Ein langer Aufbruch in ein schnelles Ende: Stereotronic
#1
Niels hat mich aufgefordert mal wieder etwas vorzustellen. Mehrfach. Ich tue ja, was mir gesagt wird. Manchmal.

Doch was nimmt man? Zu lang darf die Vorstellung nicht werden, sonst liest es wieder keiner. Noch lebende Personen oder Firmen darf sie nicht thematisieren, weil ich hier ja nicht editieren darf. Boxen waren das letzte mal dran, davor Tonbandgeräte …

Kennt Ihr „Stereotronic“?

Als ich vor einigen Jahren plante, was ich erwerben dürfe und was nicht - schließlich will ich mir die Bude nicht all zu voll stellen - stieß ich auf der Suche nach dem, was den Füllstand sicherstellen könnte, in einem alten HIFI-JAHRBUCH [1] auf die Marke „Stereotronic".

Diese Marke kann für sich in Anspruch nehmen, eine der Wenigen zu sein, die das Produkt, das sie eigentlich hatte verkaufen wollen, für dessen Verkauf sie gegründet worden war, nie auf den Markt gebracht hat. Denke ich mal.

Wer also war „Stereotronic“ und warum?

   

Aus den USA kennen wir eine Menge „Garagen-Geschichten": Ein Fan kann sich die Marken-Anlage nicht leisten, findet sie vielleicht sogar unzureichend, kommt auf die Idee, sich seine HiFi-Anlage selber zu basteln, benutzt dafür Papas Werkbank. Freunde entdecken das Ergebnis, wollen auch so ein Gerät. Bald darf das Familien-Auto nicht mehr in die elterliche Garage, bis der Platz für die vielen Angestellten nicht mehr ausreicht, und der Unternehmer in ein Fabrik-Gebäude umziehen muss. Zu diesem Zeitpunkt ist der weltweite Erfolg sicher und tönt der Ruf des HiFi-Helden wie ein Donnerhall.
Wer über Stereotronic recherchiert, der gewinnt bald den Eindruck, mit dieser Marke muss es genau so gewesen sein. Und hier und da wurde das von Schreibern in Foren auch genau so kolportiert: Ein Paar Studenten, die sich ihre Stereo-Anlage zusammen gebastelt haben, so etwas wie ein Geheim-Tipp wurden ... Doch dann wurde ihre Firma von einem bösen Konzern übernommen, der nichts besseres zu tun gehabt hatte, sie einzustampfen. Kein Donnerhall.
Oder, die Firma hat es gar nicht gegeben. Schließlich findet man in alten Magazinen und in den üblichen Quellen so gut wie nichts über Stereotronic. In den umfangreichen Listen von Wumpus Welt der Radios ist Stereotronic ebenso wenig zu finden wie im Tuner Information Center.
Und wird die Marke einmal irgendwo erwähnt, dann oft nur der Name und kein Produkt: Die erste Werbung für Stereotronic findet sich wohl in der Oktober-Ausgabe 1965 der HIFI-STEREOPHONIE. Der Dipl. Ing. Gert Redlich schreibt in seiner Inhalts-Übersicht für das Magazin: „... Stereotronic aus Pforzheim bewirbt ganzseitig den neuen Stereo-Klang“ [2], um für die Juni-Ausgabe 1966 hinzu zu fügen, „... und wieder wird kein Produkt benannt.“ [2] Für die September-Ausgabe kommentiert er, „... aber wir wissen immer noch nicht, was die wirklich verkaufen wollen und bei wem man das sehen kann – unglücklich.“ [2]

Ein Phantom? Eine Fatamorgana?


Da sitze ich vor einem hochkant auf die Seite gestellten Verstärker und schaue dorthin, wo vor ein paar Minuten noch die Bodenplatte gewesen war. Naja, eher gewissermaßen da durch, wo vor ein paar Minuten die Bodenplatte gewesen war, auf das darunter. Jetzt nicht mehr darunter, sondern frei liegend und nicht nur auf den ersten Blick etwas verwirrend.

   

Die meisten Bauelemente erkenne ich. Kondensatoren. Widerstände. Kabel. Nur die Anordnung, gewissermaßen frei durch den ursprünglich leeren Raum zwischen den flachen Seitenwänden des Gehäuses gespannt, scheint mir eher ungewohnt. Denn nur selten öffne ich alte Sony Bandmaschinen. Und dies ist keine Sony-Bandmaschine.

   

Nach ein paar Minuten „Blick“, dem ersten folgte ein zweiter, ein dritter und so weiter, scheint sich das Wirrwarr etwas zu entwirren, sogar zu strukturieren. Denn die Elemente sind tatsächlich nicht frei gespannt, jedenfalls nicht frei durch den leeren Raum. An die Unterseite der oberen Gehäuseplatte sind Elemente geschraubt, so Röhrensockel oder Halterungen, an denen Lötstellen sitzen, auf die die eben schon genannten Bauelemente direkt aufgelötet sind. Sie spannen sich also nicht als schwebendes Gittergeflecht durch den leeren Raum, sondern vielmehr mehr oder minder sternförmig von einem Röhrensockel usw. zum nächsten Röhrensockel usw. Und tatsächlich ließe sich der Widerstand als Widerstand, der Kondensator als Kondensator identifizieren, sogar anhand dem Ausgangspunkt am Sockel 1-2-3 an der zugehörigen Schaltung identifizieren; wenn denn dort der „Sockel 1-2-3“ eingetragen und identifizierbar sein sollte. Wenn auch – zumindest optisch – nur mit Mühe, weil alte Kondensatoren eine oft nur schwer lesbare Bezeichnung haben und weil die flinken Finger der Erbauer, eher Erlöter, das Netz der Bauelemente mindestens in zwei übereinander gelegenen Ebenen geflochten haben; meist ohne Isolierung an den blanken Litzen. Sonst wäre es ja keine blanken Litzen. So, in Ebenen, sind sie auf dem Schaltplan auch nicht gezeichnet.
Wenn ich mir jetzt überlege, daran etwas reparieren zu sollen …

   

Während mir die Unterseite des Verstärkers nach ein paar Minuten „Blick“ doch fast schon das Versprechen anzudeuten scheint, ich könne in der Lage sein, das Geflecht zu durchschauen, gar zu beherrschen, es verstehen, sieht das bei den hinter die Frontseite des Gerätes gesetzten Teilen noch anders aus. Es fehlt die Möglichkeit zum „Blick“!
Wo die Front von vorn noch recht aufgeräumt aussieht, erstrecken sich hinter den Dreh-Reglern und -Schaltern eben solche Sterne von Bauelementen und Kabeln, die aber eben weniger frei zugänglich, sichtbar, dafür teils hinter der Bodenplatte des Gerätes eben nur nicht ganz verborgen sind. Und die an den Lötlippen der Regler und Schalter befestigten Widerstände usw. sind mit ihrer jeweils anderen Seite direkt und unmittelbar an irgendeiner Halterung an der Unterseite der Basisplatte des Verstärkers angelötet.
Frontplatte abschrauben, abklappen und an deren Rückseite löten ist hier nicht möglich. Vielmehr wäre hier das eine oder andere … Dutzend … Beinchen abzulöten und dann „abklappen“ und hoffen, dass man nichts abzulöten vergessen hat. Das dann bricht. Oder reißt.

Immerhin. Die erste Erkenntnis: Ich habe einen Röhrenverstärker! Und zwar einen ohne Platinen.
Irgendein „HiFi“-Logo steht nicht drauf. Und „HiFitronic“ heißt er auch nicht.


Der Begriff High Fidelity war in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in den USA entstanden. Ich habe darüber einmal umfangreich recherchiert und geschrieben, enthalte euch das Ergebnis aber vor.
Tatsache ist, schon Anfang der Dreißiger Jahre wurde die Verwendung des Begriffs von der US-Amerikanischen Fachpresse als sinnentleerte Floskel abgetan und die Telefunken befand den 1934 verabschiedeten HiFi-Standard der Radio Manufacturers Association (RMA) schon 1935 als „überflüssig“ [3], seine Definition sei veraltet.
Trotzdem blieb der Standard in den USA bis zum Jahre 1958 relevant, bis sich vor allem neue Firmen zu einem Verband, dem Institute of Hi-Fi Manufacturers (IHFM), zusammen gefunden hatten, der einen neuen Standard verabschiedet und begonnen hatte, eine Idee von „High Fidelity“ zu vermarkten, sie sogar ein halbes Jahr lang, ab dem 17.04.1958, auf einem Stand auf der Weltausstellung in Brüssel präsentiert hatte.

Die hiesigen Radio-Hersteller hatten den Begriff bereits in den fünfziger Jahren eingeführt, sich dabei natürlich an die alte Verwendung gehalten gehabt, hatten „Hi-Fi“ weniger als Ausdruck besonderer Qualität benutzt, eher als so eine Art Ausstattungsmerkmal: „Hi-Fi“ stand für eine besondere Lautsprecher-Ausstattung oder für das Vorhandensein oder die Möglichkeit der Abschaltung der Loudness. Solche Geräte waren nicht zuletzt für den Export gedacht und in Übersee auch erfolgreich gewesen. Der Erfolg kam aber nicht von der „HiFi“ -Taste am Blaupunkt-Radio, sondern durch die allgemein gute Qualität solcher Geräte, die das übliche Qualitätsniveau der amerikanischen Radio-Sets genauso übertraf wie den HiFi-Standard der RMA.
Aber es war den Radio-Herstellern halt nicht um den „richtigen“ Klang, sondern – vor allem im eigentlich „Mittelwellen-Land“ USA - um den angenehmen Klang gegangen. Das Ziel war es gewesen, aus den Vorgaben, die sich aus der Verkaufbarkeit (Preis, Größe, Design) ergaben, ein Optimum heraus zu holen. Selbst den zahlungskräftigen Kunden befriedigte man lieber mit mehr Exklusivität, denn mit „High Fidelity“. Zumal niemand so genau wusste, was das eigentlich war oder sein sollte. Denn was High Fidelity tatsächlich sein sollte, das verschwieg auch das IHFM.

Ein paar Wackere, weit östlich eines kleinen gallischen Dorfes, machten sich nach 1962 trotzdem daran, eine eigene Definition dessen zu finden, was „High Fidelity“ in Deutschland sein könnte oder sein sollte; 1965 wurde des Ergebnis im Entwurf vorgestellt.
Was auch immer man von dem resultierenden Standard des dhfi halten mag und ob man ihn für die Entwicklung des HiFi-Marktes in der Bundesrepublik für ausschlaggebend hält, oder nicht: mit dem Nahen des Standards brachten plötzlich Hersteller „HiFi-Komponenten“ auf den Markt, die dies vorher nicht getan hatten, präsentierten ihre Geräte teils schon auf der Funkausstellung in Stuttgart (27.08.-05.09.1965). Als Marketing-Instrument war der Standard Gold wert gewesen. Zumindest Göldchen.

Und mein Stereotronic Verstärker? Das „HiFi“-Logo des dhfi trägt er nicht. Er trägt überhaupt keinen Hinweis auf „High Fidelity“. Genauer gesagt trägt er Hinweise auf gar nichts.

Wenn ich mir die Anleitung für den Stereotronic Steuerwagen Model 27 durchblättere, in der auch der Verstärker beschrieben ist, dann stoße ich exakt einmal auf den Begriff „HiFi“: In den Hinweisen zur Bedienung wird auch die Vorbereitung für die Inbetriebnahme des Plattenspielers beschrieben: ein „HiFi-Plattenspieler“ [4]. Von Dual. Den stelle ich hier nicht vor. Könnte ich zwar. Tue ich aber nicht.

High Fidelity? In meiner Kindheit und Jugend, in den siebziger Jahren, hatte ich oft und gerne vor der alten Musiktruhe meiner Eltern gesessen und fasziniert der Stereo-Demonstrations-Schallplatte gelauscht.
"Stereo“ war interessant; da passierte etwas: ein Pieps links, ein Pieps rechts ... Mit dem Begriff „Hi-Fi“ hätte ich wahrscheinlich nichts anfangen können. Und das dürfte tatsächlich dem Gros der Bevölkerung so gegangen sein.

Mitte der Sechziger Jahre hatte in der Bundesrepublik noch keinesfalls eine flächendeckende Versorgung mit auch nur Stereo-Rundfunk, mit Stereo-Schallplatten oder mit Stereo-Tonbändern bestanden. Erst 1966 hatte der Bayrische Rundfunk, als letzter Sender in Westdeutschland, stereophone Sendungen ins Programm genommen und waren in der alten Bundesrepublik bis 1965 überhaupt erst um eine Million Stereo-Empfänger verkauft gewesen. Und „in“ waren, vor allem bei der Jugend, tragbare Radios und Tonbandgeräte, und die waren fast durchgängig monofon gewesen.
Mensch hatte bislang monophon gehört. Oder Mensch hörte Musik in der richtigen Welt. Raumklang inbegriffen.

War der Markt in der zweiten Hälfte der Sechziger Jahre denn „reif"? Ja! Für Farb-Fernsehen.
Welcher Händler heute sagt, „natürlich habe ich HiFi verkauft", der hat in einem HiFi-Fachgeschäft gearbeitet. Mein Radio-Fernseh-Händler um die Ecke hat Fernseh-Geräte verkauft. Und es hat in der Bundesrepublik der Mitte Sechziger Jahre weit mehr Fernseh-Fachhändler, als „was auch immer"-Händler mit HiFi-Geräten in der Ausstellung gegeben. In Stück, in Quadratmeter-Präsentationsfläche und in Kilogramm-Ware.

Noch 1965 setzte DER SPIEGEL „HiFi“ quasi mit „Stereo“ gleich: „… Trotz hoher Kosten wählen von Jahr zu Jahr mehr Deutsche das räumliche Hören - vom Fachmann Stereophonie genannt als neuen guten Ton des 20. Jahrhunderts. Klirr und Brumm herkömmlicher Wiedergabetechnik weichen stereophonem Ohrenschmaus - ein Übergang, den Deutschlands Funk- und Phonofirmen auf ihrer Funkausstellung 1965 als „Sprung aus der Einöde der schlichten Allerweltswiedergabe in die paradiesische Landschaft des herrlich profilierten Wohlklangs“ bezeichneten. ...“ [5]

Ein Hinweis auf „Stereo“ war ein Ausdruck von Modernität gewesen. Ein Hinweis auf „HiFi“ erzeugte nicht nur in diesen Zeiten eher die Frage „was ist das?"
Ich habe jedenfalls noch in den späteren Siebzigern beigebracht bekommen: HiFi ist „20 bis 20.000 Herz“ und, dass man das zu einem erheblichen Teil sowieso nicht hört.

Vielleicht ist eben das der Grund, warum Mitte der Sechziger Jahre eine neue Marke entstand und den Namen „Stereotronic“ bekommen hatte, und nicht „Hifitronic".
Stapelbüttel von einem ganzen Haufen Quatsch
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Ein langer Aufbruch in ein schnelles Ende: Stereotronic - von Matthias M - 18.09.2018, 20:20
[Kein Betreff] - von Matthias M - 18.09.2018, 20:23
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