einmessen: ein buch mit sieben siegeln?
#12
Lieber Matthias,

seit 1964 änderte sich neben dem Sollbandfluss auch die Cassettenentzerrung hinsichtlich der Tiefenkorrektur öfter, teilweise innerhalb eines Jahres; ein Zustand, der in der traditionellen Aufnahmeszene (obgleich man da ja aus der Frühzeit auch einiges gewohnt war) wohl nicht toleriert worden wäre. Dabei wurden klassisvche Fehler begangen, die hier zu diskutieren, einfach zu weit führte, aber typisch für die aktuelle Computerszene sind ("Lieber komme ich mit einem unfertigen, also miesen Produkt auf den Markt, als mir von einem Konkurrenten die Fersen zeigen zu lassen.")
Die Cassette gehörte aber eben nur der Amateurszene an, weshalb für einen Hersteller die damals noch üblichen Strafaktionen einer Profiszene nicht zu befürchten waren.

Jene Veränderungen wirken sich angesichts der ohnehin labilen Verhältnisse beim Cassettenrecorder (möglichst noch mit DOLBY-B) natürlich 'verheerender' aus als beim 'recht brutalen' Bandgerät, bei dem Bandgeschwindigkeit, Spurbreiten, Kopfträgersituation, alles in allem sehr handfest aufgebaut ist...
Derlei wird im Umkehrschluss nicht zuletzt auch in Michaels Erfahrungskritik an der A77 recht schön deutlich, deren Gesamtanlage -für 1965 auch nur zu verständlich- auf ein 19cm/s-Halbspur-Konzept verweist. Alle Bandgeschwindigkeiten und Spurverhältnisse 'drunter' sind daher zu sehr mit Kompromissen befrachtet und 'nicht mehr so gut', denn jene Engpässe wurden vom Konstrukteur als solche gesehen und auch als solche behandelt. Der Japaner denkt da anders, bläst von unten auf, was für die in den frühen deutschen Traditionen der Fernmelder-Schussfestigkeit stehenden Studer-Buben nicht als artgerecht akzeptiert wurde/werden konnte, auch wenn man hier durchaus andere Wege beschritt als AEG mit der M5, die dem Vernehmen nach bei Studer "der Gussbatzen" hieß.

Und 'plötzlich' aber ist diese Engpasssituation Teil eines vom Verbraucher anerkannten, ja geschätzten Geräteprinzips, nämlich des Cassettenrecorders.
Den B710 nebst Nachfolgern angesichts dessen zu diskutieren, wäre sehr interessant, weil er primär zeigt, dass ein Cassettenrecorder technisch eben kein Bandgerät ist.

Die zeitweise immense Vielfalt auf dem Bändermarkt (Ferrochrom ist nur ein Beispiel) begünstigte auch die geringe Bereitschaft der (Band-)Hersteller, sich an allgemein verbindlichen Normen zu orientieren. Man wollte Bänder verkloppen und tat das skrupellos, weil die meisten Cassettenrecorder ohnehin nicht an die Grenzen der Bänder herankamen, selbst wenn sie sich als Aufnahmegeräte in einem zufällig günstigen Zustand befanden.

Wiedergabemäßig ist es prinzipiell kein Problem, einen Recorder einer bestimmten Entzerrung gemäß elektrisch stabil einzurichten, aufnahmemäßig aber durch die geringe Bandgeschwindigkeit und die bewegte Tonkopfbrücke verschärft sehr wohl (vgl. meine Arien zur Frage der Einmessung...), denn man wusste ja nie, wie man die Vormagnetisierung eines gegebenen Bandtyps einzurichten hatte, weil vielfach überhaupt nicht Datenmaterial heranzukommen war, von den handwerlichen Schwierigkeiten, ein solches Gerät mit Kombiköpfen einzumessen, einmal ganz zu schweigen.
So ist der Cassettenrecorder zeit seines Lebens ein 'Aufnahmeverfahren über den Daumen' geblieben, weil er das Prinzip des Braunmühl-Weberschen Magnetofons eigentlich überfordert (oder eine faszinierende Grenze markiert), ungeachtet der Tatsache, dass es tolle Konstruktionen gab und gibt. Diese aber beweisen -je besser sie sind, umso deutlicher- lediglich die eben gemachte Aussage der Überforderung eines Prinzips.

Tabellarisch ein paar der Änderungen (anhand der Daten einer bedeutenden Magnetbandfirma in Deutschland):
Juni 1964: Bezugfluss 160 pWb/mm, Entzerrung 120+1590µs,Bezugsfrequenz 333 Hz. Spalteinstellkung bei 6,3 kHz. Lieferbar nur als Band, ohne Cassette.
Februar 1968: Lieferbar als Cassette
Juni 1968: Bezugspegel 250 pWb/mm, Spalteinstellung 10khz, neuer Leerteil
Juli 1972: Chrom kommt, 250 pWb/mm, 70+3180 µs
März 1973: Chrom jetzt 70+1590 µs
August 1974: Chrom jetzt wieder 70+3180 µs
usw.

Dies betrifft nur die allergrundlegendsten Normungsfragen der Wiedergabeseite, denen man sich herstellerseits noch allgemein unterwarf. Bezeichnenderweise kamen ja auch die Cassettenrecorder wohl als erste mit den 'öffentlich einstellbaren' Bias-Stellern daher, obgleich die nahezu grundsätzlich mit Kombiköpfen ausgestatteten Cassettenrecorder und die Cassettenrecorderkundschaft wohl die letzten Institutionen des Marktes waren, denen man eine solche Einstellung hätte bedenkenlos zutrauen dürfen.

Geschah aber...

Hans-Joachim
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