Seravox Evolution (Frankreich 1961)
#1
Es gibt mal wieder Gelegenheit, einen Röhrenkoffer aus französischer Produktion vorzustellen, und zwar ein Seravox Evolution aus dem Jahr 1961.

Von der einstmals in Paris ansässigen Firma SERAM gab es neben den Seravox-Tonbandgeräten auch Seradict-Diktiergeräte. Ein großer Hersteller war es offenbar nicht, denn beides, Seravox und Seradict, findet man selbst in Frankreich heute nicht allzu oft.
Über das Schicksal der Firma konnte ich bisher nichts in Erfahrung bringen.

An anderer Stelle im Forum ist ein älteres Seravox-Modell aus den fünfziger Jahren zu sehen: http://forum2.magnetofon.de/f2/showtopic...eadid=5969.
Und genau wie dieses ältere Modell ist auch das Seravox Evolution ein eher simples Gerät mit sehr einfach gestrickter, aber zuverlässiger Mechanik, jedoch sorgfältig aufgebaut und verpackt in einem schönen Holzkoffer. Überhaupt scheint man im Hause SERAM eine gewisse Meisterschaft in der Vereinfachung aller Dinge entwickelt zu haben.

[Bild: SEvolution01.jpg]

[Bild: SEvolution02b.jpg]

Einige technische Daten:
Ein-Motoren-Laufwerk.
Zwei Bandgeschwindigkeiten 9,5 und 4,75 cm/s.
Maximaler Spulendurchmesser 13 cm.
Zwei Köpfe für Halbspur-Mono-Betrieb.
Dreistufiger Röhrenverstärker mit EF86, EF86, EL84.
Aussteuerungsanzeige mit Röhre DM70.
Abmessungen B x H x T in cm: 39 x 21 x 34.
Gewicht ca. 8,5 kg.

Ein recht großer Koffer also, aber dennoch ein Leichtgewicht aufgrund der einfachen Bauweise. Verglichen mit den Produkten mancher teutonischer Geräteschmiede ist das Holz des Koffers recht dünn und auch Metall wurde eher sparsam verwendet.

Schauen wir uns das mal etwas näher an.

[Bild: SEvolution03.jpg]

Zwischen den beiden Spulen gibt es einen kleinen weißen Knopf, mit dem man die Geschwindigkeit wählt. Knopf herausgezogen gibt 9,5 cm/s, hineingedrückt gibt 4,75 cm/s. Dabei wird ein Reibrad auf unterschiedliche Stufen der Motorachse gesetzt, welches dann die Drehung direkt auf die Schwungmasse der Tonwelle überträgt. Gleichzeitig wird ein Kontakt betätigt, mit dem der Frequenzgang des Verstärkers an die Geschwindigkeit angepaßt wird. Das ist bei den Geräten der kleineren französischen Hersteller durchaus keine Selbstverständlichkeit. Bei dem erwähnten älteren Seravox-Modell wird die Geschwindigkeit mit einer Aufsteckhülse auf der Tonwelle verändert, ohne den Verstärker anzupassen. Und selbst das Magnétic France Fidélité (ebenfalls hier im Forum beschrieben http://forum2.magnetofon.de/f2/showtopic...eadid=5343 ), das von seinen Schöpfern immerhin als „semi-professionell“ angepriesen wurde, beschränkt sich auf die Umschaltung per Aufsteckhülse und läßt den Verstärker, wie er ist.

Die Abdeckplatte besitzt seitlich zwei Löcher. Das eine dient dem Anschluß eines externen Lautsprechers per Klinkenstecker, wobei der interne Lautsprecher abgeschaltet wird. Das andere stellt den Mikrophonanschluß dar. Auch auf der linken Seite gibt es zwei solcher Löcher für den Anschluß eines Plattenspielers mittels zweier Bananenstecker.

Oberhalb des Laufwerks verfügt der Koffer über ein nach oben offenes Kabelfach, das von den elektrischen Teilen des Laufwerks durch einen gelochten Karton getrennt ist, wie man ihn von den Rückwänden alter Radios kennt. Der Karton wird einfach von oben in zwei entsprechende Schlitze links und rechts im Koffer eingeschoben und kann nur nach Ausbau des Laufwerks entfernt werden. Auf diesem Karton findet man das Typenschild, einen einfachen Aufkleber mit der aufgestempelten Typenbezeichnung und der von Hand eingetragenen Seriennummer. Extrem simpel und doch ein Fortschritt im Vergleich zu dem von Hand bekritzelten Stück Leukoplast im älteren Modell.

[Bild: SEvolution04.jpg]

Vier Tasten dienen der Wahl der Funktionsart, und zwar von links nach rechts Stop – Wiedergabe – Aufnahme Platte – Aufnahme Mikro. Der kleine weiße Hebel rechts von den Tasten löst die Aufnahmesperre, der kleine Hebel links tut dies ebenfalls, rastet jedoch ein, wenn man ihn nach vorne kippt und betätigt dabei einen Kontakt, über den der Löschkopf abgeschaltet wird. Es gibt also sogar eine Trickfunktion.

[Bild: SEvolution05.jpg]

Vor den Tasten sitzt die kleine Anzeigeröhre DM70. In den Stellungen Stop und Wiedergabe ist das Ausrufezeichen stets voll sichtbar. Da sie als direkt geheizte Röhre nach dem Einschalten praktisch sofort betriebsbereit ist, dient sie gleichzeitig als Betriebsanzeige. In Stellung Aufnahme ist sie zunächst völlig dunkel und leuchtet umso stärker auf, je weiter man die Aussteuerungsregler aufdreht. Dabei werden zuerst der Punkt und ein kleiner Teil des Strichs sichtbar. Mit zunehmender Amplitude wird der Strich länger. Berührt er den Punkt, ist das Limit erreicht.

[Bild: SEvolution06.jpg]

Der Regler rechts von den Tasten dient im Wiedergabebetrieb als Lautstärkeregler, im Aufnahmebetrieb der Aussteuerung des Mikrophonsignals, dessen Eingang sich ja rechts daneben an der Seite der Abdeckplatte befindet. Oberhalb dieses Drehknopfes gibt es einen Schieberegler für den schnellen Vor- und Rücklauf.

[Bild: SEvolution07.jpg]

Der Drehknopf links von den Tasten dient im Wiedergabebetrieb als Klangregler, im Aufnahmebetrieb erlaubt er die Aussteuerung des Plattenspielersignals, dessen Eingang sich links daneben an der Außenseite befindet. Der Drehknopf ist mit dem Netzschalter kombiniert. Oberhalb des Reglers befindet sich das Zählwerk in Gestalt einer von 0 bis 100 geteilten Scheibe. Links am Rand ragt sie zum Zweck der Nullstellung etwas aus der Abdeckplatte heraus.

Ein Blick auf das ausgebaute Chassis von oben...

[Bild: SEvolution08.jpg]

...zeigt den Antrieb der beiden Wickelteller. Ein langer Riemen, in Form einer Acht um die Motorachse gelegt, treibt sie beide gegensinnig an. Der Riemen hat sich im Lauf der Zeit stark ausgedehnt. Für Wiedergabebetrieb reicht es noch. Schneller Vor- und Rücklauf sind kaum noch möglich. Dafür muß Ersatz her. Leider besitzt das Gerät keine Bremsen. Nach dem Einschalten beginnen die Wickelteller sofort, sich zu drehen. Man fädelt das Band besser schon vorher ein.

Ein Blick von unten aufs Chassis:

[Bild: SEvolution09a.jpg]

Da ist wahrlich nicht viel drin. Grundlage des Ganzen sind zwei an den Rändern zur Versteifung abgekantete Bleche, die im rechten Winkel aufeinandergeschweißt wurden. Zur weiteren Versteifung sind sie zusätzlich über den Motor verbunden. Man sieht zwischen den beiden Elkos eine nach unten führende Stütze. Hinter den Röhren erkennt man die Schwungmasse. Das Reibrad ist hinter dem Motor versteckt.

Bei der folgenden Aufnahme habe ich’s mit dem Zoom wohl etwas übertrieben, die Kamera konnte das Bild nicht mehr scharf stellen. Ich hoffe, man erkennt trotzdem, wie die Zählwerkscheibe angetrieben wird.

[Bild: SEvolution10.jpg]

Vom linken Wickelteller wird die Drehung über einen kleinen Riemen auf eine Welle übertragen, die per Schneckengetriebe die Achse der Zählwerkscheibe antreibt.

Schließlich noch ein Bild des Chassis von vorn, also von der Lautsprecherseite aus gesehen:

[Bild: SEvolution11.jpg]

A propos Lautsprecher: Da hat man mal nicht gekleckert sondern...

[Bild: SEvolution12.jpg]

... ein ordentliches Teil mit 17 cm Durchmesser spendiert.

[Bild: SEvolution13.jpg]

Er stammt von der altehrwürdigen französischen Firma Audax. Über diesen Typ T 17 PRA 12 findet man im Internet sogar noch ein paar Daten:
http://www.pascalchour.fr/ressources/audax/audax984.htm

Nach diesem Rundgang rund um das Chassis nochmal zurück zur Oberseite, diesmal ohne Riemen und Zählwerkscheibe.

[Bild: SEvolution14.jpg]

Bei Aufnahme und Wiedergabe wird der nötige Bandzug dadurch erzielt, daß das Band links von den Köpfen gegen ein Stück Filz gedrückt wird.
Vor dem Kombikopf ist ein merkwürdiges Etwas zu sehen, ein Metallplättchen, das nicht ganz senkrecht zum Band steht und das mit Wachs übergossen ist. Auf dem folgenden Bild sieht man es nochmal:

[Bild: SEvolution15b.jpg]

Dieses Teil ist fix montiert und von einer Spule umgeben. Im Aufnahmebetrieb fließt durch diese Spule ebenfalls Hf-Strom, und zwar auch dann, wenn der Löschkopf abgeschaltet ist. So etwas habe ich bei noch keinem anderen Gerät gesehen. Keine Ahnung, was man mit einem Wechselfeld erreichen will, das in einigem Abstand vom Band auf dessen Rückseite erzeugt wird. Der Aufnahmekopf wird jedenfalls auch von Hf-Strom durchflossen.

Da wir gerade bei den Köpfen sind: auf beiden steht zu lesen „Tête magnétique PMF“. Ich nehme an, daß PMF der Hersteller ist. Köpfe mit solchen Aufklebern sind auch im älteren Seravox-Modell und im Diktiergerät GBG 156 zu finden (ebenfalls hier im Forum beschrieben http://forum2.magnetofon.de/f2/showtopic...eadid=5368 ), allerdings in einer älteren Bauform.

Auf diesem Löschkopf hier lese ich „Type TM 312 EF“, wobei das EF wohl für „effacement“ steht. Jedenfalls trägt auch der Löschkopf des GBG 156 diesen Zusatz EF (genaue Typenbezeichnung: TB 302 EF). Das ältere Seravox-Gerät hat nur einen Dauermagneten als Löschkopf. Der A/W-Kopf hier trägt die Typenbezeichnung TM 286, während der im älteren Seravox-Modell ein TB 286 ist, jeweils ohne diesen Zusatz EF. Die Aufschrift des Kopfes im Diktiergerät ist nicht leserlich.

Das ist im Augenblick alles, was ich zum „Evolution“ sagen kann. Irgendwelche Unterlagen besitze ich nicht. Sollte sich das ändern, trage ich neue Informationen natürlich nach.

Fazit: Ein recht einfach aufgebautes Gerät, das aber dank seines großen Lautsprechers einen recht ordentlichen Klang bietet. Auch im Baßbereich kommt noch ordentlich was raus, der große Koffer stellt offenbar ein ausreichendes Resonanzvolumen dar. Da kann man schon mal ein komplettes Musikband durchlaufen lassen, ohne gleich einen externen Verstärker zu vermissen.

Gruß
TSF
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