Der verhinderte Tonbandfreund
#3
Jetzt, wo das schlimmste Überstanden zu sein scheint, und ich anscheinend eine neue Bleibe gefunden habe, kann ich mich auch mal zu Wort melden, so wie es mir mein neuer Besitzer gezeigt hat. Foren waren mir immer unbekannt, aber mein neuer Chef scheint darin zu leben. Ganze Nächte sitzt er davor und tippt vor sich hin währen ich ihm Gesellschaft leiste.

Vor vielen Jahren wurde ich von flinken Händen fleißiger Frauen in einer fränkischen Fabrik zusammengebaut. Zusammengeschustert, müsste man sagen, denn der Fabrikdirektor zahlte seine Leute schlecht, und sie mussten sehr schnell sein, um einen kargen Lohn zu erhalten. Ich wurde ein Tonbandgerät, und ich sollte gekauft werden, weil ich billiger war als meine Verwandten aus anderen Fabriken, die besser konstruiert und liebevoller zusammengebaut wurden als ich. Gekauft wurde ich trotzdem: Von einem jungen Mann, der noch nicht viel verdiente und aufs Geld gucken musste. Er wählte mich aus, obwohl der Händler einen Vetter aus München emfpfahl, trug mich voller Stolz nach Hause und ich wurde für die nächsten Wochen und Monate die Freude seines Lebens. Er nahm mir meine Schwächen nicht übel, dafür mich auseinander und setzte mich liebevoll wieder Teil für Teil zusammen. Wo ein Tropfen Öl vergessen wurde, setzte er einen hin, manchmal schüttelte er verzweifelt den Kopf und murmelte was von "...wie kann man nur sowas bauen...". Zum Schluß schraubte er an meinen Tonköpfen herum, stellte an irgendwelchen Reglern, und auch wenn ich es zeitweise mit der Angst zu tun bekam: Nie habe ich mich besser gefühlt als nach dieser Kur!

Mein Besitzer und ich spielten jahrelang zusammen, ich gab mir die größte Mühe, und seine Freunde beneideten ihn, weil sein Gerät besser klang als die ihrigen, die viel teurer gewesen waren.

Nach ein paar Jahren wurde es ruhiger. Mein Besitzer war Programmierer geworden, brummelte immer was von "Cobol" und "mittlerer Datentechnik" und verdiente vor allem ein Haufen Geld. Er fuhr in die Schweiz und kaufte dort Geräte, die viel größere Spulen tragen konnten wie ich und damit auch noch schneller waren. Ich wurde nicht mehr gebraucht, durfte aber meinen Platz im Regal behalten. Immer wieder, in länger werdenden Abständen, wurde ich eingeschaltet. Mein Besitzer legte dann ein bestimmtes Band auf und sagte, wenn er ein Flasche Wein geleert hatte: "Nirgendwo röhrt Janis schöner als bei Dir". Dann erzählte er zur Abwechslung nichts von PCs und einem Herrn Gates - beide schienen ihn sehr zu verärgern - sondern von Eric, Eric, John und Jim, bekam bei Frank glänzende Augen und rezitierte dann etwas von einem Bob, den ich nie verstand und zuerst nie richtig mochte, weil man sich, wenn man ihn abspielte, immer irgenwie defekt fühlte. Es lag aber nicht an mir, sondern an Bob's Stimme. Und als mein Besitzer das merkte, freundetet ich mich sogar mit Bob an. Ich spielte eine Menge Bänder von ihm, von denen er aber nichts wissen durfte.

Aber immer war Janis das erste Band das er auflegte, und Janis wurde meine beste Freundin.

So ging das eine ganze Weile, irgendwann zog mein Besitzer um und ich wurde in einen Karton gesteckt, aus dem ich viele Jahre nicht befreit wurde. Wo meine Freunde, die Bänder, waren, wusste ich nicht und ich vermisste Janis. Ich arbeitete an mir, hielt mich fit und wartete auf den Tag, an dem ich wieder zeigen konnte, wie man eine Frauenstimme so reproduziert, daß einem Mann das Herz aufgeht. Eines Tages schien es so weit zu sein. Ich hörte rappelnde Geräusche, Kartons wurden verschoben, dann wurde mein Karton aufgeklappt.

Aber da stand nicht mein Besitzer, sondern ein junger Mann, den ich nicht kannte und neben ihm eine junge Frau. In der Ecke der Dachkammer - hier war ich untergebracht worden - standen meine großkotzigen Schweizer Vettern in Reih' und Glied an der Wand.

"Ah, da ist ja das olle Dingens, von dem Opa immer erzählt hat, stell das mal rum zu den anderen!", sagte der Jüngling.
"Wollte er das nicht mit ins Altersheim nehmen?"
"Opa ist senil! Was er will und was er kriegt sind 2 Paar Stiefel. Oma rastet aus, wenn das Teil mitgeht! Dann hört er wieder den ganzen Tag das Band, das angeblich irgendein Lennon für ihn aufgenommen hat, bevor er erschossen wurde. "
"Aber Dein Opa will doch irgendwie Musik hören", meinte die junge Dame, die wesentlich intelligenter zu sein schien als ihr Freund, der Enkel.
"Darf er auch", meinte der, "ich schenke ihm meinen ausgelutschten Mini-Disk-Walkman. Ich melde ihn sogar im TBS-47 an, da bekommt er regelmäßig ein Seniorenprogramm ins Haus. Und jetzt schnell weg mit dem Teil, bevor er danach frägt."
"Das passt doch gar nicht mehr in die Kiste..."
"Drücks rein und mach's passend, ist eh' wurscht wenn's kaputt geht."

Die nette junge Dame drückte mich nicht einfach in die Kiste zu meinen Vettern sondern machte eine Ecke frei. Sie gab sich große Mühe. Von einer Uher Report schraubte sie sogar eine Spule ab und legte sie mir auf. Leider war es nicht Janis. "John L., last Songs" stand drauf, was immer das auch heissen mochte.

Die Dame verbrachte viel Zeit vor einem Computer - war das so ein PC, über den mein Besitzer immer geschimpft hatte? - beschäftigte sich mit einem Programm namens "ebay", und sagte eines Abends: "So ein verrückter Sammler aus dem hohen Norden hat alles gekauft. Komischer Vogel, wollte eine Bestätigung haben, daß alles Grundig-frei ist, keine Ahnung was er meint, ich hab sie ihm halt gegeben."

Die Reise verlief gut. Ich hörte, als ich vom Postboten an der Tür abgeladen wurde, fröhliche Kinder und die nette Stimme einer freundlichen Frau. Sie rief sogleich ihren Mann an "...das Konvolut ist da.." und ich freute mich schon auf mein neues Zuhause. Die Kinder packten mich am Abend liebevoll aus, staunten als sie gerade mich sahen, und brachten mich zusammen mit meinen Begleitern Stück für Stück die Treppe hoch, in das Reich dieses geheimnisumwitterten Sammlers. Der saß an einem Schreibtisch inmitten von Tonbandgeräten und Cassettenrecordern, schaute wohlgefällig auf jedes Teil, daß die beiden Kinder nach oben brachten und biss dabei genüßlich von einem dick belegten Leberwurstbrot ab. Ich setzte mein nettestes Lächeln auf, wollte etwas zur Begrüßung sagen, da fuhr der Kerl hoch wie von einer Tarantel gestochen und schrie mit verzerrtem Gesicht: "Ihhh, eine Grundig!". Er packte mich und warf mich stante pede aus dem Fenster ins Freie, wo ich neben einer Mülltonne aufschlug.

Ich hätte im Boden versinken wollen, wenn ich es nicht schon getan hätte. Es hatte stundenlang geregnet, es regnete immer noch, und durch die Wucht des Aufpralls versank ich bis zu den Scharnieren des Koffers im Dreck. Daß der Boden aufgeweicht war, hatte mir das Leben gerettet, andernfalls wäre ich zerschellt. Ich war über und über mit Dreck bespritzt, und dazu noch mit Leberwurst bekleckert. Denn dieser unkulitvierte Snob hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, die Hände zu säubern bevor er mich vor die Tür setzte.

Gerade das hat mir ein zweites Mal das Leben gerettet. Lange hätte ich es nicht mehr ausgehalten, ich spürte schon, wie der Regen in mich hineinlief und hatte mit meinem Leben schon abgeschlossen, da hörte ich lebhaftes Hundegekläff. Kurze Zeit später bog ein großes, kuscheliges Wollknäuel um die Ecke, im Schlepptau ein ebenso zerzaustes Etwas das wild gestikulierend den Hund zu langsamerer Gangart bewegen wollte.

"Tu langsam, Fortran!", rief er, und hatte sichtlich Mühe Atmung und Sprache zu koordinieren, da er unentwegt an einer Zigarette saugte. Ich kannte diesen Typ Mensch - das war ein Programmierer, so wie mein bisheriger Besitzer.

Der Hund begann sofort, mich liebvoll abzuschlecken und befreite mich von der Leberwurst. Der Mann hob mich hoch, schaute mich an, blickte dann in die Runde, zuckte resigniert mit den Schultern und sprach die erlösenden Worte:

"O.K., Fortran. Das nehmen wir mit. Wir gehen sofort nach Hause und ich erzähle Dir ein andermal was über Cobol."

Ich wurde zum ersten Mal seit langen wieder so liebevoll gepflegt wie von meinem Vorbesitzer. Ich fühle mich wohl in diesem neuen Zuhause, vor allem deshalb, weil ich hier nicht mehr die älteste bin. Im vergleich zum Rest bin ich richtig jung. Ich mache mich mit den anderen bekannt. Gestern hatte ich ein nettes Gespräch mit einem amerikanischen Onkel, den sie alle nur 8-Spur nennen, und wenn Opa Phono-Rex den Mittagschlaf beendet hat, werde ich ihn auch näher kennen lernen.

Mein neuer Besitzer hat das John-L- Band abgenommen und zur Seite gelegt, dafür etwas Gitarrenpop aufgelegt, wie ich es früher oft spielen musste. Er schien zufrieden mit mir zu sein.

Ob ich je erfahre, was auf dem John-L-Band drauf ist? Egal, nicht so wichtig. Lieber wäre mir, ich wüsste, wo Janis abgeblieben ist und die ganzen anderen Bänder. Aber die werde ich wohl nie wieder sehen.

Oder doch?

- Michael -
Michael(F)
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[Kein Betreff] - von highlander - 14.07.2004, 15:00
[Kein Betreff] - von wz1950 - 15.07.2004, 03:16
[Kein Betreff] - von Michael Franz - 15.07.2004, 11:59
[Kein Betreff] - von highlander - 16.07.2004, 13:14
[Kein Betreff] - von wz1950 - 17.07.2004, 03:22
[Kein Betreff] - von wz1950 - 17.07.2004, 04:47
[Kein Betreff] - von snzgl - 20.07.2004, 20:43

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