Software "AudioTester" zur Messbandherstellung - ohne Bezugsbandverschleiß
#1
Heute wieder etwas für die Spezialisten unter den Magnetbandlern.

Zur Zeit arbeite ich daran, ein Verfahren zu verfeinern, das bei der Messbandproduktion den kontinuierlichen Abgleich der Mastermaschine auf die primären Bezugsbänder (BB) verkürzen bzw. ganz ersparen helfen soll, und zwar mit dem – an sich bekannten & bewährten – Prinzip der direkten Signaleinspeisung am Wiedergabekopf (WK) mit anschließender Kompensation der Wiedergabeverstärker(WV)-Frequenzentzerrung mit Hilfe des Audiomessprogramms „AudioTester“.

Die Kurzfassung

Nach sorgfältiger Einmessung des WV ab Bezugsband dokumentiere ich wie bisher per Pegelschrieb und Tabelle die Abweichungen vom ideal geraden Frequenzgangverlauf, und seit neuestem zusätzlich die bei dieser Einstellung tatsächlich vorhandene Wiedergabeentzerrung in einer Korrekturdatei, die dann „AudioTester“ zur Kompensation dient.

Durch diese Korrelation brauche ich zur Prüfung des Abgleichs der Mastermaschine auf das primäre BB nur noch die aktuelle Entzerrungskurve auf Gleichheit mit der dokumentierten Referenzkurve zu prüfen bzw. zu justieren. Dies funktioniert, solange der WK seine Eigenschaften beibehält. Was dabei bis jetzt herausgekommen ist, scheint schon mal vielversprechend zu sein, und meine Bezugsbandsammlung freut sich über wohlverdienten Urlaub.

Anlass der ganzen Aktion war das sog. „Anti-EQ Modul“ von Ernst Schmid (siehe http://www.pievox.de/Anti_EQ%20Amplifier.html), dem ich vor zwei Wochen zufällig begegnete und das mich stark an die Grundidee hinter dem „Magnetton-Betriebsmessgerät R57“ erinnerte (bekannt auch als „EMT 203“ von ca. 1955, vollständig passiver Aufbau, betriebsfähige Exemplare kaum noch aufzutreiben): Sind die Übertragungseigenschaften des WK einmal definiert und bekannt, lässt sich der Frequenzgang des WV auch ohne Bezugsband justieren, mit derselben oder besseren Reproduktionsgenauigkeit.

Schmid beschreibt das Prozedere auf diese Weise: Zunächst Frequenzgang mit dem BB messen, Messwerte dokumentieren (z.B. 40 Hz -1,2 dB / 10kHz +1,5 dB …). Anschließend Messung des WV-Frequenzgangs mit WK-Einspeisung. Hierdurch ist die Korrespondenz der Messwerte ab BB und ab Einspeisung gegeben, und man kann in Ruhe und ohne BB-Verschleiß die Abweichungen ausgleichen, nachzulesen hier:
http://pievox.de/Beschreibung%20Einspeis...7_0904.pdf.

Theorie und Praxis im Einzelnen

Zunächst stellt man wie gehabt den WV-Frequenzgang ab BB möglichst linear ein, dokumentiert die verbleibenden Abweichungen und ermittelt die hierfür nötige Entzerrungskurve des WV durch Direkteinspeisung eines frequenzlinearen Sinus in den WV. Vorteilhaft ist hier eine Stromspeisung über einen hochohmigen Widerstand in den WK, dessen Wechselstromwiderstand im Spannungsteiler für einen Ausgleich des ω-Gangs sorgt:

[Bild: a77_wk-einspeisung_klein.jpg]

(Bei dieser Einspeisungsart bilden die tiefsten Frequenzen aufgrund des endlich kleinen ohmschen Widerstands der WK-Spule eine Ausnahme, doch spielt dies dank der Frequenzgangkompensation keine Rolle: Schickt man das so erhaltene Signal über ein Entzerrernetzwerk mit inversem Verlauf, so verläuft der resultierende Frequenzgang idealerweise geradlinig.)

Ein Nachteil des R57 wie auch des „Anti-EQ-Filters“ ist die bestenfalls schaltbare Entzerrungskurve (von der Tiefenkorrektur in Schmids Bauvorschlag abgesehen), wodurch sich verändernde Übertragungseigenschaften des WK unberücksichtigt bleiben und die Verwendung mit anderen Bandmaschinen- und WK-Typen erschwert bis unmöglich wird. „AudioTester“ hingegen bietet eine elegante Möglichkeit, durch Korrekturdateien nahezu beliebige Frequenzveränderungen zu erzeugen bzw. zu verarbeiten (ein Feature, das ursprünglich zur Frequenzgangkorrektur mittelmäßiger Soundkarten, Messmikrofone, Lautsprecher etc. gedacht war).

In der Praxis zeigt sich das Verfahren recht einfach und übersichtlich.
Hier ein originaler Pegelschrieb ab BB 38 nach Justage des WV:

[Bild: m15amkt-basfbbb38no210-92-halb.jpg]

Die zugehörige WV-Entzerrung für beide Kanäle, ermittelt nach der Einspeisemethode:

[Bild: m15a3016mkt-basfbbb38no210-92-.jpg]

Der Höhenanstieg zeigt die tatsächliche Entzerrung des WV zum Ausgleich der genormten Bandflusskurve (hier 35 µs) sowie sämtlicher Abtastverluste. Der Tiefenanstieg ist wie erwähnt dem Kupferwicklungswiderstand des WK geschuldet. Dies stört bei meinem Verfahren aber nicht, denn nach Adam Riese sollte der Frequenzgang wieder geradlinig verlaufen, indem man das so erhaltene Signal durch ein Entzerrernetzwerk mit inverser Frequenzkurve schickt. In der Praxis sieht das so aus:

[Bild: m15a3016mkt-basfbbb38no210-92-.jpg]

In Kenntnis der zu fordernden Genauigkeit würde ich das Resultat als durchaus erfreulich bezeichnen.

Die Frequenzkurve des WV für den linken Kanal dient nunmehr als Ausgangsbasis für alle folgenden Diagramme und als Grundlage für die Messbandherstellung. Sie ist quasi das elektrische Gegenstück des zuerst gezeigten Original-BB-Pegelschriebs, das heißt, die Entzerrungseinstellungen des WV können auch nach Monaten an dieser Frequenzkurve überprüft und ggf. neu justiert werden, ohne dass dafür erneut ein BB bemüht werden muss.

Nach diesem Abgleich der WV-Entzerrung wird ein neues Messband mit genauer Reproduktion der Bezugsbandpegel im zweiten Bild aufgezeichnet, einschließlich der Durchschnittswerte der unvermeidlichen Abweichungen (die im gezeigten Beispiel beim meist problematischeren Höhenfrequenzgang nur wenige Prozent betragen).

Zur Brauchbarkeitsprüfung der Methode habe ich die Position der Trimmer für Tiefen und Höhen I nach der Justage des WV zunächst markiert und danach um einen winzigen Hauch verstellt („Schraubendreher einmal kurz scharf angesehen“). Die Wirkung ist eklatant:

[Bild: m15a3016mkt-basfbbb38no210-92-.jpg]

Ohne Zwischenschaltung einer Korrekturdatei müsste man die Änderungen auf einer 16 dB oder mehr umfassenden Skala ablesen, wo dB-Bruchteile nicht so deutlich ins Auge springen. Mein „Umweg“ über die Frequenzgangkompensation dient vorwiegend dem Zweck, die dB-Skala zu strecken.

Interessehalber habe ich danach die WV-Entzerrungskurve auf NAB umgeschaltet (die M15A hat dafür schaltbare Huckepack-Karten auf den Audioverstärkern), die Korrekturdatei für CCIR behielt ich jedoch bei. Hierdurch werden die Unterschiede der WV-Entzerrung für NAB (unten) und CCIR (oben) abgebildet:

[Bild: m15amkt-hk-stromeinspeisung10-.jpg]

Leichter interpretierbar werden diese Differenzen, wenn eine Kurve (hier CCIR) als Referenz dient, also linear abgebildet wird – wiederum dank der Kompensation:

[Bild: m15amkt-hk-stromeinspeisung10-.jpg]

Natürlich lässt sich mit der Einspeisemethode auch der Phasengleichlauf der WV prüfen, damit nicht bei der 10-kHz-Azimutjustage der klassische Anfängerfehler unterläuft, eine etwaige Phasendifferenz der WV durch Schiefstellung des WK-Spalts auszugleichen.

Hier eine zeitgleiche Pegeldifferenz- und Phasenmessung bei 19 und bei 38 (die jeweils hellere Kurve):

[Bild: m15amkthk-stromeinspeisungphas.jpg]

Der Herstellungsablauf des Frequenzgangteils auf dem Messband bleibt im Prinzip derselbe wie bisher: Das (vollspurige) Messband soll bei der Aufzeichnung der Normfrequenzreihe „Hinterband“ die gleichen Pegel der einzelnen Frequenzen erzeugen wie das (vollspurige) BB.

Das geht relativ bequem mit einer DAW, wo die Pegel der einzelnen Frequenzen einzeln und unabhängig voneinander justiert werden können (wobei die beiden Wiederholungen ab 4 kHz durch Verlinkung mit den Frequenzen des ersten Durchgangs automatisch mit geändert werden). Auf diese Weise wird auf dem Messband der Frequenzgang exakt reproduziert, den auch das BB bei Wiedergabe auf derselben Mastermaschine hatte.

Der tatsächliche Frequenzgang des WV spielt bei alledem eine untergeordnete Rolle, da er sowohl dem BB als auch dem Messband überlagert wird und deswegen aus einem Vergleich zwischen beiden herausfällt. Deswegen ist es auch möglich, bei unveränderter Entzerrung und Justage der Bandmaschine im nächsten Durchgang ein NAB-Messband aufzuzeichnen, das dem primären NAB-BB in Pegel und Frequenzverlauf präzise gleicht.

Das Verfahren funktioniert prinzipiell genau wie in van Bommels „Entzerrung in der magnetischen Schallaufzeichnung“ beschrieben, nur dass die zu korrigierenden Abweichungen nicht vom BB, sondern vom WV stammen:

[Bild: vanbommel-dieentzerrung1973p41.jpg]

WK-Ersatzschaltungen und Messadapter sind schon vor den ersten Entzerrungsnormungen beschrieben worden, z.B. in „Grundsätzliche Anforderungen an Magnetofonanlagen und Richtlinien zu deren Einstellung“ (in F. Krones „Die magnetische Schallaufzeichnung“ 1952). Einer der Autoren dieser Richtlinien (Dr. Hans Schiesser, RTI Hamburg) beschreibt diese Hilfsmittel so (in F. Winckel „Technik der Magnetspeicher“ 1960, S. 591):


Zitat:Zur Einstellung von Magnettonanlagen sind Hilfseinrichtungen im Handel, die die normenmäßigen … Geräteeigenschaften für Messzwecke nachbilden:

1) Hörkopf-Ersatzschaltungen bilden den Scheinwiderstandsverlauf von Hörköpfen für Messungen des Wiedergabeverstärkers nach.

2) Einspeisespulen induzieren in einen Hörkopf einen Fluss, der in Intensität und Frequenzgang dem vom Bezugsband verursachten entspricht. Auf diese Weise können Wiedergabekanäle ohne Band, ohne Auftrennung des brummempfindlichen Eingangskreises und ohne Einfluss der Hörkopfimpedanz eingemessen werden. Sie ermöglichen die Bestimmung des Übertragungsmaßes von Hörköpfen und die Prüfung von Bezugsbändern unter der Voraussetzung des Vorhandenseins eines Hörkopfes von bekanntem Übertragungsmaß.

3) Hörkopf-EMK-Ersatzschaltungen geben eine galvanisch in den Eingangskreis des Wiedergabeverstärkers einzuspeisende EMK ab, die der vom Bezugsband induzierten für einen bestimmten Kopftyp entspricht.

Meinen Weg würde ich als Variante von 3) bezeichnen, die – dank der erweiterten Möglichkeiten digitaler Messtechnik – in Verbindung mit einem geeigneten BB als Referenz für jede Kombination aus WK und WV verwendbar ist.

* * * * *

Zufällig habe ich zwischenzeitlich im Archiv zwei vorgeschlagene Ersatzschaltungen aus der Entstehungszeit der CCIR-Magnetbandnormen aufgestöbert:

[Bild: normenvorschlag1950.jpg]

Das deutsche Entzerrernetzwerk ergibt zwar eine genügend lineare Frequenzkurve am WV-Ausgang, setzt aber einen WK voraus, dessen Eigenschaften definiert und bekannt sind. Aus diesen und anderen Gründen hat sich der Vorschlag damals international nicht durchsetzen können; der Grundgedanke eines Referenzkopfes wurde erst 30 Jahre später in die IEC 94 aufgenommen.

Auch von Revox (G36) und Telefunken gab es frühe Empfehlungen zur direkten Einspeisung in den WV. Hier eine aus dem SM für die M5:

[Bild: m5sm.jpg]

Wie im gezeigten Normenvorschlag wird hier die Einspeisung über einen kleinen Widerstand am WK-Fußpunkt vorgenommen. Hierdurch wird am WV-Ausgang die tatsächliche WV-Entzerrungskurve sichtbar, wie sie z.B. 1964 im „Telefunken Laborbuch“ dargestellt ist (bei Studiogeräten lag allerdings schon damals die Resonanzüberhöhung eher bei 20 als bei 12 kHz :whistling: ):

[Bild: telefunkenlaborbuch2-magnetton.jpg]

Nach einigen Überlegungen habe ich mich schließlich als Basis meiner ersten Experimente für die Stromspeisung entschieden, wie sie im SM zur Revox A77 vorgeschlagen wurde. Hierdurch wird der Pegelbereich für die Kurveninversion nur noch halb so groß, und außerdem musste ich dafür nicht die Leiterbahnen der WV-Platine durchtrennen, weil die WK-Verbindung zum Eingangsübertrager nicht unterbrochen werden braucht.

Soweit erstmal.
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Software "AudioTester" zur Messbandherstellung - ohne Bezugsbandverschleiß - von Peter Ruhrberg - 17.02.2018, 20:49
[Kein Betreff] - von MichaelB - 17.02.2018, 21:54
[Kein Betreff] - von Peter Ruhrberg - 17.02.2018, 21:59
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[Kein Betreff] - von kaimex - 08.03.2018, 14:48
[Kein Betreff] - von Peter Ruhrberg - 08.03.2018, 15:33

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