Wiedereröffnung
#10
Lieber Heribert,

Zitat:du postetest:
Selbstverständlich, deshalb nennt sich das ja hier "Forum".
Nun ja, dann bin ich ja beruhigt. Denn die anderweitigen Wellen beunruhigen mich immer von neuem.
Zitat:Zu Deiner Info:
Bin Musikliebhaber, besonders eben auch Orgelmusik,
spiele ( Hobby ! ) ab und an was Klavier.
Das sieht bei mir partiell und namentlich historisch (innerhalb eines Lebens) etwas anders aus, außerdem komme ich -wenn auch als notorisch kritischer, aber nie beckmessernder Zeitgenosse- aus einer wesentlich orgelbewegteren Zeit. Ich habe über Musik-Tonmeisterei und Musikwissenschaft jedoch nie vergessen, was ich in Marmoutier, Borgentreich, Goslar-Grauhof, Lahm/Itzgrund, Alkmaar, Ganderkesee, Ebersmüsnter, Fürstenfeld[bruck], Innsbruck, St. Maximin, Tai di Cadore oder Gagnano usw. -die Liste ist endlos- erlebte. Darüber denkt man nach, auch über die -in meinem Falle wesentlich häufiger und dramatischer erlebten- Enttäuschungen an damals (und heute!) 'neuzeitlichem Instrumentarium', und fragt nach dem Warum. Meine Erfahrungen weichen also von den deinen diametral ab, was dies Warum natürlich verschärft. Weshalb befriedigte mich die Rekonstruktion der Orgel J. A. Silbermanns in Bouxwiller/Buchsweiler mehr als viele der weiland neuen Münchener Instrumente? Warum blieb mir die Tischorgel der Residenz ebendort als ein kaum beschreibliches Erlebnis wie Schaffhausen, St. Johann oder Merseburg, Dom in lebendigster Erinnerung?
Weil die Instrumente dem Musiker gerade durch ihre zeitgenössisch bestimmten Beschränungen Grenzen setzen, ihm Mühe un Not bereiten, das zu realisieren, was er durchziehen möchte. Er muss sich also etwas überlegen, sich mit Musik und Instrument gleichermaßen (das reicht bis zum Tastaturstichmaß) befassen. Zudem ordnet man sich 'zeitgenössisch' klanglich lokalen Gepflogenheiten unter, weshalb Orgeln der beiden Brüder Andreas und Gottfried Silbermann auch so unterschiedlich, also individuell tun, wie es die nennenswerte geografische Entfernung von Ebersmünster und Freiberg vermuten lässt.

Es ist der hohe, universalistische, schlicht unrealistische Anspruch modernen Instrumentariums an sich selbst, der zeitweise in der Orgelszene (ca. 1970-1990) auch in Abrede stand, als Abusus gesehen wurde und diese Instrumente durchaus leicht langweilig macht. Mir ging die Sicht der Ahrends und Brombaughs damals sehr ein, denn ich habe immer dem Ideal gelebt, neben einer neobarocken Orgel ein italienisches Instrument bauen zu lassen, das wiederum durch einen Spanier, ein Ladegast-, Silbermann- oder Hörterich-, Fux oder Riepp-Konzept ergänzt werden konnte. Da ist dann auch Platz für eine Walcker- oder Steinmeyer- Kegellade, ja die technisch komplexen (aber heute sündteuren) pneumatischen Ladensysteme, damit neben einer universellen (?) neuzeitlichen Schleiflade (meinetwegen auch Springlade) stehen könnten, so dass eine Vielgestaltigkeit in eine Szene k
käme, die nicht nur dem Hörer, sondern auch der Eindämmung des leidigen Problemes organistischer (Musiker-)Profilneurosen entgegenkäme. Das setzte andererseits eine Modifikation der Hochschulbildung des Nachwuchses (ich vermeide den so gängigen wie dummen Terminus "Aus-Bildung" bewusst) voraus, worin ich -neben einer aktuellen Klangmode- eine der höchsten Klippen für die Durchsetzung eines solchen Gesamtkonzeptes sehe.

So hätte es mich schlicht gewundert, wenn die dir nahestehende Orgel von St. Nikolaus in Köln als Orgelneubau derzeit nicht neoromantisch-französisch angelegt worden wäre. Es ist dies gegenwärtig so 'in', gleichsam Stand der Technik und des Geschmackes, zumal man mit der Instrumentenstruktur (klanglich und technisch) bei Cavaillé-Coll der Einführung der ja über eine Generation verpönten Universalorgel gleichsam geadelt doch wieder nahekommt:
Man kann Spielhilfen einbauen bis zum Erbrechen, Koppeln pneumatisieren bis elektronifizieren (ich selbst habe über die Syncordia-Traktur einen Aufsatz geschrieben), ohne dass dagegen etwas eingewandt werden könnte.

Mir liegt es näher, an meine Grenzen erinnert zu werden, als Gegebenheiten aufgrund solcher Grenzen als unzulänglich zu empfinden. Ich überlege mir dann etwas, frage nach dem Warum der als Engpässe empfundenen Phänomene, womit ich im Falle Buchsweilers schnell bei den passenden Komponisten des Oberrheingrabens, bzw. den klassischen Nordfranzosen (die gehen nämlich auch weitgehend ohne Aufstände) lande, deren Realisation in der Pfarrkirche jenes -übrigens sehenswerten elsässischen Städtchens, das auch Goethe besuchte (auf den Spuren von des Pfarrers Töchterlein, versteht sich)- besser läuft als ein Bach, den ich dort natürlich genauso spielte. Wohl wissend, dass dies 1778 bei der Weihe nicht möglich war, da dem Pedal damals eine reichliche Quinte fehlte. Sind Grigny,Clerambault oder Nivers deshalb schlechter? Reizvoll wird es dann, wenn Registrierungsempfehlungen des Orgelbauers für ein solches Instrument vorliegen, was im Falle Buchseweilers seit gut 10 Jahren wieder der Fall ist. Man kann dann nämlich auf die Hörgewohnheiten derer zurückschließen, deren Arbeit wir kennen, die wir aber nicht mehr sprechen können. Ich rücke damit der Antwort der Frage näher, ob wir heute wirklich anders hören (denken, fühlen) als unsere lang dahingeschiedenen Vorfahren...

Da melden sich dann in mir der Psychoakustiker, der Musikhistoriker und der Musiker, nicht zuletzt auch der Tonmeister, der Klangereignisse durch die Mikrofonierungsproblematik von einer durchaus interessanten Seite 'erlebt'; leider interessieren die Verbindungen dieser Disziplinen kaum jemanden: Der Musiker will hupen, kann die Finger nicht ruhighalten, der Musikhistoriker über Satzbetrachtung am Schreibtisch (Denkerwerkstatt, schlechte Luft und so), der Tonmeister schwelgt in Filtern und Mikrofonen (vielleicht noch Abtastraten), der Psychoakustiker denkt an Statistik und Reihenuntersuchung, Hörversuch und Datenreduktion, sowie die nächste Publikation, nächstes Jahr wird ja der Lehrstuhl in Bad XYZ frei!

Finden sich aber einmal Leute, um all das Genannte und einiges mehr kollegial zusammenzuführen in ein Projekt zu gießen ("der Fall Dresden"), wittere ich Morgenluft und hoffe auf Verwirklichung. Und dann kommt einer, durchkreuzt das, ohne dass ich das nachvollziehen könnte, und hat auch noch einen Sohn, den ich als Kollegen hoch schätze...., dann wird man an seinem Leben noch irrer, als man ohnehin schon irre ist. Das reicht dann für den Hausgebrauch; man hat ja noch Familie.

Viel und hoffentlich dauerhafte Freude mit eurem neuen Instrument in St. Nikolaus, Köln!

Hans-Joachim
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[Kein Betreff] - von capstan - 30.09.2005, 13:46
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 30.09.2005, 20:08
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[Kein Betreff] - von Michael Franz - 02.10.2005, 01:43
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[Kein Betreff] - von Friedrich Engel - 19.10.2005, 15:55
[Kein Betreff] - von Heribert W - 21.10.2005, 07:37

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