Bandmaterial für cremigen, fotorealistischen 70ies Klang
#69
Einmal im Galopp durch den Garten: Kurze Erklärung von Bandeigenschaften, wie sie in einem Datenblatt nachzulesen sind. Mein Beispiel ist das EMTEC-Datenblatt zum LPR35 von 1999, bei 9.5 cm/s - es geht aber nur um die qualitativen Zusammenhänge.

Auf der x-Achse ist immer der Vormagnetisierungsstrom abgetragen - logarithmisch (also in dB), wie üblich nach rechts zunehmend. Auf der y-Achse ist im Wesentlichen immer "sowas wie ein Pegel" - aber die Interpretation ist je nach dargestellter Größe leicht unterschiedlich.

So ein Datenblatt wird immer bei normgerechter Entzerrung auf der Wiedergabeseite gemessen - also so, dass ein Bezugsband mit dem genormten Bandfluss zu einer Wiedergabe mit glattem Frequenzgang führt. Für die Aufnahmeseite aber wird ein flacher Frequenzgang des Aufnahmeverstärkers verwendet, um nicht Geräte- und Bandeigenschaften zu vermischen. Im Betrieb ist dann aber eigentlich immer eine Höhenanhebung der aufzunehmenden Signals vorhanden - das kann beim Ablesen erstmal verwirrend sein.

So, erstes Beispiel, die Empfindlichkeit (Sensitivity, S):

   

Wenn man ein Eingagnssignal von konstantem Pegel bei -20 dB anlegt und einmal den Bias-Regler von Anschlag zu Anschlag dreht, wird das hinter Band abgespielte Signal lauter und leiser. Der Effekt ist bei tiefen Frequenzen moderat und bei hohen Frequenzen drastisch.

Kurz zur Skala: Die dB-Skala auf der linken Seite entspricht einem Ausgangssignal relativ Bezugspegel. Selbiger ist oben rechts an der zweiten Skala abzulesen - nämlich dass hier 0 dB hier als 250 nWb/m definiert sind, wie auch in der Norm und BASF-Datenblättern üblich. Die genaue Wahl des Bezugspegels ist letztlich egal - die Bandeigenschaften hängen an nWb/m, die dB muss man notfalls umrechnen.

Blau wird "S315" gezeigt, also die Empfindlichkeit für ein Eingangssignal von 315 Hz und -20 dB. (Der Punkt, wo -20 dB am Eingang wieder -20 dB am Ausgang entsprechen wird über den Bezugsband-Leerteil definiert, also die Eigenschaften eines bestimmten Bands, auf das man sich geeinigt hat, in diesem Fall "C264Z"). Rot markiert ist hier die Empfindlichkeit für ein Signal von 10 kHz. Sie fällt mit steigendem Bias drastisch ab.

Vorgriff: Im richtigen Betrieb ist der Bias idealerweise für dieses Band so eingestellt, dass er bei der 0 dB-Marke der x-Achse liegt. An dieser Stelle ist also der Empfindlichkeits-Unterschied zwischen 315 Hz (Bezugsfrequenz) und 10 kHz schon ca. 7.5 dB - diese Differenz gleicht die oben erwähnte Höhenanhebung im Aufnahmeverstärker im Normalbetrieb aus, aber nicht im Datenblatt.

Wenn man also diese Höhenanhebung bei der Aufnahme nicht verändert, oder nicht verändern kann (normal bei Heimgeräten, bis hin zur B77), dann gilt "je mehr Bias desto weniger Höhen". Daher kommt die Einmessanweisung vieler Geräte - einen tiefen und hohen Ton auf gleichen Pegel bringen, dann wird wenigstens der Frequenzgang glatt, bei festgelegter Höhenanhebung.

Nun zum Klirrfaktor (Total Harmonic Distortion oder Third Harmonic Distortion, THD):

   

Die antisymmetrische, kubische Kennlinie des Magnetband-Aufzeichnungsvorgangs sorgt dafür, dass bei steigendem Pegel immer mehr der dreifachen Frequenz hinzugefügt wird, eben die "dritte Harmonische". Das wird als Verzerrung, eben "Klirren" wahrgenommen.

Blau markiert ist hier die Kurve "THD250" - also die "Stärke" des Klirrfaktors, wenn man ein Signal mit Bezugsfrequenz (315 Hz) und Bezugspegel (eben 250 nWb/m) aufzeichnet. (Deswegen blau, weil "tiefer Ton", und rot für "hoher Ton"). Den Klirrfaktor in Prozent findet man auf der Skala rechts unten. Die dB-Skala links funktioniert auch - denn 1% sind genau -40 dB, und 3% ca. -30.46 dB. Das wäre der Pegel des neuen Obertons von 3*315 Hz = 945 Hz alleine.

Wie man sieht hat der Klirr ein deutliches Minimum, wenn man den Bias-Regler wieder von Anschlag zu Anschlag dreht - dort will man normalerweise seine Aufnahmen machen, und dort liegt hier auch der vom Hersteller empfohlene Vormagnetisierungsstrom (gleich Nullmarke der x-Achse).

Weiter zur Aussteuerbarkeit (Maximum Output Level, MOL, und Saturation Output Level, SOL):

   

Wenn man jetzt den Pegel der Aufzeichnung weiter erhöht, dann steigt der Klirrfaktor. Irgendwo definiert man eine erträgliche Grenze - üblicherweise bei 3%, manchmal auch bei 1%.

Die Tiefenaussteuerbarkeit bei Bezugspegel (315 Hz, deswegen MOL315, blaue Kurve) ist jetzt einfach die Kurve, die sich ergibt, wenn man für jeden Bias-Strom das Signal bis 3% Klirr erhöht. Dieser Punkt liegt hier bei gut +10 dB über Bezugspegel, also bei einem Bandfluss von ca. 790 nWb/m, wenn man im empfohlenen Arbeitspunkt ist.

Für die Höhenaussteuerbarkeit ist die dreifache Frequenz für die Bestimmung des Klirrfakturs klassisch schwer zu messen und unpraktisch - deswegen verwendet man hier eine Angabe, bei welchem Pegel das Band in die Sättigung geht, also wann der Ausgangspegel nicht mehr steigt, obwohl man den Eingangspegel erhöht. Den Verlauf sieht man an der roten Kurve (SOL10, Sättigung bei 10 kHz). Im Beispiel und bei x=0 sind das 4 dB unter dem Bezugspegel. Wenn man also einen 10 kHz-Ton mit 0 dB einspeist, kommen nur -4 dB hinten raus, weil das Band gesättigt ist.

(Warum kann man dann trotzdem einen flachen Frequenzgang haben? Der wird nicht bei Bezugspegel, sondern bei -20 dB gemessen. Warum? Amplitudenstatistik, das passt einfach zu Musik und Sprache, die man üblicherweise aufnimmt. Mehr führt hier zu weit, bitte nachlesen.)

Wichtig: Die beiden Kurven verlaufen gegensätzlich. Die Tiefenaussteuerbarkeit steigt mit dem Bias, die Höhenaussteuerbarkeit sinkt mit höherer Vormagnetisierung. Der Abstand der beiden Kurven sollte nicht zu groß werden - wenn doch, muss man einen Kompromiss machen und manchmal aus dem Klirrminimum etwas "nach links" rutschen, um seinen Arbeitspunkt zu wählen, besonders bei kleinen Bandgeschwindigkeiten.

Zum Schluss noch alles zusammen:

   

Diese Darstellung findet man so im Datenblatt. Sättigung und Empfindlichkeit sind noch für andere Frequenzen angegeben - der Verlauf wird drastischer, je höher die Frequenz ist. THD IEC weiß ich gerade nicht auswendig - spielt aber fürs Verständnis erstmal keine Rolle. BN IEC ist das Bias Noise, also Rauschen durch die Vormagnetisierung - mit recht wenig Abhängigkeit von deren Stärke.

Interessant ist noch die Angabe "ΔS 6.3 = -4.5 dB" - das ist nämlich eine praktische Einmesshilfe. Die Größen THD, MOL und SOL direkt zu messen ist relativ aufwändig (siehe z.B. Band-Kenndaten messen) und im praktischen Einmessbetrieb eigentlich nicht möglich. Weil aber die Empfindlichkeit in den Höhen so stark vom Bias abhängt, kann man den Verlauf sozusagen als Lesezeichen verwenden, um den vom Hersteller vorgeschlagenen Arbeitspunkt zielsicher einzustellen:

Dabei speist man einen 6.3 kHz-Ton bei -20 dB ein (oft auch 10 kHz) und dreht den Bias-Regler vom "Linksanschlag" (kann auch mal rechts sein, halt vom kleinsten VM-Strom aus) hoch, bis der Ausgangspegel sein Maximum erreicht. Den Wert merkt man sich, und dreht weiter, bis er um den den vorgegebenen Wert abgefallen ist - hier wären das 4.5 dB. Diese Größe hat sonst keine weitere innere Bedeutung, sondern ist wirklich nur ein Proxy, der sich leicht messen lässt.

Nebenbei bemerkt: Alle Eigenschaften sind nur für die angegebenen Messbedingungen gültig: Natürlich die Bandgeschwindigkeit, aber auch die Entzerrung (ja, könnte man theoretisch umrechnen), und auch die Spaltbreite des Aufnahmekopfes. Da muss man hoffen, dass die Datenblätter in der Nähe dessen liegen, was man selbst so auf der Maschine hat (ist bei Dreikopf-Geräten mit 5-10 µm meist ok, bei Kombikopf-Geräten eher problematisch, bei Rundfunkmaschinen mit breiteren Spalten muss man ins passende Datenblatt schauen, das wurde dann extra gemessen).

Natürlich ist dies hier nur eine extrem verkürzte Zusammenfassung, und ersetzt nicht, sich das mit der üblichen Literatur nochmal in Ruhe klarzumachen. Trotzdem hilft es vielleicht schon, manche der oben diskutierten Zusammenhänge besser zu verstehen und richtig einzuordnen.

(Hoffentlich habe ich jetzt keine zu groben Schnitzer drin - auch wenn ich mir meiner Sache relativ sicher bin, lesen doch hier gelegentlich die wirklichen Meister mit... bis hin zu der Legende, die diese Datenblätter letztlich erfunden und etabliert hat... seid gnädig - ich lerne aber gerne dazu!)

Viele Grüße
Andreas


Nachrichten in diesem Thema
RE: Abstreiter - von user-332 - 13.10.2022, 14:34
Zeitstehler unterwegs - von user-332 - 03.11.2022, 13:21
RE: Bandmaterial für cremigen, fotorealistischen 70ies Klang - von andreas42 - 15.10.2022, 23:00
Schimmerlos - von user-332 - 03.11.2022, 13:38

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