CD Aufnahmen technisch gesehen, was ist möglich ?
#56
Liebe Mitleser,
lieber Ulrich,

lange zögerte ich, etwas zu schreiben, versuche mich daran nun aber dennoch, nicht ohne für die Länge des entstandenen Statements um Nachsicht gebeten zu haben. Denn vieles wurde von mir bereits auch hierzuforen geschrieben. Dies jedoch zu suchen, dürfte dem Normalnutzer schlicht nicht zuzumuten sein.

Grundsätzlich gehe ich mit deinen Hinweisen sehr einig, lieber Ulrich. Die qualitativen Dimensionen, die die CD (oder besser: die sie über ihre Wandler vor und nach ihrer Speicherung) bereitstellt, sind selbst bei großzügigig dimensionierten Abständen zu den Grenzen einer 16-Bit-Übertragung (44,1 oder 48 kHz) derart königlich, dass eigentlich keinerlei Fehler offen blieben, die unser Gehör sinnvoll auswerten könnte. Verluste bietet dagegen das -hochwertige- Bandgerät (unter dem tue ich es nicht) durch sein durchaus aberwitziges Seitenbandspektrum, das durch alle Pegelbereiche hindurch ordentlich Zusatzprodukte andient, die man vom AD- bzw. DA-Wandler (der Speicher selbst ist ja im Rahmen genau definierter Bedingungen verunstaltungsfrei) schlicht nicht oder nur aus den oben ausgeschlossenen Randbereichen (bei 30 dB Abstand zum Funkelrauschen der unteren, 10 dB Abstand zum Anlaufen an die obere Quantisierungsgrenze haben wir die Betreibsdynamik eines Studiomagnetofons) kennt. Mancher will natürlich diese Mängel hören; der Originalmodulation gehörten sie aber nicht an.
Ob die Qualitätsdimensionen des 16-Bit-Speichers angesichts des Ohrverhaltens erforderlich sind, dürfte mehr als fraglich sein, weil sonst die Diskussion in der Sache "analog oder digital" gar nicht aufgekommen wäre.


Bei der Behandlung des Phänomens der Reproduktion von Raumsignalen in der Stereofonie (egal ob 2-, 4-, 5-, 6- oder mehrkanalig) müssen wir aufmerksam zwischen Lokalisierung und Räumlichkeit unterschieden. Unter Lokalisierung wird das geometrisch nach Winkelgraden fixierbare Verorten imaginärer Phantomschallquellen auf der Lautsprecherbasis verstanden, das per se nichts mit Raumdarstellungen zu tun hat, die bei zweikanalig stereofoner Wiedergabe objektiv auch gar nicht möglich ist. Warum hören wir sie dann dennoch? Es gibt ja fraglos Aufnahmen, die sehr räumlich wirken und andere, die die Schallquellen wie auf der Perlenschnur aufgereiht präsentieren und damit recht 'papieren' wirken.

Das zu verstehen, müssen wir die Psychoakustik bemühen, deren Lektionen wir uns selbst, also individuell entlang unserer Physiognomie nach allerdings uns eingepflanzten Mustern ähnlich einer Sprache erlernen. Dabei erwerben wir schon vergleichsweise sehr früh Praktiken, die uns das Abschätzen räumlicher Akustiken erlauben. Dazu bedarf es keiner musikalischen Fertigkeiten; jeder Mensch in jedem Kulturkreis tut dies nach praktisch identischen Verfahrensmustern.
Dabei leitet er Informationen zur akustisch wirksamen Tiefe eines Raumes vornehmlich aus den seitlichen Reflexionen eines Tonsignales im gegebenen Raum ab, deren primäre und vom menschlichen Gehör diesbezüglich allem voran ausgewertete Eigenschaft die der Nicht-Korrelation ist. Ob diese Signale tatsächlich von der Seite kommen und/oder die für solche Signale typischen Frequnezgangdeformationen aufweisen, interessiert bereits vergleichsweise wenig. Die Nichtkorrelation wird erkannt, was ausreicht, um das Signal in der Schublade "Rauminformation" abzulegen.

Dies gilt dann natürlich auch für die zweikanalig stereofone Aufnahme und Wiedergabe. Die Wiedergabe kennt ja nur die mittlere Ebene der Lautsprechermembranen, hinter der und vor der keine Musik angesiedelt werden kann. Es genügt dem Ohr sogar, wenn die Nichtkorrelation durch ein Hauptmikrofon(verfahren) selbst angeboten wird, um diese nun sehr eingeschränkt als Raumreflexion anzusprechende Signalgestalt als Rauminformation zu deuten: Laufzeitstereofonien (A/B-Verfahren) wirken deshalb im Gegensatz zu Konizidenzpraktiken (X/Y und M/S) überaus räumlich und "tief", weil letztere eben nicht nur zwei von drei Raummoden entbehren, sondern auch definitionsgemäß praktisch keine Laufzeiten kennen, also ausschließlich korreliertes Signal anbieten.

A/B-Stereofonien sind mit dem Magnetofon nach Braunmühl & Weber tadellos und seit Jahrzehnten hochwertig (die RRG-Stereos von 1943/44 entstanden so) zu realisieren, jedoch nur sehr eingeschränkt in Platte zu schneiden und vor allem schwierig, d. h. verzerrungsfrei wiederzugeben, weil die maximale gegenphasige Amplitude einer 2 x 45°-Schrift durch den Spitzenverrundungsradius des Diamanten beschränkt ist. Der erst in den 1970ern üblich werdende Tiefenschriftlimiter nach Schmidt und Rothe half hier ein wenig aus der Engigkeit heraus, konnte das Problem aber plattenprinzipbedingt nicht lösen.
AB-stereofone Platten weisen aufgrund der niedrigen Aussteuerung (nix 11,3 cm/s!) einen vergleichsweise schlechten Geräuschspannungsabstand und eine vergleichsweise geringe Laufzeit auf. Davon, dass so mancher Abtaster dabei schon sehr früh krachend die Waffen streckt, schweige ich.
Folge daraus und aus der Multiplexstereofonie des Rundfunks obendrein, die den zunächst signifikant überwiegenden Monohörern ein Signal identischer Qualitätsdimension anbieten wollte: Man nahm (trotz der Erfahrungen der RRG-Stereos, aber aus anderen guten Gründen) über 20 Jahre koinzidenzstereofon auf und mischte dem Signal nach Gutdünken (Ohren und Stereosichtgerät/X/Y-Oszi) vorsichtig ein "Raumsignal" (meist Groß-AB) bei, von dem man hoffte, dass es noch keine Überspielprobleme verursachen würde. Da war der eine Nutzer eben mutiger und der andere ängstlicher. Jeder Tonmeister wusste aber genau, was er da warum tat und kannte das Ergebnis vor und hinter Band. Dazu gehört auch, dass koinzidente Aufnahmen nicht gerade vom Hocker reißend klingen. ES GING ABER NICHT ANDERS. Erst als die CD da war, konnte man von neuem beginnen, systematisch mit Laufzeitstereofonien Erfahrungen zu sammeln, den klanglich besseren (weil technisch besser beherrschbaren) Druckempfänger in Stereo-Mikrofongruppen einsetzen, was nicht nur zu einer Revolution in der Aufnahmetechnik, sondern auch zu einem kräftigen Anschub bei der Verbesserung des Kondensatormikrofones allgemein führte. Dies kam nicht zuletzt auch dem Nierenmikrofon zugute, dessen Qualität deutlicher als die der Druckempfänger zeigt, was sich in den letzten 25 Jahren ereignete.


Geben wir einem 16-Bit-System etwa 15.000 nutzbare Pegelstufen, so definieren die nicht nur einen Dynamikbereich von gut 80 dB (und damit das, was ein guter Mikrofonverstärker nicht nur im optimalen Betriebsbereich abdecken kann), sondern auch eben jene Auflösung eines Audiobereiches in 15.000 Stufen. Das Magnetofon kann (psychoakustisch!) zwar mit professionell konzipierten Rauschminderern auch ohne weiteres 84 dB abdecken, bleibt aber den durch die Magnetisierungsauflösung des analogen Bandes bedingten 1000 Pegelstufen (also den unkodierten 60 dB) verhaftet. Mehr als 1000 Pegelstufen gehen also nicht. Nun benötigt man mehr eigentlich nicht, denn hochwertige analoge Aufnahmen größerer Klangkörper tun letztlich genauso wie digitale, dennoch gibt es Situationen, in denen hier die digitale Technik hörbar zeigt, wie weit sie die Nase vorn hat. Und: Dieser Abstand kann/könnte im Rahmen des Sinnvollen (Einschwingvorgänge von Räumen, Musikinstrumenten, Mikrofonen, Übertragern und Lautsprechern; ordentliche Verstärker spielen dagegen praktisch keine Rolle) beliebig vergrößert werden. Die analoge Speichertechnik ist mit Bändern wie dem SM900 aber an einer naturgesetzlichen Grenze angelangt.
Berücksichtigt man aber, dass das spätromantische Orchester vielleicht mit einem Dutzend Dynamikstufen auskommt, die Dynamik einer Aufnahme jenseits von 45 dB in unseren Wohnungen heute nicht mehr als nachbarfreundlich anzusprechen ist, reicht das analoge Magnetofon in Auflösung und Störabstand bereits perfekt zu, mit Rauschminderern allemal. Bedenken wir zudem, dass wir mit einen Grundgeräusch in Wohnungen von 45 dB und 45 dB Aufnahmedynamik bereits bei 100 dB Wiedergabepegel (45+10+45 dB) liegen, was nun nicht nur meine Sache mehr ist.


Die Probleme, die so mancher meint, Mängeln der Digitaltechnik -sie gibt es natürlich ebenso wie in der analogen Technik- anlasten zu müssen, liegen woanders: Die Engpässe des analogen Magnetofons zwangen den Nutzer zu oft reizvollen Kompromissen, zu Ideen beim 'Austricksen' der technischen Engpässe, kurz zur intensiven Auseinanderstzung mit dem Verfahren und seinen Problemen, die es heute nicht mehr gibt. Durch das nun fehlende Reiben am Gegenstand gehen aber auch die Ideen ab, die das entstehende Produkt oft genug interessant würzten. Heute vertilgen wir u. U. die vom Multibandkompressor angerichtete Universalwürze... Tagaus, tagein in ihrer geschmacklichen Uniformität. Das Überhandnehmen von Laiensprechern (oder schlecht sprechenden Profis), einer lieblos bis automatisiert aufgemachten Pegelregie, das Aufpumpen einer Live-Modulation durch standardisiert in die Wirksamkeit gesteuerte Kompressoren und/oder Limiter gehört zu diesem gedanken- bis geschmacklosen Nützen jener "königlichen" Möglichkeiten eines unbegrenzten "we do it in the mix".
Früher galt jene Komprimiererei als ein bestenfalls dem amerikanischen FM-Radio (dort allerdings bis zum Exzess) gestatteteten Sakrileg, weil man derlei mechanisierte Eingriffe infolge der minderen Gerätequalität unerfreulichst hörte; heute hört man dies nicht mehr unerfreulich und nutzt daher die Vorteile des "lauter und dichter Erscheinens": "Hilfe, wie kriege ich meinen Mix lauter??!", ist diesbezüglich eine Standardfrage der Eleven, die nicht eben auf einen souveränen Umgang mit den technologischen Möglichkeiten der Gegenwart hindeutet.


Da sich die 'Sprache' einer Musikszene -gleichgültig welchen Genres- in der Menschheitsgeschichte immer mit ihren technischen Möglichkeiten ändert, bedeutet solcherlei in diesem Falle natürlich auch, dass das, was Joop Sinjou und Cees Ottens, Björn Blüthgen und Peter Burkowitz über die CD anschoben, nicht mehr zurückzubiegen ist und auch nicht zurückgebogen werden sollte; über das, was Qualität ist, sein könnte und wie man Parameter zur ihrer ästhetischen Gewährleistung entwickelt, aber eigentlich immer nachgedacht werden sollte. Und da tat man sich in analogen Umfeldern -nicht zuletzt technisch bedingt- etwas leichter. Es ging nicht so viel....; also auch nicht so viel Blödsinn.

Hans-Joachim
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