DSP, Klangregelung oder "linear" in den Klangsumpf?
#1
Moin, moin,

vor einigen Monaten hatte ich mich auf einer HiFi-Messe herumgetrieben und kam dabei in den mehr oder weniger Genuss, mir Lautsprecher anzuhören, zumindest auch immer mit anzuhören.
Kaum ein Verkäufer, der nicht über die Akustik der Vorführ-Räume meckerte. Kaum ein Propagandist, der nicht immer wieder an seinem DSP fummelte. Einer zeigte mir, was er so alles eingestellt hatte und wies darauf hin, welche Schwächen in der Akustik sich nicht ausmerzen ließen ... Trotz DSP
Was tut DSP also eigentlich? Tut es wirklich etwas? Oder tut es nur so, als wenn es etwas täte?

Im Folgenden formuliere ich ein paar eigene und fremde Gedanken zu dem Thema und möchte jene, die sich auskennen! auffordern, zu antworten. Vielleicht könnt Ihr uns ja erhellen.


Was ist das eigentlich, DSP?
Unter Heim-Kino-Freunden ist die Antwort einfach: "Das ist in meinem AV-Receiver drin". Manche wissen zu erzählen, das verbessere den Klang, das wäre in der Lage, sämtliche akustischen Probleme eines Raumes auszuschalten. Hallelujah!

Tatsächlich bedeutet "DSP" zunächst nichts anderes als "Digital Signal Processor", hat nichts mit "Audio" zu tun und meint einen auf die zeitkritische Verarbeitung von definierten Signalen optimierten Rechner. Die Verarbeitung erfolgt nach vorgegebenen Methoden, wobei zeitkritisch in diesem Fall meint, das die Synchronizität der ausgegebenen Daten jener der Eingabe entspricht.
Ein DSP kann in der Messwert-Verarbeitung ebenso zu Einsatz kommen, wie in der Grafik-Verarbeitung. Wer heute MPEG-Player benutzt, der benutzt ein DSP.

Im Audio-Bereich meint DSP die Verarbeitung von Audio-Signalen ebenfalls nach vorgegebenen Methoden und in synchroner Weise. Es wäre ja auch ärgerlich, käme der letzte Takt eines Orchester-Werkes vor dem ersten aus dem Ohrhörer des MP3-Players.

Letztlich ist der Chip einer Soundkarte nichts anderes als ein DSP. Letztlich ist ein Video-Chip einer Grafikkarte nichts anderes als ein DSP. Und inzwischen gibt es solche DSP auch als Erweiterung herkömmlicher CISC- oder RISC-Prozessoren. So wie die "DX" einstmals "mathematische Co-Prozessoren" eingebaut bekommen hatten.

Übrigens sind die Methoden der digitalen Klangverarbeitung schon etwas länger bekannt. In früheren Zeiten wurden diese Methoden mit Hilfe ganzer Batterien von Chips angewandt, so dass man eine Verarbeitung erst einmal hatte fertig stellen müssen, bevor das Ergebnis abgespielt hatte werden können.
Heute sind die DSP's kleiner und schneller geworden. Es ist aber keinesfalls so, dass ein aktueller DSP grundsätzlich mehr oder gar bessere Methoden kennen würde, als ein zehn Jahre alter Chip.
Gesteigert hat sich bestenfalls der Standard der Verarbeitungsgeschwindigkeit, nicht irgendeine "Qualität". Wenn heute mehr Qualität im Stream möglich ist, dann liegt das weniger an neuen Methoden, sondern eher daran, dass die schnelleren Chips die höhere Auflösung schneller berechnen, also einen höher aufgelösten Stream produzieren können.


Was heute unter DSP verstanden wird, ist im Audio-Bereich ein Prozessor, dessen Konstruktion auf die Verarbeitung von Audio-Signalen optimiert ist. Er benötigt keine umfangreiche Software, damit er lernt, was er tun soll, wie das bei einem Hauptprozessor eines Computers der Fall ist. Er ist ein Rechenbüttel, bei dem man oben etwas hinein schmeißt, und unten kommt etwas Verarbeitetes heraus. Die Zahl der Methoden, die er kennt, ist - im Vergleich zu einem "Hauptprozessor" - gering; dafür kann er das wenige, was er kann, schneller als eine CPU.
Und er stellt die von ihm verarbeiteten Daten immer in dem zeitlichen Zusammenhang am Ausgang bereit, in dem man die Roh-Daten in seinen Eingang geschickt hatte. Und wenn er überlastet ist, dann ruckelt das Bild plötzlich, wird der Film langsamer. Aber Musik und Bild werden zumindest gleichermaßen langsamer ...

Ein DSP-Soundchip ist in der Lage, auf eine digitale Datenbasis bestimmte Filter anzuwenden. Er kann Frequenzbereiche verstärken und abschwächen. Die Flankensteilheit bei der Anwendung des Filters kann nahezu beliebig definiert werden. Er kann dies mehr oder weniger Phasen-neutral tun oder "bewußt" in die Phasenlage eingreifen. Ein DSP kann aber beispielsweise auch definierte Signale aus einem Stream heraus rechnen.
Im Prinzip kann ein Digitaler Signalprozessor mit der digitalen Datenbasis eines zum Beispiel Musik-Signals alles mögliche tun; schließlich sind es nur noch Zahlen beziehungsweise Schaltungs-Zustände, mit denen er rechnet. Was "Musik" ist, weiß er nicht: Er wendet Algorithmen an. Er kann im Prinzip bekannte Fehler der Wiedergabe-Anlage ausmerzen und er kann im Prinzip auch bekannte Fehler eines Wiedergabe-Raumes ausmerzen.
Was er nicht kann ist feststellen, was zu tun ist. Was er nicht kann, ist kontrollieren, ob er - nach irgendjemandes Ideal - das richtige getan hat. Dieses vermeintliche Ideal berechnet er mit der gleichen Inbrunst, wie völliges Chaos.


Und hier sind wir wieder bei dem AV-Receiver, von dem manche Heim-Kino-Begeisterte berichten: Bei dem sei nämlich ein Mikrofon beigegeben. Das schließt man an, lässt ihn ein paar Minuten allein, wärend er die angeschlossenen Boxen zum Piepen und Rauschen anregt, und dann darf man den optimalen Sound genießen. Darf man?

Als ich mir kürzlich ein Computer-gestütztes Meß-System gekauft habe, war dem ein Meß-Mikrofon beigegeben. Danke Herr Lieferant. Und auf der Verpackung dieses Mikrofons fand sich eine Kurve, die vom Lieferanten des Sets hergestellt worden war, die die Charakteristik des Mikrofons, bezogen auf die Empfindlichkeit im relevanten Frequenzbereich (20 Hz - 20 kHz), zeigt.
Außerdem liegt dem Meß-System eine Anleitung vor, was man tun muss, würde man, anstatt des mitgelieferten, ein anderes Mikrofon zu Meßzwecken einsetzen wollen. Das System will geeicht werden!
Übrigens kostet ein professionelles Meß-Mikrofon immer noch mehrere tausend Euro und will unter definierten klimatischen Bedingungen aufbewahrt und benutzt werden. Nutzt man ein anderes, und betreibt das nicht unter den optimalen Bedingungen, dann muß dessen (entstehende) Charakteristik von dem DSP aus den ermittelten Werten herausgerechnet werden! Und dafür müsste man ihm das Mikrofon bekannt machen, damit er weiß, was er raus rechnen soll.

Die erste Frage, die ich mir stelle, lautet also, ob das Mikrofon, das einem AV-Receiver beigegeben war, einzeln vermessen und dem Reeceiver individuell bekannt gemacht worden war; so wie mein Meß-Mikrofon. Oder ob der Hersteller hofft, dass die von ihm beigegebenen Mikrofone sich innerhalb bestimter Toleranzen verhalten. Und wenn dem so sein sollte, dann frage ich mich, wo finde ich eigentlich geschrieben, welche Toleranzen der Lieferant des AV-Receivers akzeptiert und was bedeutet das für das Ergebnis der Einstellung des Receivers?

In der Realität scheint es mir, ist den meisten AV-Receivern zwar ein Mikrofon beigegeben, jedoch kein Mikrofon-Stativ. Auf diese Weise wird die Messung eher nicht auf Ohrhöhe, über der Sitzfläche der Couch, sondern eher unmittelbar über dem Couch-Tisch vorgenommen werden.
Die bestmögliche Abhör-Position ist dann also die mit abgenommenem und auf dem Tisch abgelegten Kopf. Wer einen ausziehbaren Tisch hat, hat Glück: Der setzt sich "unter" den Tisch und steckt den Kopf zwischen die auseinander gezogenen Platten hindurch. Allerdings sind dann die Reflexionsverhältnisse möglicherweise schon wieder andere, als bei zusammengeschobenen Platten, und die Einstellung des Receiver funktioniert nicht wirklich.

"Ich brauche die Automatik nicht, ich stelle nach Ohr ein", wird mancher antworten. Das man irgendetwas "nach Ohr" einstellt, will ich nicht bezeifeln. So erklärte mir vor einigen Jahren ein betagter RF-Techniker-Meister, er würde die Einmessung von Bandgeräten "nach Ohr" vornehmen. Danke.
Das Problem ist, das Belohnungszentrum unseres Gehirns hängt nicht unmittelbar an den Ohren. Dazwischen sind andere Teile des Gehirns, die gelernt haben, das Angebotene zu interpretieren und so aufzubereiten, dass auch die Bereiche des Ego etwas damit anfangen können, die nicht nur des Genusses wegen Lautsprecherboxen oder Tonbandgeräte betreiben.
So ist die Wahrnehmung der Positionierung der Phantomschallquelle einer Stereo-Wiedergabe nicht in erster Linie von den Ohr-Signalen abhängig. Denn Ohren sind, zumindest indirekt, beweglich! So wendet der Zuhörer schon einmal den Kopf um die Laufzeit-Differenzen von zwei Signalen zu seinen meist unterchiedlichen und unterschiedlich gelegenen Ohren auszugleichen, und somit die Phantomschallquelle in seiner Wahrnehmung in der Mitte zu positionieren. So orientiert sich der Mensch nicht nur an dem Gehörten, sondern meist auch an einem zeitgleichen visuellen Eindruck, der nicht notwendig etwas mit dem Gehörten zu tun haben muss. Wenn er also exakt an der Spitze eines Stereo-Dreiecks sitzt, die gehörte Phantomschallquelle tatsächlich in der Mitte ist, aber der Fernseher zwischen den Boxen - oder der Kamin, oder die Striptease tanzende Frau des Nachbarn - etwas dezentral steht beziehungsweise tanzt, dann scheint ihm die Phantomschallquelle plötzlich nicht mehr in der Mitte.

Versuche an der Fachhochschule Würzburg haben ergeben, dass zwei ursprünglich gleiche Signale - eines unbearbeitet, das andere bearbeitet - unterschiedlich oder eben nicht unterschiedlich wahrgenommen werden können, je nachdem, ob beim Umschalten zwischen den Signalen eine Pause entsteht. Ohne Pause haben viele Probanden keinen Klangunterschied mehr wahrgenommen.
Sind wir also wirklich in der Lage, einen DSP "nach Ohr" einzupegeln?


Bei der Verwendung eines DSP zur Anpassung einer Übertragungsanlage auf den Hörraum gibt es zwei Anforderungen. Die erste besteht aus der Entscheidung über die angewandte(n) Methode(n), die zweite aus der Messung der Situation und aus der meßtechnischen Überprüfung des Erfolgs. Es gibt allerdings noch eine Dritte Problemstellung: Und die heißt, wie sieht eigentlich das zu erreichende Ideal aus?

Wenn man einen "idealen" Studiomonitor im Freifeld oder im schalltoten Raum misst, dann wird der eine möglicherweise glatte Frequenzgang-Kurve zeigen. Stellt man den selben Lautsprecher in einem wie auch immer gearteten (anderen) Raum auf, wird sich die gemessene Frequenzgang-Kurve extrem verändert zeigen. Und das, ohne dass am Lautpsrecher oder an der vorgeschalteten Anlage irgendetwas geändert worden wäre.

Ein menschlicher Operateur hätte nun die Möglichkeit ein DSP so immer wieder neu einzustellen, dass am Ende ein bedarfsgerechtes Ergebnis herauskommt, das seinen (!) Vorstellungen entspricht. Dieses Ergebnis lässt sich nicht nur meßtechnisch, sondern auch mit den schon angesprochenen Ohren überprüfen. Denn wer hört zuhause schon die Musik nur mit einem Mikrofon?
Die Automatik eines modernen AV-Receivers kennt vorgegebene Zielwerte, kennt vorgegebene Methoden, entscheidet aufgrund der vorgegebenen Programmierung, welche Methoden bei welchem Zustand zu verwenden sind. Nicht zu vergessen, benutzt die Automatik auch vorgegebene Signale als Referenz, um die Einstellung zu optimieren.

Das Problem beginnt bei der Tatsache, dass Musik aus einem Schallwellen-Gemisch besteht, Meßtöne aber in der Regel aus einzelnen Sinus-Tönen oder mehr oder weniger gewichtetem Rauschen. Wissen wir überhaupt, was unser System einsetzt?
Bekannt ist das Phänomen von Interferenzen von Wellen, von der Anregung von Schwingungen durch Schwingungen anderer Frequenz und die sogenannten spektralen Verdeckungseffekte. Interferierende Wellen beeinflussen einander, lassen möglicherweise sogar neue Frequenzen entstehen. Dies wird am Ohr notwendig anders geschehen, als an einem selbst Kunstkopf-Mikrofon, weil die Form des Korpus und des Ohres, an denen ja Beugungen der Schallwellen auftreten, andere sind, als die des Mikrofons. Und an die Konsequenzen der eigenen Körperform sind wir als Norm gewöhnt. Haben wir uns also scannen und unsere biometrischen Daten in den AV-Receiver eingeben lassen oder stellt der nach Referenzwerten fremder Personen ein? Oder eben nur nach der Körperform eines langen, schlanken Mikrofons?
Spektrale Abschattungen haben zur Folge, dass bestimmte vorhandene Frequenzbereiche von anderen überdeckt werden. Sie werden nicht oder nur geringer wahrgenommen, solange die abschattenden Frequenzen im Gemisch auftreten. Auch hier ist der Effekt an unserem Ohr zumindest auch von der individuellen Körperform abhängig. Wenn wir jedoch einen Sinuston oder ein Frequenzgemisch anderen Mischungsverhältnisses für die Einmessung einsetzen, entstehen dann die Abschattung, die wir in der Musik wahrnehmen? Ist der DSP in der Lage, mit seinen Meß-Tönen bedarfsgerecht einzustellen?

Was ist überhaupt ein richtiger Zielwert? Während der schon erwähnte Studio-Monitor im Freifeld einen nahezu linearen Frequenzgang produziert hatte, wurde beispielsweise bei Versuchen der FHH Würzburg im IRT-Testraum festgestellt, viele Probanden würden bei einer solchen Abstimmung die Höhen als überbetont wahrnehmen. In Tests wurde daraufhin ermittelt, eine nach den hohen Frequenzen abfallende Schalldruck-Kurve würde akzeptablere Ergebnisse erzielen.
Die Frage ist nun, ist "akzeptabel" auch "ideal"? Und nach welchem Ideal stimmt die Automatik des AV-Receivers ab?
Haben Japaner das gleiche Ideal, wie Amerikaner? Früher leistete sich Sony mit Klaus Dotter ein "deutsches Ohr" für die Abstimmung der Lautsprecherboxen der eigenen Marke, die in Deutschland hatten verkauft werden sollen. Gibt es inzwischen ein allgemeines, "interkulturelles" Ideal? Und gibt es das wirklich oder ist das nur beschlossen worden?

Die Produktion von Live- und von Studio-Musik erfolgt üblicherweise unterschiedlich. So werden tiefe Frequenzen bei Studio-Aufnahmen oft nur monofon abgemischt, stehen also an beiden Kanälen einer Stereo-Wiedergabe phasengleich, bestenfalls in unterschiedlicher Lautstärke zur Verfügung. Diese Wellen kommen, schon wegen der größeren Wellenlänge, in Wohnräumen oft kohärent an den beiden schon erwähnten Ohren an, addieren sich also in der Wahrnehmung in der Lautstärke.
Anders sieht das bei kurzwelligen Signalen aus. Hier entstehen oft schon nach kurzer Laufzeit keine kohärenten Wellen mehr, so dass die Ohren, oder etwas dazwischen, die Emanation des linken und rechten Kanals selbst phasengleich abgestrahlter Signale nicht Lautstärke-mäßig addieren können.
Das hat zur Folge, würde man versuchen, einen linearen Frequenzgang per DSP zu erzeugen, dass die Ohren, beziehungsweise das Ego dazwischen, die tiefen Töne als überbetont wahrnehmen würde. Auch hier ergibt sich ein Bedarf, eben keinen linearen Frequenzgang zu erzeugen, sondern die Bereiche unter hundert Hertz abzuschwächen.
Kann die Programmierung des DSP das? Und entspricht das, was das DSP tut, den Vorstellungen des Musik-Produzenten?

Das Problem ist, die oben genannte Erfahrung gilt so nicht bei allen Musik-Produktionen. Wurde eine Live-Aufnahme mit mehreren Stützmikrofonen aufgezeichnet, dann gilt der Erfahrungswert (ca. 1,5 dB) für die Baßabschwächung nicht mehr, weil die Phasengleichheit im Tieftonbereich nicht mehr gewährleistet ist.
Erkennt also ein DSP den Musikgeschmack seines Herrchens? Und selbst, wenn der AV-Receiver die Musiksammlung selbst verwaltet: Gibt die "Plattenfirma" solche Daten an, so dass das DSP sie auswerten könnte? Ist das Meß-System in dem angewandten Verfahren in der Lage, solche Phasen-bedingten Eigenarten wahrzunehmen und darauf korrekt zu reagieren?

Wenn für einen bestimmten Raum und für eine bestimmte Frequenz eine Raummode entsteht, gibt es an definierbaren Stellen immer die gleiche Verstärkung bzw. Abschwächung dieser Frequenz. Das kann so weit gehen, dass an einer Stelle eben diese Frequenz gar nicht mehr hörbar wird.
Wie geht ein DSP damit um, welche Methode wählt es?
Nehmen wir an, die Auslöschung an einer relevanten Stelle läge nicht bei 100%, sondern nur bei 90%. Würde man jetzt den betroffenen Frequenzbereich einfach lauter abspielen, wäre erreichbar, dass auch an der betreffenden Stelle dieser Frequenzbereich wieder in normaler Lautstärke wahrnehmbar würde. Man darf dann allerdings den Kopf nie auch nur um ein paar Zentimeter bewegen und sollte an die Tür ein "Bitte nicht stören"-Schild hängen, weil an jeder anderen Stelle des Raumes der betreffende Frequenzbereich plötzlich lästig überbetont erschallen würde. Da wo die Summe aus verschiedenen kohärenten Wellen einander sowieso verstärken, würde die DSP-verstärkte Welle nun extrem höher addiert.
Hilft solch Verfahren wirklich?
Alternativ hat es sich inzwischen als praktikabel herausgestellt, den "gestörten" Frequenzbereich einfach ganz weg zu filtern, um eben die ungewollte Verstärkung zu vermeiden. Ist das der wahre Musik-Genuss?
Was tut das DSP? Nach welchen meßtechnisch ermittelten Kriterien tut es was?

Der vorher genannte Studio-Monitor wird vom Hersteller mit Meßwerten angegeben, die, auch wenn sie nicht im rechnerischen Nahfeld ermittelt worden sind, doch die Reflexionen eines wie auch immer gearteten "natürlichen" Raumes nicht berücksichtigen werden. Insofern ist auch die sogenannte "Directivity", das Richtverhalten der Abstrahlung der einzelnen Chassis und Chassisgruppen nur selten Thema. Bei Heim-Boxen sowieso nicht.
Ist das Richtverhalten unterschiedlich, bedeutet das, dass am selben Hörplatz die Verteilung von Direktschall und frühen Reflexionen, die lautstärkemäßig addierend wahrgenommen werden, für verschiedene Frequenzbänder unterschiedlich ist. Wenn dann auch noch die Reflexionseigenschaften des Raumes nicht frequenzlinear sind, wenn dann auch noch die Reflexionen der Äußerungen der linken und der rechten Box, bezogen auf das Frequenzgemisch, nicht übereinstimmen, wird die Situation noch schwieriger.
Ein DSP kann zwar, für einen bestimmen Frequenzbereich am Hörplatz, den Pegel reduzieren. Dies geschieht damit aber immer auch zu Lasten des Anteils an Direktschall, der für diesen Frequenzbereich das Ohr des Zuhörers erreicht. Das ist insofern ein Problem, als dass reflektierter Schall ja zeitversetzt eintrifft, somit die Zeitrichtigkeit, im Verhältnis zu anderen Frequenzbereichen, also zu anderen Tönen oder gar zu anderen Frequenzen des gleichen Tons, leidet. Es leidet auch die Impulstreue einer Wiedergabe. Auch nimmt das Ohr Änderungen bei hohen Frequenzen schon im Millisekunden-Bereich wahr, so dass eine Änderung der zeitlichen Zusammensetzung eines Schallfeldes zu einer Änderung der räumlichen Ortung für diesen Frequenzbereich führt. Die unterschiedlichen Frequenzen ein und des selben Klanges kommen plötzlich aus verschiedenen Richtungen.
Eine Reduzierung des Anteils an Direktschall zugunsten des Energie-ärmeren indirekten Schalls bedeutet auch, dass diese Anteile an dem Frequenzgemisch, das sich "Musik" nennt, leichter von anderen verändert werden können; vor allem, wenn diese Energie-reicher, mit höherem Anteil von Direktschall ausgestattet sind. Es kommt zum Beispiel leichter zu spektralen Abschattungen.


An dieser Stelle will ich vermeiden, dass der Eindruck entstünde, ich hätte etwas gegen DSP. Die Frage ist, ist ein in ein Konsumgerät "eingebautes" DSP überhaupt eine Verbesserung? Nicht in der Theorie, sondern in der Realität. Bekommt der Käufer oder Besitzer eines solchen Gerätes die notwendigen Informationen an die Hand zu entscheiden, ob dieses für ihn Sinn macht, ob er nicht lieber ein "anderes" DSP kaufen oder verwenden sollte? Oder gar keines.

Das Kaufverhalten für beispielsweise HiFi-Anlagen sah in Japan früherer Zeiten so aus, dass der Käufer selbstverständlich kaufte, was der Hersteller anbot. Schließlich war es die Aufgabe des Herstellers, das Richtige anzubieten. Erst Sony errichtete in den siebziger Jahren in Japan den ersten Vorführraum für HiFi-Systeme; ob dort auch Technics-Komponenten vorgeführt worden waren?
In den USA sollte der "HiFi-Standard" des IHFM beziehungsweise des IHF dazu dienen, dem Kunden vergleichbare technische Daten an die Hand zu geben, damit dieser - ohne hören zu müssen - entscheiden könne, welche Anlage für ihn die Richtige sei. Zu den geplanten Standards für Plattenspieler, Tonbandgeräte oder Lautsprecher ist es nie gekommen und selbst der Tuner-Standard blieb für immer auf dem Stand der späten fünfziger Jahre stehen. Was es gegeben hatte, war ein Verstärker-Standard gewesen. Verstärker reichen.
In Deutschland hatten die Gründer des DHFI die Idee gehabt, so etwas wie eine Mindestanforderng für eine Qualität vorzuschreiben. Dieser wurde zunächst einmal immer weiter abgesenkt, damit auch alle Hersteller und Importeure bereit waren, mitzumachen.

So etwas wie den "Klang" einer Anlage konnte der Käufer "analoger HiFi", egal, ob er im Versand, aus dem Regal des japanischen HiFi-Fachgeschäftes, aus dem Regal des deutschen Fernsehgeräte-Händlers oder aus der "Vorführung" des westlichen Kistenschiebers kaufte, in der Regel nicht erfahren, bevor er "seine" Anlage zuhause hatte.
Und wer gibt die teuer erkaufte Anlage schon zurück, nur weil sie nicht so klingt, wie im Konzertsaal. Zudem man sich schnell daran gewöhnt, wie sie klingt. Vor allem, wenn das gute Stück etwas Besonderes ist: teuer, exotisch, bunt, was auch immer. Vor allem, wenn man nicht wirklich eine Referenz hat. Vor allem, wenn man nicht weiss, dass es besser geht.

Insofern wäre es vermessen zu behaupten, die breite Einführung von DSP und einer Einmeß-Automatik in modernen AV-Receivern hätte einen Nachteil, zumindest bedeute im Vergleich zu einer analogen HiFi-Anlage, in der Realität beim Käufer, einen Nachteil.
Meine Frage ist, bedeutet sie tatsächlich einen Vorteil? Kann der "Vorteil", den sie bedeuten könnte, tatsächlich erreicht werden? Oder hat man in der Praxis nicht einfach nur einen dezenten Equalizer, um dessen Einstellung man sich nicht kümmern braucht - oder soll -, mit dem sich aber auch nicht protzen lässt? Hat man vielleicht sogar einen Equalizer, den man nicht versteht, weil man selber zu wenig Ahnung hat, ebenso wie der Verfasser der Anleitung und der Gestalter des Benutzer-Interfaces.

Anselm Goertz empfielt, ein DSP kann nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn man es nicht auf einen dezidierten Hörplatz mit einer festgelegten Position des Zuhörers hin optimiert, sondern wenn man einen Hörbereich definiert und einen Kompromiss für die Einstellung des DSP durch die Mittelung der Mess-Werte erzielt.
Da bedeutet automatisch, dass es am Hörplatz selten den optimal erreichbaren Klang gibt. So ist das auch mit der "normalen" HiFi-Anlage. Anders herum bedeutet die optimale Einmessung eines DSP immer, die optimale Einmessung auf eine konkrete Hörposition. Auf den Zentimeter genau. Sie bedeutet also die Unterordnung der Wohn-Gestaltung unter die Anforderungen des Hobby Musik-Hören. So ist das auch mit der "normalen" HiFi-Anlage.

Solange mein DSP, das meine biometrischen Daten selbstverständlich gespeichert hat, nicht verfolgt, wo ich mich grade aufhalte, und entsprechend die eigene Einstellung dynamisch anpasst, frage ich mich, ob es überhaupt einen Sinn macht, DSP zu benutzen. Jedenfalls, wenn man Musik hören und nicht nur dudeln lassen will.
Auf der anderen Seite möchte ich eigentlich überhaupt nicht, dass mein DSP meine biometrischen Daten speichert und mich beobachtet ... verfolgt ... mir vielleicht sogar, als Gegenleistuing für die kostenlose Musik-Cloud, nicht nur stimmungsgerechte Musik auswählt, sondern auch gleich die passende Werbung dazu aussucht ... und die natürlich jedesmal etwas lauter regelt, damit ich sie nicht überhöre, und meine Reaktion an den Cloud-Betreiber übermittelt. Oder an den Provider, von dem ich das Smart-Phone habe, dessen App das DSP steuert ... Oder tut sie das etwa schon?

Tschüß, Matthias



Lesestoff:
Anselm Goertz, Michael Makarski - Interaktion von Lautsprechern und Raum im Tonstudio, 25. Tonmeistertagung, VDT International Convention, November 2008
Anselm Goertz, Dieter Leckschat - digitale Lautsprecherentzerrung, Referat im Rahmen des Neuheitenforums an der RWTH Aachen
Anselm Goertz, Markus Wolf - Neue Methode zur Anpassung von Studiomonitoren an die Raumakustik mit Hilfe digitalere Filterkonzepte, Teil 1+2, DAGA 2002
Johannes Kampert - Der Einfluss einer digitalen Lautsprecherentzerrung auf die Abhörbedingungen im Studio, Diplomarbeit vom 27.04.2005, FHH Würzburg-Schweifurt, IRT
Stapelbüttel von einem ganzen Haufen Quatsch
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Nachrichten in diesem Thema
DSP, Klangregelung oder "linear" in den Klangsumpf? - von Matthias M - 06.11.2015, 00:26
[Kein Betreff] - von outis - 06.11.2015, 15:07
[Kein Betreff] - von sensor - 06.11.2015, 17:17
[Kein Betreff] - von outis - 06.11.2015, 18:45
[Kein Betreff] - von uk64 - 06.11.2015, 18:58
[Kein Betreff] - von sensor - 06.11.2015, 21:20
[Kein Betreff] - von outis - 06.11.2015, 21:53
[Kein Betreff] - von outis - 06.11.2015, 22:04
[Kein Betreff] - von uk64 - 06.11.2015, 22:05
[Kein Betreff] - von Matthias M - 07.11.2015, 04:23
[Kein Betreff] - von outis - 07.11.2015, 08:58
[Kein Betreff] - von Jamomamo - 07.11.2015, 13:53
[Kein Betreff] - von uk64 - 07.11.2015, 15:06
[Kein Betreff] - von Matthias M - 07.11.2015, 15:06
[Kein Betreff] - von Jamomamo - 07.11.2015, 16:22
[Kein Betreff] - von uk64 - 07.11.2015, 16:42
[Kein Betreff] - von Matthias M - 07.11.2015, 22:35
[Kein Betreff] - von outis - 07.11.2015, 23:20
[Kein Betreff] - von uk64 - 09.11.2015, 01:16
[Kein Betreff] - von Jamomamo - 09.11.2015, 11:24

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