Was ist HiFi?
#19
Die frühesten Stereos, die wir heute noch haben, stammen wohl aus den Bell-Labs und wurden auf zwei Platten aufgezeichnet, die man nach Aufnahme naturgegeben nie mehr wieder nach Betrag und Phase kanalverkoppelt wiederzugeben in der Lage war. So blieb der Versuch unseren Tagen vorbehalten, dies Material über den Rechner -und digital- so zusammenzuführen, dass man von einem Abbild der damaligen Vorgänge sprechen kann (ich meine das wäre 1932 gewesen: Philadelphia Symphony unter L. Stokowski mit Mussorgskij-Ravel, Bilder einer Ausstellung: Gnomus)).
Klingen tut es ziemlich übel, das Niveau der Mikrofone Georg Neumanns (CM3) mit Kapsel M1 bzw. M1a) hatte man damals zu Boston noch nicht erreicht. Es handelte sich hierbei um eine Übertragung von Studio zu Studio mit gleichzeitigem Plattenmitschnitt.

Erst als W. Weber im Frühjahr 1940 das Tor zu einer wirklich hohen Qualität des magnetischen Speicherverfahrens aufgestoßen hatte (Frequenzgang, Klirrfaktor, Geräuschspannungsabstand), bekam die Stereotechnik einen neuen Schub, der von der Reichsrundfunkgesellschaft auch sofort erkannt wurde und ihr daher hoch anzurechnen ist, weil man damals eigentlich nur la pour la forschen konnte; Krieg war überdies und eine praktische Verwendbarkeit selbst bei bestem Willen nicht abzusehen. Schon vom Jahresende 1941 wissen wir von einem stereofonen Vorführtermin bei der RRG, dessen Material aber natürlich verloren ist.
Erhaltene Aufzeichnungen aus jenem jahrelangen und bis praktisch zum Ende der RRG GmbH (!!) aufrecht erhaltenen Versuchsprogramm existieren in fünf Sequenzen:
1) R. Wagner, Tristan-Vorspiel. Leitung: Robert Heger (20 dB untersteuert aufgenommen; rauscht heftigst, ist dadurch aber auch von erheblichem Interesse),
2) J. Brahms, Serenade Nr. 1 op.11. Leitung: W. Lutze (Aufnahme 26.4.1943)
3) Probenbänder zum Brahms (hoch interessant, was da gequatscht wird!)
4) A. Bruckner, 4. Satz (Finale) der. 8. Symphonie. Leitung: H. v. Karajan (Aufnahme 29.9.1944)
5) L. v. Beethoven, 5. Klavierkonzert op. 73. Walter Gieseking, Klavier; Leitung: A. Rother.

Diese Aufnahmen wurden als Groß-A-B mit Neumann-CM3 erstellt, was klanglich natürlich am spektakulärsten tut, aber mit erheblichen Abbildungsmängeln ('Loch in der Mitte') aufwartet.
Na, was macht ein Tonmeister, wenn sich irgendwo ein Loch auftut, wo eigentlich 'etwas' sein müsste?: Er stellt ein Mikro hin.
Und das machte Helmut Krüger (er starb hochbetagt erst zu Weihnachten 1996 im Hause eines Freundes in der Nähe Hannovers) dann auch. Und so war ganz praktisch der Vorläufer des Decca-Trees geboren. Natürlich verwendete man Kugelmikrofone, deren überschaubare technische Eigenschaften klanglich wesentlich mehr für sich haben als die damals auch schon existierenden Nieren und Achten. Und das hörten die Herrschaften damals und schon länger sehr deutlich, weshalb die RRG Neumann schon ab 1930 dazu zwang, sein CM3 zu verbessern, weil dies im Frequnzbereich ab 10 kHz eine starke Überhöhung aufwies, die den RRG-Leuten nicht gefiel. Man hatte das also gehört! Helmut Krüger erzählt in einem Gespräch (mit unserem Forenkollegen Friedrich Engel!) geradezu drastisch davon, denn er nennt die alte Kapsel darin 'hässlich klingend'!

Mit der Stereoapparatur fuhr man auch herum, denn Krüger berichtete ebenso, dass man sich in Bayreuth die "Meistersinger" unseres anfechtbaren Musiksachsen (und notorisch eigennützigen Aufmischers) Richard W. aus L. komplett als stereofonen Live-Mitschnitt (unter Furtwängler) geholt hatte, den selbst ich (W. ist nicht gerade mein Favorit) gerne gehört hätte. Die Tontechnikerin jener Aufnahme war zumindest vor einigen Jahren noch am Leben...

Die erhaltenen RRG-Stereos sind teilweise publiziert (AES [Brahms-Bruckner-Beethoven], Koch-Schwann [Bruckner]) und von beklemmender Hochwertigkeit. Ich verfüge bis auf die Probenbänder zum Brahms (da habe ich Lücken) über den kompletten Gesamtbestand in CD-Kopie.
Unser Forenkollege Friedrich Engel hat das klangliche Ergebnis dieser Stereos einmal als "unaufdringliche in besten Sinne natürliche" Stereofonie charakterisiert, was den Sachverhalt perfekt beschreibt. Wer weiß, was es heißt, ein überzeugendes Stereobild zurechtzubiegen, bewundert diese Aufnahmen, deren Beethoven auch mit ziemlich musikfremden Flakschlägen aufwartet, die man fast ständig vernehmen kann; die Musiker des Jahres 1944 scheinen deise aber nicht zu stören.

Die für die Abhöre damals verwendeten Lautsprecher der Konstruktion Hans Eckmillers waren noch heute anzuhörende -wie ich vermute, mir fehlen hier aber noch einschlägige Erfahrungen- Koaxtypen mit ordentlicher Frequenzweiche, die aus einem Kalotten-Hochmitteltöner und einem Tieftöner bestanden. Der Hochmitteltöner tauchte dabei in dasselbe Magnetfeld wie der Tieftöner ein.
Dieser Lautsprecher hatte in der DDR eine lange Nachgeschichte, an deren Ende zumindest ich den guten J. Kiesler mit seiner MEG Geithain sehe, wogegen die Westler auch den unmittelbaren Folgetypen H. Eckmillers O15a nicht annahmen, obgleich Eckmiller (a Bayer hoid) im Westen ansässig war und mit den Rundfunkanstalten und der Tonstudioindustrie prinzipiell in besten Geschäftsverbindungen stand.

Zur HiFi-Norm 45500:
Die Einzelansprüche sind -jeder für sich genommen- kein großes Problem, alle zusammen waren es aber sehr wohl. Und so dachte man sich das ja auch ursprünglich. Meines Wissens wurde die Norm aber später abgeschwächt (!!), als die Cassettenrecorder in ihre Nähe kamen. Und die wollte man zur Ankurbelung des Verkaufes natürlich ganz gerne mit jenem Zeichen schmücken...
Denn dreimal dürfen wir raten, wer in solchen Normierungskommissionen sitzt? Natürlich die Industrie, der weniger an Normen (heute schon gar nicht) als an der Vermarktung ihrer Produkte gelegen ist.
Ich habe seinerzeit (das war so um mein Abitur, also 1971 herum) diesen Hinweis der Normabschwächung nicht verfiziert, später war es dann unter meiner Würde, hüstel, dem nachzugehen; man brauchte derlei nicht mehr... Es mag aber sein, dass ich da einer Falschinformation aufgesessen bin.

Vielleicht kann Friedrich dazu etwas sagen.

Hans-Joachim
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