HiFi Qualität mit Tonbandgerät erst ab 9,5cm/s - warum?
#3
Hallo Jörg,

das ist die Frage aller Fragen beim Tonband - d.h., nicht ohne weiteres zu erklären. Ich will es, unter Verzicht auf allzu tiefes Eindringen in die Materie und ohne komplizierte Grafiken, einmal so versuchen:

Halt, erst müssen wir uns über eine Spielregel klar werden: auf dem Tonband zählt nicht die Frequenz, sondern die Wellenlänge. Faustregel: bei 10 kHz ist die Wellenlänge (in µm) gleich dem Zahlenwert der Bandgeschwindigkeit; also: bei 38 cm/s haben wir als Wellenlänge 38 µm, bei 4,76 cm/s demnach nur noch 4,76 µm (und: halbe Werte bei 20 kHz, doppelte bei 5 kHz - alles klar?).

Nun muss man wissen, dass Magnetfelder umso weiter aus der Magnetschicht (eines bespielten Bandes) heraustreten, je länger sie sind. Das hat zur Konsequenz, dass unterhalb einer bestimmten Wellenlänge die im Wiedergabekopf induzierte Spannung immer kleiner wird, weil die Magnetfelder aus oberflächenfernen Bandschichten die Oberfläche nicht mehr (ganz) erreichen - die Wiedergabespannung sinkt mit abnehmender Wellenlänge (also ansteigender Frequenz) auch dann ab, wenn die Schicht "von vorn bis hinten" durchmagnetisiert ist, wovon man (auch wenn das viele nicht glauben wollen) im allgemeinen Fall ausgehen kann.

Diese "Schichtdickendämpfungs-Verluste" gleicht man durch die standardisierte Höhenanhebung im Wiedergabeverstärker aus - hebt damit aber das unvermeidliche Bandrauschen mit an.

Wir haben jetzt einen ersten Übersichtspunkt: je länger die Wellenlängen bei kürzesten Wellenlängen, umso weniger Wiedergabe-Entzerrung ist notwendig, umso geringer ist das Rauschen. Wie erreicht man das? Nur mit entsprechend hoher Bandgeschwindigkeit!

Die Schichtdickendämpfung hat aber noch eine andere Konsequenz. Wenn Du ein Magnetband-Datenblatt zu Hand nimmst, siehst Du, dass die Aussteuerbarkeit bei tiefen Frequenzen (also langen Wellenlängen) deutlich höher ist als bei hohen Frequenzen, und zwar um beachtliche Beträge. Das wiederum hat zur Folge, dass man bei hohen Lautstärken obertonreicher Musik nicht über das ganze Tonhöhenspektrum gleich hoch aussteuern kann - da hilft Mutter Natur, indem sie bei den meisten musikalischen Ereignissen die Mittellage stärker vertreten sein lässt als die Höhen und, etwas weniger ausgeprägt, die Tiefen. Näheres siehe Amplitudenstatistik.

Bist Du noch da bzw. wach?

Die Differenz zwischen Tiefen- und Höhenaussteuerbarkeit wird (auch bei den praxiserprobten Entzerrungsverfahren) immer größer, je langsamer das Band läuft (je kleiner also der resultierende Wellenlängenbereich auf dem Band ist). Je niedriger die Bandgeschwindigkeit, umso ausgeprägter ist das, kaschiert nur durch stärkere Höhenanhebung (z.B. 120 µs beim Cassettenband bei 4,76 cm/s anstatt 35 µs bei der Studiotechnik mit 38,1 cm/s). Man kann aber nicht beliebig stark entzerren, weil es sonst unbrauchbar stark rauscht. Noch einmal: umgekehrt heißt das: wenn das aufzunehmende Musikstück relativ viele Höhen hat, kann man nur relativ niedrig aussteuern - oder man riskiert Verzerrungen in den Höhen und die daraus entstehenden Intermodulationsverzerrungen (der bekannte K3, der Klirrfaktor der 3. Harmonischen, fällt oberhalb etwa 5 kHz sowieso aus dem Übertragungsbereich heraus).

Also, um es kurz zu machen: Hohe Bandgeschwindigkeiten (damit meine ich 38,1 cm/s oder 76,2 cm/s) garantieren komfortable Höhenaussteuerbarkeit bei geringem Rauschen, bedingt durch relativ moderate Entzerrung. Kleine Bandgeschwindigkeiten leiden zunehmend unter eingeschränkter Höhenaussteuerbarkeit (das Klangbild wird, sagen die Leute mit den goldenen Ohren, zunehmend "verwaschener") und angehobenem Rauschen, das sich (glücklicherweise?) mit elektronischer Hilfe - Dolby, highcom, telcom etc. - auf akzeptable Werte absenken lässt.

Wahrscheinlich ahnst Du jetzt auch, warum der Frequenzgang bei nahezu allen Tonbandgeräten bei 20 dB unter Bezugspegel (d.h., rund und roh einem Zwölftel der Tiefenaussteuerbarkeit) gemessen und angegeben wird: bei hohen Pegeln lässt sich das Band nicht mehr über den ganzen Frequenzbereich voll aussteuern.

Jetzt kommen auch noch die Spaltverluste die Wiedergabekopfs ins Spiel, aber das ist eine Sache des Kopfherstellers (bei Compact-Cassetten-Geräten kam man m.W. bis auf 0,7 µm herunter) und der Bandführung bzw. der genauen Einhaltung des Azimuts - das war bei der Compact-Cassette von der Spritzguss-Präzision des Gehäuses abhängig.

Richtig: bei der Digitaltechnik fällt diese ganze Akrobatik weg, es kommt nur darauf an, den Datenstrom ungestört zu übertragen.

So, präziser kann ich das hier und heute nicht mehr ausleuchten.

F.E.


Jürgen: könntest Du bitte Links zu den Datenblättern LGR 50, DPR 26 LH und einem Fe-Cassettenband beisteuern?
ZEITSCHICHTEN, barrierefreier Zugriff im "GFGF-Buchladen", URL https://www.gfgf.org/de/b%C3%BCcher-und-schriften.html (ca. 240 MB)
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