Wiedereröffnung
#7
Ich darf dir, lieber Heribert doch widersprechen, oder?

Cavaillé-Colls Orgeln bereiten nun 'tendenziell' sehr geringe Schwierigkeiten, denn der Mann hat geschrieben, was die Feder hergab, zudem ist eine respektable Menge seiner Instrumente erhalten. Außerdem ging er den Orgelbau mit der Konsequenz des Ingenieurs des 19. Jahrhunderts an. Seine Instrumente im Nachbau zu reanimieren, fällt daher nicht schwer, außer dass eine solche Kopie misslänge (...), wären denn 'Instrumentenkopien' überhaupt solche (daran zwreifle ich, weil kein Raum dem anderen gleicht). Dennoch reizen mich aufgrund der musikalischen Umgebung Instrumente der Silbermänner, Wagners, der Herbsts (so erhalten), Treutmanns mehr als die Cavaillé-Colls, die allesamt jeweils auf den musikalischen Zeitgeschmack abheben, der mich mit Widor, Dubois oder Gigault doch nicht so sonderlich ankommt, sehe ich das BWV zwischen 540 und 548, 599 und 688 an. Ein Objektivierung meiner Aussage ist möglich, tut hier aber nichts zur Sache.

Das Nachverfolgen der Prinzipien der elsässischen Silbermänner Andreas und Johann Andreas (Andreas war ja nicht nur der Lehrmeister sondern auch der ältere Bruder des Gottfried) errichtet aufgrund des extrem hohen Rationalisierungsgrades der Fertigung bei Andreas und dann vor allem bei Johann Andreas auch keine unüberwindlichen Hindernisse, wie der Vergleich von z.B. Molsheim-Jesuitenkirche, Mühlhausen-Temple St. Jean, Buchsweiler-Ev. Kirche mit Marmoutier-ehem. Klosterkirche und Ebersmünster-dito. schlagend nachweist. Die Bau- und Intonationsweise Johann Andreas Silbermanns wird zusätzlich durch seine Niederlegungen im fünfbändigen (heute edierten) 'Silbermann-Archiv', durch die Sundhauser Papiere aus Härpfers Besitz und endlose (orgelbauliche) Nachweise in teilerhaltenen Orgeln bis in Details belegt. Schon Pater Albert Hohn (HD-Ziegelhausen) hat da 'belastbares Material' in extenso vorgelegt. Wir wissen, was man in Straßburg tat, und wie Gottfried unterrichtet wurde. Nicht zuletzt hat auch der Vater Gaston Kerns (von Gaston stammt das aktuelle Instrument in DD, Frauenkirche) einen beachtlichen Teil seines Orgelbauerlebens davon gelebt und sehr überzeugende Beispiele seines Einfühlungsvermögens vorgelegt und hinterlassen (vgl. oben).

Ähnliches gilt für Gottfried, von dem mehr gering verändertes Material vorhanden ist als von den Elsässern; zudem wurde mit der qualifizierten Erforschung seines Tuns schon in den 1930ern (Freiberg war beispielsweise Teil der Initialzündungen zur Orgelbewegung) begonnen, dies ging durch die DDR-Zeit weiter und betraf im Falle Dresdens gerade auch die Frauenkirchenreste, denen anders als den Hofkirchenbeständen seit dem 19. Jhdt. ungleich übler mitgespielt worden war. Wir kennen die Mensuren von den bis 1944/45 erhaltenen Silbermann-Regster der Frauenkirchen-Orgel und durch die Arbeiten Lottermosers auch deren Klang 'von der Orgelbauer letzter Hand' (1943/44), denn Werner Lottermoser beschrieb ja in der Nachkriegszeit anhand der allein verbliebenen RRG-Aufnahmen nach dem letzten Umbau über Klanganalysen naturwissenschaftlich hinreichend solide das Silbermann-Material auch akustisch. Zudem haben wir in Dresden mit Kristian Wegscheider, Hartmut Schütz und Adlaten ein orgelbaulich Silbermann-'Kompetenzzentrum', das mit Wissen und Archiv der Jehmlich-Kollegen an Leistungsfähigkeit hinter dem Elsässer Alfred Kern in nichts zurückstehen muss.

Die Frauenkirche hätte unabhängig von liturgischen Erfordernissen (die neue Frauenkirchengemeinde ist in der Gläubigenzahl keine klassische Kirchengemeinde mehr) die Möglichkeit zur Probe aufs Exempel geboten, Silbermann nachzuzeichnen: Was können wir, was wissen wir; dass das musikalische Konzept überzeugt, hören wir in Freiberg (bitte dreifach), nicht jede Orgel muss die Wiedergabe von Vierne und Dupré erzwingen. Auch von diesem, nicht minder 'einseitigen' Orgeltyp haben wir inzwischen mehr als genug Instrumente.

Die Gegenargumente von Güttler sind für mich ausgemachter Unsinn und eines kapablen Musikers eigentlich unwürdig. Wenn er Probleme hat, sich als Trompeter (!!!, denen die Transposition immer zentraler Teil der instrumentalen Beherrschung war) an einem abweichenden Stimmton oder einer abweichenden Temperatur für die -an sich weitgehend unhistorische- Kombination Trompete und Orgel zu orientieren, kommen mich Fragen zu seinem gerühmten Handwerk an. Zu einer fehlenden Pedaltaste braucht er sich ja wohl die wenigsten Gedanken zu machen.
Doch eher noch melde ich schon deshalb und namentlich in historischen Fragen erhebliche Zweifel an, wenn ich die wissenschaftlich-historischen Aufsätze Güttlers studiere: Man lese nur, was er zum Corno da Caccia zu sagen hat, was nun in einer Umgebung qualifizierter historischer Forschung eine Distanz zu erworbenen, also bestehendenen Kenntnissen offenbart, für die ich nur eine Erklärung habe: Historisches interessiert Güttler in der Musik nur insoweit, als es sich mit einer standardisierten Virtuosität beherrschen lässt.
Das aber ist zumindest (auch) für mich kein Umgang mit einer bestimmten Art Musik und denjenigen, die sie einmal schrieben: John Cage oder Dieter Acker habe ich Güttler nie spielen gehört.

So wuchsen sich die hinter Güttler und der Gegenpartei versammelten Finanzmassen zur Munition in einem klassischen Richtungsstreit um eine Orgel aus, in dem die Gegenpartei eben den Kürzeren zog, obgleich Güttlers fachliche Kompetenz in Orgelfragen mit Händen zu greifen war/ist. (Ließe er mich in derselben Weise als Gutachter bei einem seiner Trompetenerwerbe gewähren?)
Punkt, das war's dann aber mit dem Frauenkirchenorgelprojekt, nicht mehr und nicht weniger. Da halfen die oben (mutmaßlich) benannten, respektablen, internationalen und fachlichen Gegenbewegungen nichts. Die Gelegenheit zur Prüfung unserer Kenntnisse bezüglich Gottfried Silbermanns ist verspielt.

Ein Gegenargument hätte ich akzeptiert: Das des Kitsches, der gemeinhin als neuzeitliches Surrograt längst in Inhalt und Erscheinung verlorenen Gutes definiert wird. Das könnte man auf die Orgel beziehen. Dieser Vorwurf kam allerdings von Güttler nie; mit gutem Grund: Denn damit hätte man die gesamte Rekonstruktion der ja im Kriegsgefolge vollständig verlorenen Frauenkirche füglich vergessen müssen (der Steinhaufen unter Gras enthielt ja nur diejenigen Reste, die nach dem Kriege nicht abgefahren worden waren). Daran rührte Güttler als intelligenter Mann natürlich nicht, denn er hatte ja (bitte Reisekader und nicht nur das) einigen Grund, durch sein Frauenkirchenunternehmen den Blick der Dresdener Mitbürgerschaft auf die Zukunft zu lenken.

Wohl gemerkt: Ich bin kein Dresdner, sondern Osnabrücker, der seit reichlich 50 Jahren in der Stadt der Weißwürste lebt. Meine Beziehung zu Dresden ist nachwendegeprägt, ich hatte nie private Wurzeln dort. Aber ich bin Organist und Tonmeister aus Leidenschaft (gewesen, heute steht's mir eigentlich 'etwa bis -> --- <- hier'), also dem Grundsatz verhaftet: Wer Ohren hat, der höre und da höre ich etwas, vieles; aber eben nur das, was für mich 'da' ist, während andere anderes hören. Und da scheiden sich dann eben die Geister, weshalb gerade ich ein Maximum an Liberalität pflege, die sich in einer großen Offenheit anders Denkenden gegenüber äußert. Nur 'meine' Orgel in Auge und Kopf zu bewahren, reicht mir da nicht. Es soll aber Leute geben, die ihr Leben und ihre Ansichten durch ihre Trompete (oder das, was sie dafür halten), 440 Hz, Orgel oder ihren Kontrabass definieren. Da passe ich dann, verzichte aber nicht von ungefähr auf Widerspruch, wenn ich meine, so handeln zu müssen.

Deine Haltung, lieber Heribert, achte ich von Herzen, denn ich kenne dich und deine Herkunft, deine sicher aus gutem Grund geäußerten Denkarten nicht. Meine Ausagen wenden sich daher nicht gegen dich. Bei Güttler habe ich da sehr viel mehr Probleme mit der Akzeptanz.

Unsere Welt geht aber nicht unter, nur weil die Ken-Silbermann-Version der Frauenkirche nicht meinen Erwartungen entspricht; insofern: Diskutieren macht Spaß und fördert oftmals gute Ideen zutage....

Schön'n Abend noch

Hans-Joachim
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[Kein Betreff] - von capstan - 30.09.2005, 13:46
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 30.09.2005, 20:08
[Kein Betreff] - von capstan - 01.10.2005, 17:48
[Kein Betreff] - von Michael Franz - 02.10.2005, 01:43
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 02.10.2005, 13:20
[Kein Betreff] - von Heribert W - 18.10.2005, 09:16
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 18.10.2005, 16:58
[Kein Betreff] - von Heribert W - 19.10.2005, 08:42
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 19.10.2005, 12:27
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 19.10.2005, 12:28
[Kein Betreff] - von Heribert W - 19.10.2005, 14:44
[Kein Betreff] - von Friedrich Engel - 19.10.2005, 15:55
[Kein Betreff] - von Heribert W - 21.10.2005, 07:37

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