TB von Seravox (Frankreich 1957)
#2
Zu obigem Gerät kann ich nun ein paar weitere Informationen liefern, nachdem bei mir ein Prospekt gelandet ist, der ein ähnliches Modell beschreibt (leider ohne Jahresangabe).

[Bild: SeravoxPROSP.jpg]

Das auf vier DIN-A5-Seiten beschriebene Gerät unterscheidet sich von meinem vor allem durch die fehlende Endstufe und den fehlenden Lautsprecher im Deckel.

Auf der Vorderseite des Prospekts heißt es, das Gerät, ein „adaptateur radiophonique“, also etwa: Radiovorsatzgerät, „zugelassen vom Ministerium für staatliche Erziehung, verwandelt augenblicklich Ihr Rundfunkgerät in einen Apparat für magnetische Aufzeichnung und Wiedergabe mit außergewöhnlichen Möglichkeiten.“

„Musikaufnahmen auf Magnetband für jeden erschwinglich mit Seravox“ wird zum Schluß noch versprochen.

Auf dem Bild erkennt man vielleicht einige Bleistiftnotizen. Da hat ein Kaufinteressent oder ein Verkäufer aktuelle Preise für Gerät und Zubehör notiert.
„Nu A 48747 + T.L. + micro + bandes” lese ich da, also das nackte Gerät zu 48747 (alten) Francs plus örtliche Steuern (T.L. meint wohl taxes locales), zusätzlich noch Kosten für Mikro und Bänder. Für ein nicht näher spezifiziertes Mikrophon werden 3260 Franc veranschlagt, für ein „micro ambiance“, also möglicherweise ein Mikrophon, das auch im Raum weiter entfernte Schallquellen aufnimmt, sind 3870 Franc anzusetzen.
Wenn man mit Hilfe einer Tabelle des staatlichen französischen Statistikinstituts INSEE
http://www.insee.fr/fr/themes/indicateur...tfranc.htm
die Preise nach Kaufkraft in Euro von 2009 umrechnet und dafür der Einfachheit halber das Jahr 1957 ansetzt (das Herstellungsjahr meines Exemplars), so kommt man auf einen Gerätepreis von etwa 900 Euro. Wegen der beträchtlichen Inflation in Frankreich während jener Jahre und der fehlenden Datierung des Prospekts hat die Zahl nur groben Orientierungswert. Man sieht aber, daß dieses eher simple Gerät nicht ganz billig war.

Auf den beiden Innenseiten ist das Gerät näher beschrieben. Da heißt es, das Gerät „erlaubt Ihnen ganz einfach Aufnahmen auf Magnetband
- von Radioprogrammen Ihrer Wahl,
- von Ihren bevorzugten Schallplatten mittels Plattenspieler,
- Ihrer eigenen Stimme mittels Mikrophon.
Es erlaubt Ihnen, die Aufnahme so lange und so oft Sie es wünschen mit unvergleichlicher Qualität zu wiederholen und eine Aufnahme, wenn Sie ihrer überdrüssig sind, zu löschen und durch eine andere zu ersetzen.

Tonmontage oder Werbung
Das Seravox bietet die Möglichkeit, abwechslungsreiche und ausgewählte Programme zu erstellen:
- viele Stunden Tanzmusik für die Abende,
- gemischte Aufnahmen aus Ansagen und Musik für Ladengeschäfte, Schausteller, Jahrmärkte, etc.,
- Schneiden des Bandes und Mischen [verschiedener Quellen] erlauben spezielle Montagen und Begleitung durch die größten Orchester, per Radioübertragung oder von Schallplatte.

Lernen Sie Sprachen ohne Kosten und ohne Aufwand, indem Sie Kurse vom Radio aufnehmen. Das Seravox als unermüdlicher Lehrer wiederholt sie Ihnen bis zur vollständigen Aneignung.

Vertonen Sie Ihre Amateurfilme mit Begleitkommentar oder Hintergrundmusik, die mit der Projektion synchronisiert werden können.

Das Seravox ist unverzichtbar für das Einüben von Gesang, Rede und Orchestrierung.

Eigenschaften:
Das Seravox wird in einem eleganten, sorgfältig überzogenen Koffer angeboten.
Abmessungen: 33 x 25 x 17 cm; Gewicht 6 kg.
Es umfaßt:
- eine besonders einfache und robuste Mechanik für den normalen Bandtransport mit zwei Geschwindigkeiten und den schnellen Vor- und Rücklauf,
- eine Vorrichtung für rauschfreies Löschen,
- einen Vorverstärker für den Anschluß an jedes Radiogerät oder Nf-Verstärker,
- einen Anschluß zur Synchronisation mit Projektoren (auf Wunsch).
Auf Grund seiner Abmessungen können 185-m-Bänder während des Transports aufgelegt bleiben, 375-m-Bänder können abgespielt werden.

Gebrauchshinweise:
Das Seravox wird zur Wiedergabe bespielter Bänder wie ein einfacher Plattenspieler an den Pick-up-Eingang eines Radios angeschlossen.
Aufnahmen in Halbspur bei 9,5 oder 19 cm/s werden unter Verwendung des niederohmigen Lautsprecherausgangs [des Radios] gemacht. Die richtige Aussteuerung ergibt sich durch Sichtkontrolle am Magischen Auge.
Das Löschen geschieht automatisch für jede Spur einzeln durch eine neue Aufnahme.
Der Synchronisationsanschluß (auf Wunsch lieferbar) erlaubt die Verbindung mit einem Amateur-Kinoprojektor.“


Ich war hier zunächst überrascht, von einer zweiten Bandgeschwindigkeit 19 cm/s zu lesen, da mein Exemplar nur mit 9,5 cm/s läuft und ich keine Umschaltmöglichkeit entdecken konnte. Ein längerer Blick auf das Bild der Vorderseite brachte dann aber in mehrfacher Hinsicht die Erleuchtung. Man sieht bei dem im Prospekt abgebildeten Gerät einen Stift aus der oberen Tonkopfabdeckung herausragen, wo mein Exemplar einfach nur ein Loch hat.

[Bild: SeravoxABD.jpg]

Da wird zur Geschwindigkeitsumschaltung eine Hülse auf die Tonwelle aufgesteckt. Jetzt ist mir auch klar, wozu die untere Tonkopfabdeckung ebenfalls ein Loch hat, unter dem sich ein Stift verbirgt. Hier wird die Hülse aufgesteckt, wenn sie nicht benötigt wird. Mein Exemplar hat dieses Zubehör leider verloren. Außerdem ergibt das seltsame obere Ende der Tonwelle jetzt einen Sinn. Es sorgt dafür, daß die aufgesteckte Hülse bei der Drehung mitgenommen wird.

[Bild: SeravoxWEL.jpg]

Es ist natürlich klar, daß bei dieser Art der Geschwindigkeitsumschaltung die Entzerrung unverändert bleibt.

Werfen wir noch einen Blick auf die letzte Seite des Prospekts. Dort heißt es:
„Dank seines perfekt gleichmäßigen Bandtransports, der Verwendung von Hochpräzisions-Magnetköpfen und KODAK-Bändern bietet das Seravox eine unübertroffene Aufnahmequalität.“

Durch diese Aussage neugierig und auch etwas mutig geworden, wollte ich mir diesen „Hochpräzisionskopf“ mal etwas näher anschauen. Auf obigem Bild sieht der Kopfspiegel ja nicht sehr vertrauenerweckend aus. Für das folgende Bild habe ich das U-förmige Halteblech des Kopfes abgeschraubt und ihn nach oben gerichtet.

[Bild: SeravoxU.jpg]

Der Kopf ist nicht auf einer Wippe montiert, sondern einfach lose auf ein Stück Pertinax aufgesetzt (im Bild vor dem Kopf zu sehen). Durch mehr oder weniger starkes Anziehen der beiden Schrauben des U-förmigen Halteblechs (auf dem Bild rechts neben dem Kopf liegend) läßt sich der Kopf etwas mehr nach links oder nach rechts neigen und so die Spaltstellung verändern. Die Löcher für die beiden Schrauben sind links und rechts der Pertinaxplatte zu sehen.
Auf dem Kopf steht « Tête magnétique PMF, brevetée France et étranger, Type TB286, série 3A7 ». Köpfe dieses Herstellers und dieser Bauart hatte ich bereits in einem Diktiergerät gleichen Baujahrs der Firma G.B.G. gefunden, das an anderer Stelle hier im Forum beschrieben ist.

Schließlich findet sich auf der letzten Seite noch ein Schaubild, das den Frequenzgang bei beiden Geschwindigkeiten zeigt.

[Bild: SeravoxREP.jpg]

Bei 19 cm/s werden immerhin etwas über 10000 Hz erreicht, bei 9,5 cm/s etwa 5000.
Letzteres entspricht Rundfunkqualität auf Lang- oder Mittelwelle. Das macht durchaus Sinn, wenn man sich die Geschichte des UKW-Rundfunks in Frankreich anschaut, der jenseits des Rheins anfangs recht stiefmütterlich behandelt wurde. Erste Testsendungen gab es erst 1954. Am 1. Januar 1958 trat beim staatlichen Rundfunk eine Programmreform in Kraft, in deren Folge die UKW-Sendungen wieder abgeschafft wurden. Nach heftigen Hörerprotesten wurden sie jedoch schnell wieder aufgenommen. 1961 gab es erst 16 Sender im Land, eine flächendeckende Versorgung war erst Mitte der sechziger Jahre gewährleistet. Außerhalb der Metropolen wird man also wohl bis in die frühen sechziger Jahre Rundfunk nur auf Lang- und Mittelwellen gehört haben. Um deren Programme zu konservieren war ein Seravox ausreichend. Wie zur Bestätigung bekam ich mit diesem Gerät ein Band, auf dem von Lang- oder Mittelwelle eine Sportübertragung aufgezeichnet war.


Gruß
TSF
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[Kein Betreff] - von TSF - 22.01.2007, 17:59
[Kein Betreff] - von TSF - 20.09.2010, 13:00
[Kein Betreff] - von kaiman_215 - 20.09.2010, 22:38
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RE: TB von Seravox (Frankreich 1957) - von TSF - 15.05.2022, 18:18
RE: TB von Seravox (Frankreich 1957) - von moxx - 17.05.2022, 08:52
RE: TB von Seravox (Frankreich 1957) - von TSF - 17.05.2022, 17:26

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