Klagewelle rollt
#5
In regelmäßigen Abständen, immer dann wenn die neuesten Verkaufszahlen für unbespielte Tonträger festliegen, stellt die Musikindustrie Hochrechnungen darüber an, wie viel an Umsatz ihr da wohl wieder verloren gegangen sei. Nach der optimistischen Annahme, jeder gekaufte unbespielte Tonträger wäre auch bespielt gekauft worden gäbe es nur die bösen Tauschbörsen nicht, klingt Wehklagen aus dem Grab, daß sich die Industrie nicht nur selber geschaufelt hat, sondern in das sie durch eigene Blödheit auch noch hineingefallen ist.

Da möchte man am liebsten ein paar Schippen Erde drauf werfen, damit es endlich Ruhe gibt. An der negativen Geschäftsentwicklung sind m. E. nicht die Tauschbörsen schuld, sondern die Musikindustrie selber, auch wenn die Rechtslage für die Industrie spricht - leider.

Blick zurück:

Als in meiner Jungend ein Klassenfest just an dem Tag gefeiert wurde, an dem das neueste Led-Zeppelin-Album auf den Markt kam, da erschien ein Teil der Klasse nicht zur Party: Daheim wurden die Aufnahmegeräte in Stellung gebracht, die eigene Anlage war meist ein Radiorecorder. Auf dem Fest hatte jemand an ein Kofferradio gedacht, und darum gruppierten sich die Interessierten, als Frank Laufenberg ab 22.oo die LP vorstellte und dabei komplett spielte. In die Anfänge und Enden wurde eigens nicht hineingequatscht, es gab kluge Kommentare, passende andere Musik dazu, kurz: Für uns war das ein Ereignis. Für die Fans gab es nur Eines: Die Platte musste her, diejenigen, denen das zwar gefiel ohne Fan zu sein begnügten sich mit Copien auf Cassette und Band.

Wer eine Platte herausbrachte und noch neu im Geschäft war bereiste die Sender um Live zu spielen. Auf einem Band fand ich eine herrlich rauhe und ungestüme Version von "Sultans of Swing". Der Kommentar des Moderators "Junge, britische Band, von der man vielleicht noch einiges hören wird: Die Dire Straits." Wie wahr!!

Im Fernsehen gab es sporadisch Musiksendungen, wer was wusste, gab den Programm-Tip weiter, die Erfindung des Rockpalast war eine Offenbarung, der nächste Schallplattenladen 30 km entfernt und der 2001-Versand das Fenster in die große Welt der Kultur, wie wir sie mochten.

Und das war das wesentliche: Die Musik und die dazugehörigen Tonträger waren für uns existenzielles Kulturgut, um das wir kämpften. Eine Kopie eines Tonträgers, ohne Texte und ohne Plattencover, oder Ausschnitte davon aus dem Radio aufgenommen waren 2. Wahl. Was wichtig war, wurde gekauft - im Rahmen des finanziell möglichen natürlich, und so habe ich das bis heute gehalten.

Ein paar Jahre vorwärts:

Während man in den 60ern über die Monkees gelästert hatte, weil das eine gecastete und keine natürlich gewachsenen Band war (dafür verdammt gut, im Vergleich zu heute, ich tue Abbitte) ist es heute gang und gäbe das Künstler "Produkte" sind die hergestellt werden. Die Fa. XY hat einen riesigen Erfolg mit dieser Group, also brauchen wir das auch sagt der Manger einer anderen Company. Er rekrutiert ein paar Gesichter, das Image ist wichtig, den Sound besorgt die Technik. Echte Könner habe es schwer, sich durchzusetzen, wenn schon Acts wie Anastacia oder Pink mit Janis Joplin verglichen werden. Eine Neuerscheinung ist kein Ereignis mehr - es erscheint ständig irgendetwas Neues. Das muss natürlich promotet werden. Gott sei Dank gibt es keine strukturierten Radiosendungen mehr, sondern nur noch einen im Mittelpunkt stehenden Moderator der seine dummen Sprüche verkauft und in den Pausen dazwischen einen von Computerprogrammen errechneten Mix dessen laufen lässt, was die Industrie wieder ins Haus geschickt hat. Viva und MTV laufen Nonstop - wer will schon lesen oder beim hören denken - und so ist rund um die Uhr für flächendeckende Berieselung gesorgt.

Kulturgut?? Nein!! Lauwarmes Wasser, das aus allen Hähnen tröpfelt auch aus denen, die man gar nicht aufgedreht hat. RAMSCH! In Massen dem Volk als Fraß vorgeworfen von einer Industrie, die dieses Produkt nun so behandelt, wie es verkauft wird: Als Ramsch.

Aus welchem Grund soll man 16 Euro für eine supercoole CD ausgeben die schon 2 Wochen später ein alter Hut ist! Die Musik ist ein Soundtrack für eine paar Tage des eigenen Lebens - nicht mehr für ganze Abschnitte. Man braucht den Sound, nicht den Sinn, nicht den Hintergrund, und so tut es eine Kopie, von woher auch immer, vollständig!

Getauscht wurde schon immer. Wenn ich Freunde einlade und Musik vorspiele, so schädige ich theoretisch die Musikindustrie. Wenn ich die Freunde nicht einladen kann, weil sie weit weg wohnen und ich verschicke Bänder, so mache ich das Gleiche. Wenn ich nun ein Teil der Musik, die ich "verteilen" will in ein Forum stelle, damit andere sich etwas herunterladen können, so ist das im Prinzip das, was wir früher auch getan haben, als man sich eine Platte borgte um sie aufzunehmen, weil das Geld nicht für den Kauf reichte. Der Tausch erspaarte nicht den Kauf, er ergänzte ihn.

Die moderne Technik hat dieses Tauschen beflügelt. Die Qualität ist gestiegen, die Verfügbarkeit ist höher, die Bedienung ist bequemer. Was spricht trotzdem dagegen zu tauschen? Wer Musik und die dazugehörigen Tonträger als wertvolles Kulturgut sieht, wird immer nach der höchstmöglichen Qualität, den Originalen streben und diese im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten auch kaufen. Musik ohne Texte und ohne Covers mit Linernotes sind unattraktiv, und sich alles zu besorgen, zu kopieren, auszudrucken mit viel Mühe verbunden. Da fällt der Griff zur gekauften CD leicht.

Wohlgemerkt: Das ist bei denen Leuten so, die die Musik und die Tonträger als medienübergreifendes Kulturgut sehen. Die Industrie hat sich aber eine ganz andere Kundschaft herangezogen, die Consumer, die sich berieseln lassen und die sich weniger mit Musik auseinander setzen. Dazu hat sie Massen von Tonträgern auf den Markt geschmissen, die verkauft werden sollen - das kann nicht gut gehen.


Auch wenn die Juristen für die Musikindustrie sprechen - die ist an diesem Desaster selber schuld. Soll sie sich halt mal was anderes einfallen lassen als einen Jewel-Case mit unlesbar kleinen Texten auf liebloser Papierbeilage. Asl schlampige Reissues. Als künstlerische Blaupausen des immer Gleichen. Wenn ein biederer Handwerker wie "Max" als Hoffnung für den Schlager-Contest gilt, bloß weil er ganz gut singen kann, so sagt das über das Niveau der Branche einiges aus. Qualität wird sich verkaufen. Qualität wird aber immer weniger angeboten. Das der Ramsch kopiert wird, heißt noch lange nicht, da würde jemand auch Geld dafür ausgeben.

Was würden wir über die Fa. VW denken, wenn sie plötzlich die Produktion des "Golf" verzehnfachen würde, den Preis bei schlechterer Qualität beibehalten um dann gegen diejenigen Leute zu Feldezu ziehen, die sich im gekauften Auto den Luxus leisten, jemanden mitzunehmen.

Genau! Das gleiche gilt für die Musikindustrie!

- Michael -
Michael(F)
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