Wir bauen uns ein Mikrofon!
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Liebe Forenmitglieder,

heute aus der Reihe "wir basteln uns ein gescheites Mikrofon": Das Großmembranmikro der Spitzenklasse!

Man nehme: ein spottbilliges Chinesenmikro von Ebay, jedoch mit vernünftigem, stabilem Metallbody, einen Bauteilesatz 'MP-V57' und eine RK-12-Kapsel, beides von microphone-parts.co.uk, ca. zwei Stunden Zeit und ein bisschen Werkzeug. Am wichtigsten ist ein guter Lötkolben mit bleistiftdünner Spitze.

Die Investition beträgt etwa 290,- €, dafür erhält der Bastler ein Großmembranmikro, das die meisten fertig käuflichen Teile der 300-800 €-Klasse locker hinter sich lässt!

Natürlich ist das wieder so eine Sache, mit der normale Leute und die meisten meiner Freunde nix anfangen können, aber das soll meinen Arsch nicht kratzen. Solche Sachen sind nun mal mein Hobby, ich löte für mein Leben gern und das Erfolgserlebnis, wenn man das Mikrofon das erste Mal anschließt, ist groß. Oder, wie in diesem Fall, erst mal nicht! Und hier im BMF wird es vielleicht sogar ein paar Leute geben, die den Bericht lesen... Wink

Aus diesen Teilen baut sich Holgi sein Großmembran-Mikrofon: Ein Spendergehäuse, das eigentlich mal ein Chinesenmikro für 23,- Euro war, Ein Teile- und Platinensatz sowie (das Wichtigste) eine handgefertigte Doppelmembrankapsel.
Ich liebe es, solche Tüten voller Bauteile und jungfräuliche Platinen in funktionierende Geräten zu verwandeln! Das ist wie ein Rausch!! 8o
   

Diese Kapsel ist ein Nachbau der legendären CK-12-Kapsel von AKG. Das AKG C12 ist in den 50er und 60er Jahren gebaut worden und war eines der besten und beliebtesten Studiomikrofone. Und wird natürlich auch heute noch eingesetzt. Allerdings ist das C12 ein Röhrenmikro.
       

Die beiden nur 3 µm starken Folienmembranen sind spiegelblank mit Gold bedampft. Dazwischen sitzt die Gegenelektrode aus massivem Messing mit vielen Bohrungen.
   

Jede der beiden Membranen und die Masseelektrode haben einen Anschlussdraht, wie man hier sehen kann. Unten, mit dem blauen Draht die Masseelektrode.
   

Im Gegensatz zu fast allen Neumann- und sonstigen Kapseln hat AKG meist (immer?) randkontaktierte Membranen.
Sonst sitzt der Anschluss genau in der Mitte, so wie hier:
   

Aber auch Neumann hat, begünstigt durch preiswertere Herstellungsverfahren, inzwischen teilweise dem Zentralanschluss abgeschworen (hier beim TLM102). Die Membran ist ohne Metallring am Rande verklebt:
   

Wenn man nur die Masseelektrode und eine der Membranen anschließt, hat das Mikro eine Nierencharakteristik. Schließt man beide Membranen an, bekommt es je nach Phasenlage eine Kugel- oder Achtercharakteristik.

Die beiden Platinen, doppelseitig kaschiert, sind in Größe, Form und Befestigung so gemacht, dass sie in die meisten Chinesenmikros passen.
Vier Befestigungslöcher sorgen dafür, das meist zwei davon verwendbar sind. Etwas Nacharbeit mit der Nadelfeile muss man aber einkalkulieren.
   

Die sehr gut gemachte, mit farbigen Bildern versehene Bauanleitung würde es auch einem elektronischen "Fast-Laien" ermöglichen, erfolgreich zu bauen. Für routinierte Löter wie mich ist sie fast schon zu ausführlich.
   

Nach etwa einer Stunde sind die beiden Leiterplatten fertig bestückt. Es werden nur hochwertige Bauteile geliefert, etwa Dale-Metallfilm-Widerstände und Wima-Kondensatoren.
Der FET und die passenden Arbeitspunkt-Widerstände sind schon beim Hersteller individuell ausgemessen; die drei bipolaren Transistoren sind von Markenherstellern, wie auch die Elkos.
   

Hier die Rückseite, damit man meine Lötstellen begutachten kann! Wink
Die Platinen sind hier schon mit Isolierlack versehen. Denn bei Kondensatormikros wird mit einem extrem hochohmigen Eingangskreis gearbeitet, der schon durch kleinste Ströme gestört wird. Kriechströme müssen daher unbedingt vermieden werden. Es werden darum auch alle Flussmittelrückstände mit Isoprop von den Leiterplatten abgewaschen. Die Platinen müssen absolut sauber sein! Ich sprühe die Unterseite zusätzlich mit Isolierlack ein.
   

Hier noch mal die Bestückungsseite. Man sieht, dass ich die Befestigungslöcher etwas befeilen mussten, damit sie passen.
Der kleine weiße Kippschalter oben auf der rechten Platine dient zum Umschalten der Richtcharakteristik, wenn man das möchte. Man kann zwischen Kugel (OMNI) und Niere (CARDIOID) wählen. Mit dem blauen Spindeltrimmer links wird zum Schluss die Polarisationsspannung für die Kapsel eingestellt, die der Spannungswandler auf der linken Platine erzeugt.
   

Nun ist die gute Kapsel auf das Innenchassis montiert. Genialerweise passen die Löcher in der runden Grundplatte genau zu der Halterung, obwohl vorher eine Elektretkapsel in dem Chinesengehäuse saß, die ganz anders befestigt war!
   

Die drei Anschlüsse werden nach unten durch die vorhandenen Bohrungen geführt. Man erkennt hier schön die vielen Löcher in der Masseelektrode durch die durchscheinende Goldbedampfung!
   

So, nun kömmt die Montage der Platinen an die Reihe! Vorher habe ich aber den Einsprachekorb wieder montiert, damit ich nicht versehentlich mit den Griffeln die hochempfindlichen Membranen berühre oder gar beschädige.
Hier sind die Platinen montiert und die Drahtverbindungen verlötet. Die Anschlüsse von der hochohmigen Kapsel sind übrigens aus teflon-isoliertem Silberdraht. Beide Platinen werden über zwei Drähte miteinander verbunden und die vordere schließlich mit dem XLR-Terminal.
   

Das fast fertige Mikro von der Vorder- und Rückseite. Man sieht bei dem Foto (rechts) der Wandlerseite, dass ich eine Leiterbahn unterbrechen und diese durch ein kurzes Drahtstück ersetzen musste. Das wurde nötig, weil der Kopf der Befestigungsschraube in dem etwas befeilten Loch diese Leiterbahn mit Masse verbunden hätte. Ich habe das aber rechtzeitig gemerkt und dann diese optisch etwas unschöne, technisch aber einwandfreie Lösung gewählt.
       

Stehen kann es zur Not auch. Aus dem Einsprachekorb habe ich die innere, feine Drahtgaze entfernt. Das soll angeblich einen glatteren Frequenzgang ergeben. Natürlich muss die Membran unbedingt gegen Feuchtigkeit und Essenreste Wink geschützt werden, weil diese Verunreinigungen sonst Kriechströme begünstigen und damit Krach- und Rauschstörungen produzieren.
Also bespricht man ein solches Mikrofon nur über einen Popschutz, der hier eher Spuckschutz heißen müsste!
   

Als letzte Maßnahme vor dem ersten Test muss noch die Polarisationsspannung der Kondensatorkapsel eingestellt werden. Diese wird mittels eines kleinen Gleichspannungswandlers auf der B-Platine aus der Phantomspannung erzeugt, dessen Ausgangsspannung mit dem blauen Trimmer justiert werden kann. Das Mikro wird mit 48 V versorgt und das Multimeter an den Widerstand mit dem Drähtchen (+) und Masse angeklemmt. Das Drähtchen wird hinterher natürlich wieder entfernt. Die Spannungsmessung direkt an der Kapsel ist nicht möglich wegen deren Hochohmigkeit. Die Spannung würde selbst bei der Belastung mit den 10 MOhm des DMM teilweise zusammenbrechen!
Die richtige Spannung ist dann immer ein Kompromiss! Es gilt: je höher selbige ist, umso rauschärmer und empfindlicher wird das Mikrofon, aber umso weniger verträgt es hohe Pegel; der max. SPL wird also kleiner (max. SPL= maximaler Sound Pressure Level). Bei ungefähr 70 Volt kollabieren die Membranen und werden von der Mittelelektrode angezogen. Das muss natürlich unbedingt vermieden werden. Man bleibt also etwa 10 V unter diesem möglichen Maximum und ist damit bei etwa 60 Volt, die ich hier rechts schon eingestellt habe.
       

Fertig!
Das Mikro ist zugeschraubt und kann seinen ersten Test an der Bandmaschine über sich ergehen lassen.
Das Neumann-Logo ist natürlich nur ein Gag! Ich hatte diesen Badge schon lange rumliegen und habe ihn einfach angebracht. Passt doch farblich ganz gut, oder? Das Chinesenmikro-Gehäuse ist natürlich nicht annähernd so gut verarbeitet wie ein Neumann. Es besteht aus lackiertem Zinkdruckguss und Stahl. Bei Neumännern ist es matt vernickeltes Messing und Edelstahl! Aber es erfüllt seinen Zweck.
   

Beim ersten Soundcheck kam erst mal der Schreck: außer lautem Rauschen und einem gaaanz leisen Signal kam nichts raus! Aber schon nach zwei Minuten hatte ich den Fehler gefunden. Das Beinchen des Feldeffekt-Transistors war nicht mit dem Schalteranschluss verlötet. Glatt vergessen... :whistling:
Aber nach der Korrektur dieses "Herstellungsfehlers" kam dann die Begeisterung. Das Mikro ist super! Kein Rauschen, seidenweicher Sound mit leicht crispen Höhen ohne Aufdringlichkeit, gute Rückwärtsdämpfung und beim Umschalten auf Kugelcharakteristik von allen Seiten gleich empfindlich. Hohe Ausgangsspannung.

Ich bin sehr zufrieden und bedaure es fast, dass ich kein Tonstudio habe, um meine Mikros mal richtig für Gesang oder akustische Instrumente einzusetzen!
Ich habe noch nie ein AKG C12 besessen, aber klanglich kann es auch nicht sehr viel besser sein als der "Nachbau-Klon", behaupte ich jetzt mal ganz frech.
   

Sicher ist das eine ziemlich spezielle Geschichte und viele Tonbandfreunde benutzen (und besitzen) heutzutage nicht mal ein Mikrofon, aber ich tue das relativ häufig und ich kenne einen hier im Forum, der sich in ein paar Wochen auf ein Band freuen kann, das mit diesem schönen blauen Mikrofon besprochen wurde thumbup ! Vielleicht interessiert sich ja auch der eine oder andere für dieses Thema und weiß nun schon mal, was da auf ihn zukommt, wenn er sich ein Großmembranmikro bauen will.

Der Frequenzgang der RK-12-Kapsel sieht so aus wie die blaue Kurve auf diesem Screenshot.
   

Wer in den Höhen einen etwas weniger brillanten Verlauf bevorzugt, kann die Kapsel RK-47 verwenden, die in den Mitten präsenter ist und in den Höhen leicht abfällt. Sie ist der Neumann U-47-Kapsel nachgebaut.

Gruß Holgi
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Wir bauen uns ein Mikrofon! - von hannoholgi - 13.01.2016, 23:35
[Kein Betreff] - von tubbyshifi - 14.01.2016, 00:17
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