Entzerrer-Vorverstärker: Warum eigentlich nicht (schon früher) im Plattenspieler selbst?
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bitbrain2101,'index.php?page=Thread&postID=214294#post214294 schrieb:Hallo Frank,

vielen Dank für die interessanten Informationen, dass das so weit zurück geht, hätte ich nicht gedacht. Mein erster Plattenspieler war ein PE2001, da gab es auch einen PE33, war der das Sonderklasse Laufwerk oder ist der zu jung ?

MfG, Tobias

hallo Tobias,

Du musst hier unterscheiden - in den frühen sechziger Jahren wurde begonnen, die Dampfradio-Ära durch die HiFi-Ära abzulösen. Der PE33 war der erste PE-Großserienplattenspieler, der konsequent auf Heimstudiobedürfnisse konzipiert war. Das Pendant von Dual war der 1009, beide sind etwa 1962/63 auf den Markt gekommen.

Was eher unbekannt ist, ist, dass die HiFi-Plattenspieler natürlich nicht aus dem Nichts entstanden sind, sondern entwicklungstechnisch eine Vorgeschichte in der Röhrenradio-Ära der fünfziger Jahre haben. Genau gesagt ging es ziemlich direkt nach dem zweiten Weltkrieg los, nachdem mit der Mikrorillen Schallplatte die technische Basis verfügbar war.

Die Firma Perpetuum Ebner brachte um 1950 ein Laufwerk auf den Markt, das nicht mehr vom Grammofon abgeleitet war, sondern komplett auf die Bedürfnisse der Vinylplatten ausgerichtet war. Dieses Laufwerk bildete die Basis für fast alles, was PE in den Fünfzigern baute, die bekannteste Variante ist wohl der Wechsler Rex A, der in fast jeder besseren Musiktruhe zu finden war. Es gab aber auch von Anfang an reine Einfachspieler.

Standardmäßig waren diese Laufwerke mit Kristallsystem und einfachem Antrieb ausgestattet, es gab aber von fast jeder Laufwerksvariante eine Sonderklasse-Version. Das war kein echter HiFi-Plattenspieler wie der PE33, sondern sah auf den ersten Blick aus wie ein ganz normales Musiktruhenlaufwerk. Die Unterschiede bestanden zum Einen in einem aufwändigeren Antrieb mit Pitch-Regelung, und zum anderen darin, dass statt eines Kristallsystems ein Magnetsystem eingebaut war. Der benötigte Entzerrer Vorverstärker mit einer Doppeltriode war in das Laufwerk integriert, von aussen erkannte man die Sonderklasse Version daran, dass das Laufwerk Pegel- und Klangregler eingebaut hatte, mit denen man den Entzerrer Vorverstärker steuern konnte. Hier mal ein paar Bilder von meinem Rex Sonderklasse von 1952:

[Bild: rex01.jpg]

[Bild: rex02.jpg]

[Bild: rex03.jpg]

Auf dem zweiten Foto ist der Blechkasten erkennbar, unter dem sich der Entzerrer Vorverstärker befindet, und schräg rechts unter dem Motor der Netztrafo für die Spannungsversorgung. Auf dem ersten Foto sind im Bereich des Tonkopfes die drei Regler zu sehen, mit denen man den Vorverstärker steuert bzw. ein- und ausschaltet. Auf dem dritten Foto erkennt man die große Ähnlichkeit zu den Feld-/Wald- und Wiesen-Wechslern, wie sie in Musiktruhen zu finden waren.

In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre gab es zwei interessante HiFi-Vorläufer von PE: einmal den extrem seltenen PE3310 Studio von 1959, zu dem es schon einen externen Stereo-Vorverstärker gab:

[Bild: 3310pe_studio_ohne_vv_1349799.jpg]

Diesem Gerät sieht man auch noch deutlich an, von welchem Laufwerk es abstammt. Der Plattenteller war aber deutlich schwerer und der Tonarm kam von B&O, er trug eine frühe Version des Abtasters SP1. Die zweite weiter verbreitete Neuerung kam etwa 1957 auf den Markt - die Export- und Sonderklasse-Versionen des Wechslers Rex A erhielten einen steckbaren Tonkopf mit 1/2" Aufnahme, und das Mono-Magnetsystem PE7000. Etwas Später gab es für diesen Tonarm auch ein Stereosystem, das vom ersten ELAC-Magnetsystem abgeleitet wurde, und zusammen mit diesem als Urvater des Magnetsystems gelten kann, wie wir es heute kennen. Auch diese Plattenspieler sehen überhaupt nicht nach HiFi aus, obwohl sie sehr gut funktionieren, und auch schon einfache moderne Magnetsysteme wie das Shure M75 führen können.

Ende der Fünfziger kam dann ein völlig neues Basislaufwerk heraus, das PE66. Das PE66 war das letzte Laufwerk, von dem eine Sonderklasse Version gebaut wurde, schon mit Entzerrer Vorverstärker in Transistortechnik. Parallel zum PE66 erschien der von Dir erwähnte PE33, und beendete eine Ära.

Dual hat relativ spät angefangen, Aktivitäten in Richtung hohe Klangqualität zu entwickeln. Das erste Pendant zum PE-Konzept war um 1960 der Dual 1006 bzw. 1006 A. Den gab es mit Keramiksystem, und alternativ als 1006M bzw. 1006AM mit Stereo-Magnetsystem und transistorisiertem Entzerrer Vorverstärker. Der 1006 sieht auch noch aus wie ein Musiktruhenplattenspieler der späten fünfziger, legt man einen späten 1006 AM neben einen frühen 1009, kann man gut den konzeptionellen Sprung vom Dampfradio zu HiFi sehen - die Dreher sehen aus wie aus zwei unterschiedlichen Universen, obwohl sie klanglich gar nicht so weit auseinanderliegen. Ulkigerweise war im 1006M das einzige Magnetsystem verbaut, das Dual jemals selber entwickelt und hergestellt hat - das DMS 900.

Aus Sammlersicht sind diese HiFi-Vorläufer schwierig, obwohl sie in gar nicht so kleinen Stückzahlen gebaut wurden. Als OEM Geräte wurden sie kaum verbaut, ich kenne nur zwei Musikschränke, in denen so ein Laufwerk werksmäßig zu finden ist - die Grundig Truhe 9010 von 1952 mit dem ersten PE Rex Sonderklasse und die Saba Baden 12 Sonorama von 1962 mit dem Dual 1006 M. In größerer Menge hat Grundig den PE7000 Tonarm verbaut, allerdings nicht mit Sonderklasse Laufwerken, sondern mit Standard Rex A - der Entzerrer-Vorverstärker befand sich bei diesen Geräten im Radioteil und war eine Eigenkonstruktion. Einen echten Rex A/7000 Sonderklasse findet man noch in der Siemens Kombination HFK1 von 1957, eine Art frühe HiFi-Kombination in mono mit separater Lautsprecherbox - und das wars. Die meisten Sonderklasse-Laufwerke sind im semiprofessionellen Umfeld eingesetzt worden ( Diskotheken, Beschallungsanlagen, in Möbel eingebauten Musikanlagen ) und da auch früh entsorgt worden. Vom PE66 Sonderklasse, der meines Wissens überhaupt nicht als OEM-Komponente verbaut wurde, habe ich in 20 Jahren noch keinen in natura zu sehen bekommen. Weil das Thema so wenig bekannt ist ( die Grammofon-Freunde hören 1950 auf, die HiFi-Freunde fangen 1963 erst an ), fliegen die Geräte sicher heute noch auf den Müll. Ich selber habe eine Grundig 9010 und eine jüngere 9080, mehr ist mir bisher auch noch nicht über den Weg gelaufen.

Gruß Frank
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