Die Mikrophonvorverstärkerfrage!!!
#7
.....

Ich erzähle vielleicht lieber doch nichts zur alten Rundfunkzeit, so sehr mich diese in ihren mitunter verzweifelten Versuchen betroffener Persönlichkeiten fasziniert, Qualität zu definieren und hochzuhalten. Darin wird aber nur eine Seite der Medaille deutlich. Das gilt nicht zuletzt und ganz besonders auch für den Rundfunk der DDR.
Wenn andererseits im Leben der homines sapientes (???) irgendwo der Prinzipialismus einzieht, nützt diesen der eine Menschentyp, um Solidität in seinem Handeln zu begründen, der andere macht sich nach Kräften wichtig. Übergänge sind dabei fließend, die sachlich vielfältigen Folgen auch. Wir erleben das seit drei Jahrzehnten in den modischen Demontagen einer staatlichen (sprich: gemeinwirtschaftlichen) Infrastruktur in Deutschland. Das als zeitgeistbedingte 'Präambel' vorweg. Gilt aber auch für die Braun- oder Blaubuchzeit.


Wahrscheinlich wird meine Aussage zum Thema, nicht in die oben aufgezogenen Schubladen passen, dennoch wage ich einmal, mich neuerlich als advocatus diaboli zu profilieren:

Matthias' Aussage stimmt natürlich, dass Mikrofonverstärker alles andere als solche Eigenschaften haben, die man vielleicht eher bei Hildegard von Bingen oder Teresa von Avila (den Msytikern..,.) ansiedeln würde. Dazu rechne ich aber auch schon die Aussage, dass die EF86 'jünger' klänge als eine RE084. Baue ich den Impedanzwandler im Mikrofon mit einem geeigneten Ausgangsübertrager auf, ist die RE84 bereits 1928 letztlich da, wo einige Jahrzehnte später die EF86 etwas mehr Platz lässt. Verstärker haben im Rahmen weltweit anerkannter Vorstellungen nicht zu klingen. Tun sie es dennoch, steht dahinter eine Absicht oder eben fachliches Unvermögen eines Konstrukteurs. Die Kapsel und ihre unmittelbare Peripherie sind es prinzipbedingt im Wesentlichen, die einem vernünftig (= 'im Sinne des Erfinders') angewendeten CM3, einem U47 oder einem KM56 die klanglichen Prägungen geben, wenn man sich in die zeitgenössisch gegebenen Umstände einzupassen bereit ist. Da hielt so mancherlei ziemlich lange.
Und Laetitia rekurriert mit ihrer Frage offenbar genau auf diese Tontechnikepoche, in der bestimmte Usancen herrschten, zu denen wir unseren heutigen Standort bestimmen müssen:

'Alles' war mehr oder minder strikt genormt,
übertragergekoppelt,
15-kHz-Begrenzung bestand recht aggressiv und allerorten.
Außerdem gab es immer noch die Frequenzgangvorstellung des "IRT-Kleiderbügels": "...und bei 1000 Hz 'nen Haken".
Wurden die dafür erforderlichen Eingangsparameter durch einen Verstärker nicht eingehalten, erhielt der vom Zentralamt (also Zentraltechnik und Nachfolgern) keine Rundfunkzulassung und die ihn einsetzende Institution musste mit ihrem guten Namen dafür 'haften', dass 'da nichts passierte'. Der Schwarze Peter war also zugeteilt.

Ein Übertrager will zur Wahrung sinnvoll hoher Qualität in Frequenzgang und Klirrfaktor in jeder Hinsicht angemessen, also weder zu gering, aber auch nicht zu stark belastet werden. Gibt man ihm zuviel Luft, steigt der Klirrfaktor, und der Höhenbereich erfährt allzuleicht Resonanzbeulen. Dreht man ihm per Last selbige Luft ab, antwortet er mit Höhenverlust. Das will man beides nicht. Zudem gibt es in der mir eher fern stehenden, neuzeitlichen Musik das Bedürfnis, auch mit Pulsen halbwegs überschaubar zurecht zu kommen, also allzu deutlichen Sättigungserscheinungen aus dem Weg gehen. Man hat das bei den in Frage stehenden Mikrofonen und Eingangsverstärkern -und bis heute als Faustregel- dadurch zu lösen versucht, dass man das Blechvolumen der Übertrager soweit platzmäßig opportun erhöhte, obgleich diese Problemlösung eine eher indirekte ist, die mit "wissenschaftlicher Hygiene" (Zitat: Paul Zwicky) nur eingeschränkt zu tun hat, obgleich sie funktioniert.

Neuzeitliche Verstärker, von denen du, lieber Matthias, sprichst, haben allein aus finanziellen Gründen keine Übertrager mehr; der Markt fordert außerdem diese "Weitbereichseingänge", wo man bis zu 70 dB Verstärkungsvariation auf 270° Potweg anordnet, was signifikante Folgen für den Eingangswiderstand des entsprechend 'variierten' Pulteingangsverstärkers und damit durchaus auch für das übertragergekoppelt vorgeschaltete Mikrofon haben kann. Dieses nämlich wurde von seinen Konstrukteuren zur Verwendung an jenen etwas anders "genormten" Mikrofoverstärkereingängen der braunbuchseligen Epoche (so viele Nachteile wie Vorteile...) vorgesehen. Heute wird der Mikrofonausgang ja durchwegs übertragerlos und sehr, sehr niederohmig (35 bis 50 Ohm) angelegt, womit das seinerzeitige Problem nicht mehr besteht.

Forderungen in Laetitias Fall also:

- Übertragerkopplung bei einem (wegen der Rauschanpassung) halbwegs günstigen Übersetzungsverhältnis zwischen 1:3 und 1:5,
- Kein 'IRT-Kleiderbügel' und keine 15-kHz-Begrenzung, sondern linearer Frequenzgang im üblichen Rahmen bei ordentlichem Mikrofonabschluss der 200-Ohm-Übertragerausgänge im Sinne Neumanns oder Borés: 1,0 bis max 1,8 kOhm. ("leicht angezogene" Spannungsanpassung.)

- Eingangsimpedanz so konstant wie möglich. Minimaler Eigenklirraktor des Verstärkers, der wegen der (möglichst) konstanten Eingangsimpedanz natürlich in 10-20-dB-Stufen geschaltet werden muss und dazwischen eine Feinregelung besitzt.

- Eingangsübertrager klein, preiswert und vor allem leicht erhältlich.

Da wird es nun sehr, sehr eng, zumal ein Hersteller andere Prioritäten setzt als ein Nutzer. Das heißt, dass mindestens einer der Beteiligten zu Kompromissen gezwungen wird. Götz Corinth hat vor Jahren einen hier passenden (professionellen) Mikrofonverstärker konzipiert, der die Rauschzahl bis knapp an die physikalische Grenze rückt. Einen, wenn nicht gar beide der dabei eingesetzten Übertrager gibt es aber nicht mehr. Preis des Übertragers bzw. der Übertrager "Verhandlungssache" beim Hersteller oder Verkäufer. Selbstbau.

Eingangsverstärker Studer 169 bis 369. Schlechtere Rauschzahl als Corinths opus, aber: Leicht nachzubauen, Übertrager recht preiswert noch immer aus aktueller Fertigung (Neutrik) erhältlich, klein. Einfacher Selbstbau. Hochwertig für die Audioproduktion.

Eingangsverstärker Studer 900er-Serie (961 und die Folgen[den]): Schlechtere Rauschzahl als bei Corinth. Übertragerarray offenbar nicht mehr erhältlich, klein, in Klirrfaktor und Intermodulation sehr hochwertig (physikalische Grenze des übertragergekoppelten Verfahrens). Selbstbau daher nicht zuletzt deshalb faktisch ausgeschlossen, weil die Ansprüche an die Fertigungspräzision beim ja nachzubauenden Übertrager sehr hoch sind.

Für den 'Röhrenversessenen' gab es bei Studer ein achtkanaliges Vorverstärkerderivat des 961-Schaltungskonzeptes (D19), das zudem eine Röhre einflickte, die stufenlos komplett in den Verstärkungszug herein- und herauszunehmen war. Dass es dazu digitale Ausgangskarten nach diversen Standards gab, versteht sich von selbst. Das Ding, mit dem Paul Zwicky bei Studer am Ende einer fast 40-jährigen Dienstzeit den Bogen in seine Anfangstage ebendort zurückschlägt, war natürlich sündhaft teuer und ist vergleichsweise selten, könnte aber den Bedürfnissen der bewusst gestalten wollenden Laetitia wohl am ehesten entsprechen. Wenn man vom fantastischen Preis absieht, den der 'Markt' (man kann das Wort nicht mehr hören) sicher noch heute fordert. Und: Sofern es hergeht ....

Ein V41 oder V76 sind heute nicht zu bezahlen und ihre, auf dem Markt erzielten Preise niemals (elektroakustisch) wert. Sie sind Symbole, deren klangliche Ergebnisse im Rahmen zeitgenössischer Fertigungsgenauigkeiten und Prinzipien aber sehr verwandtes Verhalten zeigen, egal ob sie nun diesseits oder jenseits der Halbleitergrenze (V276, 376, PV76 etc. pp.) entstanden, was für die RFZ-Geräte ebenso gilt.

Hans-Joachim
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
[Kein Betreff] - von Laetitia - 25.05.2009, 08:33
[Kein Betreff] - von Huubat - 25.05.2009, 09:09
[Kein Betreff] - von Laetitia - 25.05.2009, 09:33
[Kein Betreff] - von Matze - 25.05.2009, 09:46
[Kein Betreff] - von Laetitia - 25.05.2009, 10:06
[Kein Betreff] - von Matze - 25.05.2009, 11:02
[Kein Betreff] - von PhonoMax - 25.05.2009, 12:24
[Kein Betreff] - von Laetitia - 25.05.2009, 16:11
[Kein Betreff] - von Matze - 25.05.2009, 19:17
[Kein Betreff] - von Laetitia - 25.05.2009, 22:30
Angel Zoom - von user-332 - 26.05.2009, 10:02
[Kein Betreff] - von SoundBoss - 26.05.2009, 10:19
[Kein Betreff] - von Laetitia - 26.05.2009, 10:51
[Kein Betreff] - von PeZett - 26.05.2009, 13:16
[Kein Betreff] - von mk1967 - 25.06.2009, 13:15
[Kein Betreff] - von Laetitia - 27.06.2009, 20:55
[Kein Betreff] - von mk1967 - 16.04.2011, 11:51
[Kein Betreff] - von Laetitia - 20.04.2011, 16:27
Preisentwicklungen... - von user-332 - 27.03.2014, 10:17
[Kein Betreff] - von Friedrich Engel - 27.03.2014, 20:19
TAB V76 und andere - von Magnetophonliebhaber - 08.04.2014, 15:23
[Kein Betreff] - von Laetitia - 08.04.2014, 20:44
[Kein Betreff] - von Magnetophonliebhaber - 15.04.2014, 10:28
[Kein Betreff] - von Magnetophonliebhaber - 15.04.2014, 10:52
[Kein Betreff] - von Laetitia - 05.05.2014, 20:48
[Kein Betreff] - von Magnetophonliebhaber - 10.05.2014, 12:24
[Kein Betreff] - von mk1967 - 01.06.2014, 21:16
[Kein Betreff] - von Magnetophonliebhaber - 11.06.2014, 13:21
[Kein Betreff] - von Laetitia - 17.06.2014, 17:28
[Kein Betreff] - von Magnetophonliebhaber - 17.06.2014, 18:40

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste