Warum gibt es keine Musik Stars mehr?
#29
Meiner Ansicht nach ist die Popmusik seit den späten 90ern komplett ausentwickelt. Es ändern sich nur noch Nuancen und setzen sich zu neuen (Sub)Genres zusammen, die früher gar keine getrennten Genres gewesen wären. Viele Dinge, die gar nicht neu sind, werden dann von Kritikern hoch gelobt, oder von ahnungslosen Jugendlichen gefeiert.

Klar gibt es noch gute Musik, wahrscheinlich mehr als je zuvor, aber das Langweilige daran ist, dass sie eben nicht mehr bahnbrechend und stilebnend für irgendwas ist. Es wird zwar nach wie vor so geredet, aber eigentlich ist es seit Jahren das Gleiche. Sowas wie die Beatles, Stones oder später auch die Stars der 80er, wie Nik Kershaw, Human League oder auch die Leute aus dem nationalen Bereich können sich zwar erfolgtechnisch wiederholen und auch vom Bekanntheitsgrad... aber vor einem Nik Kersahw und Yazoo gabs halt diese Art von Popmusik nicht, vor der NDW gab es nur Schlager und Deutsch Rock, aber keine eigene deutsche Identität in der Popmusik. Sowas ist nicht wiederholbar. Nur die Soundästhetik des Ganzen.

Und die ist im Allgemeinen meiner Meinung nach extrem schlechter, langweiliger und seichter geworden. An der Arbeit lief vor 2 Tagen wieder der FFH 2000er Stream. Ich kenne alle Songs, die dort laufen, kann aber nicht mehr sagen, aus welchem Jahr genau die sind, weil sich das Sounddesign und die technischen Weiterentwicklungen - die Art des Producing in dieser Zeit nicht mehr großartig verändert haben. In den 50er bis 80er Jahren war das anders und vor Allem in den 80ern war die technische Entwicklung auch was Digital Mastering und Effekte anging bahnbrechend schnell. Es kamen jedes Jahr unzählige neue Synthesizer und elektronische Instrumente so wie soundtechnisches Equipment heraus, das ein Sounddesign erschaffen konnte, das es vorher nicht gab.

Wenn heute eine neue Band Platten raus bringt, klingen die vom Sound her von Platte zu Platte exakt gleich, es sei denn sie probieren mal ein Anderes Genre. In Interviews und Berichten wird dann aber trotzdem immer über den bahnbrechend neuen Sound gesprochen, der seit Ewigkeiten die gleiche Seichtheit hat. Autotune tut sein Übriges. Wenn ich dann Songs aus den 80ern höre, die ich noch nicht kenne, überschlägt sich mein Herz, weil ich nicht fassen kann, wie toll diese Produktionen sind und was für eine Ästhetik die haben. Wenn ich dagegen dann neue Songs höre sind die halt so "naja.". Natürlich gibts auch Ausnahmen, aber die Masse an Songs, die ich pro Jahr neu entdecke und die wirklich in ein paar Jahren noch relevant für mich sind ist ERSCHRECKEND gering im Vergleich zu dem was ich regelmäßig aus den 50er bis 80er Jahren und teilweise noch aus den 90ern entdecke, was ich noch nicht kannte und was nachhaltig bleibt.

Das hat unterschiedliche Gründe: Es ist nicht nur das Sounddesign, sondern oft auch die überaffektierte Art zu singen, die ich bei vielen neuen Künstlern in jedem Genre feststelle, dann diese merkwürdige Eigenheit, dass Stimmen heute so komisch aufs Playback gelegt werden. Wenn man sich mal sowas anhört wie "If You Could read my mind" von Gordon Lightfoot ist man erst mal überrascht, wie hervorragend das nach 50 Jahren noch klingt, dann wie toll das arrangiert ist und wie dynamisch es auch ist, die Stimme liegt auf ganz wunderbare Art und Weise auf der Musik und verschwimmt mit den Instrumenten, man versteht aber jedes Wort und trotzdem singt der Sänger nicht so komisch künstlich, wie es heute Alle tun.

Beispiel aus den 80ern: Mr. Mister - Kyrie. Das ist so ein perfektes Sounddesign für einen mitreissenden Popsong und so in der Art klang ja damals Alles.

Heute wirkt es so, als seien Musik und Stimme getrennt und merkwürdig voneinander abgekapselt. Ich denke dann oft, der Künstler ist total steril von der Musik entfremdet, das Autotune macht die Stimme noch künstlicher, obwohl es völlig unnötig ist, weil der Künstler eigentlich sehr gut singen kann. Die Stimme hat ausser Autotune kein Echo, keine Effekte, es klingt einfach staubtrocken und öde, der Sound des Playbacks ist zuammengepresst und irgendwie wirkt es, als wäre das Playback leiser als der Gesang, was dem Song komplett die Tiefe nimmt.

Würde man Kyrie nun noch mal so neu produzieren (was es möglicherweise ja schon gibt - es gibt ja jede Menge andere Songs, bei denen das tatsächlich so ist), würde ich mir wie so oft denken "Eigentlich ein schönes Lied, aber doof produziert, scheiss Sound, scheiss Autotune und seit Jahren die gleiche kacke...".

Es gibt ja z.B. auch diese New Retro Wave, wo ich ganz selten mal was finde, was mir wirklich gefällt. Der Sound ist zwar von der Ästhetik her schön, aber die Songs an sich meist wie Fahrstuhl Musik, mittelmässig bis nichtssagend, kann ich nix mit anfangen. Wozu soll ich mir Songs anhören, die klingen wie 80er, aber schlechter sind, als die Songs von damals? Genau so gibt es alle anderen möglichen Genres, die auf Motown oder 70s Funk oder Rock abzielen und dann irgendwie nicht ganz so geil wie die Originale sind.

Dann kommt noch ein Neues Phänomen hinzu, was die Qualität - zumindest erfolgreicher Popmusik - zerstört. Die Aufmerksamkeitsspanne der Leute sinkt, deshalb werden Songs auch seit Jahren wieder kürzer und es gibt auch keine Extended Versionen mehr. Früher hat man sich gefreut, wenn ein Song schön lang war, weil er nicht zu Ende ging und bei einer guten Maxi freut man sich ausserdem über die tollen Remix Parts. Heute werden Songs durch kurze Sequenzen in Tik Tok berühmt, der Song hat dann keine Zeit sich komplett zu entfalten, oder sich großartig zu steigern und so passt sich dann auch das Skip Verhalten bei Spotify an. Leute hören Playlists mit neuen Songvorschlägen durch und skippen nach 30 Sekunden weg, wenn ihnen das Lied nicht gefällt.

Songs bis in die 90er haben Strophen, Pre Chorus, Refrain, Bridge und häufig Rückungen, dann kommen noch Gitarrensoli und am Ende geht so ein Lied schon mal 4 bis 5 Min in der Singleversion. Ich habe heute eine AOR/Glam Rock Playlist mit 80s und frühen 90s Songs aus dem Genre gehört. Es hat absolut jeder Song ein Gitarrensolo. Heute bei Nickelback oder Rosenstolz ist das halt nicht mehr so und der Sound ist auch irgendwie seichter und gleichgültiger.

Aber die Digital Natives sind genau an dieses Sounddesign gewöhnt. Die wollen meistens gar nix Anderes hören und wenn man mal So die vorgefertigten Playlists früherer Dekaden anguckt sind da überall nur die selben Hits drin, wie es auf dem Oldiesender eben auch ist. Das ist oberflächlich, denn man will ja nur die Kulthits propagieren, auf die Alle Feiern. Da gehste halt mal auf die 90s Retro Party und findest das ironisch gut wie Snap und DJ Bobo da auf der Bühne stehen, aber dann reicht das auch wieder. Und natürlich entwickelt man - wenn man eh immer nur das Neuste hört - einen anderen Bezug zu Songs. Ich würde sogar unterstellen, dass die Meisten gar keinen Musikgeschmack in dem Sinne haben, dass sie selbst selektieren, sondern sie hören eben das, was grad angesagt ist. Die Musik von vorher wird dann belanglos, sobald sie "zu alt" ist und irgendwann ist sie dann wieder so alt, dass sie "retro" ist. Dann geht man eben auf diese "selbstironischen" Retroparties, die es in 20 Jahren wahrscheinlich auch mit Musik von jetzt geben wird, denn es geht bei den Meisten nicht um den Sound, sondern um das, was sie mit der Musik verbinden, die typischerweise dann gehört wurde, als sie aktuell war und wozu immer das aktuelle Zeitgeschehen und die persönlichen Erlebnisse gehören und so wird es auch in 20 Jahren Klassiker geben, die für mich keine sind, weil sie nicht wichtig, prägend oder gar besonders herausragend waren, aber für Andere sind sie das schon, weil sie der musikalische Hintergrund nicht interessiert, sondern nur die Emotion zum Lied und da ist es egal, ob das von 1985 oder 2021 ist.

Braucht man denn aber Stars? Ich finde Stars sind eine Perversion. Es ist ziemlich eindeutig belegt, dass Michael Jackson das mit den Kindern gemacht hat und unabhängig von der Qualität seiner Musik legt sich das immer mit einem bitteren Beigeschmack darauf, wenn ich das höre. Seit ich Leaving Neverland gesehen habe ist das so. Ich war zum Glück nie ein großer Michael Jackson Fan und insgesamt halte ich nicht viel vom klassischen Fantum - also aus Image Alles geil finden, was Einer macht.

Aber trotzdem merkst du, dass viele Leute, die eigentlich erwachsene reflektierte Menschen sind bei Michael Jackson ganz komisch werden. Da werden sämtliche Neurosen plus die Pedo Sache irgendwie gerechtfertigt und das irgendwie Alles legitimiert und wenn ich mit 35 mit ner 16 oder 17 Jährigen ausgehen würde, würde ich aber komisch angeschaut und wäre dann direkt der kranke und perverse Kinderf...er. Das steht in keiner Relation und das nur, weil der Typ einen Status erreicht hat, der einer Gottheit gleicht, was ihm allein aber nie gelungen wäre, wenn er nicht so starke Produzenten und so aufwändige Produktionen gehabt hätte. Für mich ist der Typ einfach ein ekliger kranker Typ, dem ich niemals hätte zu nahe kommen wollen, aber Leute halten sich an einer Illusion aus ihrer Kindheit fest, weil sie ihn in Moonwalker und den ganzen Musikvideos gesehen haben und ich finde es eigentlich gut, wenn es sowas nicht mehr gibt.

Da ist mir Jemand wie Ed Sheeran oder eine sehr aufgeklärt und zurückhaltend wirkende Billie Eilish, die für viele Jugendliche ein Vorbild ist, auch im Feminismus, irgendwie 10 mal sympathischer, obwohl ich glaube, dass es niemals gesund ist, zu viel Fame zu haben. Wenn ein Justin Bieber, der Alles hat in einer Challenge persönlich auf Social Plattformen seine Follower in Videokonferenzen einlädt, damit sie ihm Clicks geben um auf Platz 1 der Spotify Charts zu kommen, finde ich das schon krank. Oder die Fangirls von der K-Pop Gruppe BTS, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, deren Songs zu klicken, nicht weil sie besonders geil sind, sondern damit sie viele Clicks kriegen. Das kann Alles nicht gesund sein. War es auch früher sicher nie. Meiner Meinung nach muss es das nicht geben und es ist viel schöner mal ne kleine Band zu supporten, deren Platte zu kaufen und sich kurz mit Denen zu unterhalten oder Ihnen ne nette Nachricht bei Insta da zu lassen und wenn dann auch was zurück kommt.

Also brauchen wir denn unbedingt Stars?
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Warum gibt es keine Musik Stars mehr? - von leserpost - 14.07.2021, 11:26
RE: Warum gibt es keine Musik Stars mehr? - von leserpost - 14.07.2021, 14:38
RE: Warum gibt es keine Musik Stars mehr? - von leserpost - 14.07.2021, 16:50
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