Modell ohne Namen von Filmagna
#1
Hallo zusammen,

es gibt eine neue Gelegenheit, das Foren-Universum der bekannten Tonbandgerätehersteller um einen Namen zu erweitern.

Die Rede ist von der Firma Filmagna aus Turin. Über diese Firma scheint nicht sehr viel bekannt zu sein. Wenn man sich durch die Einträge bei den Sammlerkollegen von radiomuseum.org hangelt, findet man folgendes:
Es gab die Firma Ninni & Roluti Apparecchi Scientifici in Turin, die 1944/45 mit Plattenschneidegeräten auf dem Markt war und die 1947 einen Aufsatz für Plattenspieler zum Be- und Abspielen von Magnetbändern anbot.
https://www.radiomuseum.org/r/ninni_rony...ocita.html
Der Firmenname leitet sich wohl von den Inhabern Italo Ninni und Giovanni Roluti ab.

In den frühen Fünfzigerjahren bot die Firma unter dem Namen Philmagna weiterhin Tonbandaufsätze für Plattenspieler und auch komplette Plattenspieler/Tonband-Kombinationen an.
https://www.radiomuseum.org/r/philmagna_...atico.html

In den späten Fünfzigern gab es dann unter dem Namen Filmagna komplette Tonbandgeräte.
https://www.radiomuseum.org/r/filmagna_u...order.html

Ein solches Filmagna-Tonbandgerät ist vor einiger Zeit bei mir gelandet. Es handelt sich um einen Holzkoffer mit Kunststoffüberzug in den Farben türkis und hellbeige. Eine Modellbezeichnung ist nirgends zu sehen. Die Abmessungen betragen 33 x 20 x 33 cm (B x H x T), das Gewicht liegt bei etwa 12 kg.

   

Einen Hinweis auf das Baujahr dieses Röhrenkoffers konnte ich nirgends finden. Ich schätze mal Ende der fünfziger Jahre.

   

Hinsichtlich der Mechanik bietet das Gerät ein Ein-Motoren-Laufwerk für Spulen bis 13 cm und eine Geschwindigkeit von 9,5 cm/s.

Besonderheit: Bandlauf von rechts nach links.

   

Die Bedienung isr sehr einfach. Die Laufwerksfunktionen werden über eine Reihe von Tasten gewählt, die lediglich elektrische Kontakte schließen. Was sich im Inneren bewegen soll, wird durch drei Zugmagnete bewegt.

   

Mit dem Drehknopf links schaltet man das Gerät ein und wählt die Lautstärke, mit dem rechten Knopf wird ausgesteuert.

   

Die Aussparungen für Anzeigeröhre und Zählwerk sind leider nicht optimal dimensioniert.

   

An der Rückseite findet man diverse Anschlüsse, nämlich Ausgänge für Kopfhörer und externen Verstärker, Eingänge für Radio und Mikrophon, sowie einen Anschluß für eine Fernbedienung, die bei meinem Exemplar leider nicht dabei war.

Bezüglich der Elektronik hat man sich in Turin für Bewährtes entschieden, nämlich einen vierstufigen Verstärker mit den Röhren EF86, ECC83 und EL84. Letztere dient bei Aufnahme als Hf-Generator. Beim Aussteuern hilft eine EM84, die sympathischerweise auch bei Wiedergabe ausschlägt.

   

Die Röhren tragen die von älteren italienischen Geräten bekannte Steuerbanderole, die offenbar irgendwann in den frühen Sechzigern abgeschafft wurde. Mein jüngstes italienisches Gerät, dessen Röhren noch solche Banderolen tragen, stammt von Ende 1959, das nächstjüngere von 1964 hat bereits keine mehr.

Machen wir mal einen Rundgang um das Chassis.

   

Für den schnellen Vor- und Rücklauf werden die Bandteller durch Zugmagnete nach innen bewegt und drücken gegen Motorwelle bzw. Reibrad.

   

Beim Blick von hinten auf das Chassis sieht man links und rechts oben die beiden Zugmagnete.

   

Beim Blick von unten zeigt sich der übliche Drahtverhau der Vor-Platinen-Ära.
Die roten Elkos waren allesamt unbrauchbar und mußten getauscht werden, ebenso einige der damals üblichen Teerkondensatoren.

Bei dieser Gelegenheit lernen wir gleich etwas Italienisch. Big Grin
Der Elektrolytkondensator:

   

Der Papierkondensator:

   

   

Beim Blick von vorne auf das Chassis fällt ein Stück Klebeband auf, auf das jemand mit rotem Kugelschreiber « 13 » vermerkt hat. Diese 13 findet man auch im Inneren des Koffers. Es könnte sich also um eine Seriennummer handeln.

   

Übrigens hat man in Turin eine originelle Methode gefunden, eine Röhre abzuschirmen: man nehme einen langen Draht, wickle ihn mehrfach um die Röhre und verbinde die Enden mit Masse. Fertig!

Der Motor wurde ausgebaut, zerlegt, gesäubert und frisch geschmiert.

   

Er ist zur Abschirmung mit einem Kupferblech umgeben, genau wie auch Netztrafo und Ausgangsübertrager.

   

Das Motorgehäuse erweckt den Eindruck, daß der Motor von Filmagna selbst hergestellt wurde. Aber …

   

… unter dem Kupferblech findet sich ein Patenthinweis auf die Firma LESA (Laboratori Elettrotecnici Società Anonima), einen Mailänder Hersteller von Plattenspielern und Tonbandgeräten.

   

Hier ein Blick auf die Köpfe:

   

Ein etwas ungewohnter Anblick wegen des Bandlaufs von rechts nach links.

   

Bei der Befestigung der Köpfe hat man ebenfalls eine originelle Lösung gefunden: ein Winkelblech mit einem Langloch darin. Nur ist das Eintaumeln so nicht gerade kommod, da man beim Anziehen der Schraube hinten die mühsam gefundene optimale Stellung leicht wieder verdreht.

Fortsetzung folgt ...

Man sieht oben im letzten Bild übrigens auch das Messingteil, welches das Sinterlager der Tonwelle hält. Das Originalteil war offenbar aus Zinkdruckguß gefertigt und von der Zinkpest befallen.

   

Resultat: Halterung zerbröselt, Lager und Tonwelle standen schief, Betrieb nicht mehr möglich. Eine Metallbaufirma hat mir dankenswerterweise aus Messing ein passendes Ersatzteil gefertigt.

Beim Blick auf die Befestigung der Tonköpfe fallen auf der Grundplatte einige Anreißlinien auf. Das könnte – zusammen mit der 13 auf dem Chassis – ein Hinweis darauf sein, daß es sich entweder bei diesem Modell um ein Exemplar aus einer Vorserie handelt oder daß von Beginn an nur kleine Stückzahlen geplant waren.

   

Auch auf der kleinen Messingplatte, die das Zählwerk trägt, findet man solche Anreißlinien.

   

Auf den Bandtellern findet man einen diskreten Hinweis auf den Hersteller dieses Geräts.

Zum Schluß noch ein Blick in den Koffer.

   

Man hat dem Gerät einen recht großen Lautsprecher spendiert, der sehr kräftige Bässe abgibt.

   

Auch auf den Lautsprecher hat man das Firmenemblem gestempelt.

   

Hier die schon erwähnte Aufschrift « 13 » im Kofferinneren.

   

Auch außen an der Lautsprecherabdeckung ist ein Metallplättchen befestigt, welches das Firmenemblem zeigt.

Soviel zu diesem Gerät. Mit technischen Daten oder einem damaligen Verkaufspreis kann ich leider nicht dienen.

Was ist von dem Köfferchen zu halten?
Der Klang ist ordentlich. Die für einen Koffer dieser Größe ungewöhnlich kräftigen Bässe habe ich schon erwähnt. Man vermißt eine Klangregelung, denn dieser Koffer kann auch ohne externen Verstärker einen großen Raum gut beschallen. Dafür wären aber getrennte Höhen- und Baßregler sehr von Nutzen.
Ein Problem gibt es allerdings: Mit hoch ausgesteuerten Aufnahmen auf fremdbespielten Bändern kommt das Gerät nicht gut klar. Ursache: Der Lautstärkeregler folgt erst nach der dritten Verstärkerstufe. Das ist ungewöhnlich. In den meisten mir bekannten Röhrenkoffern folgt er schon auf die erste Stufe, in einigen auch auf die zweite. Hoch ausgesteuerte Aufnahmen führen hier dazu, daß die dritte Stufe übersteuert, und zwar einmal im Bereich der Tiefen bei 200 Hz und darunter (was mit dem Oszilloskop sichtbar wird, sich auf den Klang aber nicht so störend auswirkt) und zum anderen um 5 kHz, wo ebenfalls eine Anhebung stattfindet, die zu sehr unschönem Klirr führt.

Außerdem läuft das Gerät deutlich zu schnell. Die Ursache dafür habe ich noch nicht gefunden. Der Netztrafo ist auf 220 V eingestellt. Die nächsthöhere Spannung wäre 280 V. Die habe ich noch nicht ausprobiert. Aber wo hat es jemals ein Netz mit einer solchen Spannung gegeben?

Gruß
TSF
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#2
Wieder eine sehr schöne Gerätevorstellung. Vielen Dank.

Könnte sich die 13 auch auf die Spulengröße beziehen? Vielleicht lag ja auf der gleichen Werkbank auch ein Chassis für 18 cm Spulen. Nicht, dass jemand versucht, das 18er Chassis ins 13er Gehäuse zu zwingen?

niels
Wer bei Stereoaufnahmen kein Gegenspur-Übersprechen haben möchte, sollte Halbspur-Maschinen verwenden.
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#3
Vielen Dank, ich finde das Ding auch sehr interessant.

Gruß
Peter S, der gerade den Loewe-Opta 403 auf dem OP-Tisch hat
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#4
Sehr schöne und umfangreiche Vorstellung, vielen Dank ! Am besten hat mir das Detail mit der Abschirmung der EF 86 gefallen.

MfG, Tobias
Strom kann erst dann fliessen, wenn Spannung anliegt.
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#5
Danke für Euer Interesse.

(06.04.2024, 21:18)niels schrieb: Könnte sich die 13 auch auf die Spulengröße beziehen? Vielleicht lag ja auf der gleichen Werkbank auch ein Chassis für 18 cm Spulen. Nicht, dass jemand versucht, das 18er Chassis ins 13er Gehäuse zu zwingen?

Ein interessanter Gedanke! Darauf bin ich noch gar nicht gekommen. Dabei ist es so naheliegend. Wir brauchen also ein zweites Exemplar!
In der italienischen Bucht treibt gerade eins. Nicht ganz billig. Hat jemand Interesse?
https://www.ebay.it/itm/313523172177?itm...R4zbrYDXYw

Gruß
TSF
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#6
Nachtrag:

Es hat mir keine Ruhe gelassen, daß ich bisher zum Herstellungsjahr des Geräts nur vage Vermutungen hatte.

Da die Röhren von Philips stammen, habe ich mir jetzt deren Produktionscodes näher angeschaut (warum kam ich nicht schon früher auf diese Idee?).
Auf zwei von vier Röhren bin ich fündig geworden.
Die EF 86 habe ich nicht aus ihrer kunstvollen Abschirmung gezogen, auf der ECC 83 war der Code nicht mehr lesbar.
Auf der EL 84 ist immerhin erkennbar, daß sie im April 1958 hergestellt wurde.
Auf der EM 84 ist der Code vollständig lesbar.
Erste Zeile: IY0
Zweite Zeile: L8E
E ist der 5. Buchstabe, also Produktion im 5. Monat, 8 steht für 1958. L steht für den Produktionsort Belgien bei der M.B.L.E. (Manufacture Belge de Lampes Electriques, Eigenmarken Mazda/Adzam).
Kurios ist die erste Zeile. Dort steht der Code für die Röhrentype. Bei einer EM 84 sollte dort VS stehen, was auch auf einigen EM 84 in meinem Lager so steht. Der Code IY bei dieser Röhre steht eigentlich für die PM 84.
Dennoch scheint es eine echte EM 84 zu sein, denn so lautet die aufgestempelte Typenbezeichnung und der Tausch gegen eine "echte" EM 84 ergab keinen Unterschied. Die PM 84 hat nicht nur einen anderen Heizfaden, sondern auch andere Betriebsdaten.
Die 0 hinter dem Code bedeutet, daß es sich um die nullte Serie dieser Type handelt. Vorserie?

Wie auch immer, damit scheint eine Herstellung dieses Filmagna 1958 oder 1959 wahrscheinlich.

Gruß
TSF

P.S.: Mehr zum Produktionscode bei Philips gibt es hier:
https://www.audiotubes.com/mullcode.htm
https://www.qsl.net/d/dl7avf//roehren/phcode.html
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#7
Diese handgeschriebene 13 halte ich entweder für eine Endkontrollnummer oder die Kennzeichnung aus einer Werkstatt, die sichergehen wollte, dass das Chassis sein richtiges Häuschen wiederfindet. Welcher Hersteller hat denn Seriennummern auf ein Stück Klebeband geschmiert? Kaum vorstellbar; auch bei einem kleinen Hersteller hätte man Schlagzahlen, gedruckte Schildchen oder wenigstens einen Stempel benutzt.
Ich glaube, da sollte man nicht zu viel „hineingeheimnissen“....  Wink
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#8
Ja, Holgi, das sind alles plausible Erklärungen für diese 13. Aber der Gedanke "Seriennummer" kam mir nicht einfach so aus heiterem Himmel. Ich habe dafür bereits ein Beispiel, das mich auf diesen Gedanken brachte.

(02.06.2024, 09:22)hannoholgi schrieb: Welcher Hersteller hat denn Seriennummern auf ein Stück Klebeband geschmiert?

Die Pariser Firma SERAM. Siehe hier:
https://tonbandforum.de/showthread.php?tid=5809

Gruß
TSF
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