Klirrfaktor messen - zu Fuß...
#15
Moin moin,

da seit dem letzten Beitrag schon wieder geraume Zeit verstrichen ist will ich mal einen kurzen Zwischenbericht über meine Simulationsversuche geben.
Aufgrund von Joseph's Hinweis hab ich weiter die klassische Literatur studiert und ein bischen nachgedacht. Dabei kam heraus, daß der obige Ansatz ziemlicher Unfug war.
Ein besseres Modell berücksichtigt, daß eine Stelle auf dem Band sich am Aufnahmekopfspalt vorbei bewegt und dabei aus dem entmagnetisierten Zustand heraus ein zunehmendes Feld bestehend aus Audio-Signal und HF-Vormagnetisierung sieht. Direkt vor dem Spalt gibt es dann ein Pegelplateau und hinter dem Spalte klingt das Feld allmählich wieder auf Null ab. Mit dieser zeitlichen Feldverlaufsfunktion wird die Hysterese-Schleife der Bandpartikel durchlaufen. Typische Feldverläufe sind zB im Buch von E.Christian "Magnettontechnik"(1969) S.148 abgebildet. Detailliertere Überlegungen führen sogar zu der Erkenntnis, daß für den auf Band gespeicherten Wert nur der Feldverlauf nach dem letzten Feldmaximum maßgebend ist. Da sich das zumindest Oberflächen-nah in der Nähe der Hinterkante des AK-Spaltes befindet, kommt daher auch die vereinfachte Aussage, daß die Aufnahme an der Hinterkante des Spaltes stattfindet und nicht etwa in der Mitte vor ihm.
Eine Simulation des Aufnahmevorgangs muß dies also nachbilden. Interessiert man sich zunächst mal für das Verhalten bei tiefen Audio-Frequenzen, kann man bei den hier relevanten Zeitverläufen weitere Vereinfachungen vornehmen:
Bei einer Spaltebreite von 7µm und einer Geschwindiglkeit von 19 cm/s benötigt eine Stelle auf dem Band ca. 37 µs für die Passage des Spaltes und wohl ähnliche Zeiten für die Auf- und Abklingzonen davor und dahinter. Bei einer Frequenz von 333 Hz sind das gerade mal 4,4°, bei 1kHz ~13°. In der Zeit ändert sich das Signal kaum, kann also näherungsweise als konstant betrachtet werden. Ein Faltungs-Integral über Vergangenheit und (relative) Zukunft sind erstmal unnötig. Die Vormagnetisierung macht bei 100 kHz gerade mal 3,7 Schwingungen in der Zeit. (Bei 9,5 cm/s verdoppeln sich natürlich die Grade und Schwingungen). Ein erster Ansatz würde also ein konstantes Basis-Feld plus ein paar Sinus-Schwingungen Bias mit einer grob als Trapez-förmig beschriebenen Pegelfunktion beaufschlagen und auf die Hysterese-Kurve "loslassen".
Das habe ich gemacht und dabei nacheinander zwei verschiedene analytische Hysterese-Bescherungen ausprobiert. Als Hystereskurve habe ich dabei Daten von BASF DP26 und die Form von AGFA FR4004 angezielt, da ich dafür Spezifikationen fand.
Das erste Hysteremodell von J.Chan macht leider teilweise unsinnige innere Hysterese-Schleifen, die sogar die Sättigungsschleife verlassen. In der Erweiterung/Verbesserung von M.Engelhardt werden die zwar beseitigt, aber die Beschreibung der Methode in seiner Patentschrift ist unvollständig und die Implementation (auch in LTspice, wofür er sie gemacht hat) stellte sich als numerisch unstabil heraus.
Als nächstes habe ich das "bewährte" und in der Literatur vielfach erwähnte Jiles & Atherton Modell ausprobiert. Die Implementierung ist auch nicht ganz "ohne" numerische Hürden, insbesondere, wenn die Sättigungshysteresschleife sehr steile Äste hat, schlimmer ist aber, daß innere Hystereseschleifen physikalisch unsinnige Verläufe zeigen. Dieses Modell ist wohl leider nur für Zyklen konstanter Amplitude geeignet. Für die Simulation der auf Band gespeicherten Remanenz ist aber ein "vernünftiger" Verlauf gerade der inneren Hysterese- Schleifen wesentlich.
Darauf hin habe ich diese Ansätze hinter mir gelassen und Literatur über das Preisach-Schwantke-Modell von Hysterese und Speicherung auf Band studiert. Außer den bereits genannten Büchern von F.Winckel, E.Christian, E.Altrichter und Friedrich Engel ist hier auch noch die ältere Ausgabe von F.Winckel 's Buch von 1960 lobend zu erwähnen, weil es nicht nur ein Vorläufer der Ausgabe von 1978 ist, sondern eine Fülle weiterer Detail-Informationen über Band-Eigenschaften enthält, die später anderen Information weichen mußten. Hinzu kamen noch ein paar spezielle PDFs aus dem Internet und persönliche Hinweise von F. Engel und Peter Ruhrberg, der mich auch auf diese klassischen Bücher aufmerksam gemacht hat.
Nach anfänglichem Graus vor dem Ansatz stellte sich dann die Implementierung als weit weniger schwierig als befürchtet heraus.
Inzwischen läuft die Simulation, allerdings wäre "schleicht" die passendere Beschreibung. Sie gewährt mehr einen "Zeitlupen-Einblick" in die Vorgänge. Die berechneten effektiven Remanenz-Funktionen zeigen richtiges Verhalten und die Empfindlichkeitsfunktion vs. Vormagnetisierungspegel sieht auch schon Literatur-ähnlich aus. Der Verlauf von MOL3% und k3 ist noch ein bischen von den typischen Kurven in Banddatenblättern entfernt. Da tüftele ich noch an den rechentechnischen Details herum.
Es kann auch daran liegen, daß das Preisach-Modell zwar "vernünftige" innere Hysteresschleifen gestaltet, daß ich da aber noch nicht genug Band-typisches Verhalten hinbekommen habe, einerseits wegen nicht vorhandener Daten, andererseits weil der verwendete Belegungsfunktions-Generator sich nur an der Sättigungsschleife orientiert. Die zweidimensionale "Belegungs"-Funktion ist der "Stoff" aus dem die Preisach-Methode das konkrete mathematische Hysterese-Modell erzeugt. Gibt's nicht beim Discounter, nur (leider auch nur unvollständig) in einigen klassischen Werken der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Es gibt also noch was zu tun, sieht aber (viel)versprechend aus...
Ach so, falls von Interesse, ist alles in Octave programmiert.

MfG Kai
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Klirrfaktor messen - zu Fuß... - von andreas42 - 11.11.2016, 23:59
[Kein Betreff] - von kaimex - 12.11.2016, 14:29
[Kein Betreff] - von andreas42 - 12.11.2016, 21:18
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[Kein Betreff] - von kaimex - 04.12.2016, 13:08

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