Wenn Geräte unterschiedlich "klingen"
#15
Lieber Niels,

beides ist natürlich möglich; uneingeschränkte Objektivität lässt sich dagegen aus verflixt prinzipiellen Gründen nicht erreichen, was ich darlegen wollte.

Insofern finde ich dein Beispiel eben genau nicht unglücklich, sondern sogar besonders glücklich. Es führt einen in dies Dilemma der für unser Hören so wichtigen, aber fast von genetischer Individualität ausgestalteten und dennoch über großflächige Bevölkerungdurchschnitte irrsinnig konstant empfundenen Binauralität ein, an der entlang auch verdienstvolle Forscher (Günther Theile) und Tonmeister (Eberhard Sengpiel) einander beharkten. Sengpiel vertritt die Auffassung, dass -fast unzulässig verkürzt- Ohrsignale für den Umgang mit der Medienstereofonie nicht erforderlich seien. Nun, ich frage: Was denn sonst? Das Problem liegt eher darin, dass das menschliche Ohr bestimmte Angebote aus Lautsprecher und Kopfhörer als Ohrsignale deutet und damit so zufrieden ist, dass sich der Kenner des Sachverhaltes fragt, wie denn so etwas möglich sein kann. Diesbezüglich herrscht dann auch Einigkeit zwischen Eberhard und Günther.
Das Beispiel der Erschließung räumlicher Tiefe (in Räumen) durch die Auswertung nicht-korrelierter seitlicher Reflexe (sie sind per definitionem nicht korreliert) durch das Ohr erwähnte ich bereits mehrfach. Wenn jetzt diese nicht korrelierten Signale in medialer Vermittlung von vorne kommen (Regelfall bei zweikanalstereofoner Darstellung; von seitl. Reflexen kann also kaum mehr die Rede sein), ist's das Ohr genauso zufrieden und stellt fest: "Uiuiuiui, Aufnahme mit großer räumlicher Tiefe......", die es in der Zweikanalstereofonie physikalisch gar nicht gibt, da sich 'alles' in der mittleren Ebene der Lautsprecherwand abspielt. Die Tiefe wird also vom Ohr/Gehirn suggeriert, wozu allein (!) der Korrelationsgrad ausreicht. Es muss nicht einmal ein für Reflexe typischer Frequenzgang simuliert werden. Es genügt die AUFNAHME des Signals nach Laufzeitverfahren mit einem hohen Anteil nicht korrelierter Information. um dem Ohr die Tiefensuggestion aufzuzwingen!

Wenn dich solche Fragestellungen interessieren, kannst du einmal versuchen, dich durch Günther Theiles Dissertation zu fressen, die unter www.hauptmikrofon.de kostenfrei zur Verfügung steht. Die ganze Sache ist leicht so wichtig wie Gerätediskussionen und 19-Zoll-Gespräche zusammen; insofern wirst du mir auch den eben abgeradelten Beispielexkurs verzeihen. Wäre das Ohr hier kritischer, anspruchsvoller, es wäre nie zu einem Medienzeitalter gekommen.

Das menschliche Ohr ist ein Wandler gesunder Abenteuerlichkeit, die aber Voraussetzung für unser musikalisches Tun (egal nun wo: vom Musikinstrumentenbau über die Komposition bis zum Anhören in natura oder 'transmedial'): Genau darauf hast du mit deiner Frage gezielt und entsprechend zielsicher den Finger aufs Problem gelegt. Würden wir über Kabel, Röhren, Transistoren oder ICs faseln, wäre das eigentliche Problem nicht zu benennen gewesen!

Zum Kopfhörer
Sennheiser tendierte in den späteren Generationen z.B. mit der Familie des HD 530 (also nach den Dauerbrennern 414/424) immer ein wenig zur Schärfe (also zu einer etwas deutlicheren Höhenanhebung wie z. B. die M1-Mikrofon-Kapsel Georg Neumanns von 1928 z. B. auch; vielleicht kennst du die unterschiedlichen Mikrofonausführungsformen der Kugelkapselserien 1928 und 1932), was manch einer mag, manch einer aber "auf'n Dod" nicht ausstehen kann. Es gab dann aus Sennheisers Labor Wennebostel einen 'linearen' Kopfhörer, der weitgehend auf Schallfeldkorrekturen (vulgo: Verbiegungen des Höhenfrequenzganges) verzichtete und deshalb manchem andersherum zu stumpf war. Das war -wenn ich das noch richtig im Kopf habe- irgendein HD in den 250ern.

Ich habe aufgrund bestimmter Aufgaben seinerzeit zwei 530 erworben, dann aber, als die Schaumstoffeinlagen in den Muscheln erstmals dahergebröselt kamen, und mir die Schärfe doch zuviel wurde, keine originalen Schaumstoffeinlagen mehr verwendet, sondern mit dem Material experimentiert, so dass die Höhen nun etwas gedeckter erscheinen. Belegen kann ich das nicht; außerdem mache ich um den Kopfhörer doch einen ziemlichen Bogen, auch wenn das 'stereofone Klangbild' gerade bei 530 oft sehr eindrucksvoll ist, was nicht notwendigerweise mit einer heftigen Tieftonamplitude einhergeht, die ohnehin in offenen Kopfhörern als Effekt(!) schlechter darstellbar ist.

Leite aber bitte aus diesem Beispiel auch ab, dass Objektivität nur an recht bestimmten Stellen medialer Übertragungen möglich ist. Es sind dies unseligerweise überaus häufig genau die Stellen, wo bestimmte Kreise am leidenschaftlichsten Klangunterschiede diskutieren. Dort, wo man sie am schnellsten und in der Regel unbeobachtet hat, verliert kaum einer ein Wort darüber.
Du hast dorthin gezeigt, weshalb ich die Gelegenheit nützte, das Pferd etwas anders aufzuzäumen, als du erwartet hattest.

Abseits von psychoakustischen Problemen, sind Klangveränderungen an sich sonst einwandfreier Komponenten zumeist von mehr oder minder intensiven Anpassungsmängeln verursacht, die bei grundlegendem Wissen von elektroakustischen Notwendigkeiten kaum vorkommen dürften, aber vorkommen, weil Kenntnislosigkeit und Experimentierfreude, Gehimniskrämerei und Hilflosigkeit eine so unerfreuliche Mischung eingehen, dass Ärger fast aufkommen muss, der dann oftmals als Freude ge- bzw. missdeutet wird.

Unser teilweise miserables, teilweise bewundernswert leistungsfähiges Ohr liefert dafür die allerbesten Voraussetzungen. Mit den Folgen dieser Abenteuerlichkeit muss man immer rechnen. Objektivität und Ohr: Das geht nicht zusammen. Dein Ohr fährt mit dir Schlitten, dass es fast obszön ist.

Allein diese Feststellung war doch deinen auslösenden Hinweis wert. Oder meinst du nicht?

Hans-Joachim
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