Ein Tag in Holland
#2
Schweissgebadet wachte der alte Mann auf. Nein, 'alt', das war nicht ganz richtig, vielmehr war er in den besten Jahren...oder an deren Ende? Na, egal. Grauenvoll, was er da zusammengeträumt hatte! Er raffte sich auf,. spürte seinen Rücken und dachte mit Schaudern an das Schleppen, welches ihm heute evtl. noch bevorstand. Im Spiegel des Bades entdeckte er beim Zähneputzen wieder einige graue, nein eher weisse Haare. 'Ja, man wird nicht jünger', floskelte er und ergänzte insgeheim 'aber weiser!". Mit einem zarten Grinsen auf dem runzeligen Gesicht schleppte er sich die Treppe hinab in die Küche. Der Pfefferminz-Tee tat ihm gut und auch das Brötchen mit Honig schmeckte ausgezeichnet. So überaus froh gelaunt verlies er das Haus und sein Blick streifte den Wagen 'wie gut, dass ich ein silbernes Auto habe, das sieht immer aus wie neu und man muss es nicht waschen!'. Nur 5 Minuten später war er bereits über die holländische Grenze.

Früher, ja früher, da sauste er mit allem, was seine Wagen hergaben über die Autobahnen, heute war es ihm egal. Sein Wagen fuhr jenseits der 200er Marke, gut zu wissen. Aber warum die Hetze? Entweder es soll heute sein oder nicht.

Wie immer gab es ein ziemliches Gedränge auf dem gewaltigen Parkplatz vor der ebenso gewaltigen Prinz-Bernhard-Halle. 'Ja, ihr Schweinehunde, winkt mich ruhig dahinten hin!', dachte der mittelalterliche Mann bei sich und tatsächlich wurde er, wie alle Deutschen, auf die hinteren Plätze verwiesen.

Nach einer schier endlosen Wartezeit, nicht gut für seinen Rücken, konnte er endlich die 15 Euro Eintritt bezahlen...um in einem Nebel von Qualm schier zu ersticken! Die Halle war ungelogen 2mal so gross wie ein Fussballfeld und nur in der Mitte gab es ein Belüftungssystem, völlig unzureichend für geschätzt 5000 rauchende Menschen.

Wie immer raste er durch die Gänge, schaute auch gern unter die Tische, aber er fand und fand nichts. Als er die Halle zu 3/4 durchkämmt hatte, schweissgebadet und kopfschmerzig vom fehlenden Sauerstoff, erblickte er einen Stand mit einem Tonbandgerät. 'Ach bloss eine 4450, na ja', er wollte auf keinen Fall mit leeren Händen nach Hause. Als er näher kam entdeckt er einen Karton mit Bändern. In Anbetracht des hohen Gewichts der 4450 fragte er den Verkäufer in bestem holländisch, was er sich über die Jahre zwangläufig angeeignet hatte, nach dem Preis für 'die paar Bänder'. Nein, hiess es, nur zusammen mit der Maschine wird verkauft. Im nu war der alte Mann hellwach: aha, ein Dummkopf. Der ist kein Geschäftsmann, kein Profi, sonst hätte er die Bänder verhökert! Vermutlich hat er einen sehr niedrigen Preis. Er sagte den Verkäufer, dass das Tonbandgerät sicher kaputt ist bei den vielen Knöpfen und bekam wie erwartet die ganze Empörung eines Verkäufers zu hören, der sich in seiner Ehre verletzt sah, aber überhaupt nicht beurteilen konnte, was mit der Maschine ist. Nach einigem hin und her rückte der Verkäufer mit dem Preis heraus: 50 Euro für alles! Dem alten Mann war sofort klar, dass hier ein Superschnäppchen zu machen ist und erklärte dem Verkäufer, dass er das schwere Gerät mit seinem kaputten Rücken gar nicht zum Auto bekommt! Der Verkäufer lachte nun und deutete auf eine Sackkarre. Sie gehörte ihm und er kann als Verkäufer die Hintereingänge benutzen, so wäre man in Nullkommanichts beim Auto. Jaaaa, sagte der alte Mann, schon, aber 50 Euro, das sind ja 100 Gulden! 50 Gulden könne er auch gegenüber seiner Frau verantworten. Der Verkäufer schlug erwartungsgemäss ein und so bekam der alte erfahrene Sammler sein Schnäppchen gewissermassen frei Haus für 25 Euro.

Der Verkäufer war gerade gegangen, da hielt ein weiteres Auto mit deutschem Kennzeichen in unmittelbarer Nähe zum alten Sammler. Man begrüsste sich und als es um Sammelthema ging, verblüffte der hinzugekommene durch seine Leidenschaft: er sammelte ebenfalls Tonbandgeräte. Sofort erkannte der alte Sammler seine Chance und zeigte auf die Maschine im Kofferraum. 'Mensch, eine 4450, die suche ich schon so lange!'. Rrrring machte es im Kopf des alten und weisen Sammlers. 'Die steht zum Verkauf, wird heute hier abgeholt für 300 Euro'. Das wäre aber schon ziemlich viel, meinte der andere Deutsche. Ja, eine solche Philips in Topzustand, die ist halt schwer zu bekommen. Kurze Zeit darauf zahlte der zweite Sammler 400 Euro für die Maschine und nochmal 75 Euro für die Bänder. Der alte Sammler war weise genug, dem anderen nicht seine Adresse zu geben...immerhin kann eine 4450 so ziemlich jeden Fehler haben.

Nach diesem schönen Geschäft war es an der Zeit, sich zu stärken. Nach dem Motto 'man gönnt sich ja sonst nichts', orderte er im hauseigenen Schnellrestaurant alles, was gut und teuer war. Er hatte kaum Platz genommen, da fragte ihn eine weibliche Stimme, ob noch Platz am Tisch sei. 'Selbstverständlich', antwortete der alte Sammler im feinsten holländisch. Doch als er sah, was für eine blonde Granate sich da vor ihm hinsetzte, blieb ihm beinahe das Essen im Halse stecken. Der heutige Tag braucht noch einen versöhnlichen Ausgang, dachte der Sammler bei sich und ging sofort in die Offensive. 'Ich suche hier Schälchen, Bilder und Plüschbären' log er. Er wusste schliesslich, was Frauen in diese Hallen trieb. 'Oh', antwortete sie,'das ist ja interessant! Ich sammle nämlich Tassen, Sammeltassen!'. Nach kurzer Zeit schon brachte er in Erfahrung, dass sie an einem bestimmten Set interessiert ist, es aber nur für 20 und nicht für 40 Euro wie es der Verkäufer wollte, erwerben wollte. 'Das haben wir gleich!' sagte er ganz Gentleman und nahm sie beim Arm. Sie zeigte von weitem auf den Stand und erklärte ihm wie das Set aussieht. 'Ach das', log der alte Sammler', 'das war mir vorhin auch schon aufgefallen, wirklich sehr schön'. Sie strahlte. Er schritt zur Tat. Was kosten diese Tassen, fragte er den Verkäufer, der mürrisch '40 Euro' antwortete. '40 Euro, das sind 80 Gulden! Für 5 Tassen? 5 gebrauchte Tassen für 80 Gulden? Hallo, ich will hier nicht den Stand kaufen! Ich gebe dir 5 Euro!'. Der Verkäufer war ziemlich schockiert ob dieses frechen Angebotes, doch bevor er antworten konnte, erhöhte der Sammler auf 7 Euro, das wäre das äusserste!. Der Verkäufer war besorgt um sein Geschäft, denn der Sammler sprach sehr laut und schockierte die Kundschaft. 'Dann nehmen Sie die Tassen eben, sowas ist mir noch nie passiert!'. Nur wenige Minuten dauerte dieses Geschäft und der Sammler eilte zu seiner neuen Flamme zurück. 'Hier, habe ich ihm für 2 Euro abgekauft, da muss man mit viel Fingerspitzengefühl rangehen!' log er ihr vor. Sie war begeistert. Nicht nur von den Tassen, sondern auch von diesem herrlich aufregenden, starken Mann! Der Sammler ging in die Offensive und verkündete ihr, dass er nun fertig sei und die Heimfahrt antreten müsse, weil er heute Abend noch neue Daten für ein NASA-Projekt über das Internet verschicken müsste, sonst könnten die Japaner nicht weiterarbeiten. Der blonde Engel war ihm völlig verfallen und bot ihm sofort an, doch noch, gewissermassen als Belohnung, bei ihr eine Tasse Tee zu trinken, ganz freundschaftlich natürlich, man wolle nur die Tassen einweihen. Der alte, lebenserfahrene Sammler sagte hierzu nicht nein. Während die Blondine an seiner Seite auf Wolke 7 schwebte entdeckte er beim Rausgehen noch das Gerät seiner Träume: die Marantz. Aber man muss halt Prioritäten setzen... Es kam übrigens nicht mehr zum Teetrinken, die beiden hatten anderes vor Smile

Erfahrung - separates the men from the boys
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
[Kein Betreff] - von Raimund - 15.05.2004, 19:11
[Kein Betreff] - von highlander - 15.05.2004, 21:29

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 5 Gast/Gäste