Spaß während der Lehrzeit
#1
Peter berichtet aus seiner Lehrzeit:
„In unserer Lehrfirma, einer Ingenieur- geleiteten PHILIPS- Vertragswerkstatt ,die durch ihre hohe Reparatur- Kompetenz und den Bau eigenentwickelter NF-Verstärkeranlagen, Antennenverstärker, Gegensprech-, Kommando- und Schiffsanlagen sowie Werbetextgeber überregional bekannt war ,wurden Radio- und Fernsehtechniker und auch Elektromechaniker ausgebildet. Ganze Heerscharen von Lehrlingen fanden von hier aus ihren weg ins Berufsleben. Hermann war Elektromechaniker- Lehrling. Doch anstatt in der Elektromechanik zu wickeln, zu feilen und zu löten, hatte Hermann das fragliche Privileg, in der Fernsehwerkstatt Tonbandgeräte reparieren zu dürfen. Und so passte es ganz und gar nicht in die Reparatur- Akribie, dass Hermann eine ganz besondere Art an den Tag legte, mechanische Probleme zu lösen. Wenn z.B. das Band am Spulenflansch schliff, justierte Hermann nicht etwa die Höhe des Bandtellers, nein, Hermann löste den linken Bandführungsbolzen mit einer dicken Kombizange und verstellte sie solange, bis der Spulenflansch keine Schleifgeräusche mehr machte, ohne darüber nachzudenken, dass dadurch die ganze Bandführung durcheinander geriet ,der Bandlauf und die korrekte Einstellung der Tonköpfe nicht mehr stimmte. Hermann ließ sich von solchen Nebensächlichkeiten nicht beeindrucken. Auf jeden Fall ließ Hermann sich von mir mit dem Faible für UHER Tonbandgeräte anstecken.
Das lag wohl daran, dass der tägliche Umgang mit PHILIPS- Tonbandgeräten auf Dauer etwas nervte. Außerdem bot UHER zu der damaligen Zeit bei seinen Geräten eine bessere Tonqualität und mehr Trickmöglichkeiten. So war es kein Wunder, dass auch er sich privat ein UHER- Tonbandgerät vom Typ Royal zulegte. Seltsam war nur, dass Hermann das nagelneue, wunderschöne Gerät erst mal komplett zerlegte und hinterher einige Schwierigkeiten hatte, dieses wieder zu komplettieren und funktionsfähig zu machen. Zahlreiche Federchen sprangen ihm vom Tisch und mussten erst mühsam gesucht und dann wieder in das Gerät zurückverpflanzt werden.
Weil er bei solche diffizilen Aufgaben meist einen roten Kopf und eine nasse Stirn bekam, lud er extra einen weiteren Lehrling, nämlich Joachim zu sich nach Hause ein, um mit seiner Hilfe dann das Royal Stereo wieder funktionsfähig zu machen.

Eines Tages, es muss so um 1965 gewesen sein, kündigte PHILIPS einen Werbefeldzug an, den es zu der Zeit in dieser Form noch nicht gab. PHILIPS charterte nämlich einen Sonderzug der Deutschen Bundesbahn, stattete die Waggons mit den neuesten Geräten aus und tourte so durch die Republik, in der Hoffnung, durch diesen Werbegag den Umsatz anzukurbeln.
Als PHILIPS- Vertragswerkstatt hatten wir sozusagen die Pflicht, den im Hauptbahnhof Wilhelmshaven stationierten Zugwaggons einen Besuch abzustatten. Früher hatte man es bei PHILIPS meist mit etwas arroganten Vertretern zu tun, und so wundert es nicht, dass Hermann in seiner unermesslichen Blauäugigkeit gegenüber dem PHILIPS- Vertreter eine abfällige Äußerung über deren Tonbandgeräte machte. Er scheute sich auch nicht, darauf hinzuweisen, dass es seiner Ansicht nach einen besseren Hersteller gab: nämlich UHER. Ich ahnte schon, dass dies nicht ohne Folgen bleiben sollte. Wochen später klingelte das Telefon, doch an Stelle eines Kunden meldete sich die Geschäftsleitung der PHILIPS- Werke aus Berlin und verlangte besagten Lehrling .Bei Aufregung jeglicher Genese bekam Hermann immer einen puterroten Kopf, so auch jetzt. Der Mithörer wurde eingeschaltet und wir hörten mit Spannung, wie Hermann befragt wurde, was denn an den PHILIPS- Geräten zu kritisieren sei. Hermann fing an zu stottern. Schweiß stand auf seiner Stirn. Nach schier endlosen 10 Minuten musste Hermann den Hörer an seinen Chef, der mittlerweile Lunte gerochen hatte, übergeben.
Danach folgte ein Tobsuchtsanfall der übelsten Art, verbunden mit wüsten Beschimpfungen, wie man denn als Mitarbeiter einer PHILIPS- Vertragswerkstatt einen solch verdammten Unsinn erzählen könne. Hermann tat uns allen zwar ein bisschen leid, aber insgeheim freuten wir uns, dass wieder mal was los war, und vor allem, dass es nicht uns selbst erwischt hatte.
Hermann wurde bald strafversetzt, natürlich auch wegen seiner hemdsärmeligen Reparaturmethoden, und musste fortan in der Elektromechanik Trafos wickeln. Sein Schicksal diente als Abschreckung!“ Sein UHER Royal aber war sein ganzer Stolz, mit dem er „Help“ von den BEATLES aufnahm. Tonbandgeräte reparierte ab sofort nur noch Peter.
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#2
Klasse Geschichte! Danke, Peter.

Ich denke, auf Hermann's Art "überholte" Bandgeräte haben uns alle schon zur Verzweiflung gebracht. Nun wissen wir also, warum!

Schade nur, daß die Philips-Manager aus seiner konstruktiven Kritik nicht gelernt haben. Ein bischen weniger Leichtbau, ein bischen mehr Uher, hätte mancher Philips gut getan. So scheint es, es hatte einen Anruf aus Eindhoven gegeben und Uher hat angefangen, Kunststoff-Gehäuse zu verwenden. Zu weit her geholt?

Tschüß, Matthias
Stapelbüttel von einem ganzen Haufen Quatsch
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#3
Ich hatte auch einen anderen Ausgang der Geschichte erwartet.....Anerkennung für Ehrlichkeit oder ähnliches....

Interessante Geschichte für mich, der ich damals erst drei Jahre alt war!
Und eine Bereicherung für`s Forum wie ich meine.....

Gruß von RalfSmile
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#4
In der guten alten Zeit, als Siemens noch Unterhaltungselektronik produzierte, soll sich glaubhaften Berichten zufolge ein Herr von Siemens (Vornamen vergessen) unerkannt im Werksverkauf für ein Radio interessiert haben. Der Verkäufer habe ihm zugeraunt, ob er nicht lieber ein besseres von der Konkurrenz kaufen wolle. Seine Karriere soll ziemlich abrupt geendet haben.

Nachdem Du die Id=15 hast, Peter, ist es ja wirklich schön, dass Du hier wieder mitmachst und uns so tolle Geschichten präsentierst. Danke!

Gruß, Anselm
Früher war mehr UHER. Cool Meine UHER-Erinnerungen
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#5
Eines Tages erging eine Anweisung der „obersten Heeresleitung“ an unseren Elektromechaniker- Lehrling (nicht Hermann), umgehend alle Arbeitslampen der Werkstatt mit neuen Kabeln und Schutzkontakten zu versehen. Es handelte sich hierbei um uralte metallene Schreibtischlampen, die wie so vieles in der Firma aus Beständen der Wehrmacht stammten. Entsprechend marode waren die Kabel und Stecker der Lampen.

Da es sich bei den Fernsehgeräten um Allströmer handelte, war je nach Stellung des Netzsteckers 220 Volt Wechselspannung auf dem Chassis. Es war also aus Sicherheitsgründen zwingend erforderlich einen Trenntrafo zwischenzuschalten.

Aber dieser kostete viel Geld, und das für jeden Arbeitsplatz! So viel wollte unser Ing. wohl nicht investieren. Die Sicherheit seiner Mitarbeiter war ihm höchstens 50 Pfennig wert und so spendierte er ihnen einen Phasenprüfer und wies sie an, bei jeder Reparatur zu prüfen, ob das Chassis spannungsfrei wäre.


Manchmal funktionierten diese Phasenprüfer nicht, sie waren zu dunkel oder es wurde schlichtweg vergessen, die Dinger ans Chassis zu halten. Wenn dann ein geerdetes Messgerät oder die Bananenstecker des Antennen- Symmetriergliedes Fuba SYG 045 mit dem Chassis Kontakt bekamen, krachte es gewaltig und die Haussicherungen flogen raus.

Diesmal aber sollte alles noch schlimmer kommen: Hannes war tief in seine Reparatur versunken, beäugte vermeintlich defekte Teile im Chassis, konnte diese wegen der schummrigen Beleuchtung nicht richtig erkennen, und griff instinktiv zu seiner Lampe: „ Ah!!! “ 220 Volt Wechselspannung flossen durch Hannes Hände und krochen in seinen Körper. Kommt da der Ausdruck „Kriechstrom“ her?
Ein grässlicher Aufschrei hallte durch die Werkstatt, der allen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wir saßen wie erstarrt auf unseren Plätzen. Hannes wurde wie von Geisterhand einige Zentimeter von seinem Schemel hoch geschleudert um dann urplötzlich mit einem gebrochenen Seufzer in sich zusammen zu sacken.
Sofort sprangen wir herbei und stützten ihn. Er wankte noch etwas als wir ihn durch den kleinen Laden nach draußen in die frische Luft verfrachteten. Vor der Eingangstür setzten wir ihn auf einen alten Schemel. Die Nachmittagssonne spiegelte sich malerisch auf seinen blanken Schädel. Vorbeilaufende Passanten sahen ihn mitleidvoll an, vermittelte er doch den Eindruck eines gebrechlichen alten Männleins, das noch ein bisschen Sonne abbekommen sollte, bevor ihn der nächste Nachtfrost dahinraffen würde.


Während ich Hannes Gesundheitszustand beäugte, lief vor mir auf dem Bürgersteig ein Bekannter, pfeifend und laut jodelnd mit einem neu erworbenen PHILIPS- Batterietonbandgerät RK 5.

Im Vorbeigehen rief er mir zu, er hätte auf einem Schiff angeheuert und würde jetzt die ganze Welt kennen lernen, auch Fu- Persien. Was er mit „Fu“ meinte, ist mir bis heute nicht klar geworden.

Aus dem Lautsprecher seines Batterie-Tonbandgerätes klang Freddy`s Lied: „Es kommt der Tag, da will man in die Ferne.“ Da überkam mich für einen Moment ein Gefühl grenzenlosen Fernwehs, zumal mir bewusst wurde, wie schön das Leben außerhalb der Lehrfirma sein müsste.

Aber die Realität hatte mich schnell wieder. Später bekam ich dann mit, dass er nur Binnenschiffer war.
Ja Leute, so war das damals Mitte der 60iger Jahre. Sollten euch die Geschichten gefallen, stelle ich gern noch die eine oder andere ins Forum.
Wenn aber das Bandmaschinenforum nicht der richtige Platz ist für diese Geschichten, die ich in einem bisher nicht veröffentlichten Buch zusammengestellt habe, dann sagt es mir bitte!
Mit freundlichen Grüßen!
Peter
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#6
Jaja...die gute alte Lehrzeit und die immer wieder erfrischenden Stromschläge, die man so erleben durfte :-)
Selbst zu meiner Lehrzeit in den mittleren 90er Jahren kam das immer mal wieder vor - trotz Trenntrafos und deutlich erhöhter Sicherheitsvorschriften.

Mein 'lustigstes Stromschlagerlebnis' werde ich auch nie vergessen: Ich hatte einen sehr großen Yamaha Verstärker der AX-Serie zur Reparatur auf meinem Tisch. Die Fehlersuche gestaltete sich recht schwierig, weil das Gerät ziemlich schwer und komplex aufgebaut war und Messungen an bestimmten Bauteilen nur durch akrobatischen Arm-bzw. Handbewegungen bewerkstelligt werden konnten.

Nun stand das Gerät hochkannt vor mir genau in Augenhöhe und um an einen bestimmten Messpunkt zu gelangen, musste ich das Gerät leicht kippen. Da aber beide Hände mit den Messpitzen des Multimeters belegt waren, kippte ich das Gerät leicht gegen meine Stirn um es so mit dem Kopf zu halten.

Nun kamen 3 Dinge zusammen ins Spiel:

Erstens war das Gerät zwar am Trenntrafo angeschlossen, aber der Netzschalter war zweipolig ausgelegt, d.h. zischen diesen beiden Anschlusspolen lag die volle Netzspannung.

Zweitens war dies ein universell einsetzbarer Schalter mit Lötösen auf der Unterseite (die auch genutzt waren) und mit Pins auf der Oberseite (für Wire-wrap Anschlusstechnik) die nicht benutzt waren, aber die volle Netzspannung hatten, da durchkontaktiert.

Und drittens kommt nun meine nicht ganz so kurze Nase in Spiel: In dieser verrenkten Situation versuchte ich nun zu messen und um die Messpunkte besser sehen zu können schob ich meine Nase weiter in das innere des gegen meiner Stirn lehnenden Gerätes und .... PAUF! ... ich kam mit der Nasenspitze an die beiden Netzschalterpins - ein blitzartiger Schmerz durchfuhr meine Nase. Ich schrie auf und durch den Schock stieß ich das Gerät reflexartig mit voller Wucht vom Tisch und sah es mit Sternen vor den Augen vom Tisch auf den Boden krachen...

Meine beiden Kollegen wussten natürlich nicht was passiert war und starrten erst mich und dann das auf dem Boden liegenden Gerät mit großen Augen an.
Erst als ich die Sachlage erklärte und ihnen auf meiner Nase zwei deutlich sichtbare rote Punkte zeigte, brach das große Lachen aus... :-)

Naja, das Gerät habe ich später dann doch noch reparieren können, meine Nase heilte auch schnell wieder, aber ich muss heute noch lachen, wenn ich an dieses Ereignis denke und dann wünschte mir irgendwie die alte Zeit in der Werkstatt zurück. Wir hatten damals viel Spaß...

Viele Grüße,

Silvio
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#7
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Als ich schon im zweiten oder dritten Jahr war, bekamen wir "Nachschub", ein neuer Lehrling namens Engel. Wegen seines runden Gesichts bekam er schon am ersten Tag den Spitznahmen Posaunenengel. Warum der eingestellt wurde, blieb unklar, er war ein echter Schussel, etwas trottelig und ungeschickt bis zum Gehtnichtmehr. So wurde er geschickt die Frequenzbürste zu holen oder den Kupfermagneten; was sich "erfahrene" Lehrlinge eben so ausdenken. Auch aufgeladene Elkos, die man ihm zuwarf, fing er immer wieder auf.

Eines Tage kam ihm eine Idee: Aus zwei Röhrenradios wollte er eine Stereoverstärker bauen, aber aus Platzgründen die Empfangsteile weglassen. Irgendjemand meinte, das sei kein Problem, er solle einfach die Hälfte des Chassis absägen. Es gab sogar noch Hilfestellung, indem man auf dem Chassis anzeichnete, wo er zu sägen habe.

Und tatsächlich, in einer Mittagspause machte er sich ans Werk und begann ohne Rücksicht auf Verdrahtung und Bauteile mit der Metallsäge das Empfangsteil zu entfernen. Leider hat der Meister das Schauspiel beendet- wir hatten uns schon auf die Inbetriebnahme gefreut :teufel2:...

Ein anderes Highlight war der Versuch, ein Farbfernsehgerät alleine zu tragen- einen Philips Goya, K7 Chassis, der vor der Auslieferung an den Kunden eingestellt werden sollte. Heute für Jüngere kaum noch vorstellbar, aber damals, Anfang der 1970er Jahre war der Verkauf eines Farbfernsehers noch etwas Besonderes. Und die Geräte wogen über 40 Kilo und waren -es gab nur 90° Bildröhren- sehr voluminös. Nachdem er das Gerät aus dem Regal gezogen hatten, übermannte ihn der Philips, Gerät und Posaunenengel wurden Opfer der Schwerkraft. Der Fernseher war nicht mehr zu gebrauchen; der Lehrling auch nicht.

Kurz darauf verließ diese Unterhaltungsfachkraft dann die Firma.
Frank


Wer aus dem Rahmen fällt, muß vorher nicht unbedingt im Bilde gewesen sein.
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#8
Zitat:Frank postete
Warum der eingestellt wurde, blieb unklar
Mancher anfänglicher Tollpatsch lernt langsamer, aber intensiver und wird irgendwann ein echter Meister seines Fachs. Vielleicht hat Euer Chef gehofft, daß das auch auf den gefallenen Engel zutrifft. Möglicherweise ist es dann letztendlich am kollegialen Umfeld gescheitert. ;-)
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