten Klangbild den letzten Rest. Darum vermeide ich Schallplatten der großen Labels (Deutsche Grammophon usw.) und bevorzuge kleine Plattenfirmen, die meist weniger Technik hatten. Bei einem Klavierkonzert jault leider irgendwas, so billig muß es dann auch wieder nicht sein!
Zitieren
#10
Kurze Frage nebst Statement von mir -ganz ungewohnt:

Wer sprach vom "Basisbreitenlinmiter"?

Ich sprach vom Tiefenschriftlimiter und gab sogar das Patent und den Ort an, an dem der Text dieser Offenlegungsschrift im Net zugänglich ist. Also nachlesen, den Sachverhalt durchdenken und erst dann interpretieren.
Ich bitte, sich nicht a priori etwas zu denken und dann dafür Argumente in den wenigen Platten suchen, die man besitzt (und vielleicht auch kennt). Ohne jenes EMI-Patent wäre ein beachtlicher Teil einschlägiger Modulation vom Konsumenten gar nicht aus der Rille herauszuholen gewesen.
An der fachlichen Kompetenz der DGG zu zweifeln, spricht eine beredte Sprache. Die dort gepflogene Klangästhetik kann man ablehnen (ich gehörte in diesen Kreis), die dort vorhandene Kompetenz ist/war aber über jeden Zweifel erhaben.

Neumann lieferte den Tiefenschriftlimiter in allen Schallplattenschneidanlagen seit den 1970ern aus. Kleine Firmen (wie ich) besaßen nie eine große Neumann-Schneideanlage, sondern ließen ihre Folien im Lohnauftrag bei einigen wenigen Studios in Deutschland herstellen, was grundsätzlich ohne langwieriges Experimentieren abging.

Hans-Joachim,
dessen Tonmeisterleben noch rund 10 Jahre fast ausschließlich von der LP und ihren klassischen Grenzen begleitet wurde.
Zitieren
#11
Wenn mir die Technik dient, dann leistet sie etwas. Doch die Technik der DGG versagt. Ich übe eine Rolle als Musikhörer, eine andere als Techniker und eine weitere als bewußter Mensch aus. Wenn ich dir auf den Schlips getreten bin, tut mir das leid.
Zitieren
#12
Zitat:Grasso postete
Wenn ich dir auf den Schlips getreten bin, tut mir das leid.
ist gar nicht möglich, denn in der Branche bin ich dafür bekannt, der Kaste der Schlipsträger nicht anzugehören.... Die einschlägige Bekleidungsindustrie muss daher leider auf mich verzichten.
Daher: "Auf ein Neues!"

Hans-Joachim
Zitieren
#13

nur ganz wenig off topic, aber zum Schmunzeln...:

[Bild: Stereo_1.1.jpg]

©DK1TCP
Klasse CH-Parts, ultimative 810-MPU, nomen est omen und eine Klarstellung sowie meine Remanenzreferenz & was nWb/m sind... und zur Rezenz...
Zitieren
#14
Ob das wohl noch aktuell ist ? Mal ganz interessant bei PhonoMax zu lesen, was die EMI so anstellte. Es gab, zB. von DECCA, reine Stereo-Pressungen, welche NICHT mono abgespielt werden sollten, aus bekannten Gründen, die Tiefenschrift wird bei "starren" Abtastern verletzt. Die gleichen Scheiben gab es dann noch einmal in Mono-Abmischung zu kaufen. Der Baß war übrigens seit jeher monofon aufgezeichnet, ich kenne keine Aufnahme mit echt stereofonem Baß.

Das "auch Mono Abspielbar" betrifft meines Wissens in der Tat eine spezielle Abmischung, zB. auch im Sinne des Rundfunks, damit die Stereo-Korrelation nicht zu groß wird und die UKW-Seitenbänder nicht zu sehr anwachsen. Von Tektronix gab es sogar ein spezielles Meßgerät dafür, den Korrelationsmeter".

Mono-Schallplatten mit reiner Tiefenschrift wurden von zB. von der Edison Record Company hergestellt, sind jedoch weitgehend unbekannt geblieben.
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste